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Hautkrebs als Berufskrankheit
Mehr Risikoberufe als bisher angenommen

Die Erkrankungen an weißem Hautkrebs sind bei Menschen, die im Freien arbeiten, stark gestiegen. Gefährdet sind nicht nur Bauarbeiter, sondern auch andere Berufsgruppen, warnen Arbeitsmediziner: Es reicht schon eine Stunde Arbeit in der Sommersonne, um das Risiko für Hautkrebs deutlich zu erhöhen.

Von Volker Mrasek | 03.09.2020
Bauarbeiter bei Dacharbeiten in der Sonne an einem heißen Sommertag
Besonders gefährdet für Hautkrebs-Erkrankungen: Bauarbeiter in praller Sommersonne (imago stock&people)
Es gibt nur noch eine Berufskrankheit in Deutschland, die häufiger bestätigt wird. Das ist Schwerhörigkeit durch Lärm. Danach komme gleich weißer Hautkrebs, sagt Swen Malte John, Professor für Berufsdermatologie an der Uniklinik Osnabrück. Und das, obwohl heller Hautkrebs noch gar nicht lange als Risikoerkrankung im Beruf anerkannt ist - erst seit 2015.
"Eine Form von diesem hellen Hautkrebs, das Stachelzellkarzinom, ist die Form, die am engsten mit Sonnenbestrahlung zusammenhängt. Und die deshalb auch für diese Berufskrankheit die maßgebliche Form ist. Die Fälle mit beruflichem Hautkrebs haben ganz stark zugenommen. Wir waren zunächst bei 5.000 Erkrankungen, die da pro Jahr gemeldet wurden. Jetzt sind wir schon bei 10.000 Fällen, die da anerkannt werden."
Menschen verschiedener Hautfarbe legen ihre Hände übereinander
Hautkrebserkennung - Falscher Blick auf dunkle Hauttypen
Mit künstlicher Intelligenz kann heute schon sehr gut Hautkrebs erkannt werden. Allerdings: Die Daten basieren überwiegend auf Fotos von weißen Patienten. Bei Menschen mit dunkler Haut wird Hautkrebs oft verkannt.
Schädliches UV-Licht, Tag für Tag
Stachelzellkarzinome entwickeln sich vor allem bei älteren Beschäftigten. In der Mehrzahl der gemeldeten Fälle trat die Erkrankung erst im Rentenalter auf. Entscheidend ist offenbar, dass die Betroffenen dem schädlichen UV-Licht der Sonne Tag für Tag ausgesetzt waren. Beim viel selteneren schwarzen Hautkrebs ist das offnbar anders. Bei ihm spielen gelegentliche starke Sonnenbrände wohl die entscheidende Rolle:
"Die Menschen sterben an beruflichem Hautkrebs in der Regel glücklicherweise nicht. Gleichwohl kann auch ein solches Stachelzellkarzinom Tochtergeschwüre setzen und dann eben halt Probleme an verschiedensten Körperstellen hervorrufen. Aber das Hauptproblem ist eigentlich, dass die Menschen sich mit einer chronischen Erkrankung herumschlagen müssen. Die erleben es eben sehr häufig, dass sich alle zwei bis drei Wochen wieder ein neues Tumorereignis entwickelt, irgendwo in den Arealen der Haut, die beruflich so viel Sonne abgekriegt haben."
Risiko für Erkrankung bislang unterschätzt
Die Fallzahlen steigen auch deshalb, weil das Risiko für Arbeitnehmer in der Vergangenheit unterschätzt wurde. Als gefährdet galt nur, wer mindestens 75 Prozent seiner Arbeitszeit im Freien verbringt - Bauarbeiter zum Beispiel. Eine Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung kommt aber zu ganz anderen Schlüssen. Dafür wurden Beschäftigte aus verschiedensten Berufsgruppen mit Dosimetern ausgestattet, um ihre tatsächliche Strahlenbelastung zu ermitteln. Leiter der Langzeituntersuchung ist der Physiker Marc Wittlich aus dem Institut für Arbeitsschutz in Sankt Augustin:
"Diese Studie nennt sich Genesis UV, wurde im Jahr 2013 gestartet und läuft noch immer. Bislang haben etwa 1.000 Probanden mitgemacht, und das nicht nur an einem Tag, sondern über sieben Monate arbeitstäglich. Wir waren selbst überrascht und sind sogar immer noch überrascht. Laut unseren Ergebnissen ist man schon stark bestrahlt, wenn man deutlich weniger als ein Drittel seiner Arbeitszeit im Freien verbringt."
Auch für Swen Malte John sind die Befunde aus der Studie alarmierend. Der Dermatologe und Umweltmediziner leitet daraus ab:
"Dass jemand, der eine Stunde an 50 Tagen zwischen April und Oktober in der Zeit von 11 bis 16 Uhr draußen beschäftigt ist, da schon ausreichende Mengen an UV-Strahlung abbekommt, um sein Hautkrebs-Risiko ganz erhblich zu erhöhen."
Magdeburg: Bauarbeiter arbeiten auf einer Großbaustelle in Magdeburg trotz der sengenden Hitze.
Baubranche diskutiert über Pflichttermin beim Hautarzt
Weißer Hautkrebs gehört neben Lärmschwerhörigkeit zu den am häufigsten anerkannten Berufskrankheiten in Deutschland. Nun wird darüber gestritten, ob auch Bauarbeiter zur Pflichtvorsorge müssen.
Mehr Berufe werden zu Risikogruppen
Dadurch vergrößert sich der Kreis der Risikobeschäftigten sehr stark. Es sind nicht mehr nur Bau- und Gartenarbeiter, Briefträger, Landwirte und Fischer. Auf eine Stunde in der Sommersonne kommen zum Beispiel auch Erzieherinnen, die Kinder im Freien betreuen.
Bisher hatten zwei bis drei Millionen Werktätige in Deutschland das Anrecht auf eine Hautkrebsvorsorge über den Arbeitgeber, wie Marc Wittlich sagt. Jetzt sei die Zahl viel höher:
"Da gehe ich momentan davon aus, dass dies mehr als fünf Millionen Personen sein könnten."
In vielen Kleinbetrieben werde der Arbeitsschutz vernachlässigt und die Belegschaft nicht vernünftig aufgeklärt, beklagt Swen Malte John. Wenn sich das nicht ändere, werde sich die Zahl der Hautkrebserkrankungen in Zukunft ganz erheblich erhöhen, sagt Swen Malte John:
"Wir sehen ja hier sehr viele Patienten, bei denen das bereits passiert ist, also die bereits beruflichen Hautkrebs haben. Und die sagen alle: Warum hat mir das keiner vorher gesagt? Ich hätte mich ja geschützt!"