Dirk Müller: Eine Schockwelle zieht regelrecht durch die New Yorker Wall Street, denn die Kontrolleure in den USA machen jetzt wirklich ernst: eine Klage gegen die Investmentbank Goldman Sachs, eine Klage wegen Betrugs. Der Vorwurf der amerikanischen Börsenaufsicht SEC und inzwischen auch der britischen Aufsicht lautet, Goldman soll ein Finanzprodukt verkauft haben, von dem man schon wusste, dass es fallen würde. Den Investoren wiederum hat das Geldinstitut dies jedoch verschwiegen. Auch andere Banken könnten nun unter diesen Verdacht geraten, beispielsweise auch die Deutsche Bank. Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe stehen nun im Raum. Goldman Sachs war bereits wegen der Finanzkrise in Griechenland ins Zwielicht geraten, weil die Investmentbank bei den Haushaltsmanipulationen mitgeholfen haben soll.
Am Telefon begrüße ich nun den Finanzexperten Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Joachim Poß: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Poß, lassen Sie uns zunächst eines klären. Sie als Experte: Goldman Sachs oder Goldman Sachs?
Poß: Man sagt schon Goldman Sachs, aber im Deutschen ist es, glaube ich, erlaubt, auch zu sagen Goldman Sachs.
Müller: Okay, dann nehmen wir vielleicht Goldman Sachs. – Können große Banken auch kriminell sein?
Poß: Das wird sich ja herausstellen. Es ist nicht ganz so einfach, in solchen Fällen kriminelles Verhalten zu konstatieren. Aber ich finde, dass der Fall Goldman Sachs eben ein grelles Licht auf die nach wie vor enge Verquickung von Banken und Hedgefonds wirft. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur die Regulierung von Banken zu verschärfen; es muss endlich auch dafür gesorgt werden, dass die Hedgefonds keine regulierungsfreie Zone mehr sind. Das ist die politische Aufgabe, vor der wir stehen, hier in Deutschland, in Europa und weltweit.
Müller: Herr Poß, die Vorwürfe, über die wir reden bei Goldman Sachs, das sind ja Vorwürfe noch vor der Finanzkrise. Hat sich seitdem nicht viel geändert?
Poß: Nein. Wir kommen ja bei der Regulierung nicht so richtig voran. Deutschland hat ja in Sachen Transparenz der Hedgefonds, die ja hier in dem Fall auch eine Rolle spielen – einer der größten Hedgefonds spielt hier eine große Rolle -, immer getrieben, auch aus Zeiten der Großen Koalition, voranzukommen. Die jetzige Koalition ist ja gar nicht mehr so richtig aufgestellt. Man weiß ja letzten Endes nicht, ob die FDP den Vorstellungen von Herrn Schäuble in diesen Fragen wirklich folgt, und da muss sich Entscheidendes ändern, denn die enge Beziehung zwischen Banken und Hedgefonds erweist sich auch in diesem Fall als systematischer Nachteil der normalen Kunden der Bank, die einen Informationsnachteil haben. Deswegen ist die Hedgefonds-Regulierung in diesem Fall auch so wichtig und da müssen die Briten und da müssen auch die Amerikaner ihre Haltung verändern. Das heißt, wir müssen schleunigst ändern, dass weiterhin völlig intransparente Produkte an den Finanzmärkten verkauft werden, bei denen dann die Käufer ausgenommen werden. Solche Investmentbanken wie Goldman Sachs, die verdienen an Staatsanleihen, sozusagen an der Not der Staaten, die ja mit viel Geld Banken gerettet haben und dann noch Konjunkturpakete geschnürt haben. Das ist das Perverse an der Sache. Und das Zweite ist: An diesem Fall wird auch deutlich, dass man endlich, anders als Herr Dibelius meint, an das perverse System der Boni heran muss, denn dieses Bonisystem ist einer der Treibsätze für diese riskanten Geschäfte.
Müller: Herr Poß, jetzt habe ich noch ein paar Fragen. Der Zeigefinger musste ja kommen, das haben viele erwartet, gerade aus Reihen der SPD: der Zeigefinger nach Berlin einerseits, dann London, dann Washington. Aber ausgerechnet London und Washington gehen jetzt durch die Börsenaufsicht sehr konsequent vor. Hat sich da was geändert?
Poß: Ja. Man will wohl in dem Fall zeigen, wie konsequent man ist. In London steht man vor einer Wahl und in Washington steht man auch erheblich unter Druck, weil ja jeden Tag neue Boniskandale bekannt werden, und man lässt auch etwas Druck heraus. Diese amerikanische Börsenaufsicht, die konkurriert mit anderen Finanzaufsichtsinstitutionen um Zuständigkeiten. Das spielt im Übrigen dabei auch noch eine Rolle. Man will jetzt besonders stramm vorgehen gegen den Branchenführer. Das halte ich für richtig. Man darf dabei nur nicht vergessen, dass im Wesentlichen dieses Geschäftsgebaren auch das Geschäftsgebaren anderer Banken ist, einschließlich deutscher Banken, und deswegen brauchen wir klarere Regeln, als wir sie derzeit haben.
Müller: Demnach trauen Sie der Obama-Regierung doch letztendlich konsequente Schritte nicht zu?
Poß: Das will ich nicht sagen. Ich war mit dem Kollegen Heil noch vor einer Woche in den USA und habe da auch mit allen möglichen Instanzen, auch der amerikanischen Administration Gespräche geführt, und es sieht doch so aus, als wollte Obama selbst jetzt schärfer an diese Probleme herangehen. Aber die Widerstände aus der einflussreichen Lobby sind sehr stark und die Widerstände auch der Republikaner sind leider sehr stark.
Müller: Dann reden wir, Herr Poß, noch mal darüber, was wir eventuell tun könnten, was Deutschland tun könnte. Goldman Sachs, das ist unser Thema. Wir haben das eben im Korrespondentenbericht auch gehört. Die Investmentbank hat Geschäfte mit der Politik bei Privatisierungen von Bundes- und Landesunternehmen, oder auch ein Geschäft mit der Refinanzierung von Staatsschulden gemacht. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Vorwürfe berechtigt sind, dann keine Geschäfte mehr mit dieser Bank?
Poß: Nein. Es ist richtig, dass die Geschäfte mit dieser Bank ruhen sollten, bis die Vorwürfe aufgeklärt sind. Ich meine, bei uns gilt das Rechtsstaatsprinzip, bei allen Vorwürfen, die da gemacht werden, und man darf nicht vergessen, ich halte das teilweise für eine Ablenkungsdiskussion, dass man jetzt diesen Fall besonders in die Öffentlichkeit zerrt, was richtig ist. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass das nur möglich ist bei systemischem Versagen, weil notwendige Dinge, die bisher regulierungsfrei sind, noch nicht reguliert wurden, und das ist die Aufgabe der Politik und das ist die Erwartung an Frau Merkel, flotten Sprüchen auch endlich Taten folgen zu lassen und endlich in Europa und in der Welt voranzukommen. Man muss sich entschiedener für diese Dinge einsetzen, als das bisher geschehen ist.
Müller: Sie sagen, die Geschäfte sollen erst mal auf Eis gelegt werden. Aber die Kredite laufen ja weiter?
Poß: Ja. Ich meine, man kann im Moment, glaube ich, nur neue Geschäfte – die sind ja schließlich Geschäftspartner – mit denen nicht machen. Mehr ist ja im Moment nicht möglich, bis die Dinge dann aufgeklärt sind.
Müller: War das ein Fehler, sich in vielen Fällen, gerade was Fusionen anbetrifft, gerade was Privatisierungen betrifft, sich so stark auf eine Bank zu konzentrieren?
Poß: Goldman Sachs ist eine Bank unter vielen und in dem Fall gibt es besonders massive Vorwürfe wegen der Verquickung sozusagen eines Geschäfts mit einem Hedgefonds, und ich bin auch dafür, dass man da wirklich mit aller Konsequenz herangeht, aber ich bitte, davon nicht abzulenken: Es geht hier um das System, das dieses kriminelle, mindestens aber unethische Verhalten von Banken und Investmenthäusern eben fördert. Das ist ja an sich nichts Neues. Der Milliardenbetrüger Madoff, oder Banken, die ungesicherte Lehman-Zertifikate ahnungslosen Anlegern als vermeintlich sichere Anlage verkaufen, all dies und anderes ist bekannt und war bereits Gegenstand von Gerichtsverfahren. Also Gerichtsverfahren ja und klären, Betrügereien nachgehen, aber jetzt so schnell wie möglich Regeln ändern, die solche Fälle dann nicht mehr ermöglichen.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Finanzexperte Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Poß: Bitte schön!
Mehr zum Goldman-Sachs-Skandal in der Online-Ausgabe des Wall Street Journal
Am Telefon begrüße ich nun den Finanzexperten Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Joachim Poß: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Poß, lassen Sie uns zunächst eines klären. Sie als Experte: Goldman Sachs oder Goldman Sachs?
Poß: Man sagt schon Goldman Sachs, aber im Deutschen ist es, glaube ich, erlaubt, auch zu sagen Goldman Sachs.
Müller: Okay, dann nehmen wir vielleicht Goldman Sachs. – Können große Banken auch kriminell sein?
Poß: Das wird sich ja herausstellen. Es ist nicht ganz so einfach, in solchen Fällen kriminelles Verhalten zu konstatieren. Aber ich finde, dass der Fall Goldman Sachs eben ein grelles Licht auf die nach wie vor enge Verquickung von Banken und Hedgefonds wirft. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur die Regulierung von Banken zu verschärfen; es muss endlich auch dafür gesorgt werden, dass die Hedgefonds keine regulierungsfreie Zone mehr sind. Das ist die politische Aufgabe, vor der wir stehen, hier in Deutschland, in Europa und weltweit.
Müller: Herr Poß, die Vorwürfe, über die wir reden bei Goldman Sachs, das sind ja Vorwürfe noch vor der Finanzkrise. Hat sich seitdem nicht viel geändert?
Poß: Nein. Wir kommen ja bei der Regulierung nicht so richtig voran. Deutschland hat ja in Sachen Transparenz der Hedgefonds, die ja hier in dem Fall auch eine Rolle spielen – einer der größten Hedgefonds spielt hier eine große Rolle -, immer getrieben, auch aus Zeiten der Großen Koalition, voranzukommen. Die jetzige Koalition ist ja gar nicht mehr so richtig aufgestellt. Man weiß ja letzten Endes nicht, ob die FDP den Vorstellungen von Herrn Schäuble in diesen Fragen wirklich folgt, und da muss sich Entscheidendes ändern, denn die enge Beziehung zwischen Banken und Hedgefonds erweist sich auch in diesem Fall als systematischer Nachteil der normalen Kunden der Bank, die einen Informationsnachteil haben. Deswegen ist die Hedgefonds-Regulierung in diesem Fall auch so wichtig und da müssen die Briten und da müssen auch die Amerikaner ihre Haltung verändern. Das heißt, wir müssen schleunigst ändern, dass weiterhin völlig intransparente Produkte an den Finanzmärkten verkauft werden, bei denen dann die Käufer ausgenommen werden. Solche Investmentbanken wie Goldman Sachs, die verdienen an Staatsanleihen, sozusagen an der Not der Staaten, die ja mit viel Geld Banken gerettet haben und dann noch Konjunkturpakete geschnürt haben. Das ist das Perverse an der Sache. Und das Zweite ist: An diesem Fall wird auch deutlich, dass man endlich, anders als Herr Dibelius meint, an das perverse System der Boni heran muss, denn dieses Bonisystem ist einer der Treibsätze für diese riskanten Geschäfte.
Müller: Herr Poß, jetzt habe ich noch ein paar Fragen. Der Zeigefinger musste ja kommen, das haben viele erwartet, gerade aus Reihen der SPD: der Zeigefinger nach Berlin einerseits, dann London, dann Washington. Aber ausgerechnet London und Washington gehen jetzt durch die Börsenaufsicht sehr konsequent vor. Hat sich da was geändert?
Poß: Ja. Man will wohl in dem Fall zeigen, wie konsequent man ist. In London steht man vor einer Wahl und in Washington steht man auch erheblich unter Druck, weil ja jeden Tag neue Boniskandale bekannt werden, und man lässt auch etwas Druck heraus. Diese amerikanische Börsenaufsicht, die konkurriert mit anderen Finanzaufsichtsinstitutionen um Zuständigkeiten. Das spielt im Übrigen dabei auch noch eine Rolle. Man will jetzt besonders stramm vorgehen gegen den Branchenführer. Das halte ich für richtig. Man darf dabei nur nicht vergessen, dass im Wesentlichen dieses Geschäftsgebaren auch das Geschäftsgebaren anderer Banken ist, einschließlich deutscher Banken, und deswegen brauchen wir klarere Regeln, als wir sie derzeit haben.
Müller: Demnach trauen Sie der Obama-Regierung doch letztendlich konsequente Schritte nicht zu?
Poß: Das will ich nicht sagen. Ich war mit dem Kollegen Heil noch vor einer Woche in den USA und habe da auch mit allen möglichen Instanzen, auch der amerikanischen Administration Gespräche geführt, und es sieht doch so aus, als wollte Obama selbst jetzt schärfer an diese Probleme herangehen. Aber die Widerstände aus der einflussreichen Lobby sind sehr stark und die Widerstände auch der Republikaner sind leider sehr stark.
Müller: Dann reden wir, Herr Poß, noch mal darüber, was wir eventuell tun könnten, was Deutschland tun könnte. Goldman Sachs, das ist unser Thema. Wir haben das eben im Korrespondentenbericht auch gehört. Die Investmentbank hat Geschäfte mit der Politik bei Privatisierungen von Bundes- und Landesunternehmen, oder auch ein Geschäft mit der Refinanzierung von Staatsschulden gemacht. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Vorwürfe berechtigt sind, dann keine Geschäfte mehr mit dieser Bank?
Poß: Nein. Es ist richtig, dass die Geschäfte mit dieser Bank ruhen sollten, bis die Vorwürfe aufgeklärt sind. Ich meine, bei uns gilt das Rechtsstaatsprinzip, bei allen Vorwürfen, die da gemacht werden, und man darf nicht vergessen, ich halte das teilweise für eine Ablenkungsdiskussion, dass man jetzt diesen Fall besonders in die Öffentlichkeit zerrt, was richtig ist. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass das nur möglich ist bei systemischem Versagen, weil notwendige Dinge, die bisher regulierungsfrei sind, noch nicht reguliert wurden, und das ist die Aufgabe der Politik und das ist die Erwartung an Frau Merkel, flotten Sprüchen auch endlich Taten folgen zu lassen und endlich in Europa und in der Welt voranzukommen. Man muss sich entschiedener für diese Dinge einsetzen, als das bisher geschehen ist.
Müller: Sie sagen, die Geschäfte sollen erst mal auf Eis gelegt werden. Aber die Kredite laufen ja weiter?
Poß: Ja. Ich meine, man kann im Moment, glaube ich, nur neue Geschäfte – die sind ja schließlich Geschäftspartner – mit denen nicht machen. Mehr ist ja im Moment nicht möglich, bis die Dinge dann aufgeklärt sind.
Müller: War das ein Fehler, sich in vielen Fällen, gerade was Fusionen anbetrifft, gerade was Privatisierungen betrifft, sich so stark auf eine Bank zu konzentrieren?
Poß: Goldman Sachs ist eine Bank unter vielen und in dem Fall gibt es besonders massive Vorwürfe wegen der Verquickung sozusagen eines Geschäfts mit einem Hedgefonds, und ich bin auch dafür, dass man da wirklich mit aller Konsequenz herangeht, aber ich bitte, davon nicht abzulenken: Es geht hier um das System, das dieses kriminelle, mindestens aber unethische Verhalten von Banken und Investmenthäusern eben fördert. Das ist ja an sich nichts Neues. Der Milliardenbetrüger Madoff, oder Banken, die ungesicherte Lehman-Zertifikate ahnungslosen Anlegern als vermeintlich sichere Anlage verkaufen, all dies und anderes ist bekannt und war bereits Gegenstand von Gerichtsverfahren. Also Gerichtsverfahren ja und klären, Betrügereien nachgehen, aber jetzt so schnell wie möglich Regeln ändern, die solche Fälle dann nicht mehr ermöglichen.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Finanzexperte Joachim Poß, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Poß: Bitte schön!
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