Silvia Engels: In Hamburg kommen heute die Arbeits- und Sozialminister der Länder zusammen. Sie beraten unter anderem darüber, ob und welche Zuschüsse für die Empfänger von Arbeitslosengeld II verändert werden müssen. Im Mittelpunkt steht da die Frage, was steht den Kindern zu.
Der Bundestag beriet heute in erster Lesung die für Jahresanfang geplante Erhöhung des Kindergeldes und des steuerlichen Freibetrages. Doch wir wollen nun auf die Kinder schauen, deren Eltern jeden Euro zweimal umdrehen müssen: auf die Kinder von Hartz-IV-Empfängern.
Wir haben eben berichtet: Die Arbeits- und Sozialminister beraten speziell über die Bedarfssätze für Kinder. Am Telefon ist nun Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Guten Tag!
Heinz Hilgers: Guten Tag.
Engels: Wie bemisst man denn den speziellen Bedarf der Kinder in einer Familie, die Hartz-IV-Leistungen empfängt?
Hilgers: Zurzeit macht sich der Staat das ganz einfach. Er sagt einfach, das Kind ist 40 Prozent von einem Erwachsenen, und dann kommt er für die Kinder bis 14 Jahre auf 211 Euro, und weil er weiß, dass das ab 14 nun wirklich nicht mehr geht, legt er dafür einen Satz von 80 Prozent, das heißt also 281 Euro fest. Das ist sehr respektlos gegenüber den wirklichen Bedürfnissen von Kindern.
Engels: Was haben Sie denn ausgerechnet, wie viel da nötig ist?
Hilgers: Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, mit dem wir ja zusammenarbeiten, hat ausgerechnet 276 Euro für Kinder bis unter sechs Jahren und 332 Euro für Kinder von sechs bis 14. Da ist der Bedarf auch wirklich noch mal anders. Und dann für 14- bis 18-Jährige 358 Euro. Er hat dabei Kriterien zu Grunde gelegt, die auch dem entsprechen, was das Landessozialgericht in Hessen jetzt kürzlich in seinem Urteil festgelegt hat.
Engels: Welche Erfahrungen haben Sie denn über die letzten Jahre mit der Versorgung von Kindern speziell in Hartz-IV-Empfängerfamilien gemacht? Das klingt ja so, als ob da das Geld vorne und hinten nicht reicht. Geht das immer zu Lasten der Kinder?
Hilgers: Ja. Es ist ja so, dass zum Beispiel die Bundesregierung jetzt heute im Bundestag darüber beraten lässt, dass man 100 Euro gibt bei der Einschulung oder zu Beginn des Schuljahres. Wir haben einmal die Bedarfslisten analysiert, die an Berliner Grundschulen - und zwar gerade da, wo die vielen Hartz-IV-Kinder leben, in Wedding oder in Neukölln - den Eltern an die Hand gegeben werden, und da ist die Zuckertüte nicht mit dabei bei der Einschulung. Da kommen sie niemals unter 300 Euro, was sie als Eltern für das Kind anschaffen sollen, und da ist 100 Euro ein Witz.
Das kann man sich als Hartz-IV-Empfänger schon gar nicht vom Munde absparen und deswegen ist Hartz IV mit für Kindesvernachlässigung verantwortlich und es ist auch mit dafür verantwortlich, dass Armut von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wenn man einen Regelsatz festlegt mit 60 Prozent von einem Erwachsenen, dann ist da vielleicht 60 Prozent mit drin für Tabak und alkoholische Getränke, die mit einem geringen Betrag beim Regelsatz für Erwachsene drin sind, aber nicht die besonderen Kosten der Bildung und auch nicht die besonderen Kosten, die man bei Kindern hat, weil sie nun wirklich jedes Jahr einen neuen Winteranorak brauchen, weil sie schon wieder gewachsen sind, und weil sie natürlich öfters im Jahr einen Satz neuer Schuhe brauchen, weil die Füße schon wieder größer geworden sind. Das ist alles nicht mit drin und der jetzige Regelsatz ist sehr respektlos gegenüber den wahren Bedürfnissen von Kindern.
Engels: Herr Hilgers, nun gibt es allerdings auch immer wieder die Diskussion, ob Geldbeträge hier das richtige Mittel sind, damit es wirklich bei den Kindern ankommt. Sachleistungen oder Geld?
Hilgers: Ich würde das sehr individuell sehen. Das haben wir ja früher bei der Sozialhilfe auch individuell gemacht. Im Regelfall ist eine Kombination von sehr atypischen Leistungen wie zum Beispiel die Einschulung mit Regelleistungen nötig.
Deswegen ist unsere Forderung, dass wir sagen, wir wollen einen Regelsatz von null- bis unter Sechsjährige von 254 Euro, von sechs bis unter 14-Jährige von 297 Euro und von 14 bis unter 18-Jährige von 321 Euro und wollen dann zusätzlich für die besonders atypischen Leistungen, die auch nicht angespart werden können, von diesen Geldern auch einmalige Beihilfen haben.
Dann kann man in einer Kombination gut weiterkommen. Das alleine hilft vielen auch nicht. Es muss kombiniert werden mit frühen Hilfen, mit sozialpädagogischen Hilfen, mit psychosozialer Unterstützung und natürlich mit guten Ganztagsschulen und guten Ganztagskindertagesstätten auch für Kinder von Eltern, die arbeitslos sind.
Engels: In der Diskussion war ja auch gerade, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien beispielsweise nicht gut ernährt werden. Ist da auch das Sachangebot beispielsweise an Schulküchen, an Suppenküchen weiter auszuweiten? Sie sprechen ja jetzt doch mehr von Geldleistungen.
Hilgers: Mit den Suppenküchen ist das so eine Sache. Nur die Essensversorgung alleine bringt es nicht, sondern wir müssen schon immer die Versorgung verbinden mit Hilfe zur Selbsthilfe, mit Pädagogik, mit dem pädagogischen Mittagstisch zum Beispiel. Nur dann wird ein Schuh daraus, denn wir wollen ja die Menschenkräfte, die Kräfte der Kinder stärken, dass sie später einmal selbst nicht von Hartz IV abhängig sind, sondern selbst Leistungsträger statt Leistungsempfänger in unserer Gesellschaft werden.
Da sage ich sind Ganztagsschulen gut. Aber sehen Sie, wenn in diesen heutigen Regelsätzen maximal ein Euro für Mittagessen eingerechnet ist oder 2,54 Euro für die Ernährung den ganzen Tag, dann ist das ein bisschen schwierig, wenn in der Ganztagsschule das Mittagessen schon 2,90 Euro kostet. Und dann sind da noch keine Getränke mit bei und noch kein Frühstück und noch kein Abendessen.
Engels: Kurz zum Schluss. Sehen Sie denn Bewegung, dass der Bund reagiert?
Hilgers: Wir werden weiter beharrlich, geduldig beharrlich hier Lobbyarbeit leisten. Da haben wir einen langen Atem und wir werden die Politik nicht davon kommen lassen.
Engels: Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Vielen Dank.
Der Bundestag beriet heute in erster Lesung die für Jahresanfang geplante Erhöhung des Kindergeldes und des steuerlichen Freibetrages. Doch wir wollen nun auf die Kinder schauen, deren Eltern jeden Euro zweimal umdrehen müssen: auf die Kinder von Hartz-IV-Empfängern.
Wir haben eben berichtet: Die Arbeits- und Sozialminister beraten speziell über die Bedarfssätze für Kinder. Am Telefon ist nun Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Guten Tag!
Heinz Hilgers: Guten Tag.
Engels: Wie bemisst man denn den speziellen Bedarf der Kinder in einer Familie, die Hartz-IV-Leistungen empfängt?
Hilgers: Zurzeit macht sich der Staat das ganz einfach. Er sagt einfach, das Kind ist 40 Prozent von einem Erwachsenen, und dann kommt er für die Kinder bis 14 Jahre auf 211 Euro, und weil er weiß, dass das ab 14 nun wirklich nicht mehr geht, legt er dafür einen Satz von 80 Prozent, das heißt also 281 Euro fest. Das ist sehr respektlos gegenüber den wirklichen Bedürfnissen von Kindern.
Engels: Was haben Sie denn ausgerechnet, wie viel da nötig ist?
Hilgers: Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, mit dem wir ja zusammenarbeiten, hat ausgerechnet 276 Euro für Kinder bis unter sechs Jahren und 332 Euro für Kinder von sechs bis 14. Da ist der Bedarf auch wirklich noch mal anders. Und dann für 14- bis 18-Jährige 358 Euro. Er hat dabei Kriterien zu Grunde gelegt, die auch dem entsprechen, was das Landessozialgericht in Hessen jetzt kürzlich in seinem Urteil festgelegt hat.
Engels: Welche Erfahrungen haben Sie denn über die letzten Jahre mit der Versorgung von Kindern speziell in Hartz-IV-Empfängerfamilien gemacht? Das klingt ja so, als ob da das Geld vorne und hinten nicht reicht. Geht das immer zu Lasten der Kinder?
Hilgers: Ja. Es ist ja so, dass zum Beispiel die Bundesregierung jetzt heute im Bundestag darüber beraten lässt, dass man 100 Euro gibt bei der Einschulung oder zu Beginn des Schuljahres. Wir haben einmal die Bedarfslisten analysiert, die an Berliner Grundschulen - und zwar gerade da, wo die vielen Hartz-IV-Kinder leben, in Wedding oder in Neukölln - den Eltern an die Hand gegeben werden, und da ist die Zuckertüte nicht mit dabei bei der Einschulung. Da kommen sie niemals unter 300 Euro, was sie als Eltern für das Kind anschaffen sollen, und da ist 100 Euro ein Witz.
Das kann man sich als Hartz-IV-Empfänger schon gar nicht vom Munde absparen und deswegen ist Hartz IV mit für Kindesvernachlässigung verantwortlich und es ist auch mit dafür verantwortlich, dass Armut von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wenn man einen Regelsatz festlegt mit 60 Prozent von einem Erwachsenen, dann ist da vielleicht 60 Prozent mit drin für Tabak und alkoholische Getränke, die mit einem geringen Betrag beim Regelsatz für Erwachsene drin sind, aber nicht die besonderen Kosten der Bildung und auch nicht die besonderen Kosten, die man bei Kindern hat, weil sie nun wirklich jedes Jahr einen neuen Winteranorak brauchen, weil sie schon wieder gewachsen sind, und weil sie natürlich öfters im Jahr einen Satz neuer Schuhe brauchen, weil die Füße schon wieder größer geworden sind. Das ist alles nicht mit drin und der jetzige Regelsatz ist sehr respektlos gegenüber den wahren Bedürfnissen von Kindern.
Engels: Herr Hilgers, nun gibt es allerdings auch immer wieder die Diskussion, ob Geldbeträge hier das richtige Mittel sind, damit es wirklich bei den Kindern ankommt. Sachleistungen oder Geld?
Hilgers: Ich würde das sehr individuell sehen. Das haben wir ja früher bei der Sozialhilfe auch individuell gemacht. Im Regelfall ist eine Kombination von sehr atypischen Leistungen wie zum Beispiel die Einschulung mit Regelleistungen nötig.
Deswegen ist unsere Forderung, dass wir sagen, wir wollen einen Regelsatz von null- bis unter Sechsjährige von 254 Euro, von sechs bis unter 14-Jährige von 297 Euro und von 14 bis unter 18-Jährige von 321 Euro und wollen dann zusätzlich für die besonders atypischen Leistungen, die auch nicht angespart werden können, von diesen Geldern auch einmalige Beihilfen haben.
Dann kann man in einer Kombination gut weiterkommen. Das alleine hilft vielen auch nicht. Es muss kombiniert werden mit frühen Hilfen, mit sozialpädagogischen Hilfen, mit psychosozialer Unterstützung und natürlich mit guten Ganztagsschulen und guten Ganztagskindertagesstätten auch für Kinder von Eltern, die arbeitslos sind.
Engels: In der Diskussion war ja auch gerade, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien beispielsweise nicht gut ernährt werden. Ist da auch das Sachangebot beispielsweise an Schulküchen, an Suppenküchen weiter auszuweiten? Sie sprechen ja jetzt doch mehr von Geldleistungen.
Hilgers: Mit den Suppenküchen ist das so eine Sache. Nur die Essensversorgung alleine bringt es nicht, sondern wir müssen schon immer die Versorgung verbinden mit Hilfe zur Selbsthilfe, mit Pädagogik, mit dem pädagogischen Mittagstisch zum Beispiel. Nur dann wird ein Schuh daraus, denn wir wollen ja die Menschenkräfte, die Kräfte der Kinder stärken, dass sie später einmal selbst nicht von Hartz IV abhängig sind, sondern selbst Leistungsträger statt Leistungsempfänger in unserer Gesellschaft werden.
Da sage ich sind Ganztagsschulen gut. Aber sehen Sie, wenn in diesen heutigen Regelsätzen maximal ein Euro für Mittagessen eingerechnet ist oder 2,54 Euro für die Ernährung den ganzen Tag, dann ist das ein bisschen schwierig, wenn in der Ganztagsschule das Mittagessen schon 2,90 Euro kostet. Und dann sind da noch keine Getränke mit bei und noch kein Frühstück und noch kein Abendessen.
Engels: Kurz zum Schluss. Sehen Sie denn Bewegung, dass der Bund reagiert?
Hilgers: Wir werden weiter beharrlich, geduldig beharrlich hier Lobbyarbeit leisten. Da haben wir einen langen Atem und wir werden die Politik nicht davon kommen lassen.
Engels: Heinz Hilgers, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Vielen Dank.