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Harpprecht: "Sozialismus als Dogma ist tot"

Der Publizist Klaus Harpprecht hält die neue Partei Die Linke für unglaubwürdig. Sie sei "sehr nahe an der noch nicht bewältigten Geschichte des autoritären kommunistischen Staates auf der anderen Seite der Elbe", sagte Harpprecht, ehemals Redenschreiber für Bundeskanzler Willy Brandt. Der Sozialismus als Dogma sei tot, die Führer der Linken würden das eines Tages zur Kenntnis nehmen.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer Die SED gibt es nicht mehr, und seit diesem Wochenende gibt es auch ihre Nachfolgerin nicht mehr, die PDS. Die Partei ist nämlich in der Linken aufgegangen, der Neugründung, die unter der Führung von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky vor allem der SPD noch einiges Kopfzerbrechen bereiten wird. Forsa hat die Deutschen nach ihrer Meinung befragt, und dabei ist herausgekommen, dass fast ein Viertel der Bürger die Linke für wählbar hält. Viele dieser Stimmen dürften der ohnehin angeschlagenen SPD abhanden kommen.

    Klaus Harpprecht ist am Telefon. Als Redenschreiber war er Weggefährte Willy Brandts. Als Journalist und Autor begleitet er auch die deutsche Debatte von Frankreich aus, und dort erreichen wir ihn. Guten Morgen, Herr Harpprecht!

    Klaus Harpprecht: Guten Morgen!

    Heuer: 24 Prozent der Deutschen können sich 18 Jahre nach dem Mauerfall vorstellen, sozusagen eine Nach-Nachfolgerin der SED zu wählen. Erschreckt Sie das?

    Harpprecht: Es erschreckt mich nicht. Das wäre etwas zu viel gesagt. Aber man merkt auf. Die 24 Prozent vermuteter Wähler, die sich in der Realität dann hinterher immerhin in ein Potenzial von 11, 12, 13 Prozent umsetzen könnten, das würde die Bedeutung einer vierten Kraft in der Landschaft der Bundesrepublik Deutschland haben, vielleicht auch - und das ist sicher der Ehrgeiz der Leidgenossen Bisky, Lafontaine und Gysi - zur dritten Kraft im Spektrum der Parteien zu werden.

    Heuer: Ist denn diese Kraft, Herr Harpprecht, eine lupenrein demokratische Kraft? Der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla vergleicht zum Ärger vieler inzwischen die Linke mit der NPD.

    Harpprecht: Das ist ein Vergleich, der vermutlich etwas zu weit geht. Die NPD ist natürlich auf ferne Weise eine Erbenpartei der ehemaligen Nationalsozialisten. Nur ist das weiter entfernt, als es die SED von unserer jetzigen bundesdeutschen Gegenwart ist. Aber die innere Prägung, die Struktur der neuen Linken - der Name ist übrigens eine geniale Wahl, das muss man mit gelüftetem Hut zugeben -, die Linke ist eben doch noch sehr nahe an der noch nicht bewältigten Geschichte des autoritären kommunistischen Staates auf der anderen Seite der Elbe. In der Mitgliedschaft zeichnet sich das natürlich noch ab. Die Mitgliedschaft der Linken in der alten DDR ist sicher noch immer überaltert, und noch immer hat sie dort auch Charakter einer Art von Regionalpartei, einer, wenn man es sentimental sagen wollte, Heimatpartei. Aber nun greift sie offensichtlich auf Westdeutschland über und findet dort Ansätze.

    Heuer: Genau. Das wollte ich gerade erwähnen, diesen "Übergriff", in Anführungszeichen, auf Westdeutschland. Die SPD sagt ja jetzt mehrheitlich, auf Bundesebene würde sie eine Regierung mit der Linken kategorisch ausschließen. Glauben Sie das den Genossen?

    Harpprecht: Das glaube ich den Genossen, und die Träume, die der Bürgermeister von Berlin unterhalten haben mag, dass er der mögliche Kanzler einer linken Koalition, einer rot-roten Koalition, werden könnte, die sind denn doch ein bisschen zu weit über Tempelhof und Pankow hinausgegriffen. Die Bereitschaft dazu besteht in der SPD und bei der Mehrheit ihrer Mitglieder und in ihren Führungsgremien ganz bestimmt nicht, denn bei denen ist ein Geschichtsbewusstsein lebendig. Die wissen noch sehr genau, unter welchem Druck die Sozialdemokratie in der damals sowjetisch besetzten Zone und dann in der DDR verfolgt wurde. Die erinnern sich an die Zwangsvereinigung. Die erinnern sich daran, dass sich nicht wenige der Genossen, die vorher in KZs der Nazis gesessen haben, schließlich auch wieder in Sonderabteilungen in Buchenwald gefunden haben und das für lange Jahre, sofern sie es überlebten. Wenn diese Erinnerung, dieses Geschichtsbewusstsein bei der Linken etwas stärker wäre und nicht mit seinem geradezu missionarisch, sicher von seiner katholischen Schule her geprägten Pathos bei Lafontaine beiseite gewischt würde, dann wäre diese Partei glaubhafter, und dann müsste man sie wohl auch noch ein wenig ernster nehmen. Dann würde sie sich mit Recht als Nachfolgepartei der USPD aus der Weimarer Zeit aufführen können. So glaube ich ihnen kein Wort.

    Heuer: Was ist denn, Herr Harpprecht, wenn die Linke sich verändert, wenn sie realpolitischer wird, wenn sie vielleicht mit ihrer eigenen Vergangenheit, so wie Sie es gerade skizziert haben, anders umgeht? Ist dann langfristig ein Zusammengehen mit der SPD, vielleicht erst mal auf Landesebene auch im Westen und dann später im Bund, doch etwas, wo Sie nicht sagen würden na ja, das muss man dann für alle Zeiten ausschließen?

    Harpprecht: Für alle Zeiten ist auf dieser Erde nie etwas ausgeschlossen, und natürlich ist es eine Aufgabe der deutschen Politik auf lange Frist, dass man auch die Millionen von Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, gelebt haben, ihre, wie man gerne sagt, Biografien erlebt haben, dass die integriert werden in der bundesdeutschen Demokratie. Es kann sogar bestätigt werden, dass die PDS dafür durch aufgeklärte Geister wie Herrn Gysi etwas geleistet hat, aber es wird ein sehr, sehr langer Weg dorthin sein. Es wäre natürlich das Beste, wenn die Integration bei demokratisch geprüften und ganz stabilen politischen Institutionen wie der SPD selber erfolgen würde.

    Heuer: Nun hat die SPD es ja schwer, umzingelt sozusagen von sozialdemokratischen Rechten und einer Linken, die ihr das Wasser abgräbt. Wie kann die SPD da rauskommen? Muss sie sozialistischer wieder werden oder neoliberaler?

    Harpprecht: Weder noch! Der Sozialismus als Dogma ist tot! Die PDS oder die Führer der Linken werden das eines Tages zur Kenntnis nehmen. Sonst laufen sie als Traumtänzer einer gescheiterten Großutopie, die überall gescheitert ist, dort wo sie verwirklicht werden sollte, durch die Welt. Es gibt diesen Sozialismus nirgendwo, weil er überall zu Grunde gegangen ist, auf Kosten übrigens der Bürger.

    Neoliberalismus ist nicht die Alternative, da wird auch nur ein neues Gespenst über einen bundesdeutschen Himmel gemalt, sondern es sind die Werte der sozialen Marktwirtschaft. Es sind die Werte der sozialen Demokratie, die den Bonner Staat bestimmt haben, die den Bonner Staat zu einem Sozialstaat gemacht haben, der jetzt in der Reparaturwerkstatt ist, um lebensfähig, um überlebensfähig zu sein. Sozialismus der zopfig alten bärtigen Art ist sicher keine Lösung. Die haben keine Antworten. Und der Neoliberalismus bleibt die Antworten auf die eigentliche Politik sowieso schuldig.

    Heuer: Der Publizist Klaus Harpprecht war das über die Linke und die SPD. Herr Harpprecht, ich danke Ihnen.

    Harpprecht: Ich danke Ihnen.