Simon: Nach dem friedlichen Sieg der Oppositionsbewegung in Jugoslawien wartet die ganze Welt darauf, wie sich nun der Wechsel in Belgrad politisch vollziehen wird. Besonderes Interesse richtet sich derzeit auf Russland. Gestern Nacht sagte Präsident Putin, Russland sei immer mit Jugoslawien gewesen - in schweren wie in fröhlichen Zeiten, und jetzt sei man bereit, bei der Lösung der Krise zu helfen. Außenminister Iwanow soll heute nach Belgrad reisen. Am Telefon begrüße ich Pjotr Fedossow. Er ist Politologe und außenpolitischer Berater des Vorsitzenden des russischen Föderationsrates. Herr Fedossow, was kann Igor Iwanow in der derzeitigen Lage in Belgrad ausrichten?
Fedossow: Guten Morgen. Ich glaube, vor allem kann Minister Iwanow die Situation in Belgrad vor Ort untersuchen, denn im Moment besteht keine Klarheit darüber, wie die Prozesse sich abwickeln, wie die neuen Machtorgane gebildet werden, welches die Pläne der siegreichen Opposition sind und welches die Absichten des Verlierers Milosevic sind. Die Stimmungen, worüber die Massenmedien berichten, übermitteln noch keine Information über alle diese Fragen. Die Situation vor Ort untersuchen und ein kleines Bild machen - das ist, glaube ich, die erste Aufgabe des Ministers.
Simon: Hat Moskau denn im Augenblick noch konkret Einfluss in Belgrad?
Fedossow: Ich glaube nicht, dass konkret in Belgrad jemand heute Einfluss hat. Damit Einfluss überhaupt möglich wird, muss die neue Regierung sich konsolidiert haben. Das scheint bis jetzt nicht der Fall zu sein. Vielleicht ist das eine Frage von Stunden oder Tagen. Es ist jedoch wichtig, mahnend in diese Situation hineinzuwirken, um die Eskalation der Konfrontation zu vermeiden.
Simon: Moskau hat ja über die längste Zeit Slobodan Milosevic unterstützt. Was ist Moskaus Interesse in der derzeitigen Situation?
Fedossow: Moskaus Interesse ist vor allem, dass die Situation in Jugoslawien und um Jugoslawien berechenbar bleibt, dass in Jugoslawien kein Bürgerkrieg ausbricht und dass dies nicht zu einem Vorwand bzw. zu einer Ursache von politischen Komplikationen in Südeuropa wird.
Simon: Wie gut kann den Präsident Putin mit einem jugoslawischen Präsidenten Kostunica leben?
Fedossow: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube jedoch, dass Russland und die russische Führung jeder demokratischen Wahl und jede Entscheidung des Volkes in Jugoslawien akzeptieren wird. Es wäre natürlich lieber, wenn die Situation sich im Rahmen des Rechtes entwickeln würde, aber unsere Wünsche und die Realitäten stimmen nicht immer überein.
Simon: Präsident Putins Vorgänger Boris Jelzin hatte ja nicht nur im Kosovokrieg Slobodan Milosevic unterstützt; er wurde von diesem oft benutzt. Sehen Sie die Gefahr, dass Wladimir Putin auch diesen Fehler begehen könnte?
Fedossow: Es ist erstens nicht wahr. Im Kosovokrieg hat Boris Jelzin nicht Slobodan Milosevic unterstützt, sondern die NATO verurteilt, die ohne jeden Erfolg und ohne jede positive Wirkung Jugoslawien monatelang bombardiert hat. Ich glaube, dass dies eine vollkommen richtige Position gewesen ist. Ob Milosevic Russland und Boris Jelzin ausgenützt hat, dem würde ich nicht zustimmen. Insofern sehe ich auch für Putin keine Gefahr dieser Art. Simon: Sie sehen auch nicht, dass Wladimir Putin jetzt über die Zeit noch an Milosevic hängt - das ist ein Mann von Gestern noch in Moskau?
Fedossow: Im Grunde genommen haben wir erst vor wenigen Stunden erfahren, was in Jugoslawien los ist. Wir kennen nicht die reale Situation. Aber wie gesagt: Putin hat gestern in seiner Rede angedeutet: Es kommt uns darauf an, demokratische Entscheidungen des Volkes anzuerkennen.
Simon: Wird Präsident Putin, wenn das gewünscht wird, Slobodan Milosevic Asyl anbieten? Was glauben Sie?
Fedossow: Nun, diese Frage wurde nicht gestellt. Ich hielte es für einen Irrtum, wenn man erstens in Jugoslawien versuchen würde, Milosevic zu verfolgen. Übrigens spricht Kostunica darüber, dass das nicht die Absicht der Opposition ist. Vielleicht wird sich gar nicht die Frage eines Asyls für Milosevic stellen. Bisher erklären ja die meisten Funktionäre der Opposition, Milosevic sei nun einer der Teilnehmer des politischen Putsches, also ein Führer einer der politischen Parteien - so dass die Asylfrage Milosevic im Moment überhaupt noch ein Abstraktum ist. Ich hielte das jedenfalls für kontraproduktiv, wenn man versuchen würde, gegen Milosevic gerichtlich vorzugehen und das Gericht in Den Haag gegen ihn vorgehen zu lassen. Wenn sich aber die Asylfrage stellen würde, würde man das in Russland untersuchen. Ich persönlich hielte das nicht für besonders sinnvoll, positiv diese Frage in Russland zu beantworten.
Simon: Wieso halten Sie das für kontraproduktiv - zu prüfen, ob Slobodan Milosevic nicht doch nach Den Haag ausgeliefert wird. Es sind ja nicht nur die USA, die das fordern.
Fedossow: Ich glaube, das ist eine Frage, die in Jugoslawien entschieden werden muss und nicht von jemandem sonst. Wie gesagt: Das, was gestern und heute von Seiten der politischen Opponenten Milosevics in Jugoslawien gesagt wurde, deutet nicht darauf, dass man in Jugoslawien gegen Milosevic gerichtlich vorgehen muss. Was aber Den Haag und das Den Haager Gericht angeht, so glaube ich, dass im Sinne dieses Gerichtes es den ganzen Komplex von Umständen - von Kosovokrieg und von NATO-Bombardements gegen Jugoslawien - zu untersuchen hat. Und dann wird es sich herausstellen, dass nicht nur Milosevic, sondern auch die NATO-Seite weitgehend das internationale Recht - das Völkerrecht - gebrochen hat.
Simon: Herr Fedossow, sehen Sie für die nächsten Tage eine Tagung der Kontaktgruppe? Das war ja am Anfang etwas schwierig.
Fedossow: Ich kann mir schwer vorstellen, was die Kontaktgruppe nun machen muss. Solange in Jugoslawien eine Art Doppelherrschaft bestand, also solange die Wahlergebnisse noch ungeklärt waren und die Machtverhältnisse noch ungeklärt waren, kam es darauf an, zwischen Milosevic und Kostunica zu vermitteln. Ob Kostunica jetzt noch jenen Teil der Vermittlung in bezug auf Milosevic braucht, weiss ich nicht. Im Moment jedenfalls scheint Kostunica der eindeutige Sieger zu sein, der keine Vermittlung zu dem Verlierer braucht.
Simon: Dank an Pjotr Fedossow. Er ist Politologe und außenpolitischer Berater des Vorsitzenden des russischen Föderationsrates. Danke für dieses Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Fedossow: Guten Morgen. Ich glaube, vor allem kann Minister Iwanow die Situation in Belgrad vor Ort untersuchen, denn im Moment besteht keine Klarheit darüber, wie die Prozesse sich abwickeln, wie die neuen Machtorgane gebildet werden, welches die Pläne der siegreichen Opposition sind und welches die Absichten des Verlierers Milosevic sind. Die Stimmungen, worüber die Massenmedien berichten, übermitteln noch keine Information über alle diese Fragen. Die Situation vor Ort untersuchen und ein kleines Bild machen - das ist, glaube ich, die erste Aufgabe des Ministers.
Simon: Hat Moskau denn im Augenblick noch konkret Einfluss in Belgrad?
Fedossow: Ich glaube nicht, dass konkret in Belgrad jemand heute Einfluss hat. Damit Einfluss überhaupt möglich wird, muss die neue Regierung sich konsolidiert haben. Das scheint bis jetzt nicht der Fall zu sein. Vielleicht ist das eine Frage von Stunden oder Tagen. Es ist jedoch wichtig, mahnend in diese Situation hineinzuwirken, um die Eskalation der Konfrontation zu vermeiden.
Simon: Moskau hat ja über die längste Zeit Slobodan Milosevic unterstützt. Was ist Moskaus Interesse in der derzeitigen Situation?
Fedossow: Moskaus Interesse ist vor allem, dass die Situation in Jugoslawien und um Jugoslawien berechenbar bleibt, dass in Jugoslawien kein Bürgerkrieg ausbricht und dass dies nicht zu einem Vorwand bzw. zu einer Ursache von politischen Komplikationen in Südeuropa wird.
Simon: Wie gut kann den Präsident Putin mit einem jugoslawischen Präsidenten Kostunica leben?
Fedossow: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube jedoch, dass Russland und die russische Führung jeder demokratischen Wahl und jede Entscheidung des Volkes in Jugoslawien akzeptieren wird. Es wäre natürlich lieber, wenn die Situation sich im Rahmen des Rechtes entwickeln würde, aber unsere Wünsche und die Realitäten stimmen nicht immer überein.
Simon: Präsident Putins Vorgänger Boris Jelzin hatte ja nicht nur im Kosovokrieg Slobodan Milosevic unterstützt; er wurde von diesem oft benutzt. Sehen Sie die Gefahr, dass Wladimir Putin auch diesen Fehler begehen könnte?
Fedossow: Es ist erstens nicht wahr. Im Kosovokrieg hat Boris Jelzin nicht Slobodan Milosevic unterstützt, sondern die NATO verurteilt, die ohne jeden Erfolg und ohne jede positive Wirkung Jugoslawien monatelang bombardiert hat. Ich glaube, dass dies eine vollkommen richtige Position gewesen ist. Ob Milosevic Russland und Boris Jelzin ausgenützt hat, dem würde ich nicht zustimmen. Insofern sehe ich auch für Putin keine Gefahr dieser Art. Simon: Sie sehen auch nicht, dass Wladimir Putin jetzt über die Zeit noch an Milosevic hängt - das ist ein Mann von Gestern noch in Moskau?
Fedossow: Im Grunde genommen haben wir erst vor wenigen Stunden erfahren, was in Jugoslawien los ist. Wir kennen nicht die reale Situation. Aber wie gesagt: Putin hat gestern in seiner Rede angedeutet: Es kommt uns darauf an, demokratische Entscheidungen des Volkes anzuerkennen.
Simon: Wird Präsident Putin, wenn das gewünscht wird, Slobodan Milosevic Asyl anbieten? Was glauben Sie?
Fedossow: Nun, diese Frage wurde nicht gestellt. Ich hielte es für einen Irrtum, wenn man erstens in Jugoslawien versuchen würde, Milosevic zu verfolgen. Übrigens spricht Kostunica darüber, dass das nicht die Absicht der Opposition ist. Vielleicht wird sich gar nicht die Frage eines Asyls für Milosevic stellen. Bisher erklären ja die meisten Funktionäre der Opposition, Milosevic sei nun einer der Teilnehmer des politischen Putsches, also ein Führer einer der politischen Parteien - so dass die Asylfrage Milosevic im Moment überhaupt noch ein Abstraktum ist. Ich hielte das jedenfalls für kontraproduktiv, wenn man versuchen würde, gegen Milosevic gerichtlich vorzugehen und das Gericht in Den Haag gegen ihn vorgehen zu lassen. Wenn sich aber die Asylfrage stellen würde, würde man das in Russland untersuchen. Ich persönlich hielte das nicht für besonders sinnvoll, positiv diese Frage in Russland zu beantworten.
Simon: Wieso halten Sie das für kontraproduktiv - zu prüfen, ob Slobodan Milosevic nicht doch nach Den Haag ausgeliefert wird. Es sind ja nicht nur die USA, die das fordern.
Fedossow: Ich glaube, das ist eine Frage, die in Jugoslawien entschieden werden muss und nicht von jemandem sonst. Wie gesagt: Das, was gestern und heute von Seiten der politischen Opponenten Milosevics in Jugoslawien gesagt wurde, deutet nicht darauf, dass man in Jugoslawien gegen Milosevic gerichtlich vorgehen muss. Was aber Den Haag und das Den Haager Gericht angeht, so glaube ich, dass im Sinne dieses Gerichtes es den ganzen Komplex von Umständen - von Kosovokrieg und von NATO-Bombardements gegen Jugoslawien - zu untersuchen hat. Und dann wird es sich herausstellen, dass nicht nur Milosevic, sondern auch die NATO-Seite weitgehend das internationale Recht - das Völkerrecht - gebrochen hat.
Simon: Herr Fedossow, sehen Sie für die nächsten Tage eine Tagung der Kontaktgruppe? Das war ja am Anfang etwas schwierig.
Fedossow: Ich kann mir schwer vorstellen, was die Kontaktgruppe nun machen muss. Solange in Jugoslawien eine Art Doppelherrschaft bestand, also solange die Wahlergebnisse noch ungeklärt waren und die Machtverhältnisse noch ungeklärt waren, kam es darauf an, zwischen Milosevic und Kostunica zu vermitteln. Ob Kostunica jetzt noch jenen Teil der Vermittlung in bezug auf Milosevic braucht, weiss ich nicht. Im Moment jedenfalls scheint Kostunica der eindeutige Sieger zu sein, der keine Vermittlung zu dem Verlierer braucht.
Simon: Dank an Pjotr Fedossow. Er ist Politologe und außenpolitischer Berater des Vorsitzenden des russischen Föderationsrates. Danke für dieses Gespräch.
Link: Interview als RealAudio