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Studie über Trump-Berichterstattung
"Es fehlen grundlegende methodische Angaben"

Vergangene Woche berichteten mehrere Medien, dass 98 Prozent der ARD-Beiträge über den US-Präsidenten negativ seien. Dass das nicht so stimmt, zeigt der Blick ins Kleingedruckte der Studie. Der Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe zweifelt darüber hinaus an ihrer Aussagekraft, da sie ihre Methode nicht offen lege.

Prof. Joachim Trebbe im Gespräch mit Michael Borgers | 29.05.2017
    Das Gelände der Harvard University in Boston (USA)
    Eine Studie der Harvard University über die Berichterstattung über den US-Präsidenten hat weltweit für Aufsehen gesorgt. (imago stock&people)
    98 Prozent der ARD-Beiträge über den US-Präsidenten Trump sind negativ - das berichteten vergangene Woche mehrere Medien, darunter Die Welt. Sie beriefen sich dabei auf eine Studie der Harvard Kennedy School. Dass diese Aussage so nicht ganz stimmt, sieht, wer ins Kleingedruckte der Studie schaut.
    Zum einen sind nicht 98 Prozent aller ARD-Berichte negativ, es wurden nur Tagesthemen-Berichte analysiert. Zum anderen wurde neutrale Berichterstattung nicht ausreichend berücksichtigt - nur dann, wenn Ereignisse negative Auswirkungen für Trump hatten. Darüber hinaus unterscheidet die Harvard-Studie nicht zwischen journalistischen Kommentaren und der Meinung von Zitatgebern.
    Viele methodische Details lege die Studie aber gar nicht erst offen, kritisiert Joachim Trebbe, Professor Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er hält einige Thesen der Studie für eingeschränkt aussagekräftig.
    "Es fehlen grundlegende methodische Angaben"
    Michael Borgers: "Wie bewerten Sie die Studie der Harvard Kennedy School zu Berichterstattung über die ersten 100 Tag von Donald Trump im Amt des US-Präsidenten?"
    Joachim Trebbe: "Als wissenschaftliche Studie komme ich, ehrlich gesagt, nicht damit klar - fällt es mir schwer, sie zu beurteilen. Weil mir doch einige Daten zur Durchführung der Studie fehlen. Also es fehlt zum Beispiel die Angabe, wie viele Beiträge da überhaupt untersucht wurden in den verschiedenen Medien. Und wie genau der Zeitraum definiert wurde, der da untersucht wurde.
    Es steht zwar drin, dass die ersten 100 Tage die vollständige Berichterstattung außerhalb von Talkshows und Sportberichterstattung und so weiter untersucht wurde, aber es fehlen einfach grundlegende methodische Angabe darüber, worauf sich zum Beispiel die Prozentuierung bezieht. Das kann man alles dieser Studie nicht entnehmen. Deswegen habe ich schon meine Schwierigkeiten. Auch wenn die Ergebnisse an sich plausibel sind, die da thematisiert werden."
    "Das Ergebnis entspricht meiner Alltagswahrnehmung"
    Borgers: "Welche Ergebnisse halten sie für plausibel?"
    Trebbe: "Es geht ja darum, dass Trump auf der einen Seite die Berichterstattung in den politischen Formaten der Presse in Amerika und in Europa dominiert. Diese Beobachtung haben wir auch gemacht, in dem, was wir hier an Analysen machen. Vor allem nach seiner Amtseinführung. Und auf der anderen Seite, dass die Tonalität, also die Beurteilung dessen, was Trump da veranstaltet, insbesondere wenn es um sein Verhältnis zur Presse geht, eher negativ ist. Insofern, ja, poppte diese Schlagzeile auf und ich sagte: Das Ergebnis entspricht meiner Alltagswahrnehmung, sage ich mal."
    Borgers: "Warum sticht die ARD so besonders hervor mit einer negativen Berichterstattung?"
    "Neutrale Beiträge wurden raus gerechnet"
    Trebbe: "Das kann man erstmal gar nicht so genau sagen. Erstens, weil man eben nicht an die Details der Studie rankommt. Und zweitens, wie soll ich sagen, weil die Darstellung in Hinblick auf die unterschiedlichen journalistischen Kulturen in diesen Ländern, die da beteiligt sind, durchaus unterschiedlich sind.
    Wenn Sie sich zum Beispiel die Originalstudie angucken, dann wird mit Hinblick auf die Tonalität mit einer Gegenüberstellung von positiven und negativen Bewertungen von Trump gearbeitet. In einer Fußnote wird dann aber darauf hingewiesen, dass alle neutralen Beiträge in Hinblick auf Trump - im Grunde die komplette neutrale Nachrichtenberichterstattung – aus der Prozentuierung herausgenommen wurde. Und dass diese neutralen Beiträge bis zu einem Drittel des Gesamtbeiträge ausmachen könnten.
    Und damit sind Unterschiede zwischen, ich sag jetzt mal, 80 Prozent und 90 Prozent bei der ARD und 70 Prozent bei BBC, sind nicht mehr nachvollziehbar, weil in beiden Fällen können bis zu 30 Prozent neutrale Beiträge rausgerechnet worden sein. Und das können wir nicht nachvollziehen."
    Studie unterscheidet nicht zwischen journalistischen Kommentaren und zitierten Meinungen
    Borgers: "Nachvollziehbar ist auch nicht so recht, wie der Begriff 'Fitness' verwendet - und jetzt in erster Berichterstattung vor allem mit 'Gesundheit' übersetzt wurde. Dabei zielt er auf eine viel umfassendere, auch sonstige Eignung für das Amt."
    Trebbe: "Die Harvard Kennedy School macht sich die Studie von Medien Tenor zueigen. Da muss man einfach sagen: Okay, mit dem Institut gab es schon mal ein paar Schwierigkeiten, was so die Durchführung von solchen Studien angeht. Und diese methodischen Nachlässigkeiten, die da jetzt in der Publikation drin sind, sind, ja, Schwächen dieser Studie, muss man sagen, weil wahrscheinlich schon ein bisschen mehr drinsteckt, als man jetzt mit dieser einen Schlagzeile, dass die ARD jetzt da aussticht, erzeugt.
    Weil gerade dadurch, dass die neutralen Beiträge da rausgerechnet wurden, in Deutschland legt man halt sehr viel Wert darauf, dass die Berichterstattung ausgewogen und neutral ist, wenn es um Nachrichten geht. Und wenn Kommentierung stattfindet, dass sie eben als solche gekennzeichnet wurde. Und dieser Unterschied wird in dieser Studie eben nicht gemacht. Und das Beispiel, das eben in der Einleitung angeführt wird, ist eine zitierte Bewertung.
    Das heißt: Journalisten halten jemandem das Mikrofon unter die Nase oder zitieren jemanden mit einer negativen Bemerkung über Trump. Das ist dann aber natürlich nicht auf den Journalisten zurückzuführen, sondern er gibt ja hier nur die Meinung eines Akteurs, eines Gesprächspartners wieder. Und normalerweise, wenn man solche Tonalitätsanalysen macht, muss man das getrennt beschreiben: Welche Bewertungen kommen hier eigentlich aus dem Journalismus? Und welche Bewertungen werden hier auf einer Zitationsebene gemacht? Und auch das geschieht nicht. Und das finde ich schade eigentlich, weil das ein bisschen die Aussagekraft der Studie beeinträchtigt."
    "Hauptaussagen derr Studie sind hochgradig plausibel"
    Borgers: Gibt es auch Positives, das Sie der Studie abgewinnen können?
    Trebbe: "Wie gesagt: Ich finde die beiden Hauptaussagen sind hochgradig plausibel. Erstens, dass die Dominanz von Trump in der politischen Berichterstattung europaweit und amerikaweit eindeutig erkennbar ist. Und zweitens, dass ihm eine Welle der Kritik entgegengeschlagen ist, die aus meiner Sicht nicht unbedingt aus den Medien kommt. Abgesehen von dem einen Meta-Thema: Wenn es um sein Verhältnis zu den Medien geht.
    Aber auch bei den anderen Themen ist er natürlich vor allem auf allen Ebenen erstmal Kritik unterworfen worden. Und das kann man, glaube ich, ganz gut an dieser Studie ablesen. Und das würde auch noch viel deutlicher werden, wenn man diese Eckpunkte ein bisschen klarer herstellen würde."
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.