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Harte Zeit für die Ärmsten in Portugal

Das portugiesische Parlament will Ende November über das Staatsbudget für 2013 entscheiden. Geplant sind tief greifende Sparmaßnahmen, um das Defizit zu senken. Auch die ärmsten Portugiesen müssen mit Einschnitten rechnen.

Von Tilo Wagner | 30.10.2012
    Trockenes Brot, Milch, Tomaten, ein Ei und Kräuter: Luísa Trindade bereitet die Zutaten für ihr mageres Abendessen vor. Fisch und Fleisch fehlen auf ihrer Speisekarte. Dafür reicht das Geld nicht mehr:

    "Ich komme aus dem Alentejo. Das war schon immer eine sehr arme Region im Süden, wo man sich kaum Fleisch leisten konnte. Es gibt dort viele Rezepte mit Tomaten, Olivenöl und Kräutern, die sehr preiswert zuzubereiten sind. In meiner Kindheit – während der Salazar-Diktatur – gab es immer nur das. Und jetzt koche ich wieder so, weil mir nichts anderes übrig bleibt."

    Luísa Trindade ist arbeitslos. Sie erhält eine Witwenrente von 227 Euro im Monat. Sonst nichts. Die Renten sind seit Jahren nicht erhöht worden, obwohl wegen des rigorosen Sparkurses der Regierung alles in Lissabon teurer wird: Die Troika hat eine Erhöhung der Fahrkartenpreise bei öffentlichen Verkehrsmitteln um über 15 Prozent durchgesetzt, um die hoch verschuldeten Verkehrsbetriebe zu sanieren. Zudem sind bisher subventionierte Preise für Strom und Gas und die Steuern auf bestimmte Konsumgüter und Lebensmittel angehoben worden. Restaurants, Kneipen und Cafés müssen seit Beginn des Jahres außerdem zehn Prozent zusätzliche Mehrwertsteuer abführen. Gerade in Südeuropa, wo die Menschen traditionell in kleinen Cafés zusammenkommen, hat das spürbare Folgen:

    "Mein soziales Leben ist vorbei. Ich kann es mir nicht mehr leisten, irgendwohin zu gehen, um mich mit Nachbarn oder Bekannten zu treffen. Ich muss immer auf mein Geld achten. Mit den 227 Euro schaffe ich es nicht weit. Ich habe einen hohen Cholesterinwert. Von meiner Rente gehen noch mal 35 Euro ab für meine Medikamente. Da bleibt kaum noch was übrig zum Leben."

    Luísas harte Lebensgeschichte kennen mittlerweile viele Portugiesen aus den Medien. Anfang Oktober stürmte die Witwe einen Festsaal, in dem die politische Elite des Landes an die Republikgründung vor 102 Jahren erinnerte.

    "Ich habe keine Arbeit, aber niemand macht mich mundtot. Diese Herren hier führen das Land seit Jahrzehnten in den Ruin," rief Luísa Trindade, bevor sie von Sicherheitsbeamten aus dem Saal geschleppt wurde. Ihr Protest war eine ganz spontane Reaktion, sagt die 57-Jährige:

    "Ich ging einfach rein und niemand hielt mich auf. Und dann kam es irgendwie aus mir heraus. Die ganze Elite saß da in ihren schicken Kleidern und tat so, als ob die Krise sie nichts anginge. Und so ist es auch: An uns denken sie nicht."

    In ihrer bescheidenen Wohnung in der Lissabonner Altstadt kann Luísa nur wohnen bleiben, weil ihr Sohn die Miete von 400 Euro bezahlt und ihre Tochter die Kosten fürs Telefon übernimmt. Solange beide noch einen Job haben, ist die Solidarität innerhalb der Familie nicht infrage gestellt. Luísa ist ihren Kindern dankbar, aber ganz wohl fühlt sie sich nicht dabei. Ohne Job und auf Kosten ihrer Familie leben ist für sie nur ein unwürdiges Dasein:

    "Wenn ich es wäre, die meinen Kindern helfen würde, dann wär das in Ordnung. Aber so fühle ich mich schlecht dabei und in meiner Menschenwürde verletzt. Das Problem sind nicht die Portugiesen, denn die Mehrheit ist wirklich nett und hilfsbereit. Wir wurden einfach von Beginn an sehr schlecht regiert. Die Politiker haben Autobahnen und Brücken gebaut und eine Weltausstellung organisiert, aber an uns Bürger haben sie nicht gedacht. Man muss doch zuallererst an die Menschen denken."