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Harvard-Studie
Studie über Trump-Berichterstattung in der Kritik

Keiner berichtete negativer über Donald Trump als die ARD – so hieß es vergangene Woche in vielen deutschen Medien. Hintergrund war eine Harvard-Studie. Sowohl an der Berichterstattung als auch an der Studie selbst gibt es mittlerweile Kritik.

Von Michael Borgers | 29.05.2017
    Ein Redakteur sitzt im Regieraum der ARD-Tagesschau vor eine Reihe Fernseh- und Computermonitoren.
    Neben vielen internationalen Medien hat die kritisierte Harvard-Studie als einzige deutsche Nachrichtensendung die "Tagesthemen" auf ihre Trump-Berichterstattung hin untersucht. (picture alliance / dpa / Marcus Brandt)
    "Donald Trump ist zu Merkels Problemfall geworden."
    So begann gestern die von Millionen Menschen geschaute Ausgabe der Tagesthemen am späten Abend. Dort hatte es vor gut vier Monaten, nach der Vereidigung Trumps, unter anderem so geheißen:
    "Während in Washington die feierliche Zeremonie im Mittelpunkt steht, haben Trumps Gegner im ganzen Land eine Serie von Protesten geplant. Den Auftakt machte am Abend seine Heimatstadt New York. Tausende Bürgerinnen und Bürger demonstrierten gegen Hass und Diskriminierung gemeinsam mit Bürgermeister Di Blasio und vielen Prominenten."
    "Dass er Everybody's Darling gewesen ist, kann man sicherlich nicht sagen."
    Zwei Beispiele, die scheinbar bestätigen, was die Harvard Kennedy School herausgefunden hat – und deutsche Redaktionen dann so zusammen fassten: "Nirgends kommt Trump schlechter weg als in der ARD". Noch präziser gewesen wäre: "als in den Tagesthemen", denn auf die Nachrichtensendung im "Ersten" hatten sich die US-Forscher in ihrer Studie konzentriert.
    Daneben untersucht wurden zwei weitere europäische Redaktionen - BBC und Financial Times in Großbritannien - und sieben in den USA, allesamt renommierte Print- oder TV-Häuser wie New York Times, Fox und CNN. Der Grundton in der Berichterstattung, auch der der ARD, über den neuen Mann im Weißen Haus sei wohl tatsächlich ein negativer gewesen, räumt ARD-Sprecher Steffen Grimberg ein.
    "Man muss sich nichts vormachen: International, auch national in den USA gab es sehr viel Kritik an Donald Trump. Darüber ist berichtet worden. Und selbstverständlich haben unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten, unsere Experten, da ihre eigenen Meinung zum Thema Donald Trump kundgetan. Und dass er Everybody's Darling gewesen ist, das kann man sicherlich nicht sagen."
    "Da stellt sich schon ein bisschen die Frage nach der Vergleichbarkeit"
    Die Interpretation, besonders kritisch über Trump zu berichten, weist die ARD dennoch zurück: "Diese Studie sagt, das schreibt sie auch selber, nichts darüber aus, ob über Donald Trump fair und ausgewogen berichtet wird."
    Außerdem wundert sich Grimberg über Auswahl der Wissenschaftler: "Da stellt sich schon ein bisschen die Frage nach der Vergleichbarkeit. Denn eigentlich wollte die Studie die 'Main News Bulletins', also die Hauptnachrichtensendungen miteinander vergleichen. Das wäre aber jetzt mit Blick auf das 'Erste Deutsche Fernsehen' die Tagesschau und nicht die Tagesthemen."
    Unterschiede zwischen den journalistischen Kulturen nicht berücksichtigt
    Auch der Berliner Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe sieht die Herangehensweise seiner US-Kollegen kritisch: "Als wissenschaftliche Studie fällt es mir schwer, sie zu beurteilen. Weil mir doch einige Daten zur Durchführung fehlen."
    So vermisst Trebbe Angaben darüber, wie viele Beiträge innerhalb welchen Zeitraums genau in Augenschein genommen wurden. Auch ließe sich nicht die Aussage ableiten, die ARD habe besonders kritisch berichtet. 98 Prozent aller Tagesthemen-Beiträge seien negativ gewesen, schreiben die Macher der Studie - und werden damit von Welt und Focus zitiert. Doch dabei seien nicht die Unterschiede zwischen den journalistischen Kulturen der untersuchten Länder berücksichtigt worden, bemängelt der Medienwissenschaftler.
    So habe man Berichte mit neutralem Ton nicht einbezogen: "In Deutschland legt man halt sehr viel Wert darauf, dass die Berichterstattung ausgewogen und neutral ist, wenn es um Nachrichten geht. Und wenn Kommentierung stattfindet, dass sie eben als solche gekennzeichnet wurde."
    Fehlende Unterscheidung zwischen journalistischem Kommentar und Zitat
    Außerdem sei die gesamte Einordnung in "positiv" und "negativ" problematisch. So wurde nicht unterschieden, ob für Trump Negatives geschehen ist - oder wer ihn wie bewertet hat, ob Journalist oder Akteur, der zitiert wird:
    "Normalerweise, wenn man solche Tonalitätsanalysen macht, muss man das getrennt beschreiben: Welche Bewertungen kommen hier eigentlich aus dem Journalismus? Und welche Bewertungen werden hier auf einer Zitationsebene gemacht? Und auch das geschieht nicht."
    Beauftragte Firma recherchierte möglicherweise unseriös
    Die Mängel der Studie seien auch auf den Partner der Forscher zurückzuführen: Harvard bediente sich der Daten der Firma Media Tenor. Deren Methoden wurden in der Vergangenheit als unseriös, intransparent oder manipulativ kritisiert. Trebbe bedauert die methodischen Unzulänglichkeiten. Denn: Die Hauptaussagen der Studie seien plausibel, und habe auch er sie beobachtet:
    "Erstens, dass die Dominanz von Trump in der politischen Berichterstattung europaweit und amerikaweit eindeutig erkennbar ist. Und zweitens, dass ihm eine Welle der Kritik entgegengeschlagen ist."
    Doch diese Kritik komme eben nicht unbedingt immer aus den Medien. Mit vor allem einer Ausnahme, einem Thema sozusagen auf der Metaebene: dem Verhältnis zwischen dem neuen US-Präsidenten und den Medien selbst.
    Das komplette Interview zum Thema mit dem Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe können Sie hier lesen.