"Was jetzt die schwarzen Hefte zeigen: Die Aussagen über das, was das Judentum ist, was das Jüdische ist, und was er dabei verschwiegenerweise ahnen lässt, was er im Blick hat, ist unsäglich und unerträglich." Rainer Marten, emeritierter Philosoph, Universität Freiburg.
"Geradezu hämische Bemerkungen: Wenn er etwa sagt, die Juden leben immer schon nach dem Rasseprinzip und jetzt wird das Rasseprinzip auch auf sie angewendet. Und dann lamentieren sie. - Ich meine, was soll eine solche Bemerkung (…) die auch die Dignität des Philosophen Martin Heidegger massiv in Zweifel zieht." Marion Heinz, Philosophin, Universität Siegen.
"Es geht nicht nur um die expliziten antisemitischen Stellen. (…) Man hat eine ganze untergründige antisemitische Semantik, wenn die Rede ist zum Beispiel von jenen eitlen Wechslern oder der händlerischen Rechenhaftigkeit." Sidonie Kellerer, Heidegger-Forscherin, Universität Siegen.
Drei Heidegger-Experten, drei Stimmen von vielen, die empört sind über die antisemitischen Ausfälle Heideggers in seinen sogenannten Schwarzen Heften, den Denktagebüchern von 1931 bis 1948. Enttäuscht vom Meisterdenker und beschämt ist Günter Figal als Vorsitzender der Martin-Heidegger-Gesellschaft zurückgetreten. Die Freiburger Universität will den Martin-Heidegger-Lehrstuhl in eine Juniorprofessur für sprachanalytische Philosophie umwidmen. Und die Gemeinde Messkirch, Heideggers Geburtsort, diskutiert, ob sie ihrem berühmtesten Sohn die Ehrenbürgerschaft aberkennen müsse. Eine neue Kontroverse um Person und Werk Heideggers ist entbrannt. War der Antisemitismus nur ein persönliches Ressentiment, war die zeitweilige Nähe Heideggers zum Nationalsozialismus nur der Irrtum eines weltfremden Philosophen? Oder reicht das alles tief in seine Philosophie hinein? Rainer Marten: "Also es ist ganz eindeutig zu sehen, dass die Juden klischeeartig übernommen werden als solche, die es insbesondere mit dem Rechnen zu tun haben. Allerdings ist die Aversion oder die Verdächtigung des Rechnens als Verunwesentlichung der Welt bei Heidegger so komplex, das ebenso gut wie die Juden auch Descartes im Blickfeld steht - ja schon die Griechen, die haben ja wahrlich die Mathematik erfunden. Nicht umsonst sind die auserwählten Griechen ganz wenige, und er weiß nicht einmal, wie die gerechnet haben."
"Schwarzen Hefte" haben besondere Bedeutung für die Forschung
Schon bei den Griechen, so Heidegger, sei das abendländische Denken, die Metaphysik, auf einen Jahrtausende währenden Irrweg geraten, der neuzeitlich im rechnerischen Denken und in der Technik ende - im Glauben an die Machbarkeit würden wir heute sagen. Doch welche Rolle spielen in seiner philosophischen Konstruktion die Juden? Sind sie nur Exponenten einer kritisierten Moderne, eines herrschenden Geistes, der anderer Stelle amerikanisiert genannt wird. Oder sind die Juden konkret als Juden gemeint und angegriffen. Genau da liegt ein Problem bei der Interpretation von Heideggers Denken, so Marion Heinz: "Man kann auf Löwith verweisen, der immer schon gesagt hat, Heidegger war ein Meister der Doppelcodierung sozusagen. Das heißt, er hat es bestens verstanden, - im Ansinnen des rein Philosophischen - Begrifflichkeiten zu verwenden, die aber mindestens mal einen politischen Subtext hatten. Und seine Schüler, so hat Löwith es manchmal beschrieben, wussten manchmal nicht, ob sie sich politisch engagieren sollten oder der Gelehrsamkeit sich widmen sollten. Und die Schwarzen Hefte haben eine besondere Bedeutung für die Heidegger-Forschung darin, dass die in den anderen Texten nicht artikulierten Seiten seiner Weltanschauung, seiner politischen Einstellung, hier ganz klar artikuliert sind."
Schluss ist auf jeden Fall mit dem Mythos vom unpolitischen Philosophen, der kurzzeitig der naiven Idee aufsaß, er könne "den Führer führen", wie Jaspers das einmal formuliert hat – nein Heidegger hielt sich tagespolitisch auf dem Laufenden, das bezeugen die Schwarzen Hefte. Er las Zeitungen, kommentierte das Weltgeschehen. Und über Hitler notierte Heidegger schwärmerisch, dass - Zitat - "der Führer eine neue Wirklichkeit erweckt hat, die unserem Denken die rechte Bahn und Stoßkraft gibt." Die Darstellung jedenfalls, dass sich Heidegger nach seinem einjährigen Rektorat an der Universität Freiburg in den inneren Widerstand zurückgezogen habe - an diesem apologetischen Bild hat Heidegger selber kräftig mitgestrickt, indem er frühere Texte bei der Neuherausgabe entsprechend frisiert hat. Sidonie Kellerer hat das kürzlich aufgedeckt. "Ich habe einen Text untersucht von 1938, der nach dem Krieg unter dem Titel 'Die Zeit des Weltbildes' erschienen ist und habe festgestellt, dass der ursprüngliche Vortrag von 1938 anders lautet als der Text, den Heidegger 1950 als Zeugnis seines vermeintlichen geistigen Widerstands veröffentlicht hat. Es gibt subtile Veränderungen der Art, wo ursprünglich die Rede war vom Arbeiter und vom Soldaten, da ist 1950 die Rede vom Techniker. Ganze Hinzufügungen fehlen nach dem Krieg, zum Beispiel Ausführungen zur Rektoratsrede. Er hat 1938 über seine Rektoratsrede von 1933 gesprochen, die fehlt 1950, die hatte er einfach gestrichen, kommentarlos."
Ein Arbeitsauftrag an die Philosophie
Nach dem Krieg hat Heidegger beharrlich über seine nationalsozialistische Verstrickung geschwiegen, kein Wort der Entschuldigung, keinerlei selbstkritische Aufarbeitung. Außer dass er den Nationalsozialismus, den er als Heilsbringer und Überwinder der Metaphysik gepriesen hatte, nun als weiteres Glied in der verhängnisvollen Kette abtat.
Und er selbst? Wird Heidegger - nach der Publikation der Schwarzen Hefte - seine philosophische Weltgeltung behalten? Die Diskussion über sein Werk geht weiter. Soll man das bahnbrechende Frühwerk "Sein und Zeit", wo es noch um den Einzelnen ging, weiterhin loben? Und nur sein Spätwerk, wo dunkel vom Geschick des Seins, von Volk und von Entscheidung geraunt wird, wegen einer Nähe zum faschistischem Denken kritisieren? Für Marion Heinz ist das weiterhin eine offene Frage - ein Arbeitsauftrag an Philosophie, Geschichte und Kulturwissenschaften, der allerdings eine philologisch-kritische Prüfung aller Heidegger-Texte verlangt. "Das liegt auf der Hand, dass man sich natürlich eine unbeschränkte Forschung über alle Teile des Nachlasses wünschen würde, und dass man sich auch wünschen würde, dass man die Ergebnisse dieser Forschung uneingeschränkt publizieren kann."
Die Erben wachen äußerst restriktiv über Heideggers Nachlass, der im Marbacher Literaturarchiv aufbewahrt wird. Sie hindern Forscher an einer kritischen Aufarbeitung, obwohl doch Heidegger spätestens seit 1933 eine öffentliche Person ist. "Man darf nur diejenigen Manuskripte einsehen und darüber berichten, die schon in der Gesamtausgabe veröffentlicht sind. Alles was noch nicht veröffentlicht ist, das darf man nicht einsehen und logischerweise auch nicht darüber berichten."