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Hasskriminalität
Fassungslosigkeit in den USA nach Woche der Gewalt

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Hassrhetorik und Hassverbrechen? Diese Frage steht im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte in den USA - denn die Amerikaner haben eine Woche der Gewalt zu verarbeiten. Die Appelle, Donald Trump möge verbal abrüsten, verhallen ungehört.

Von Thilo Kößler | 29.10.2018
    Mehrere junge Frauen warten in Pittsburgh auf den Beginn eines Gedenkgottesdienstes für die Opfer des Anschlags auf eine Synagoge. Sie stehen im Kreis und halten Kerzen in der Hand.
    Mehrere junge Frauen warten in Pittsburgh auf den Beginn eines Gedenkgottesdienstes für die Opfer des Anschlags auf eine Synagoge. (dpa / AP / Gene J. Puskar)
    Es war der blutigste, der tödlichste antisemitische Gewaltakt in der Geschichte der Vereinigten Staaten, sagt Jonathan Greenblatt von der Bürgerrechtsbewegung Anti Defamation League. Greenblatt berichtet, dass allein im letzten Jahr die Zahl der antisemitischen Vorfälle in den USA um 57 Prozent gestiegen sei. Donald Trump verurteilt den Anschlag. Antisemitismus dürfe niemals toleriert werden, sagt er. Kurz vor Abflug zu einer Wahlkampfveranstaltung fordert Trump eine Verschärfung der Todesstrafe - die Urteile müssten viel schneller vollzogen werden als jetzt, sagt er, nicht erst nach Jahren der rechtlichen Auseinandersetzungen.
    294. Fall von Schusswaffenmissbrauch
    Wenige Tage vor den Kongresswahlen stehen die Vereinigten Staaten unter dem Eindruck einer Woche der Gewalt: Am Mittwoch erschoss ein Weißer wahllos zwei Afroamerikaner in Kentucky. Tagelang (*) hielt ein Bombenbauer die Nation in Atem - 14 Rohrbomben hatte der glühende Trump-Fan an führende Demokraten und prominente Trump-Kritiker verschickt. Keine der Bomben explodierte. Niemand kam zu Schaden. Am Samstag dann der Amoklauf von Pittsburgh mit elf Toten. Das "Gun-Violence"-Archiv, das Archiv der Waffengewalt, führt Statistik. Pittsburgh war der 294. Fall von Schusswaffenmissbrauch in diesem Jahr.
    Doch der Präsident sagt: Wäre die Synagoge in Pittsburgh von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht worden, wäre womöglich alles ganz anders gekommen. Der Präsident versteht auch nicht, weshalb seine Hassrhetorik, seine aufpeitschende Sprache und seine polarisierende Politik in irgendeinem Zusammenhang mit den jüngsten Gewaltexzessen stehen sollten. Der Präsident sagt, er habe ja ohnehin schon seinen Ton gemäßigt, obwohl das angesichts der medialen Angriffe keineswegs selbstverständlich sei.
    Mäßigung gefordert
    Donald Trump ist unversehens in den Mittelpunkt dieser Gewaltdebatte gerückt. Die Appelle an ihn, verbal abzurüsten, wollen gar kein Ende nehmen. Brian Levin ist Direktor des Instituts zur Erforschung von Hass und Extremismus an der California State University. Die Spitzenpolitiker müssten sich mäßigen, sagt er. Denn es gebe einen Zusammenhang zwischen Hassrhetorik und Hassverbrechen.
    Seine Reaktion bestehe in Schock und Trauer über die Gewaltexzesse, schrieb der Publizist und Journalistik-Dozent Howard Finemann in der New York Times. Offenbar erlebe man gerade ein entfesseltes Zeitalter der automatischen Waffen, Rohrbomben und Knochensägen.
    (*) In der Audiofassung dieses Beitrags ist hier irrtümlich von nur zwei Tagen die Rede.