Gerd Breker: Das Haushaltsrecht galt ja mal als das vornehmste Recht eines jeden Parlaments, aber in Krisenzeiten scheint es offenbar in Gefahr zu geraten?
Hans Hugo Klein: Nun, jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil ja auf dieses vornehmste Recht des nationalen Parlaments großen Wert gelegt. Inwieweit es nun durch die geplante Wirtschaftsregierung Einschränkungen erfahren soll, ist im Augenblick ja gar nicht zu sagen, weil wir nicht wissen, welche Befugnisse eine solche Wirtschaftsregierung eigentlich einmal haben soll.
Breker: Wir können es allerdings sagen für den Rettungsschirm, der für den Euro aufgespannt wurde. Nun erfordern ja, Herr Klein, Krisen eigentlich schnelles Handeln, und da stört der Parlamentarismus eigentlich, weil er dauert Zeit.
Klein: So ist es. Natürlich ist Zeitmangel nicht notwendig ein Indiz für fehlende Gründlichkeit. Wir haben in der Vergangenheit verschiedentlich Situationen gehabt, in denen das Parlament schnell entscheiden musste und gleichwohl nach gründlicher Beratung entschieden hat. Dass die offizielle Beratungszeit jetzt auf drei Tage bemessen wird, wie man lesen kann, ist vielleicht irritierend, aber wenn das Parlament in der Zeit bis dahin in die Beratungen bereits einbezogen würde, wie das in vergangenen Fällen oft der Fall war, dann könnte sich das gleichwohl noch als verfassungskonform erweisen. Es muss aber daran erinnert werden, dass das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich Anlass gehabt hat, den Bundestag daran zu erinnern, dass er sich gerade der Europapolitik mit großer Intensität annehmen muss und dass er das in der Vergangenheit nicht immer getan hat. Also, das Parlament und damit auch der Parlamentspräsident tun gut daran, auf hinreichender Unterrichtung und ausreichender Zeit zur Beratung zu bestehen.
Breker: Muss man nicht auf der anderen Seite, Herr Klein, einfach zugeben, dass zum Beispiel so ein europäischer Rettungsschirm ein äußerst komplexes Unterfangen ist, also ein ganz schwieriges, mit vielen Konsequenzen, die es haben wird, die der einfache Abgeordnete so ohne Weiteres gar nicht überblicken kann, so gar nicht verstehen kann, dass er ohnehin eigentlich mehr Zeit, mehr Informationen bräuchte?
Klein: Ja natürlich brauchen die Abgeordneten viel Informationen, aber es ist in unserer arbeitsteiligen Welt anders als auch eine Selbstverständlichkeit, dass nicht alle nahezu 700 Abgeordneten in gleicher Weise für alles Sachverstand besitzen. Aber jedenfalls den Fachleuten muss Gelegenheit gegeben werden, eingehend über diese Dinge zu beraten. Nun geschieht das ja auch, der Rettungsschirm ist ja nicht eine Ausgeburt der letzten Tage, sondern er ist seit Monaten im Gespräch und wird auch schon praktiziert. Also sich mit diesem Mechanismus vertraut zu machen, hatte das Parlament hinreichende Gelegenheit.
Breker: Ist, Herr Klein, die Wahrscheinlichkeit nicht groß, dass die Beschlüsse im Zusammenhang mit dem europäischen Rettungsschirm ohnehin irgendwann in Karlsruhe landen werden?
Klein: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, um nicht von Sicherheit zu sprechen. Es wird ohne Zweifel Leute geben, die ein weiteres Mal versuchen, der Europapolitik von Bundesregierung und Bundestag in den Arm zu fallen. Wie weit sich das Bundesverfassungsgericht dazu hergibt, solchen politischen Intentionen dann auch Raum zu geben, das wird sich zeigen – in der Vergangenheit war das Gericht in der Regel zurückhaltend.
Breker: Herr Klein, Sie haben eben schon angedeutet, was denn überhaupt die beiden – Nicolas Sarkozy und Angela Merkel – mit der europäischen Wirtschaftsunion gemeint haben, das sei gar nicht so klar und in keiner Weise konkret, aber grundsätzlich würde ja gelten: wenn man denn eine europäische Wirtschaftsunion einrichtet, dass sie nur dann effektiv ist, wenn sie auch Dinge, die von nationalen Parlamenten abgesegnet sind, als Recht zugesprochen bekommen. Also sprich, kann eine Wirtschaftsunion ohne Abgabe nationaler Souveränität überhaupt funktionieren?
Klein: Mit Sicherheit nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon im Maastricht-Urteil 1993 gesagt, dass es ein großes Wagnis ist, politisches Wagnis, eine Währungsunion zu begründen, ohne sie gleichzeitig mit allen finanzwirtschaftlich wesentlichen Aufgaben zu betrauen. Damals hat das Gericht gesagt, das ist das Risiko der Politik und die muss es auch verantworten. Wenn jetzt nachgeholt werden soll, was damals versäumt wurde, dann nehme ich einmal an, dass das Bundesverfassungsgericht das nicht missbilligen wird, auch wenn es auf Kosten nationaler Kompetenzen geht. Eine ganz andere Frage ist, ob man nicht gut daran täte, zur Wiederherstellung des sogenannten politischen oder auch demokratischen Primärraums in den Mitgliedsstaaten die Masse des existierenden Europarechts drastisch auszudünnen, um eben dann auf anderem Felde nationalen Parlamenten wieder Rechte zurückzugeben.
Breker: Herr Klein, wenn wir mal ganz konkret werden, es geistert ja im Zuge der Finanzkrise der Spruch davon, man solle doch gemeinsame Anleihen aufnehmen, Eurobonds genannt, wo also mehrere Staaten dafür bürgen, für Geld, was aufgenommen wird. Ist das eigentlich eine Sache, die so ohne Weiteres geht? Kann die Bundesregierung eigentlich sagen, nun gut, also wir könnten zwar für unsere Anleihen weniger Zinsen zahlen, aber wir sind jetzt solidarisch mit anderen EU-Staaten und machen eine gemeinsame Anleihe - ist das nicht auch problematisch?
Klein: Ja, problematisch ist auf diesem Gebiet alles. Aber eine solche Regelung könnte ja nicht von der Bundesregierung ohne Zustimmung des Parlaments getroffen werden, also das Parlament ist auf alle Fälle involviert. Und die Frage, die verfassungsrechtliche Frage kann nur sein, ob es sich, wenn es einer solchen Aktion zustimmt, etwa in zu großem Umfang seiner Möglichkeiten begibt, über den Haushalt zu verfügen, und zwar langfristig. Aber darüber kann man im Augenblick nichts Definitives sagen.
Breker: Auf jeden Fall zusammenfassend, Herr Klein, das Haushaltsrecht ist durchaus in Gefahr?
Klein: Das Haushaltsrecht ist natürlich seit Langem schon in Gefahr. Wenn Sie bedenken, dass die Parlamente – sei es des Bundes, sei es die der Länder – allenfalls über zehn Prozent des Haushaltsvolumens frei verfügen können – alles andere ist längst durch Gesetz festgelegt – und dieser Bereich würde allenfalls noch in einem gewissen Umfang ausgedehnt, also das Budgetrecht, von dem man im 19. Jahrhundert annahm, dass es sozusagen das Königsrecht der Parlamente sei und von A bis Z über Einnahmen und Ausgaben entscheidet, in dieser Form hat das Budgetrecht nie existiert und in der Gegenwart schon gar nicht.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Hans Hugo Klein, er ist ehemaliger Verfassungsrichter. Herr Klein, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Klein: Ich danke Ihnen, Herr Breker!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hans Hugo Klein: Nun, jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil ja auf dieses vornehmste Recht des nationalen Parlaments großen Wert gelegt. Inwieweit es nun durch die geplante Wirtschaftsregierung Einschränkungen erfahren soll, ist im Augenblick ja gar nicht zu sagen, weil wir nicht wissen, welche Befugnisse eine solche Wirtschaftsregierung eigentlich einmal haben soll.
Breker: Wir können es allerdings sagen für den Rettungsschirm, der für den Euro aufgespannt wurde. Nun erfordern ja, Herr Klein, Krisen eigentlich schnelles Handeln, und da stört der Parlamentarismus eigentlich, weil er dauert Zeit.
Klein: So ist es. Natürlich ist Zeitmangel nicht notwendig ein Indiz für fehlende Gründlichkeit. Wir haben in der Vergangenheit verschiedentlich Situationen gehabt, in denen das Parlament schnell entscheiden musste und gleichwohl nach gründlicher Beratung entschieden hat. Dass die offizielle Beratungszeit jetzt auf drei Tage bemessen wird, wie man lesen kann, ist vielleicht irritierend, aber wenn das Parlament in der Zeit bis dahin in die Beratungen bereits einbezogen würde, wie das in vergangenen Fällen oft der Fall war, dann könnte sich das gleichwohl noch als verfassungskonform erweisen. Es muss aber daran erinnert werden, dass das Bundesverfassungsgericht verschiedentlich Anlass gehabt hat, den Bundestag daran zu erinnern, dass er sich gerade der Europapolitik mit großer Intensität annehmen muss und dass er das in der Vergangenheit nicht immer getan hat. Also, das Parlament und damit auch der Parlamentspräsident tun gut daran, auf hinreichender Unterrichtung und ausreichender Zeit zur Beratung zu bestehen.
Breker: Muss man nicht auf der anderen Seite, Herr Klein, einfach zugeben, dass zum Beispiel so ein europäischer Rettungsschirm ein äußerst komplexes Unterfangen ist, also ein ganz schwieriges, mit vielen Konsequenzen, die es haben wird, die der einfache Abgeordnete so ohne Weiteres gar nicht überblicken kann, so gar nicht verstehen kann, dass er ohnehin eigentlich mehr Zeit, mehr Informationen bräuchte?
Klein: Ja natürlich brauchen die Abgeordneten viel Informationen, aber es ist in unserer arbeitsteiligen Welt anders als auch eine Selbstverständlichkeit, dass nicht alle nahezu 700 Abgeordneten in gleicher Weise für alles Sachverstand besitzen. Aber jedenfalls den Fachleuten muss Gelegenheit gegeben werden, eingehend über diese Dinge zu beraten. Nun geschieht das ja auch, der Rettungsschirm ist ja nicht eine Ausgeburt der letzten Tage, sondern er ist seit Monaten im Gespräch und wird auch schon praktiziert. Also sich mit diesem Mechanismus vertraut zu machen, hatte das Parlament hinreichende Gelegenheit.
Breker: Ist, Herr Klein, die Wahrscheinlichkeit nicht groß, dass die Beschlüsse im Zusammenhang mit dem europäischen Rettungsschirm ohnehin irgendwann in Karlsruhe landen werden?
Klein: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, um nicht von Sicherheit zu sprechen. Es wird ohne Zweifel Leute geben, die ein weiteres Mal versuchen, der Europapolitik von Bundesregierung und Bundestag in den Arm zu fallen. Wie weit sich das Bundesverfassungsgericht dazu hergibt, solchen politischen Intentionen dann auch Raum zu geben, das wird sich zeigen – in der Vergangenheit war das Gericht in der Regel zurückhaltend.
Breker: Herr Klein, Sie haben eben schon angedeutet, was denn überhaupt die beiden – Nicolas Sarkozy und Angela Merkel – mit der europäischen Wirtschaftsunion gemeint haben, das sei gar nicht so klar und in keiner Weise konkret, aber grundsätzlich würde ja gelten: wenn man denn eine europäische Wirtschaftsunion einrichtet, dass sie nur dann effektiv ist, wenn sie auch Dinge, die von nationalen Parlamenten abgesegnet sind, als Recht zugesprochen bekommen. Also sprich, kann eine Wirtschaftsunion ohne Abgabe nationaler Souveränität überhaupt funktionieren?
Klein: Mit Sicherheit nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon im Maastricht-Urteil 1993 gesagt, dass es ein großes Wagnis ist, politisches Wagnis, eine Währungsunion zu begründen, ohne sie gleichzeitig mit allen finanzwirtschaftlich wesentlichen Aufgaben zu betrauen. Damals hat das Gericht gesagt, das ist das Risiko der Politik und die muss es auch verantworten. Wenn jetzt nachgeholt werden soll, was damals versäumt wurde, dann nehme ich einmal an, dass das Bundesverfassungsgericht das nicht missbilligen wird, auch wenn es auf Kosten nationaler Kompetenzen geht. Eine ganz andere Frage ist, ob man nicht gut daran täte, zur Wiederherstellung des sogenannten politischen oder auch demokratischen Primärraums in den Mitgliedsstaaten die Masse des existierenden Europarechts drastisch auszudünnen, um eben dann auf anderem Felde nationalen Parlamenten wieder Rechte zurückzugeben.
Breker: Herr Klein, wenn wir mal ganz konkret werden, es geistert ja im Zuge der Finanzkrise der Spruch davon, man solle doch gemeinsame Anleihen aufnehmen, Eurobonds genannt, wo also mehrere Staaten dafür bürgen, für Geld, was aufgenommen wird. Ist das eigentlich eine Sache, die so ohne Weiteres geht? Kann die Bundesregierung eigentlich sagen, nun gut, also wir könnten zwar für unsere Anleihen weniger Zinsen zahlen, aber wir sind jetzt solidarisch mit anderen EU-Staaten und machen eine gemeinsame Anleihe - ist das nicht auch problematisch?
Klein: Ja, problematisch ist auf diesem Gebiet alles. Aber eine solche Regelung könnte ja nicht von der Bundesregierung ohne Zustimmung des Parlaments getroffen werden, also das Parlament ist auf alle Fälle involviert. Und die Frage, die verfassungsrechtliche Frage kann nur sein, ob es sich, wenn es einer solchen Aktion zustimmt, etwa in zu großem Umfang seiner Möglichkeiten begibt, über den Haushalt zu verfügen, und zwar langfristig. Aber darüber kann man im Augenblick nichts Definitives sagen.
Breker: Auf jeden Fall zusammenfassend, Herr Klein, das Haushaltsrecht ist durchaus in Gefahr?
Klein: Das Haushaltsrecht ist natürlich seit Langem schon in Gefahr. Wenn Sie bedenken, dass die Parlamente – sei es des Bundes, sei es die der Länder – allenfalls über zehn Prozent des Haushaltsvolumens frei verfügen können – alles andere ist längst durch Gesetz festgelegt – und dieser Bereich würde allenfalls noch in einem gewissen Umfang ausgedehnt, also das Budgetrecht, von dem man im 19. Jahrhundert annahm, dass es sozusagen das Königsrecht der Parlamente sei und von A bis Z über Einnahmen und Ausgaben entscheidet, in dieser Form hat das Budgetrecht nie existiert und in der Gegenwart schon gar nicht.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Hans Hugo Klein, er ist ehemaliger Verfassungsrichter. Herr Klein, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Klein: Ich danke Ihnen, Herr Breker!
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