Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Hass und Hetze
Bedrohte Journalisten vermissen Solidarität

Journalisten sind Ziel von Hetze und Drohungen - weil sie nicht so berichten, wie sich manche das wünschen. Eigentlich müssten sie zusammenstehen. Doch Betroffene fühlen sich teils von Kollegen und Chefs im Stich gelassen.

Von Stefan Fries | 03.09.2018
    Ein Teilnehmer hält während der "Glänzenden Demonstration" gegen die AfD vor dem Brandenburger Tor ein Schild ("Meine Stimme gegen Hetze") in die Höhe.
    Journalisten gehören zu den Gruppen, die bevorzugt angegriffen werden. Einigen vermissen Solidarität. (picture alliance / Gregor Fischer/dpa)
    Collage:
    "Richard Gutjahr is a fag…"
    "Er ist verheiratet mit einer gewissen Dr. Einat Wilf. In dem Artikel hab ich sie genannt den Engel mit den Eisaugen…"
    "We’re talking about the fake Munich attack, the fake Nice attack. Richard Gutjahr is a traitor to humanity."
    Diese Ausschnitte aus Hass- und Drohvideos gegen den Journalisten und Blogger hat Richard Gutjahr selbst zusammengestellt. Seit mehr als zwei Jahren ist Gutjahr, der unter anderem als Moderator beim Bayerischen Rundfunk arbeitet, Hetze und sogar Todesdrohungen ausgesetzt. Weil er als Journalist sowohl beim Terroranschlag von Nizza als auch beim Amoklauf von München jeweils zufällig in der Nähe war und berichtet hat, wittern einige im Netz eine Verschwörung. Sie unterstellen Gutjahr, mit für die Taten verantwortlich zu sein.
    "Ich glaub, so schleichend gewinnen die"
    Für problematisch hält er in diesem Zusammenhang vor allem, dass er nur wenig Solidarisierung von Kollegen und Chefs erfahren habe. Auf einer Medienkonferenz in Hamburg sagte Gutjahr, auch wenn man inhaltlich oder politisch für falsch halte, was jemand getan habe, müsse man ihn doch gegen Hass, Hetze und Drohungen verteidigen.
    Richard Gutjahr, Journalist und Blogger, sitzt am 03.05.2017 in Leipzig (Sachsen) bei einer Diskussionsrunde mit dem Titel «Wie Medien über Medien berichten» im Rahmen der Medientage Mitteldeutschland. Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    Richard Gutjahr, Journalist und Blogger (dpa-Zentralbild)
    "Das Ding ist doch: Das färbt doch ab. Jeder Volontär, der sieht: Aha, so ist das, also wenn ich 'eine Haltung' zeige. Oder wenn ich etwas härtere Recherche mache, dann gerate ich ja auch in diesen Strudel, dann könnte ich mich ja selber auch zum Feind machen. Und ich glaub, so schleichend gewinnen die."
    Die - damit mein Gutjahr Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger, Rechtsextreme, Islamhasser, Antisemiten.
    "Angst, dann auch das abzukriegen"
    So hat es teilweise auch NDR-Redakteurin Anja Reschke erlebt. Sie moderiert die Fernsehmagazine "Panorama" und "Zapp" und geriet vor drei Jahren mit einem Tagesthemen-Kommentar ins Visier von Hetzern. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass sie auf Solidarität von Kollegen nicht unbedingt zählen kann:
    ARD-Moderatorin Anja Reschke forderte in den "Tagesthemen" Engagement gegen rechte Hetzer.
    ARD-Moderatorin Anja Reschke (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    "Wer traut sich denn dann wirklich, zu twittern und zu sagen: Hey, Patrick, Bullshit, wir stehen da bei dir. Vielleicht holst du dir dann selber eine blutige Nase. Das ist halt wirklich in diesen sozialen Netzwerken echt gefährlich bzw. es ist auch für die einzelnen. Die trauen sich das nicht, weil sie genau Angst haben, dann - wie du ja richtig sagst - dann auch das abzukriegen. Weil immer das Gefühl da ist: Vielleicht ist da doch was dran, vielleicht bleibt das dann auch an mir kleben, vielleicht hab ich mich auf die falsche Seite geschlagen, vielleicht ist der... keine Ahnung."
    Mehr Unterstützung von Sendern
    Reschke fordert mehr Unterstützung auch von den Sendern. Denn in den Fokus würden ja vor allem diejenigen geraten, die ihr Gesicht in die Kamera halten und öffentlich bekannt sind.
    "Da ist auch wichtig - ich kann’s jetzt nur wieder für die ARD sagen, dass dann auch ein Intendant, ein Programmdirektor, ein Chefredakteur sich hinstellt und sagt, das geht nicht."
    Geschehen ist das im Fall von Richard Gutjahr nicht. Der Bayerische Rundfunk spricht lediglich von zahlreichen intensiven Gesprächen und einem "hohen Maß an Unterstützung" - allerdings lediglich intern.
    Patrick Gensing: Öffentlicher Zuspruch hilft
    Angegriffen wurde auch Tagesschau-Redakteur Patrick Gensing. Er leitet den Faktenfinder auf tagesschau.de, der Desinformation und Propaganda offenlegt und deswegen massiv von deren Urhebern angegangen wird. Gensing findet Solidarität unter Kollegen in solchen Momenten wichtig - und die müsste dann auch öffentlich gemacht werden.
    Ein Bild des Twitter-Accounts von Patrick Gensing.
    Patrick Gensing: Unbekannte versuchten, ihn auf seinem persönliche Account bei Twitter zu schikanieren. (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    "Also ich habe festgestellt, dass es mir hilft, wenn Kolleginnen und Kollegen mir öffentlich zur Seite springen. Wenn sie eben sagen: Hier wird jemand angegriffen. Es ist wichtig eben zu sagen, dass diese Angriffe substanzlos sind und dass es kampagnenartig ist und dass es die Person beschädigen soll. Also einfach öffentlicher Zuspruch."
    Natürlich müssten sich nicht alle Kollegen in Debatten einbringen, wenn sie sich darin unsicher fühlen, sagt Gensing. Ihm geht es langfristig um etwas Größeres: Es müsse möglich bleiben, Debatten öffentlich zu führen.
    "Und das ist das eigentlich Wichtige, dass man eben nicht die gesamte Hoheit solchen Leuten überlässt, die andere nur beschädigen wollen, die Diskussionen zerstören wollen und damit ja auch die Grundlage von jeder demokratischen Willensbildung im Prinzip, wenn man nicht mehr vernünftig diskutieren kann."
    Zu wenig Erfahrung, Kampagnen zu erkennen
    Sowohl Patrick Gensing als auch Anja Reschke glauben allerdings, dass Redaktionen heute immer noch zu wenig Erfahrung darin haben, konzertierte Kampagnen frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Etwa wenn das rechtsextreme Netzwerk "Reconquista Germanica" gezielt bestimmte Journalisten angreife und diskreditiere, seien die Redaktionen im Umgang damit überfordert, beklagt Reschke.
    "Wenn du dir das mal reinziehst, wie die das armeeartig aufbauen, und wen die sich ausgucken und wie die da gezielt vorgehen, und wenn ich dann angucke, in Masse, wie ahnungslos so viele Redaktionen diesem ganzen Phänomen Internet gegenüberstehen und immer noch glauben, das sei der besorgte Bürger, der kritische Zuschauer, der Leser, den man mitnehmen müsse, dann kann ich nur sagen: Leute, wacht auf. Das ist nicht mehr so. Da müssen wir gucken, dass wir uns da nicht die ganze Zeit vor uns hertreiben lassen."