Sauzay: Guten Morgen.
Wagener: Frau Sauzay, gab es ein europapolitisches Interesse Frankreichs oder Mitterands seinerzeit?
Sauzay: Also, zuerst möchte ich doch mal mein Befremden Ausdruck geben, dass plötzlich ein Mann, der sich nicht mehr wehren kann, in die Mitte dieser Geschichte einbezogen wird. Ich war zu der Zeit seine Dolmetscherin und habe also eine Schweigepflicht. Aber ich bin allerdings auch für viele wirtschaftliche Operationen zuständig gewesen, und was ich sagen kann: Natürlich war Mitterand für europäische Sachen interessiert und natürlich lagen ihm die neuen deutschen Bundesländer sehr am Herzen. Er hat immer laut gesagt, dass man in die neuen Bundesländer investieren soll, das ist klar. Ich glaube, dass Frankreich immer noch der größte Investor ist in den neuen Bundesländern.
Wagener: Kann man das vielleicht so interpretieren, dass das von Mitterand protegierte Engagement Frankreichs in den neuen Ländern so etwas wie eine gewisse Einflussnahme auf den deutschen Einheitsprozess damals darstellte?
Sauzay: Das ist etwas scharf formuliert. Mitterand hatte Interesse an einem gut funktionierenden Deutschland. Mitterand hatte Interesse daran, dass die Wiedervereinigung gut läuft, wie alle anderen europäischen Länder auch.
Wagener: Wie oft haben Sie zusammen gedolmetscht bei Treffen mit Kohl - Mitterand, in welchem Zeitraum genau?
Sauzay: Nein, das kann ich nicht mehr sagen. Es gab mehrmals im Monat Kontakte der beiden Herren zu der Zeit. Aber wissen Sie, was wichtig war, war nicht so sehr die Freundschaft - wenigstens in den Augen Mitterands - zwischen Francois Mitterand als Mensch und Helmut Kohl als Mensch. Was ihm wichtig war, war die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Beziehung war ihm sehr wichtig. Wahrscheinlich hätte es gar keine Wiedervereinigung gegeben, wenn es nicht eine starke EU gegeben hätte, die diese Sogwirkung auf Europa ausgeübt hätte. Ich glaube, man muss das mit diesen Augen sehen.
Wagener: Man wundert sich ja ein wenig, dass der Sozialist Mitterand den konservativen Helmut Kohl unterstützt oder offensichtlich unterstützt hat. Stand also diese persönliche Freundschaft einerseits und auch das deutsch-französische Verhältnis andererseits über diesen politisch-ideologischen Dingen?
Sauzay: Das war das gleiche zwischen Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing. Beide sahen das Interesse Europas und der beiden Länder als übergeordnet zu den Parteienfragen. Aber ich glaube - wenn Sie es mir erlauben -, dass Mitterand - und ich bin sogar sicher, weil ich ihn gut kannte - sich gefreut hätte, wenn er das Deutschland von heute hätte erleben können. Was mich wundert, ist der Zeitpunkt, wo die ganze Affäre jetzt plötzlich an die Öffentlichkeit gerät, denn warum jetzt? Wie Sie selber sagten, spricht man schon seit langem über diese Sachen. Sie wurden nie wirklich ernst genommen oder wirklich aus der Nähe studiert. Und ich glaube, alles kommt jetzt an die Öffentlichkeit, weil Deutschland an einem Wendepunkt angelangt ist. Ich glaube, dass Deutschland seit den letzten Wahlen moderner geworden ist. Und das erlaubt natürlich die Aufdeckung solcher Affären.
Wagener: Sie haben die Spekulationen, aber auch die Faktensammlungen und die Rechercheergebnisse dieses Wochenendes, die überwiegend aus Frankreich kamen, mitbekommen. Wie interpretieren Sie das? Es ist ja eine sehr, sehr starke Rolle, die Elf Aquitaine in diesem Spendenskandal offensichtlich gespielt hat. Was ist Wahrheit daran, was ist Spekulation? Was ist vielleicht sogar Lüge? Können Sie das sagen?
Sauzay: Nein. Tatsache ist, dass Elf lange ein staatsnahes Unternehmen war, vor allen in den 50er, 60er und 70er Jahren. Seit der Privatisierung ist das anders geworden. Der jetzige Vorstandsvorsitzende hat selber die Ermittlungen gegen seinen Vorgänger eingeleitet, und insofern hat sich schon sein ein paar Jahren die Lage in Frankreich normalisiert. Es ist schon in Frankreich dagewesen, was jetzt in Deutschland passiert.
Wagener: Wie sehen Sie denn jetzt die weitere Entwicklung? Wir sind noch lange nicht am Ende dieser Affäre, aber schon wird wild darüber spekuliert, welchen Schaden die deutsche Parteienlandschaft und die Demokratie hier in Deutschland nehmen könnte. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung? Nimmt diese Affäre Einfluss auf die weitere Entwicklung der deutschen Demokratie?
Sauzay: Ich glaube, man muss hier unterscheiden zwischen Parteien und Demokratie. Es kann durchaus sein - wie ich zu erklären versuchte -, dass der Bezug oder dass die Verbindung der Leute zu ihren Parteien etwas anders wird, dass Rechtsstaatlichkeit über andere Verbindlichkeiten die Oberhand gewinnt. Das heißt, dass die Parteien tatsächlich an Bindungskraft verlieren, dass sie nicht mehr so wichtig sind in der Rolle der Demokratie. Aber ich glaube, dass die Demokratie, wenn die ganze Sache aufgeklärt wird, nicht gefährdet ist in Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass die Deutschen seit dem Krieg sich sehr demokratisiert haben, dass die Demokratie in Deutschland jetzt wirklich sehr verankert ist. Und das wird wahrscheinlich durch diese ganze Geschichte eher eine reifere Demokratie. Wissen Sie, unsere beiden Länder haben schon sehr viel große Sachen, große Dinge zusammen gemacht, aber es gibt immer noch Bereiche, wo wir uns wenig verstehen.
Wagener: Ich muss unterbrechen, habe aber noch eine Frage - und wenig Zeit: Wie interpretieren Sie Kohls Ehrenwort? Wie interpretieren Sie, dass er dieses Ehrenwort über Recht und Gesetz stellt?
Sauzay: Es ist doch klar, dass in diesem Falle Rechtsstaatlichkeit, Gesetz, Verfassung wichtiger sind als das Wort, das ein Individuum - welches Individuum auch immer - einem anderen Individuum gegeben hat über eine Geldspende. Ich finde, das ist in diesem Fall sehr einfach.
Wagener: Das war Brigitte Sauzay, Beraterin des Bundeskanzlers Gerhard Schröder für deutsch-französische Angelegenheiten und frühere Chefdolmetscherin Francois Mitterands. Haben Sie recht herzlichen Dank für das Gespräch.
Link: Zereißprobe für die Demokratie
Wagener: Frau Sauzay, gab es ein europapolitisches Interesse Frankreichs oder Mitterands seinerzeit?
Sauzay: Also, zuerst möchte ich doch mal mein Befremden Ausdruck geben, dass plötzlich ein Mann, der sich nicht mehr wehren kann, in die Mitte dieser Geschichte einbezogen wird. Ich war zu der Zeit seine Dolmetscherin und habe also eine Schweigepflicht. Aber ich bin allerdings auch für viele wirtschaftliche Operationen zuständig gewesen, und was ich sagen kann: Natürlich war Mitterand für europäische Sachen interessiert und natürlich lagen ihm die neuen deutschen Bundesländer sehr am Herzen. Er hat immer laut gesagt, dass man in die neuen Bundesländer investieren soll, das ist klar. Ich glaube, dass Frankreich immer noch der größte Investor ist in den neuen Bundesländern.
Wagener: Kann man das vielleicht so interpretieren, dass das von Mitterand protegierte Engagement Frankreichs in den neuen Ländern so etwas wie eine gewisse Einflussnahme auf den deutschen Einheitsprozess damals darstellte?
Sauzay: Das ist etwas scharf formuliert. Mitterand hatte Interesse an einem gut funktionierenden Deutschland. Mitterand hatte Interesse daran, dass die Wiedervereinigung gut läuft, wie alle anderen europäischen Länder auch.
Wagener: Wie oft haben Sie zusammen gedolmetscht bei Treffen mit Kohl - Mitterand, in welchem Zeitraum genau?
Sauzay: Nein, das kann ich nicht mehr sagen. Es gab mehrmals im Monat Kontakte der beiden Herren zu der Zeit. Aber wissen Sie, was wichtig war, war nicht so sehr die Freundschaft - wenigstens in den Augen Mitterands - zwischen Francois Mitterand als Mensch und Helmut Kohl als Mensch. Was ihm wichtig war, war die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Beziehung war ihm sehr wichtig. Wahrscheinlich hätte es gar keine Wiedervereinigung gegeben, wenn es nicht eine starke EU gegeben hätte, die diese Sogwirkung auf Europa ausgeübt hätte. Ich glaube, man muss das mit diesen Augen sehen.
Wagener: Man wundert sich ja ein wenig, dass der Sozialist Mitterand den konservativen Helmut Kohl unterstützt oder offensichtlich unterstützt hat. Stand also diese persönliche Freundschaft einerseits und auch das deutsch-französische Verhältnis andererseits über diesen politisch-ideologischen Dingen?
Sauzay: Das war das gleiche zwischen Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing. Beide sahen das Interesse Europas und der beiden Länder als übergeordnet zu den Parteienfragen. Aber ich glaube - wenn Sie es mir erlauben -, dass Mitterand - und ich bin sogar sicher, weil ich ihn gut kannte - sich gefreut hätte, wenn er das Deutschland von heute hätte erleben können. Was mich wundert, ist der Zeitpunkt, wo die ganze Affäre jetzt plötzlich an die Öffentlichkeit gerät, denn warum jetzt? Wie Sie selber sagten, spricht man schon seit langem über diese Sachen. Sie wurden nie wirklich ernst genommen oder wirklich aus der Nähe studiert. Und ich glaube, alles kommt jetzt an die Öffentlichkeit, weil Deutschland an einem Wendepunkt angelangt ist. Ich glaube, dass Deutschland seit den letzten Wahlen moderner geworden ist. Und das erlaubt natürlich die Aufdeckung solcher Affären.
Wagener: Sie haben die Spekulationen, aber auch die Faktensammlungen und die Rechercheergebnisse dieses Wochenendes, die überwiegend aus Frankreich kamen, mitbekommen. Wie interpretieren Sie das? Es ist ja eine sehr, sehr starke Rolle, die Elf Aquitaine in diesem Spendenskandal offensichtlich gespielt hat. Was ist Wahrheit daran, was ist Spekulation? Was ist vielleicht sogar Lüge? Können Sie das sagen?
Sauzay: Nein. Tatsache ist, dass Elf lange ein staatsnahes Unternehmen war, vor allen in den 50er, 60er und 70er Jahren. Seit der Privatisierung ist das anders geworden. Der jetzige Vorstandsvorsitzende hat selber die Ermittlungen gegen seinen Vorgänger eingeleitet, und insofern hat sich schon sein ein paar Jahren die Lage in Frankreich normalisiert. Es ist schon in Frankreich dagewesen, was jetzt in Deutschland passiert.
Wagener: Wie sehen Sie denn jetzt die weitere Entwicklung? Wir sind noch lange nicht am Ende dieser Affäre, aber schon wird wild darüber spekuliert, welchen Schaden die deutsche Parteienlandschaft und die Demokratie hier in Deutschland nehmen könnte. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung? Nimmt diese Affäre Einfluss auf die weitere Entwicklung der deutschen Demokratie?
Sauzay: Ich glaube, man muss hier unterscheiden zwischen Parteien und Demokratie. Es kann durchaus sein - wie ich zu erklären versuchte -, dass der Bezug oder dass die Verbindung der Leute zu ihren Parteien etwas anders wird, dass Rechtsstaatlichkeit über andere Verbindlichkeiten die Oberhand gewinnt. Das heißt, dass die Parteien tatsächlich an Bindungskraft verlieren, dass sie nicht mehr so wichtig sind in der Rolle der Demokratie. Aber ich glaube, dass die Demokratie, wenn die ganze Sache aufgeklärt wird, nicht gefährdet ist in Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass die Deutschen seit dem Krieg sich sehr demokratisiert haben, dass die Demokratie in Deutschland jetzt wirklich sehr verankert ist. Und das wird wahrscheinlich durch diese ganze Geschichte eher eine reifere Demokratie. Wissen Sie, unsere beiden Länder haben schon sehr viel große Sachen, große Dinge zusammen gemacht, aber es gibt immer noch Bereiche, wo wir uns wenig verstehen.
Wagener: Ich muss unterbrechen, habe aber noch eine Frage - und wenig Zeit: Wie interpretieren Sie Kohls Ehrenwort? Wie interpretieren Sie, dass er dieses Ehrenwort über Recht und Gesetz stellt?
Sauzay: Es ist doch klar, dass in diesem Falle Rechtsstaatlichkeit, Gesetz, Verfassung wichtiger sind als das Wort, das ein Individuum - welches Individuum auch immer - einem anderen Individuum gegeben hat über eine Geldspende. Ich finde, das ist in diesem Fall sehr einfach.
Wagener: Das war Brigitte Sauzay, Beraterin des Bundeskanzlers Gerhard Schröder für deutsch-französische Angelegenheiten und frühere Chefdolmetscherin Francois Mitterands. Haben Sie recht herzlichen Dank für das Gespräch.
Link: Zereißprobe für die Demokratie