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Heidegger-Interview im "Spiegel"
Kein Ruhmesblatt der Nachkriegspublizistik

Es ist wohl das bemerkenswerteste Interview, das der "Spiegel" je geführt hat: "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein 1966 im Gespräch mit dem Philosophen Martin Heidegger. Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister beschreibt jetzt in einem Buch, wie das Magazin dem notorischen Medienhasser Heidegger damals auf den Leim ging.

Von Norbert Seitz | 14.04.2014
    Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976).
    Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976). (picture alliance / dpa)
    "Also sowohl Heidegger hatte Angst vor den "Spiegel"-Redakteuren, obwohl er sich ganz gut vorbereiten konnte. Und Augstein fühlte sich dem Philosophen auf dessen Fachgebiet absolut nicht gewachsen. So dass das Gespräch unter sehr nervösen Bedingungen stattfand und man sich vielleicht auch deshalb auf einen Minimalkonsens geeinigt hat: Lasst es hinter uns bringen."
    Und dies geschah an einem Septembertag 1966 in Todtnauberg im Schwarzwald im Haus des Philosophen und dauerte eine Stunde und vierzig Minuten.
    Heidegger hatte sich die Veröffentlichung bis zu seinem Tod verbeten
    Doch der "Spiegel" konnte sein Gesprächsjuwel nicht öffentlich ausstellen, sondern musste sich mit einer Publikation bis nach Heideggers Tod im Mai 1976 gedulden.
    Lutz Hachmeister beschreibt sehr genau, wie das Enthüllungsjournal damit dem notorischen Medienhasser Heidegger gehörig auf den Leim gegangen war, denn das hieß natürlich auch...
    "dass der "Spiegel", solange Heidegger lebte, über ihn gar nicht kritisch berichten konnte. Denn die Gefahr wäre sehr groß gewesen, dass Heidegger dann sagt, dann ist das Interview ganz gestorben, dann könnt Ihr die Bandaufnahme im Tresor lassen. Ich bin raus aus dem Geschäft."
    Heidegger benutzte den "Spiegel" für einen Reinwaschungsversuch
    Der philosophisch gebildete Medienwissenschaftler nimmt sich die Tonbandabschrift vor und untersucht das beiderseits Gestrichene, Ergänzte oder Umformulierte. Damit kommt er der Wahrheit des Gesprächs sehr nahe. Und die besteht darin, dass der NS-vorbelastete Heidegger den "Spiegel" für einen Reinwaschungsversuch benutzte, und das Nachrichtenmagazin unter sein investigatives Niveau gehen musste, um eine Veröffentlichung überhaupt zustande zu bringen.
    "Der "Spiegel" wusste mehr als er gefragt hat. Der "Spiegel" wusste zum Beispiel von einem Schüler Heideggers, Hermann Mörchen, dass Heidegger schon 1931 - gemeinsam mit seiner Frau - gesagt hat, man möge doch "Mein Kampf" lesen, das sei ein wichtiges Buch. Die NS-Bewegung habe einen wahren und inneren Kern. Der "Spiegel" verzichtet geradezu auf das Übersetzen seiner eigenen Rechercheergebnisse in Interviewfragen."
    Brisanz des Gesprächs
    Komplettiert wurde die Brisanz des Gesprächs dadurch, dass Rudolf Augstein es gemeinsam mit seinem Redaktionskollegen Georg Wolff geführt hat, einem vormaligen SD-Kader und SS-Führer. Denn der "Spiegel"-Herausgeber hatte zur Beschäftigung alter Nazis in seiner Redaktion eine ähnlich zynische Einstellung wie der von ihm so bekämpfte Kanzler Adenauer: Bei Augstein hieß das: "Wer nicht gerade einen Juden erschossen hat", der darf nochmal ran. Insofern waren SD-Kader nicht zufällig beim "Spiegel".
    "Heute weiß man eigentlich, dass sie sehr zielgenau akquiriert wurden, dass Augstein ziemlich genau wusste, dass er mit diesen Leuten, die Insiderkenntnisse hatten über Stories im NS-Staat, Auflage machen konnte."
    Und das hatte inhaltliche Konsequenzen für ein Gespräch zwischen zwei NS-Belasteten.
    NSDAP-Mitgliedschaft Heideggers ausgeblendet
    Wolff mit seiner SS-Biografie konnte bestimmte Fragen gar nicht stellen, denn er hätte sie sich dann selber stellen müssen. Es wird nicht einmal die NSDAP-Mitgliedschaft Heideggers thematisiert. Und das kann man nur so begründen, dass Wolff sehr viel mit sich selbst zu tun hatte und seiner eigenen NS-Biografie und deshalb sehr befangen war, bestimmte Fragen überhaupt zu thematisieren.
    So blieb es im Gespräch bei Heideggers Standardentschuldigung:
    "Ich erwartete vom Nationalsozialismus eine geistige Erneuerung des ganzen Lebens, eine Aussöhnung sozialer Gegensätze und eine Rettung des abendländischen Denkens vor den Gefahren des Kommunismus. Einige Sätze sehe ich heute als Entgleisung an. Das ist alles."
    Heidegger versuchte zu schönen, verwies auf französische Bewunderer und Freunde, die der Résistance angehörten oder auf philosophische Zeitgenossen, die sich damals ebenfalls getäuscht hätten. Zudem interpretierte er seine Rektoratsrede vom April 1933 als "einzigartigen Akt des geistigen Widerstands", ja als "Selbstbehauptung der deutschen Universität".
    "Also man muss wissen, bei Heidegger stimmt immer alles und stimmt immer nichts. Das trifft auch auf seine Biografie zu, so die Umbiegungen, Verleugnungen, Halbwahrheiten, das ist er selbst. Und ich glaube, er glaubt auch vollkommen daran. Also er glaubt an seine eigenen Lügen."
    Mag Martin Heidegger auch kein politischer Opportunist gewesen sein, sein Irrglaube an die "innere Wahrheit und Größe des Nationalsozialismus" lässt uns gleichwohl vermuten, dass es sich bei ihm um einen Nazi-Fundi handelte, der die NS-Bewegung philosophisch zu läutern trachtete, aber auf dem Feld der Geistespolitik von begriffsstutzigen PGs an der Basis rasch ausgeschaltet wurde. Das "Spiegel"-Interview kam einer solchen Wahrheit über Heidegger aber nicht nahe.
    Wolff und Augstein rollen für den so oft Beleidigten den roten Teppich aus, was die "wölfische" Zeit betrifft, und quittierten Heideggers Interventionen gleich mehrfach mit dem erleichterten Ausruf: "Das ist schlagend, Herr Professor!"
    Kein Ruhmesblatt der Nachkriegspublizistik
    Augstein bei Heidegger. Kein Ruhmesblatt der Nachkriegspublizistik, wie Lutz Hachmeister eindrucksvoll in seiner gut recherchierten Studie deutlich machen kann. Der "Spiegel"-Macher habe hernach mit seinen Unterlassungssünden gehadert und Heidegger nach Jahren als "deutschtümelnden Priesterpropheten" angegangen.
    "... der mithilfe ebenso mühseliger wie risikoloser verbaler Spielereien seinen legitimen Schwindel betreibt, nicht um Verstehen bemüht, sondern um Glauben."
    Hachmeister nennt solches späte Nachtreten unfair, aber auch durchaus typisch für die seiner Ansicht nach doppelte Moral des "Spiegel":
    "Diese doppelten Standards nach dem Motto: Wir weigern uns eigentlich doch permanent, uns mit unserer eigenen Frühgeschichte zu beschäftigen und dem Personal, was wir da akquiriert haben und auch den Erfolgen, die damit erzielt wurden, aber der sehr akribischen Durchleuchtung der Biografien von anderen Objekten, das ist mir aufgefallen und das war schon eine meiner Intentionen, das offen zu legen.
    Lutz Hachmeister: "Heideggers Testament. Der Philosoph, der "Spiegel" und die SS"
    Propyläen-Verlag, 368 Seiten, 22,95 Euro