Durak: Können sie das konkret machen?
Pipa: Selbstverständlich, es besteht ja heute der Irrglaube in der Bundesrepublik Deutschland, dass die Landkreise die guten Onkels sind, also die eine gute Sozialpolitik machen, die sich noch kümmern um die Menschen mit Drogen- und Schuldnerberatung, und der Primus ist natürlich die Bundesagentur, die die ausschließliche Vermittlungskompetenz hat. Ich frage sie, wir haben heute 4,5 Millionen Arbeitslose, schon heute sind 2,1 Millionen, also fast schon die Hälfte, Langzeitarbeitslose, warum? Weil eben die Arbeitsagentur ihren Mitarbeitern nicht die Instrumente gibt, um die Menschen, die Langzeitarbeitslosen, zu coachen, und sie können auch keine Instrumente haben. Zum Beispiel: Wer langzeitarbeitslos ist, muss wieder langsam an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Da haben wir die Instrumente von der Schuldner-, von der Drogenberatung, von Deutschkursen, von der fehlenden Kinderbetreuung. Die Vermittlungshemmnisse kann die Bundesagentur mit den Instrumenten eben nicht beseitigen. Wir sind die Einzigen, die eben an den Menschen vor Ort dran sind. Der letzte Punkt ist, es muss endlich in Berlin und auch in Nürnberg begriffen werden, dass der Arbeitsmarkt regional unterschiedlich ist, und da müssen die Profis ran. Es kann doch nicht sein, dass eben der bundesdeutsche Wahn weitergeht mit zentralen Bundesvorschriften, den Arbeitsmarkt zentral in Deutschland zu lenken. Es sind unsere europäischen Nachbarn, die schon viel weiter sind, und was ich ihnen hier erzähle, gibt es in Dänemark, gibt es in Schweden, gibt es in Holland, die sind viel flexibler, viel unbürokratischer als wir Deutschen.
Durak: Sie rufen dies ja nach Berlin ihrer eigenen Partei zu. Sind sie in der falschen Partei?
Pipa: Ich bin nicht in der falschen Partei, nur in Berlin gibt es so viele Bürokraten, die eben auch die Regierung vorführen, und eben mehr zu sagen haben als die Minister, und das ist das eigentliche Hauptproblem in Deutschland.
Durak: Nun haben wir von ihnen erfahren, und ich hab es gesagt, sie haben da andere Erfahrungen im Main-Kinzig-Kreis, welche?
Pipa: Wir haben Erfahrungen, dass wir, wenn man mit Menschen spricht, zum Beispiel mit der regionalen Wirtschaft, mit dem Handwerk, wenn man in die Betriebe geht, wenn man den Unternehmern Flexibilität anbietet, und der Unternehmer auch wenig Risiko hat, sich dann auch von Mitarbeitern zu trennen, dann stellt er die Menschen ein. Wir haben in den letzten sieben Jahren im Main-Kinzig-Kreis 3400 Langzeitarbeitslose, von denen einige bisher nur in der Sozialhilfe waren und noch nie im Leben gearbeitet haben, wieder auf den ersten Arbeitsmarkt gebracht, im Main-Kinzig-Kreis, und wir haben eine Quote, also wir haben eine Rückfallquote von 15 Prozent. Andersrum, 85 Prozent der Menschen sind nicht mehr aufgetaucht in den Amtsstuben der deutschen Bürokratie oder der Sozialämter, das heißt 85 Prozent sind dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert worden, und da mein ich nicht den zweiten, da mein ich den ersten. Das heißt, wir haben etwas hier im Main-Kinzig-Kreis, wovon schon zwei deutsche Kanzler geträumt haben. Wir haben hier einen regionalen Pakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vertreten durch Gewerkschaften, IHKen der Kreishandwerkerschaft, der Politik und der Parteien. Als sie vorhin gesagt haben "falsche Partei", was ich sage, sagt im Main-Kinzig-Kreis die SPD, die CDU, die FDP, sogar die PDS.
Durak: Das ist die Insel der Glückseeligen, offensichtlich in Hessen.
Pipa: Das Paradies ist es eigentlich noch nicht, aber nochmals, ich will ja nur sagen, wir haben hier Probleme gelöst, die etwas mit Menschen zu tun haben. In Berlin wird über Gesetze diskutiert, über eine Organleihe, wenn ich den Namen schon höre, das schließt eben gerade Flexibilität und unbürokratisches Handelns aus.
Durak: Womit rechnen sie denn, wenn es im Januar 2005 doch zum Arbeitslosengeld II kommt?
Pipa: Ich war noch am Montag in Berlin, und der Herr Weise ist dort gefragt worden, ob er den Abgeordneten garantieren kann, dass Leistungsempfänger - also wir reden ja nicht über Maschinen wie bei TollCollect, wir reden ja über Menschen - und der Herr Weise ist gefragt worden, können sie garantieren, dass ab 1.1.2005 die Menschen ihre Leistung bekommen - 3,5 Millionen Bürger. Er konnte die Zusage eben nicht machen, und ich rechne damit, dass das ein Riesenchaos gibt, weil wir dann ein Gesetz hätten und weiterhin zwei Zuständigkeiten. Die Einen zahlen dann eine Leistung, 345 Euro im Monat, aus und die anderen, das heißt wir, sind zuständig für die Dinge wie zum Beispiel Miete, wir sind zuständig für einmalige Beihilfen und so weiter. Das heißt, das Gesetz schafft Bürokratie eben nicht ab, sondern baut zusätzlich welche auf.
Durak: Der Bundeswirtschaftsminister überlegt ja, den Kommunen und Landkreisen doch mehr Geld für die Mietzuschüsse zur Verfügung zu stellen, erst waren von 2,5 Milliarden die Rede, nun denkt er daran, zwei Milliarden nachzuschieben, reicht das? Was denken sie?
Pipa: Also uns wurde versprochen, dass wir entlastet werden. Ich habe das im Übrigen nie gefordert, die hätten uns weder belasten sollen noch entlasten, aber uns wurde zugesagt, wir werden entlastet. Nun kommt heraus, wir werden nicht entlastet, wir werden belastet. Nun, was wird in Deutschland gemacht, wenn ein Problem besteht, es wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Nur wir haben schon in wenigen Minuten hier berechnet, und auch andere Kollegen, wie der Kollege Ude in München, wir werden durch Hartz IV zusätzlich belastet. Das ist doch ein Treppenwitz! Da soll mir Herr Clement nicht ankündigen, dass irgendwas nachgerechnet wird, er soll lieber das tun, was er uns versprochen hat, nämlich uns zu entlasten, obwohl ich ja schon zufrieden wäre, wenn er uns weder belastet noch entlastet.
Durak: Wir wollen das gern mit diesem Interview weitergeben. Danke schön, Erich Pipa war das, SPD-Mitglied und Sozialdezernent im Main-Kinzig-Kreis mit einem Beispiel, dass es anders gehen kann, Hartz IV ist falsch, sagt er, vielen Dank für das Gespräch.