Hax: Das entspricht den Prognosen der maßgeblichen Institutionen, die eigentlich alle in dem letzten halben Jahr auf ähnliche Zahlen gekommen sind – zum Teil sogar höher. Das liegt so zwischen 2,3 Prozent - das ist aber eher ein Ausreißer nach unten – bis 2,8 Prozent. Der Sachverständigenrat hat 2,7 Prozent angesetzt. Also, das ist sicher realistisch. Hier wirkt sich die allgemeine internationale und vor allem europäische Konjunkturerholung auch für Deutschland deutlich aus.
DLF: Aber noch immer wird ja der Aufschwung im wesentlichen durch den Export bestimmt, oder sehen Sie auch schon hoffnungsvolle Zeichen bei der Binnennachfrage, beim privaten Verbrauch oder in der Investitionsneigung der Unternehmen?
Hax: Der private Verbrauch hat sicherlich auch etwas dazu beigetragen, aber im wesentlichen liegen die Anregungen im Export. Und man sieht ja auch recht deutlich: Es ist zwar erfreulich, wie sich das bei uns entwickelt, aber im europäischen Vergleich liegt Deutschland ja keineswegs an der Spitze. Anderswo ist die Konjunktur bereits viel weiter, und wir sind da eher ein Schlusslicht. Das ist in der Tat der schwache Punkt der deutschen Konjunktur: Die Investitionstätigkeit, die ja vielleicht als Nachfrageelement gar nicht so wichtig ist, die aber wichtig ist, weil mit Investitionen eben neue Kapazitäten und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, weil damit die Grundlage für die Fortsetzung des Aufschwungs in die Zukunft gesetzt wird, die springt in Deutschland doch nur sehr zögerlich an.
DLF: Woran liegt das, dass einige europäische Länder in der konjunkturellen Entwicklung etwas weiter sind?
Hax: Ja, das hat sicher verschiedene Gründe. Es ist so, dass die Konjunktur in Großbritannien sich erholt hat – es sind ja vor allem die kleineren Länder und die an der Peripherie liegenden Länder, außerdem – allerdings auch nicht ganz an der Spitze – Frankreich, das heute die konjunkturelle Entwicklung anführt. Für Deutschland wirkt sich eben doch aus, dass hier strukturelle Reform – also im Bereich des Arbeitsrechts, im Bereich der Flexibilisierung der Arbeit, aber auch im Bereich der Steuerreform – nur sehr langsam oder auch überhaupt nicht in Gang kommt. Die Steuerreform kommt zwar jetzt in Gang, aber das hat ja sehr lange gedauert und war lange Zeit nicht glaubwürdig genug.
DLF: Wie gut stehen denn die Chancen, dass Fortschritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt werden?
Hax: Wir werden natürlich allein durch die konjunkturelle Erholung im kommenden Jahr einen deutlichen Rückgang haben, und das wird weiter noch unterstützt durch die demografische Entwicklung. Dadurch, dass viele eben jetzt in das Rentenalter eintreten, werden wir auf dem Arbeitsmarkt eine Entlastung haben. Aber das ist natürlich nicht die grundlegende Wende zum Besseren, die wir auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Selbst, wenn wir bei günstiger Entwicklung jetzt auf eine Arbeitslosenzahl von 3 ½ Millionen zurückkommen – in diesem Jahr sicher nicht, aber vielleicht im nächsten –, dann ist das natürlich immer noch viel zu viel. Was wir brauchen, ist eben eine langfristig angelegte Aufwärtsentwicklung, und da muss man eben mit den strukturellen Reformen ernst machen.
DLF: Also über eine konjunkturelle Belebung allein lässt sich das Problem . . .
Hax: . . . eine konjunkturelle Belebung allein bringt das nicht, denn eine konjunkturelle Belebung wird immer auch mal wieder von einer Abschwächung abgelöst. Man kann versuchen, das zu verstetigen. Aber das bedeutet eben, dass – das ist nicht nur Konjunktur, das ist Wachstum – dass in der Tat eben jetzt neue Produktionskapazitäten geschaffen werden, neue Märkte erschlossen werden, dass hier eine Aufbruchstimmung zustande kommt. Das fehlt ja bisher noch.
DLF: Wir befinden uns natürlich auch zur Zeit in einer Phase des technischen Umbruchs. Die Geschichte kennt ja viele Beispiele für solche Phasen, in denen Arbeitsplätze zunächst einmal in großem Ausmaß verloren gehen. Das Problem ist nur: Wie kann es gelingen, dass auf der anderen Seite in anderen Sektoren wieder neue Arbeitsplätze entstehen?
Hax: Das Problem besteht eigentlich immer, aber natürlich in besonders starkem Maße, wenn man große technische Innovationen hat. Die Erfahrung zeigt aber, dass solche Innovationen immer so starke Impulse ausgelöst haben, dass - zumindestens in den Ländern, die diese Impulse voll aufgenommen haben und aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit sie auch haben verarbeiten können -, die positiven Effekte weit überwogen haben. Im übrigen muss man immer beachten: Es fallen ständig in großem Umfang Arbeitsplätze weg, und es werden auch ständig in großem Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen. Dieser Wandel, dieser Wechsel, der findet ohnehin statt. Also es ist nicht so, dass keine neuen Arbeitsplätze entstehen. In der Zeitung steht nur immer, wann und wo Arbeitsplätze weggefallen sind. Dass es in Wirklichkeit doch immer mehr werden – und wir haben ja jetzt eine Zunahme der Anzahl der Erwerbstätigen wieder, es ist nicht genug, aber es werden doch mehr –, das wird gar nicht so sehr wahrgenommen.
DLF: Im Zuge eines wirtschaftlichen Aufschwungs, Herr Professor, wächst bekanntermaßen auch das Potential für Preissteigerungen. In einigen europäischen Ländern stellen wir schon Preissteigerungsraten über der 2-Prozent-Marke fest. Wie groß ist die Gefahr, dass sich dieses Tempo beschleunigt und dass auch die deutsche Wirtschaft davon erfasst wird?
Hax: Das ist eine Entwicklung, die man erwarten muss, wenn die Konjunktur anzieht. Es ist ja immer gesagt worden - in den vergangenen Jahren wurde ja gelegentlich so getan, als bestünde das Problem der Inflation gar nicht mehr; nun, Inflation in wirklichem Sinne haben wir ja auch nicht -, aber das heißt nun nicht – es ist immer auch gewarnt worden: Wir müssen das im Auge behalten. Und das wird uns jetzt wieder deutlich. Die Preissteigerungen halten sich immer noch in dem Rahmen, der tragbar ist – jedenfalls in Deutschland; in anderen europäischen Ländern ist das vielleicht schon überschritten. Aber man sieht doch deutlich, dass hier die Geldpolitik wachsam bleiben muss und dass sie unter Umständen auch eingreifen muss. Man muss der Geldpolitik – der EZB – wünschen, dass sie eine genau so geschickte Hand beweist, wie das in den USA gewesen ist, wo die Geldpolitik ja nicht – wie häufig behauptet wird – nun den Aufschwung eigentlich verursacht hat, wo es ihr aber gelungen ist, diesen Aufschwung so zu begleiten, dass einerseits alle inflationären Ansätze unterdrückt worden sind, andererseits dieser Aufschwung aber auch nicht durch ein übertriebenes Bremsen gestoppt worden ist.
DLF: Von welcher Inflationsrate, Herr Professor Hax, geht der Sachverständigenrat für das Jahr 2000 aus?
Hax: Für den Jahresdurchschnitt 1,5 Prozent. Das bleibt also noch unter der Grenze, die die EZB – die liegt bei 2 Prozent – als 'noch nicht inflationär' bezeichnet.
DLF: Bei den Preisen drohen von mehreren Seiten Gefahren. Zum einen vom schwachen EURO, der zwar die Exporte begünstigt, der aber die Importe verteuert, was sich zum Beispiel in den Ölpreisen oder anderen Rohstoffpreisen ablesen lässt. Inwieweit muss man in dieser Hinsicht besorgt sein, was den schwachen EURO betrifft?
Hax: Ja, also Ölpreise kommen ja nicht nur vom schwachen EURO her, sondern sie sind auch aus anderen Gründen gestiegen. Und das kommt natürlich jetzt zusammen. Der schwache EURO ist ein zwiespältiges Phänomen. Es mag sich mancher freuen, dass die Exporte jetzt erleichtert werden – das ist ja auch ein positiver Aspekt. Aber er hat eben auch nachteilige Aspekte: Zum einen werden eben die Importe teurer, und das drückt auf die Preise. Zum anderen kommt da natürlich auch etwas zum Ausdruck. Er ist ja nicht bedingt durch Preisbewegungen, die schon stattgefunden haben, sondern durch Erwartungen, und zwar Erwartungen, die dann das Verhalten von Kapitalanlegern prägen. Und in dem schwachen EURO kommt eine Zurückhaltung der Kapitalanleger zum Ausdruck, und das wirkt sich wiederum aus auf die Zinsen. Und dieser Zinseffekt, der mit dem schwachen EURO verbunden ist, der kann auf die Dauer auch dämpfend wirken.
DLF: Zum anderen drohen dem Geldwert natürlich auch Gefahren von Seiten der Tarifpolitik. Für viele Konjunkturexperten waren die Tarifabschlüsse des vergangenen Jahres schon relativ hoch angesiedelt, in diesem Jahr könnten – wenn man die Tarifforderungen zu Grunde legt – die Tarifabschlüsse in einer ähnlichen Größenordnung sein. Wie schätzen Sie das Risiko, das aus der Tarifpolitik resultiert, ein?
Hax: Ich glaube, das Risiko der Tarifpolitik liegt weniger im Bereich der Inflation, denn hier stehen die Unternehmen in Europa doch in recht scharfem Wettbewerb, so dass die Tariferhöhungen nicht ohne weiteres überwälzt werden können. Aber das bedeutet natürlich, dass damit gleichzeitig die Unternehmen unter verstärkten Kostendruck gesetzt werden, und das wiederum kann die Konjunktur wieder gefährden. In der Tarifpolitik liegt heute vor allem ein Risiko zunächst einmal für die Konjunkturentwicklung in Deutschland, aber auf mittlere Sicht auch für einen frektionsfreien Wachstumsprozess, der dann auch auf Dauer die Arbeitslosigkeit deutlich reduziert.
DLF: Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale sehen Sie im Moment noch nicht?
Hax: Die ist im Augenblick nicht zu erkennen. Das funktioniert heute auch nicht mehr so, wie das früher war. Dazu ist Deutschland zu stark in dem internationalen Wettbewerb eingebunden.
DLF: Nun haben wir ja mehrere Runden im Rahmen des Bündnisses für Arbeit erlebt. Inwieweit erkennen Sie in dem Verlauf dieser Gesprächsrunden den Willen der Beteiligten, sich an einer gemeinsamen Kraftanstrengung zur Überwindung des Beschäftigungsproblems zu beteiligen?
Hax: Da ist eigentlich sehr wenig zu erkennen. Zunächst werden da natürlich Verbandsinteressen verfolgt. Und das, was man in Tarifrunden macht, wird jetzt also auf einer anderen Ebene fortgesetzt. Ein Wille zur Einigung und ein Wille zur verbindlichen Festlegung auf einen wachstumsorientierten und beschäftigungsorientierten Kurs ist bisher nicht zu erkennen. Was bisher herausgekommen ist, sind eigentlich immer nur Erklärungen, die verhältnismäßig unverbindlich waren, die schön klingen. Aber Konkretes ist nicht herausgekommen. Wir haben es beim letzten Mal gemerkt. Da gab es eine wunderbare Erklärung, und zwei Tage später kamen Tarifforderungen, die damit überhaupt nicht zu vereinbaren waren.
DLF: Nun stecken die Gewerkschaften natürlich auch in einem gewissen Dilemma. In Krisenzeiten akzeptieren es die Arbeitnehmer, dass die Gewerkschaft bescheidener auftritt, dass sie Rücksicht nimmt auf die Sicherheit der Arbeitsplätze, aber nach einer konjunkturellen Wende, die sich ja auch in Gewinnsteigerungen bei den Unternehmen niederschlägt, ist das Verlangen groß, an diesen Ertragssteigerungen zu partizipieren.
Hax: Ja, sicher. Aber ich meine, die Wende ist ja nun noch nicht so weit, dass sie auf dem Arbeitsmarkt sich konkret auswirkt. Und das ist eben der Denkfehler, dass in dem Augenblick, wo nun eine Wende zum Besseren eintritt, dass man dann eben zugreifen könnte. Damit setzt man den Erfolg der vorhergegangenen moderaten Lohnpolitik eben aufs Spiel. Es ist eben so: Die Besserung ist noch nicht dann da, wenn eben eine konjunkturelle Wende eingetreten ist, sondern wir müssen jetzt Geduld haben, müssen auf lange Sicht dafür sorgen, dass auf dem Arbeitsmarkt eben hier mehr Beschäftigung geschaffen wird. Und das ist kein Verteilungsproblem – es ist letzten Endes doch ein Verteilungsproblem, wenn mehr Arbeitsplätze entstehen, dann gibt es ja auch mehr Arbeitnehmereinkommen –, aber im Vordergrund steht da nicht das Verteilungsproblem, sondern die Frage: Wie bekommen die Menschen, die heute keine Arbeit haben, wie bekommen die wieder einen Arbeitsplatz? Und das tritt bei diesen Überlegungen immer ganz in den Hintergrund.
DLF: Wie sollte denn eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik aussehen? Indem sie sich nach der Ertragslage des einzelnen Unternehmens richtet - dass also in dieser Hinsicht eine Differenzierung eingefügt wird, und vielleicht auch, dass sie - zumindest in der jetzigen Phase - noch unter dem Produktivitätsfortschritt bleibt?
Hax: Ja, das sind ja zwei Gesichtspunkte. Zunächst gesamtwirtschaftlich gesehen – und das ist natürlich jetzt in einer sehr hohen Aggregation – ist der wichtigste Orientierungspunkt der Produktivitätsfortschritt, wobei es aber nicht auf den tatsächlichen realisierten Produktivitätsfortschritt ankommt, sondern auf den Produktivitätsfortschritt, der vereinbar ist mit der Entstehung von mehr Beschäftigung. Wir müssen uns darüber klar sein: Die zusätzlichen Arbeitskräfte, die eingestellt werden sollen, haben dann eben vielfach nicht die gleiche Produktivität wie die, die heute schon beschäftigt sind. Es ist im Gegenteil ja sogar so, dass die Produktivität eher steigt, wenn man Arbeitskräfte entlässt. Aber das wollen wir ja nicht, eine solche Produktivitätssteigerung. Das heißt also, man muss hinter der tatsächlich realisierten Produktivitätssteigerung deutlich zurückbleiben. Nun ist das also gesamtwirtschaftlich gesehen: Was wir zusätzlich brauchen – und das betrifft jetzt mehr die einzelnen Tarifbereiche, die einzelnen Branchen, die einzelnen Regionen – wir brauchen eine viel stärkere Differenzierung. Wir müssen also abkommen von dem starren Flächentarifvertrag, wo also zwar theoretisch Bezirke existieren, die unterschiedliche Tarifverträge abschließen. In Wirklichkeit fängt man da irgendwo an, macht einen Pilotvertrag, und das wird dann auf andere übertragen – ohne Rücksicht auf die besondere Lage in Regionen, ohne Rücksicht auf die besondere Lage in einzelnen Unternehmen.
DLF: Eine ganz entscheidende Rolle beim Abbau der Arbeitslosigkeit kommt neben den Tarifpartnern natürlich auch dem Staat zu. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die von der Bundesregierung vorgelegte Steuerreform, in der ja eine deutliche Absenkung der Steuersätze vor allem auch für die Unternehmen verankert ist? Ist das ein Weg, der zu mehr Wachstum führen kann?
Hax: Die Steuerreform ist zwiespältig. Grundsätzlich möchte ich zunächst mal die Frage mit "ja" beantworten. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, besonders wenn man an das denkt, was vorher war. Zunächst ist mit dem Regierungswechsel ja eine zusätzliche steuerliche Belastung der Unternehmen eingetreten. Man hat damals schon eine Unternehmens-Steuerreform angekündigt; aber das war ja zunächst nicht sehr glaubhaft, und es war - glaube ich - auch zumindestens zum Teil nicht ernst gemeint. Aber das hat sich ja in der Mitte des letzten Jahres geändert. Und dadurch, dass wir jetzt auch einen deutlichen Sparkurs in der Haushaltspolitik fahren, ist ja auch tatsächlich die Möglichkeit geschaffen worden, eine solche Unternehmens-Steuerreform durchzuführen. Also, die Senkung der Steuersätze, wie sie jetzt geplant wird, ist sicherlich eine richtige und gute Entwicklung. Bedauerlich ist allerdings, dass dabei gleichzeitig die Struktur des Steuersystems völlig verzerrt und in einer Weise gestaltet wird, bei der vorherzusehen ist, dass die nächste Reform bald fällig sein wird. Und das bringt natürlich jetzt wieder völlig unnötig Unruhe. Dahinter steckt also diese seltsame Vorstellung, die von Regierungsvertretern, selbst vom Bundeskanzler, immer wieder verkündet wird, 'man wolle die Unternehmen entlasten, aber nicht die Unternehmer'. Und das ist natürlich in einem Wirtschaftssystem, in dem die Unternehmen in Privateigentum stehen, eine m Grunde genommen völlig unsinnige Aussage.
DLF: Also, das ist möglicherweise eine Schwachstelle des Programms. Ein anderer Pluspunkt aber ist – vielleicht auch für viele überraschend gewesen – die Absicht der Bundesregierung, den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen von der Steuer freizustellen.
Hax: Zunächst einmal wird dadurch die Ungleichheit noch verstärkt, denn diese Möglichkeit besteht auch wieder nur für Kapitalgesellschaften. Das ist auf Kapitalgesellschaften beschränkt, und das ist schon eine sehr problematische Sache. Die Hoffnung, die sich damit verbindet, dass sich die Kapitalgesellschaften daraufhin veranlasst sehen könnten, sich von ihren Beteiligungen leichter zu trennen und dass dadurch Umstrukturierungen eher ermöglicht werden, das ist natürlich erst eine Hoffnung. Und ob das realisiert wird, ist ganz offen. Aber man müsste zumindestens klären, wie das vom Steuersystematischen her begründet werden soll, warum man auf einmal da bestimmte Gewinne freistellt, die ja im privaten Bereich überhaupt nicht frei sind.
DLF: Kommen wir noch mal auf die Geldpolitik zu sprechen, die ja auch für die Konjunkturentwicklung nicht ohne Bedeutung ist – wir hatten es ja vorhin schon angesprochen. Die Europäische Zentralbank steckt in einem Dilemma. Sie muss einerseits mittels Zinserhöhungen einer möglichen Inflation vorbeugen, sie ist Druck aus den USA ausgesetzt, die gerade aus diesem Grunde zu Zinserhöhungen gezwungen sind. Sie muss aber auch andererseits darauf achten, dass durch die Verteuerung des Geldes nicht der Aufschwung abgewürgt wird. Ist diese Aufgabe lösbar, und wie schätzen Sie das Risiko ein, dass die Konjunktur in Mitleidenschaft gezogen wird?
Hax: Die Aufgabe ist schwierig, aber sie ist lösbar. Und das ist eigentlich das Kernproblem einer Notenbank heute, wie sie damit fertig wird. Irrig ist die Annahme, die Notenbank könnte durch ihre Geldpolitik selber die Konjunktur anregen, könnte also den Aufschwung selbst in Gang bringen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie muss die Konjunkturentwicklung begleiten. Die Anstöße müssen anderswo herkommen. Sie muss dafür sorgen, dass die Konjunkturentwicklung nicht ausartet in eine inflationäre Entwicklung, und andererseits aber eben auch nicht durch übertrieben restriktive Maßnahmen ebenso stark abgebremst wird. Das ist nicht einfach. Es ist zum einen eine Frage des Fingerspitzengefühls, wie man jeweils verfährt; die amerikanische Politik war da sehr erfolgreich in den letzten Jahren. Die Europäische Zentralbank hat es jetzt besonders schwer, denn sie arbeitet in einem Umfeld – für diesen europäischen Währungsraum insgesamt hat sie ja keine Erfahrung, also wo sie im Grunde genommen die Reaktionsweisen und die Funktionsweisen noch nicht kennt. Ihr Problem ist im Augenblick, dass nicht genügend deutlich wird in der Öffentlichkeit, woran sie sich eigentlich orientiert, wovon sie sich leiten lässt – und dass deswegen ihr Verhalten wenig durchschaubar und wenig prognostizierbar ist. Also, es wird ja befürwortet von vielen Fachleuten, sie solle sich - wie die Bundesbank früher - an einem Geldmengenziel etwa orientieren, wo man ihre Maßnahmen dann auch unmittelbar beurteilen könnte. Das wäre in der Tat ein Weg, mit dem man jedenfalls verhindern könnte, dass man bei jeder Maßnahme oder auch bei jeder Nicht-Maßnahme – auch wenn sie nichts tut, ist das natürlich etwas – die Frage stellt: Wovon hat sie sich jetzt denn wieder leiten lassen, war es der Wechselkurs, war es die Konjunktur, war es dieses oder jenes?
DLF: Sie muss nicht nur auf den Binnenwert des EURO achten, sondern auch noch auf den Außenwert, denn je mehr an den Finanzmärkten der Eindruck entsteht, der EURO sei eine 'Weichwährung' und es lasse sich leicht Geld verdienen, wenn man auf weitere Kursrückgänge setzt, desto schwieriger wird es doch, den EURO zu stärken.
Hax: Die Europäische Zentralbank orientiert sich nicht am Außenwert. Das hat sie mehrfach deutlich erklärt - was nicht heißt, dass der Außenwert unerheblich ist, aber sie versucht nicht, unmittelbar auf den Außenwert einzuwirken. Im Außenwert kann natürlich zum Ausdruck kommen das Geschehen auf den Märkten – bei den Preisen. Das ist derzeit sicherlich nicht der Fall. Der Verlust von Außenwert hat sicherlich nicht mit inflationären Entwicklungen in Europa zu tun. Hier geht es mehr um das Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte in den EURO. Das aber ist nicht nur – und vielleicht auch nicht in erster Linie – eine Sache der Europäischen Zentralbank. Ob die Märkte in die europäische Wirtschaftspolitik Vertrauen haben, das hängt eigentlich in viel stärkerem Maße von der Wirtschaftspolitik der europäischen Regierungen und der Europäischen Union ab.
DLF: Herr Professor Hax, Sie waren elf Jahre Mitglied im Sachverständigenrat, acht Jahre Vorsitzender dieses Gremiums. Sie scheiden in diesem Monat aus dem Amt aus. Rückblickend betrachtet – haben Sie den Eindruck, dass die Politik ausreichend auf den Rat der – sogenannten – '5 Weisen' gehört hat?
Hax: Man kann nicht erwarten, dass das, was der Sachverständigenrat als richtig bezeichnet oder als richtig hervorhebt, nun sofort immer umgesetzt wird. Da gibt es politische Hindernisse der verschiedensten Art. Man muss da Geduld haben und darauf hinwirken, dass da die Öffentlichkeit auf die Probleme hingewiesen ist und dass die Aufgeschlossenheit gegenüber den Lösungen, die notwendig sind, doch größer wird. Ich denke, auf einigen Gebieten hat der Sachverständigenrat doch wesentlich zur politischen Meinungsbildung, und damit letzten Endes auch zur Politik, beigetragen, dass also heute die Steuerreform zwar vielleicht nicht einen idealen Weg geht, dass man aber doch letzten Endes einen Weg geht, der darauf aus ist, die Angebotskräfte in der deutschen Wirtschaft zu stärken. Dazu hat der Sachverständigenrat sicherlich beigetragen. Aber man muss immer sehen: Der Sachverständigenrat kann ja eine Regierung, die verantwortliche politische Entscheidungen trifft, nicht ersetzen.
DLF: Aber dennoch sollte es dieses Gremium, das die Bundesregierung berät, auch in Zukunft geben?
Hax: Ja, es sollte es geben, und zwar nicht nur – das steht übrigens gar nicht im Gesetz – Beratung der Bundesregierung; es geht darum, dass der Sachverständigenrat zwar die Bundesregierung, aber eben auch zum Beispiel das Parlament und allgemein die Öffentlichkeit berät – in einem weiteren Sinne, dass er die Wirtschaftslage und die wirtschaftlichen Aussichten analysiert, dass er vor Fehlentwicklungen warnt, und damit zur Meinungsbildung in einer breiten politischen Öffentlichkeit beiträgt.
DLF: Aber noch immer wird ja der Aufschwung im wesentlichen durch den Export bestimmt, oder sehen Sie auch schon hoffnungsvolle Zeichen bei der Binnennachfrage, beim privaten Verbrauch oder in der Investitionsneigung der Unternehmen?
Hax: Der private Verbrauch hat sicherlich auch etwas dazu beigetragen, aber im wesentlichen liegen die Anregungen im Export. Und man sieht ja auch recht deutlich: Es ist zwar erfreulich, wie sich das bei uns entwickelt, aber im europäischen Vergleich liegt Deutschland ja keineswegs an der Spitze. Anderswo ist die Konjunktur bereits viel weiter, und wir sind da eher ein Schlusslicht. Das ist in der Tat der schwache Punkt der deutschen Konjunktur: Die Investitionstätigkeit, die ja vielleicht als Nachfrageelement gar nicht so wichtig ist, die aber wichtig ist, weil mit Investitionen eben neue Kapazitäten und neue Arbeitsplätze geschaffen werden, weil damit die Grundlage für die Fortsetzung des Aufschwungs in die Zukunft gesetzt wird, die springt in Deutschland doch nur sehr zögerlich an.
DLF: Woran liegt das, dass einige europäische Länder in der konjunkturellen Entwicklung etwas weiter sind?
Hax: Ja, das hat sicher verschiedene Gründe. Es ist so, dass die Konjunktur in Großbritannien sich erholt hat – es sind ja vor allem die kleineren Länder und die an der Peripherie liegenden Länder, außerdem – allerdings auch nicht ganz an der Spitze – Frankreich, das heute die konjunkturelle Entwicklung anführt. Für Deutschland wirkt sich eben doch aus, dass hier strukturelle Reform – also im Bereich des Arbeitsrechts, im Bereich der Flexibilisierung der Arbeit, aber auch im Bereich der Steuerreform – nur sehr langsam oder auch überhaupt nicht in Gang kommt. Die Steuerreform kommt zwar jetzt in Gang, aber das hat ja sehr lange gedauert und war lange Zeit nicht glaubwürdig genug.
DLF: Wie gut stehen denn die Chancen, dass Fortschritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erzielt werden?
Hax: Wir werden natürlich allein durch die konjunkturelle Erholung im kommenden Jahr einen deutlichen Rückgang haben, und das wird weiter noch unterstützt durch die demografische Entwicklung. Dadurch, dass viele eben jetzt in das Rentenalter eintreten, werden wir auf dem Arbeitsmarkt eine Entlastung haben. Aber das ist natürlich nicht die grundlegende Wende zum Besseren, die wir auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Selbst, wenn wir bei günstiger Entwicklung jetzt auf eine Arbeitslosenzahl von 3 ½ Millionen zurückkommen – in diesem Jahr sicher nicht, aber vielleicht im nächsten –, dann ist das natürlich immer noch viel zu viel. Was wir brauchen, ist eben eine langfristig angelegte Aufwärtsentwicklung, und da muss man eben mit den strukturellen Reformen ernst machen.
DLF: Also über eine konjunkturelle Belebung allein lässt sich das Problem . . .
Hax: . . . eine konjunkturelle Belebung allein bringt das nicht, denn eine konjunkturelle Belebung wird immer auch mal wieder von einer Abschwächung abgelöst. Man kann versuchen, das zu verstetigen. Aber das bedeutet eben, dass – das ist nicht nur Konjunktur, das ist Wachstum – dass in der Tat eben jetzt neue Produktionskapazitäten geschaffen werden, neue Märkte erschlossen werden, dass hier eine Aufbruchstimmung zustande kommt. Das fehlt ja bisher noch.
DLF: Wir befinden uns natürlich auch zur Zeit in einer Phase des technischen Umbruchs. Die Geschichte kennt ja viele Beispiele für solche Phasen, in denen Arbeitsplätze zunächst einmal in großem Ausmaß verloren gehen. Das Problem ist nur: Wie kann es gelingen, dass auf der anderen Seite in anderen Sektoren wieder neue Arbeitsplätze entstehen?
Hax: Das Problem besteht eigentlich immer, aber natürlich in besonders starkem Maße, wenn man große technische Innovationen hat. Die Erfahrung zeigt aber, dass solche Innovationen immer so starke Impulse ausgelöst haben, dass - zumindestens in den Ländern, die diese Impulse voll aufgenommen haben und aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit sie auch haben verarbeiten können -, die positiven Effekte weit überwogen haben. Im übrigen muss man immer beachten: Es fallen ständig in großem Umfang Arbeitsplätze weg, und es werden auch ständig in großem Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen. Dieser Wandel, dieser Wechsel, der findet ohnehin statt. Also es ist nicht so, dass keine neuen Arbeitsplätze entstehen. In der Zeitung steht nur immer, wann und wo Arbeitsplätze weggefallen sind. Dass es in Wirklichkeit doch immer mehr werden – und wir haben ja jetzt eine Zunahme der Anzahl der Erwerbstätigen wieder, es ist nicht genug, aber es werden doch mehr –, das wird gar nicht so sehr wahrgenommen.
DLF: Im Zuge eines wirtschaftlichen Aufschwungs, Herr Professor, wächst bekanntermaßen auch das Potential für Preissteigerungen. In einigen europäischen Ländern stellen wir schon Preissteigerungsraten über der 2-Prozent-Marke fest. Wie groß ist die Gefahr, dass sich dieses Tempo beschleunigt und dass auch die deutsche Wirtschaft davon erfasst wird?
Hax: Das ist eine Entwicklung, die man erwarten muss, wenn die Konjunktur anzieht. Es ist ja immer gesagt worden - in den vergangenen Jahren wurde ja gelegentlich so getan, als bestünde das Problem der Inflation gar nicht mehr; nun, Inflation in wirklichem Sinne haben wir ja auch nicht -, aber das heißt nun nicht – es ist immer auch gewarnt worden: Wir müssen das im Auge behalten. Und das wird uns jetzt wieder deutlich. Die Preissteigerungen halten sich immer noch in dem Rahmen, der tragbar ist – jedenfalls in Deutschland; in anderen europäischen Ländern ist das vielleicht schon überschritten. Aber man sieht doch deutlich, dass hier die Geldpolitik wachsam bleiben muss und dass sie unter Umständen auch eingreifen muss. Man muss der Geldpolitik – der EZB – wünschen, dass sie eine genau so geschickte Hand beweist, wie das in den USA gewesen ist, wo die Geldpolitik ja nicht – wie häufig behauptet wird – nun den Aufschwung eigentlich verursacht hat, wo es ihr aber gelungen ist, diesen Aufschwung so zu begleiten, dass einerseits alle inflationären Ansätze unterdrückt worden sind, andererseits dieser Aufschwung aber auch nicht durch ein übertriebenes Bremsen gestoppt worden ist.
DLF: Von welcher Inflationsrate, Herr Professor Hax, geht der Sachverständigenrat für das Jahr 2000 aus?
Hax: Für den Jahresdurchschnitt 1,5 Prozent. Das bleibt also noch unter der Grenze, die die EZB – die liegt bei 2 Prozent – als 'noch nicht inflationär' bezeichnet.
DLF: Bei den Preisen drohen von mehreren Seiten Gefahren. Zum einen vom schwachen EURO, der zwar die Exporte begünstigt, der aber die Importe verteuert, was sich zum Beispiel in den Ölpreisen oder anderen Rohstoffpreisen ablesen lässt. Inwieweit muss man in dieser Hinsicht besorgt sein, was den schwachen EURO betrifft?
Hax: Ja, also Ölpreise kommen ja nicht nur vom schwachen EURO her, sondern sie sind auch aus anderen Gründen gestiegen. Und das kommt natürlich jetzt zusammen. Der schwache EURO ist ein zwiespältiges Phänomen. Es mag sich mancher freuen, dass die Exporte jetzt erleichtert werden – das ist ja auch ein positiver Aspekt. Aber er hat eben auch nachteilige Aspekte: Zum einen werden eben die Importe teurer, und das drückt auf die Preise. Zum anderen kommt da natürlich auch etwas zum Ausdruck. Er ist ja nicht bedingt durch Preisbewegungen, die schon stattgefunden haben, sondern durch Erwartungen, und zwar Erwartungen, die dann das Verhalten von Kapitalanlegern prägen. Und in dem schwachen EURO kommt eine Zurückhaltung der Kapitalanleger zum Ausdruck, und das wirkt sich wiederum aus auf die Zinsen. Und dieser Zinseffekt, der mit dem schwachen EURO verbunden ist, der kann auf die Dauer auch dämpfend wirken.
DLF: Zum anderen drohen dem Geldwert natürlich auch Gefahren von Seiten der Tarifpolitik. Für viele Konjunkturexperten waren die Tarifabschlüsse des vergangenen Jahres schon relativ hoch angesiedelt, in diesem Jahr könnten – wenn man die Tarifforderungen zu Grunde legt – die Tarifabschlüsse in einer ähnlichen Größenordnung sein. Wie schätzen Sie das Risiko, das aus der Tarifpolitik resultiert, ein?
Hax: Ich glaube, das Risiko der Tarifpolitik liegt weniger im Bereich der Inflation, denn hier stehen die Unternehmen in Europa doch in recht scharfem Wettbewerb, so dass die Tariferhöhungen nicht ohne weiteres überwälzt werden können. Aber das bedeutet natürlich, dass damit gleichzeitig die Unternehmen unter verstärkten Kostendruck gesetzt werden, und das wiederum kann die Konjunktur wieder gefährden. In der Tarifpolitik liegt heute vor allem ein Risiko zunächst einmal für die Konjunkturentwicklung in Deutschland, aber auf mittlere Sicht auch für einen frektionsfreien Wachstumsprozess, der dann auch auf Dauer die Arbeitslosigkeit deutlich reduziert.
DLF: Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale sehen Sie im Moment noch nicht?
Hax: Die ist im Augenblick nicht zu erkennen. Das funktioniert heute auch nicht mehr so, wie das früher war. Dazu ist Deutschland zu stark in dem internationalen Wettbewerb eingebunden.
DLF: Nun haben wir ja mehrere Runden im Rahmen des Bündnisses für Arbeit erlebt. Inwieweit erkennen Sie in dem Verlauf dieser Gesprächsrunden den Willen der Beteiligten, sich an einer gemeinsamen Kraftanstrengung zur Überwindung des Beschäftigungsproblems zu beteiligen?
Hax: Da ist eigentlich sehr wenig zu erkennen. Zunächst werden da natürlich Verbandsinteressen verfolgt. Und das, was man in Tarifrunden macht, wird jetzt also auf einer anderen Ebene fortgesetzt. Ein Wille zur Einigung und ein Wille zur verbindlichen Festlegung auf einen wachstumsorientierten und beschäftigungsorientierten Kurs ist bisher nicht zu erkennen. Was bisher herausgekommen ist, sind eigentlich immer nur Erklärungen, die verhältnismäßig unverbindlich waren, die schön klingen. Aber Konkretes ist nicht herausgekommen. Wir haben es beim letzten Mal gemerkt. Da gab es eine wunderbare Erklärung, und zwei Tage später kamen Tarifforderungen, die damit überhaupt nicht zu vereinbaren waren.
DLF: Nun stecken die Gewerkschaften natürlich auch in einem gewissen Dilemma. In Krisenzeiten akzeptieren es die Arbeitnehmer, dass die Gewerkschaft bescheidener auftritt, dass sie Rücksicht nimmt auf die Sicherheit der Arbeitsplätze, aber nach einer konjunkturellen Wende, die sich ja auch in Gewinnsteigerungen bei den Unternehmen niederschlägt, ist das Verlangen groß, an diesen Ertragssteigerungen zu partizipieren.
Hax: Ja, sicher. Aber ich meine, die Wende ist ja nun noch nicht so weit, dass sie auf dem Arbeitsmarkt sich konkret auswirkt. Und das ist eben der Denkfehler, dass in dem Augenblick, wo nun eine Wende zum Besseren eintritt, dass man dann eben zugreifen könnte. Damit setzt man den Erfolg der vorhergegangenen moderaten Lohnpolitik eben aufs Spiel. Es ist eben so: Die Besserung ist noch nicht dann da, wenn eben eine konjunkturelle Wende eingetreten ist, sondern wir müssen jetzt Geduld haben, müssen auf lange Sicht dafür sorgen, dass auf dem Arbeitsmarkt eben hier mehr Beschäftigung geschaffen wird. Und das ist kein Verteilungsproblem – es ist letzten Endes doch ein Verteilungsproblem, wenn mehr Arbeitsplätze entstehen, dann gibt es ja auch mehr Arbeitnehmereinkommen –, aber im Vordergrund steht da nicht das Verteilungsproblem, sondern die Frage: Wie bekommen die Menschen, die heute keine Arbeit haben, wie bekommen die wieder einen Arbeitsplatz? Und das tritt bei diesen Überlegungen immer ganz in den Hintergrund.
DLF: Wie sollte denn eine beschäftigungsorientierte Lohnpolitik aussehen? Indem sie sich nach der Ertragslage des einzelnen Unternehmens richtet - dass also in dieser Hinsicht eine Differenzierung eingefügt wird, und vielleicht auch, dass sie - zumindest in der jetzigen Phase - noch unter dem Produktivitätsfortschritt bleibt?
Hax: Ja, das sind ja zwei Gesichtspunkte. Zunächst gesamtwirtschaftlich gesehen – und das ist natürlich jetzt in einer sehr hohen Aggregation – ist der wichtigste Orientierungspunkt der Produktivitätsfortschritt, wobei es aber nicht auf den tatsächlichen realisierten Produktivitätsfortschritt ankommt, sondern auf den Produktivitätsfortschritt, der vereinbar ist mit der Entstehung von mehr Beschäftigung. Wir müssen uns darüber klar sein: Die zusätzlichen Arbeitskräfte, die eingestellt werden sollen, haben dann eben vielfach nicht die gleiche Produktivität wie die, die heute schon beschäftigt sind. Es ist im Gegenteil ja sogar so, dass die Produktivität eher steigt, wenn man Arbeitskräfte entlässt. Aber das wollen wir ja nicht, eine solche Produktivitätssteigerung. Das heißt also, man muss hinter der tatsächlich realisierten Produktivitätssteigerung deutlich zurückbleiben. Nun ist das also gesamtwirtschaftlich gesehen: Was wir zusätzlich brauchen – und das betrifft jetzt mehr die einzelnen Tarifbereiche, die einzelnen Branchen, die einzelnen Regionen – wir brauchen eine viel stärkere Differenzierung. Wir müssen also abkommen von dem starren Flächentarifvertrag, wo also zwar theoretisch Bezirke existieren, die unterschiedliche Tarifverträge abschließen. In Wirklichkeit fängt man da irgendwo an, macht einen Pilotvertrag, und das wird dann auf andere übertragen – ohne Rücksicht auf die besondere Lage in Regionen, ohne Rücksicht auf die besondere Lage in einzelnen Unternehmen.
DLF: Eine ganz entscheidende Rolle beim Abbau der Arbeitslosigkeit kommt neben den Tarifpartnern natürlich auch dem Staat zu. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die von der Bundesregierung vorgelegte Steuerreform, in der ja eine deutliche Absenkung der Steuersätze vor allem auch für die Unternehmen verankert ist? Ist das ein Weg, der zu mehr Wachstum führen kann?
Hax: Die Steuerreform ist zwiespältig. Grundsätzlich möchte ich zunächst mal die Frage mit "ja" beantworten. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, besonders wenn man an das denkt, was vorher war. Zunächst ist mit dem Regierungswechsel ja eine zusätzliche steuerliche Belastung der Unternehmen eingetreten. Man hat damals schon eine Unternehmens-Steuerreform angekündigt; aber das war ja zunächst nicht sehr glaubhaft, und es war - glaube ich - auch zumindestens zum Teil nicht ernst gemeint. Aber das hat sich ja in der Mitte des letzten Jahres geändert. Und dadurch, dass wir jetzt auch einen deutlichen Sparkurs in der Haushaltspolitik fahren, ist ja auch tatsächlich die Möglichkeit geschaffen worden, eine solche Unternehmens-Steuerreform durchzuführen. Also, die Senkung der Steuersätze, wie sie jetzt geplant wird, ist sicherlich eine richtige und gute Entwicklung. Bedauerlich ist allerdings, dass dabei gleichzeitig die Struktur des Steuersystems völlig verzerrt und in einer Weise gestaltet wird, bei der vorherzusehen ist, dass die nächste Reform bald fällig sein wird. Und das bringt natürlich jetzt wieder völlig unnötig Unruhe. Dahinter steckt also diese seltsame Vorstellung, die von Regierungsvertretern, selbst vom Bundeskanzler, immer wieder verkündet wird, 'man wolle die Unternehmen entlasten, aber nicht die Unternehmer'. Und das ist natürlich in einem Wirtschaftssystem, in dem die Unternehmen in Privateigentum stehen, eine m Grunde genommen völlig unsinnige Aussage.
DLF: Also, das ist möglicherweise eine Schwachstelle des Programms. Ein anderer Pluspunkt aber ist – vielleicht auch für viele überraschend gewesen – die Absicht der Bundesregierung, den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen von der Steuer freizustellen.
Hax: Zunächst einmal wird dadurch die Ungleichheit noch verstärkt, denn diese Möglichkeit besteht auch wieder nur für Kapitalgesellschaften. Das ist auf Kapitalgesellschaften beschränkt, und das ist schon eine sehr problematische Sache. Die Hoffnung, die sich damit verbindet, dass sich die Kapitalgesellschaften daraufhin veranlasst sehen könnten, sich von ihren Beteiligungen leichter zu trennen und dass dadurch Umstrukturierungen eher ermöglicht werden, das ist natürlich erst eine Hoffnung. Und ob das realisiert wird, ist ganz offen. Aber man müsste zumindestens klären, wie das vom Steuersystematischen her begründet werden soll, warum man auf einmal da bestimmte Gewinne freistellt, die ja im privaten Bereich überhaupt nicht frei sind.
DLF: Kommen wir noch mal auf die Geldpolitik zu sprechen, die ja auch für die Konjunkturentwicklung nicht ohne Bedeutung ist – wir hatten es ja vorhin schon angesprochen. Die Europäische Zentralbank steckt in einem Dilemma. Sie muss einerseits mittels Zinserhöhungen einer möglichen Inflation vorbeugen, sie ist Druck aus den USA ausgesetzt, die gerade aus diesem Grunde zu Zinserhöhungen gezwungen sind. Sie muss aber auch andererseits darauf achten, dass durch die Verteuerung des Geldes nicht der Aufschwung abgewürgt wird. Ist diese Aufgabe lösbar, und wie schätzen Sie das Risiko ein, dass die Konjunktur in Mitleidenschaft gezogen wird?
Hax: Die Aufgabe ist schwierig, aber sie ist lösbar. Und das ist eigentlich das Kernproblem einer Notenbank heute, wie sie damit fertig wird. Irrig ist die Annahme, die Notenbank könnte durch ihre Geldpolitik selber die Konjunktur anregen, könnte also den Aufschwung selbst in Gang bringen. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie muss die Konjunkturentwicklung begleiten. Die Anstöße müssen anderswo herkommen. Sie muss dafür sorgen, dass die Konjunkturentwicklung nicht ausartet in eine inflationäre Entwicklung, und andererseits aber eben auch nicht durch übertrieben restriktive Maßnahmen ebenso stark abgebremst wird. Das ist nicht einfach. Es ist zum einen eine Frage des Fingerspitzengefühls, wie man jeweils verfährt; die amerikanische Politik war da sehr erfolgreich in den letzten Jahren. Die Europäische Zentralbank hat es jetzt besonders schwer, denn sie arbeitet in einem Umfeld – für diesen europäischen Währungsraum insgesamt hat sie ja keine Erfahrung, also wo sie im Grunde genommen die Reaktionsweisen und die Funktionsweisen noch nicht kennt. Ihr Problem ist im Augenblick, dass nicht genügend deutlich wird in der Öffentlichkeit, woran sie sich eigentlich orientiert, wovon sie sich leiten lässt – und dass deswegen ihr Verhalten wenig durchschaubar und wenig prognostizierbar ist. Also, es wird ja befürwortet von vielen Fachleuten, sie solle sich - wie die Bundesbank früher - an einem Geldmengenziel etwa orientieren, wo man ihre Maßnahmen dann auch unmittelbar beurteilen könnte. Das wäre in der Tat ein Weg, mit dem man jedenfalls verhindern könnte, dass man bei jeder Maßnahme oder auch bei jeder Nicht-Maßnahme – auch wenn sie nichts tut, ist das natürlich etwas – die Frage stellt: Wovon hat sie sich jetzt denn wieder leiten lassen, war es der Wechselkurs, war es die Konjunktur, war es dieses oder jenes?
DLF: Sie muss nicht nur auf den Binnenwert des EURO achten, sondern auch noch auf den Außenwert, denn je mehr an den Finanzmärkten der Eindruck entsteht, der EURO sei eine 'Weichwährung' und es lasse sich leicht Geld verdienen, wenn man auf weitere Kursrückgänge setzt, desto schwieriger wird es doch, den EURO zu stärken.
Hax: Die Europäische Zentralbank orientiert sich nicht am Außenwert. Das hat sie mehrfach deutlich erklärt - was nicht heißt, dass der Außenwert unerheblich ist, aber sie versucht nicht, unmittelbar auf den Außenwert einzuwirken. Im Außenwert kann natürlich zum Ausdruck kommen das Geschehen auf den Märkten – bei den Preisen. Das ist derzeit sicherlich nicht der Fall. Der Verlust von Außenwert hat sicherlich nicht mit inflationären Entwicklungen in Europa zu tun. Hier geht es mehr um das Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte in den EURO. Das aber ist nicht nur – und vielleicht auch nicht in erster Linie – eine Sache der Europäischen Zentralbank. Ob die Märkte in die europäische Wirtschaftspolitik Vertrauen haben, das hängt eigentlich in viel stärkerem Maße von der Wirtschaftspolitik der europäischen Regierungen und der Europäischen Union ab.
DLF: Herr Professor Hax, Sie waren elf Jahre Mitglied im Sachverständigenrat, acht Jahre Vorsitzender dieses Gremiums. Sie scheiden in diesem Monat aus dem Amt aus. Rückblickend betrachtet – haben Sie den Eindruck, dass die Politik ausreichend auf den Rat der – sogenannten – '5 Weisen' gehört hat?
Hax: Man kann nicht erwarten, dass das, was der Sachverständigenrat als richtig bezeichnet oder als richtig hervorhebt, nun sofort immer umgesetzt wird. Da gibt es politische Hindernisse der verschiedensten Art. Man muss da Geduld haben und darauf hinwirken, dass da die Öffentlichkeit auf die Probleme hingewiesen ist und dass die Aufgeschlossenheit gegenüber den Lösungen, die notwendig sind, doch größer wird. Ich denke, auf einigen Gebieten hat der Sachverständigenrat doch wesentlich zur politischen Meinungsbildung, und damit letzten Endes auch zur Politik, beigetragen, dass also heute die Steuerreform zwar vielleicht nicht einen idealen Weg geht, dass man aber doch letzten Endes einen Weg geht, der darauf aus ist, die Angebotskräfte in der deutschen Wirtschaft zu stärken. Dazu hat der Sachverständigenrat sicherlich beigetragen. Aber man muss immer sehen: Der Sachverständigenrat kann ja eine Regierung, die verantwortliche politische Entscheidungen trifft, nicht ersetzen.
DLF: Aber dennoch sollte es dieses Gremium, das die Bundesregierung berät, auch in Zukunft geben?
Hax: Ja, es sollte es geben, und zwar nicht nur – das steht übrigens gar nicht im Gesetz – Beratung der Bundesregierung; es geht darum, dass der Sachverständigenrat zwar die Bundesregierung, aber eben auch zum Beispiel das Parlament und allgemein die Öffentlichkeit berät – in einem weiteren Sinne, dass er die Wirtschaftslage und die wirtschaftlichen Aussichten analysiert, dass er vor Fehlentwicklungen warnt, und damit zur Meinungsbildung in einer breiten politischen Öffentlichkeit beiträgt.