Jochen Spengler: Einer der wichtigsten Streitpunkte der Großen Koalition ist die Frage, ob Deutschland eine Lohnuntergrenze braucht, Mindestlohn genannt. Die SPD sagt ja, die Union sagt nein, aber so einfach ist es dann auch wieder nicht, denn Hungerlöhne in Deutschland will eigentlich keine der Parteien.
Wir wollen in den folgenden Minuten die Position der SPD etwas genauer beleuchten und dabei hilft uns der SPD-Generalsekretär. Einen schönen guten Morgen Hubertus Heil!
Hubertus Heil: Guten Morgen! Ich grüße Sie!
Spengler: Herr Heil, die CSU sagt, dass das Treffen des Koalitionsausschusses am kommenden Montag die letzte Möglichkeit sei, in der Großen Koalition noch einen Kompromiss beim Thema Mindestlohn zu erzielen. Ist das so, letzte Möglichkeit am kommenden Montag?
Heil: Ich hoffe, dass wir am Montag zum Ergebnis kommen, weil diskutiert ist an diesem Punkt ja lange genug. Wir wollen, dass Menschen, die hart für sich und ihre Familien arbeiten, von den Ergebnissen ihrer Arbeit auch leben können. Was wir nicht gebrauchen können ist, dass immer mehr Menschen zum Arbeitsamt müssen, obwohl sie Vollzeit arbeiten, 560.000 Menschen, und nach einem harten Tag dann immer noch ergänzendes Arbeitslosengeld II bekommen. Das ist eine Form von Subventioniererei, die wir nicht gebrauchen können.
Spengler: Lassen Sie mich noch einen Moment bei dem Montag bleiben. Kann man sich denn mit dem angeblich neoliberalen Partner überhaupt auf einen irgendwie gearteten Mindestlohn verständigen?
Heil: Ich glaube, dass wir an diesem Punkt eine Situation haben, dass quer durch die Bevölkerung das Thema Mindestlohn eine große Mehrheit hat, bei Wählerinnen und Wählern aller Parteien im Übrigen.
Spengler: Aber Sie sitzen ja nicht mit der Bevölkerung am Tisch; Sie sitzen ja mit der Union am Tisch.
Heil: Deshalb war es auch richtig, Druck zu machen in Richtung Union und das auch vor Augen zu führen und deutlich zu machen. Das ist kein Thema sozusagen von Parteien; das ist ein Bedürfnis aus der Bevölkerung und ist ein gesellschaftliches Problem. Es kommen ja inzwischen auch Arbeitgeber zu uns die sagen, wir wollen unsere Leute anständig bezahlen, aber wir halten diese Dumping-Konkurrenz in unserer Branche nicht aus, wir wollen keine Konkurrenz nach unten. Darum geht es!
Das andere ist die Diskussion um die langfristige programmatische Ausrichtung von Parteien und dass es da Unterschiede gibt, ist bekannt.
Spengler: Aber Sie glauben, es wird eine Einigung geben am Montag?
Heil: Ich hoffe es! Wir müssen Druck machen an diesem Punkt und ich gehe davon aus, dass CDU/CSU die Augen nicht zukneifen können vor dem gesellschaftlichen Skandal, dass immer mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können. Noch mal: Es gibt gute Gründe. Es gibt in über 20 europäischen Ländern Mindestlohn-Regelungen, die gut funktionieren. Wir brauchen auch in Deutschland Lösungen in diesem Bereich.
Wir haben vorgeschlagen, Vorrang für Tarifverträge, die Allgemeinverbindlichkeit durch dieses Entsendegesetz gekoppelt für alle Branchen zu erklären und etwas zu tun für die Branchen, in denen Tarifverträge nicht mehr so wirken, dass Menschen von Arbeit leben können, durch einen gesetzlichen Mindestlohn.
Spengler: Also wo Tarifverträge sozusagen so niedrig sind, was soll denn da passieren?
Heil: Noch mal: Wir wollen einen Vorrang tarifvertraglicher Lösungen. In den Branchen sollen die Tarifvertragsparteien Flächentarife aushandeln. Die können dann für die gesamte Branche durch den Bundesarbeitsminister für verbindlich erklärt werden. Das ist die Chance, die wir haben. Wir haben ja Mindestlöhne in Deutschland schon im Bauhandwerk durchgesetzt, auch für die Gebäudereiniger. Übrigens da kann man auch mal fragen, warum macht die Große Koalition das nur für Gebäudereiniger und nicht für andere auch.
Spengler: Welche Branchen wollen Sie denn noch da einbeziehen?
Heil: Noch mal: Wir sagen, man muss alle Branchen ins Entsendegesetz einbeziehen, den Tarifvertragsparteien in überschaubarer Zeit die Gelegenheit geben, Tarifverträge zu machen und diese Tarifverträge dann nach einem Jahr allgemein verbindlich erklären, so dass wir branchenspezifisch dort Lösungen haben.
Spengler: Herr Heil, habe ich Sie richtig verstanden: alle Branchen?
Heil: Alle Branchen! Ist doch ganz klar. Warum sollte man eigentlich einzelne rauspicken und in anderen soll das nicht der Fall sein.
Spengler: Vielleicht weil einzelne Branchen gar nicht so betroffen sind von Lohndumping?
Heil: Dann sage ich Ihnen ist es ja nicht schlimm, wenn man in diesen Bereichen auch Flächentarife für allgemein verbindlich erklärt. Die CDU hat uns übrigens angeboten, alle Branchen einzubeziehen, hat dann aber einen kleinen Pferdefuß gemacht. Das ist technisch ein bisschen schwierig, aber ich will es kurz erklären. Wir haben jetzt eine Situation beim Bauhandwerk und bei Gebäudereinigern, dass der Bundesarbeitsminister das für allgemein verbindlich per Rechtsverordnung erklärt. Das klingt technisch, aber ist wichtig. Die haben dann gesagt nein, da muss dann so ein Ausschuss gegründet werden. In dem kriegen die Arbeitgeber dann wiederum ein Vetorecht. Das wäre ein Placebo-Mindestlohn. Ich sage wir wollen voran kommen. Wir sind in der Lage auch zu vernünftigen Kompromissen, aber wir können nicht zulassen, dass sozusagen in der Sache sich materiell für die Menschen nichts bewegt, indem irgendwelche neuen Begriffe, alten Gesetze rausgekramt werden oder was auch immer, die zwar interessant klingen angesichts des Problems, aber das Problem nicht lösen.
Spengler: Aber das heißt, die Arbeitgeber sollen kein Vetorecht haben, wenn es um diesen Mindestlohn geht, auch um die Höhe des Mindestlohns?
Heil: Nein. Es gibt hier eine Verhandlungssituation für die branchenspezifischen Lösungen durch die Tarifverträge, indem Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander verhandeln, und die Tarifverträge werden dann für die gesamte Branche verbindlich erklärt. Das ist dieser Vorrang tarifvertraglicher Lösung. Darunter gibt es dann aber die Notwendigkeit für die Branchen, in denen Tarifverträge nicht mehr wirken und gelten, auch gesetzliche Mindestlöhne zu bestimmen. Das ist die Notwendigkeit. Das ist ein sehr kluges Konzept; es ist abgestimmt.
Spengler: Das wäre dann aber wirklich nur auch gegen das Veto von Arbeitgebern möglich, soll möglich sein Ihrer Ansicht nach?
Heil: In den Tarifvertragssituationen gibt es ja erst mal die Möglichkeit, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln. Das heißt die Einflüsse der beiden Tarifvertragsparteien sind gesichert. Aber wenn sie sich dann verhandelt haben und ein Ergebnis haben, dann kann für die gesamte Branche, auch für die Bereiche, in denen wie gesagt dieser Tarifvertrag bisher nicht gewirkt hat, das Ganze allgemein verbindlich erklärt werden durch Rechtsverordnung des Ministers. Klingt ein bisschen schwierig, aber noch mal auf einen Nenner gebracht: Wo immer es geht, Tarifvertragsparteien einigen sich, es wird für eine Branche klar gemacht, Vorrang für branchenspezifische und tarifvertragliche Lösungen, und darunter gibt es diesen Auffangmindestlohn für Branchen, in denen das alles nicht mehr so richtig wirkt mit der Tarifautonomie. Das ist die Idee. In der Sache selbst geht es um das Prinzip, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, von der Arbeit auch leben können.
Spengler: Das haben wir verstanden. Befürchten Sie aber, wenn wir jetzt flächendeckend dann doch Mindestlöhne haben sollten, nicht den massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen, einfach weil sich bestimmte kleine Handwerker die Löhne nicht mehr leisten können?
Heil: Nein. Ich halte das für eine Märchendebatte an diesem Punkt. Es geht ja nicht um riesig große Lohnsprünge, sondern gucken wir uns das mal genauer an. Im Moment haben wir Situationen, dass in einzelnen Branchen 2, 3 Euro Stundenlohn bezahlt werden. Das hat mit Produktivität nichts zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit Armutslöhnen. Ich sage es mal ein bisschen polemisch zugespitzt: Die Vorstellung, wenn einer Friseurin in bestimmten Branchen im Moment 3,18 Euro in Regionen die Stunde gezahlt wird und die ein paar Euro mehr bekommt, dass der Arbeitsplatz dann nach China verlegt wird, ist ein bisschen albern. Zu Deutsch: Es geht in vielen Bereichen auch um Dienstleistungsjobs, die hier gemacht werden müssen, die auf den Menschen bezogen sind.
Spengler: Der wird aber vielleicht nicht nach China verlegt, Herr Heil, sondern der fällt einfach weg. Das kann doch sein, dass es Pleiten gibt, dass einfach kleine Selbständige damit nicht klar kommen.
Heil: Es gab dieselbe Diskussion in anderen Ländern, in denen Mindestlöhne eingeführt wurden, auch in Großbritannien 1997, als Tony Blair Mindestlöhne eingeführt hat, und der Effekt ist nicht so. Es gibt überhaupt keine wissenschaftlichen oder praktischen Belege dafür, dass gut gemachte Lösungen zu Mindestlöhnen Arbeitsplätze gefährden. Das ist eigentlich auch nur ein Märchen.
Spengler: Kann man die SPD-Position auf die Haltung zurückführen, im Zweifel lieber keine Arbeitsplätze als schlecht bezahlte?
Heil: Nein, überhaupt nicht. Wir wollen, dass Menschen arbeiten. Da gibt es immer diesen schönen Satz: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wir fügen hinzu: Sozial ist, was Arbeit schafft und wovon Menschen leben können. Das ist überhaupt kein Widerspruch. Noch mal: Gucken Sie sich das in Großbritannien an. Die haben ja nicht weniger Jobs auch in diesem Bereich als wir, sondern sogar noch mehr und die haben Mindestlöhne. Da wurden keine Arbeitsplätze vernichtet. Es gibt in über 20 Ländern in Europa Mindestlöhne und wenn man das vernünftig macht - und wir haben ein vernünftiges Konzept -, dann führt das nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen, aber es hilft, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können.
Spengler: Ist das Thema für Sie so wichtig, dass Sie daran die Große Koalition platzen lassen würden?
Heil: Nein. Ich formuliere es mal so: Wir wollen das in dieser Großen Koalition durchsetzen. Deshalb haben wir Druck gemacht und jetzt ist eine Zeit, das Ganze auch zu entscheiden. Wir sehen jetzt erste Signale, dass die Union sich auf uns zu bewegt. Wir werden gespannt sehen, was sie an konkreten Vorschlägen macht. Wenn es Menschen hilft und wenn es dazu führt, dass Armutslöhne in diesem Land bekämpft werden können und Mindestlöhne eingeführt werden können, dann kommen wir auch zu Fortschritten. Das ist unser Ziel in dieser Großen Koalition.
Spengler: Müsste die SPD, wenn sie sich da durchsetzen würde, solche Erfolge dann als Regierungspartei nicht stärker betonen, um aus dem Umfragetief herauszukommen?
Heil: Wahlkampf ist 2009 und es geht jetzt erst mal nicht um Wahlkampf und die Frage, wer hat jetzt einen taktischen Vorteil bei diesem Thema. Es wird mir sowieso viel zu viel über Taktik spekuliert, auch manchmal sich sehr taktisch verhalten an diesem Punkt. Es geht hier um Substanz, nicht um Show.
Spengler: Aber zufrieden sind Sie mit dem Erscheinungsbild Ihrer Partei doch sicher nicht?
Heil: Ich bin zufrieden, wenn wir gut regieren, wenn wir für die Menschen was bewegen und wenn wir am Ende Wahlen gewinnen. Umfragen sage ich Ihnen, das haben wir alles schon erlebt. Also noch mal in der Reihenfolge: Wir stehen in der Regierungsverantwortung und wir wollen für Menschen in diesem Land konkret was bewegen und wir wollen nicht, dass die Große Koalition auf der Stelle tritt. Das scheint seit ein paar Wochen ein bisschen das Problem zu sein, dass wir tatsächlich uns da verhakt haben, bei diesem Thema auch, weil es ideologische Bremsen gibt. Wenn die Union jetzt beim Mindestlohn die Bremse löst, dann kann diese Große Koalition diese notwendige Arbeitsmarktreform namens Mindestlohn durchsetzen.
Spengler: Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD. Danke für das Gespräch, Herr Heil!
Heil: Ich danke Ihnen!
Wir wollen in den folgenden Minuten die Position der SPD etwas genauer beleuchten und dabei hilft uns der SPD-Generalsekretär. Einen schönen guten Morgen Hubertus Heil!
Hubertus Heil: Guten Morgen! Ich grüße Sie!
Spengler: Herr Heil, die CSU sagt, dass das Treffen des Koalitionsausschusses am kommenden Montag die letzte Möglichkeit sei, in der Großen Koalition noch einen Kompromiss beim Thema Mindestlohn zu erzielen. Ist das so, letzte Möglichkeit am kommenden Montag?
Heil: Ich hoffe, dass wir am Montag zum Ergebnis kommen, weil diskutiert ist an diesem Punkt ja lange genug. Wir wollen, dass Menschen, die hart für sich und ihre Familien arbeiten, von den Ergebnissen ihrer Arbeit auch leben können. Was wir nicht gebrauchen können ist, dass immer mehr Menschen zum Arbeitsamt müssen, obwohl sie Vollzeit arbeiten, 560.000 Menschen, und nach einem harten Tag dann immer noch ergänzendes Arbeitslosengeld II bekommen. Das ist eine Form von Subventioniererei, die wir nicht gebrauchen können.
Spengler: Lassen Sie mich noch einen Moment bei dem Montag bleiben. Kann man sich denn mit dem angeblich neoliberalen Partner überhaupt auf einen irgendwie gearteten Mindestlohn verständigen?
Heil: Ich glaube, dass wir an diesem Punkt eine Situation haben, dass quer durch die Bevölkerung das Thema Mindestlohn eine große Mehrheit hat, bei Wählerinnen und Wählern aller Parteien im Übrigen.
Spengler: Aber Sie sitzen ja nicht mit der Bevölkerung am Tisch; Sie sitzen ja mit der Union am Tisch.
Heil: Deshalb war es auch richtig, Druck zu machen in Richtung Union und das auch vor Augen zu führen und deutlich zu machen. Das ist kein Thema sozusagen von Parteien; das ist ein Bedürfnis aus der Bevölkerung und ist ein gesellschaftliches Problem. Es kommen ja inzwischen auch Arbeitgeber zu uns die sagen, wir wollen unsere Leute anständig bezahlen, aber wir halten diese Dumping-Konkurrenz in unserer Branche nicht aus, wir wollen keine Konkurrenz nach unten. Darum geht es!
Das andere ist die Diskussion um die langfristige programmatische Ausrichtung von Parteien und dass es da Unterschiede gibt, ist bekannt.
Spengler: Aber Sie glauben, es wird eine Einigung geben am Montag?
Heil: Ich hoffe es! Wir müssen Druck machen an diesem Punkt und ich gehe davon aus, dass CDU/CSU die Augen nicht zukneifen können vor dem gesellschaftlichen Skandal, dass immer mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht leben können. Noch mal: Es gibt gute Gründe. Es gibt in über 20 europäischen Ländern Mindestlohn-Regelungen, die gut funktionieren. Wir brauchen auch in Deutschland Lösungen in diesem Bereich.
Wir haben vorgeschlagen, Vorrang für Tarifverträge, die Allgemeinverbindlichkeit durch dieses Entsendegesetz gekoppelt für alle Branchen zu erklären und etwas zu tun für die Branchen, in denen Tarifverträge nicht mehr so wirken, dass Menschen von Arbeit leben können, durch einen gesetzlichen Mindestlohn.
Spengler: Also wo Tarifverträge sozusagen so niedrig sind, was soll denn da passieren?
Heil: Noch mal: Wir wollen einen Vorrang tarifvertraglicher Lösungen. In den Branchen sollen die Tarifvertragsparteien Flächentarife aushandeln. Die können dann für die gesamte Branche durch den Bundesarbeitsminister für verbindlich erklärt werden. Das ist die Chance, die wir haben. Wir haben ja Mindestlöhne in Deutschland schon im Bauhandwerk durchgesetzt, auch für die Gebäudereiniger. Übrigens da kann man auch mal fragen, warum macht die Große Koalition das nur für Gebäudereiniger und nicht für andere auch.
Spengler: Welche Branchen wollen Sie denn noch da einbeziehen?
Heil: Noch mal: Wir sagen, man muss alle Branchen ins Entsendegesetz einbeziehen, den Tarifvertragsparteien in überschaubarer Zeit die Gelegenheit geben, Tarifverträge zu machen und diese Tarifverträge dann nach einem Jahr allgemein verbindlich erklären, so dass wir branchenspezifisch dort Lösungen haben.
Spengler: Herr Heil, habe ich Sie richtig verstanden: alle Branchen?
Heil: Alle Branchen! Ist doch ganz klar. Warum sollte man eigentlich einzelne rauspicken und in anderen soll das nicht der Fall sein.
Spengler: Vielleicht weil einzelne Branchen gar nicht so betroffen sind von Lohndumping?
Heil: Dann sage ich Ihnen ist es ja nicht schlimm, wenn man in diesen Bereichen auch Flächentarife für allgemein verbindlich erklärt. Die CDU hat uns übrigens angeboten, alle Branchen einzubeziehen, hat dann aber einen kleinen Pferdefuß gemacht. Das ist technisch ein bisschen schwierig, aber ich will es kurz erklären. Wir haben jetzt eine Situation beim Bauhandwerk und bei Gebäudereinigern, dass der Bundesarbeitsminister das für allgemein verbindlich per Rechtsverordnung erklärt. Das klingt technisch, aber ist wichtig. Die haben dann gesagt nein, da muss dann so ein Ausschuss gegründet werden. In dem kriegen die Arbeitgeber dann wiederum ein Vetorecht. Das wäre ein Placebo-Mindestlohn. Ich sage wir wollen voran kommen. Wir sind in der Lage auch zu vernünftigen Kompromissen, aber wir können nicht zulassen, dass sozusagen in der Sache sich materiell für die Menschen nichts bewegt, indem irgendwelche neuen Begriffe, alten Gesetze rausgekramt werden oder was auch immer, die zwar interessant klingen angesichts des Problems, aber das Problem nicht lösen.
Spengler: Aber das heißt, die Arbeitgeber sollen kein Vetorecht haben, wenn es um diesen Mindestlohn geht, auch um die Höhe des Mindestlohns?
Heil: Nein. Es gibt hier eine Verhandlungssituation für die branchenspezifischen Lösungen durch die Tarifverträge, indem Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinander verhandeln, und die Tarifverträge werden dann für die gesamte Branche verbindlich erklärt. Das ist dieser Vorrang tarifvertraglicher Lösung. Darunter gibt es dann aber die Notwendigkeit für die Branchen, in denen Tarifverträge nicht mehr wirken und gelten, auch gesetzliche Mindestlöhne zu bestimmen. Das ist die Notwendigkeit. Das ist ein sehr kluges Konzept; es ist abgestimmt.
Spengler: Das wäre dann aber wirklich nur auch gegen das Veto von Arbeitgebern möglich, soll möglich sein Ihrer Ansicht nach?
Heil: In den Tarifvertragssituationen gibt es ja erst mal die Möglichkeit, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln. Das heißt die Einflüsse der beiden Tarifvertragsparteien sind gesichert. Aber wenn sie sich dann verhandelt haben und ein Ergebnis haben, dann kann für die gesamte Branche, auch für die Bereiche, in denen wie gesagt dieser Tarifvertrag bisher nicht gewirkt hat, das Ganze allgemein verbindlich erklärt werden durch Rechtsverordnung des Ministers. Klingt ein bisschen schwierig, aber noch mal auf einen Nenner gebracht: Wo immer es geht, Tarifvertragsparteien einigen sich, es wird für eine Branche klar gemacht, Vorrang für branchenspezifische und tarifvertragliche Lösungen, und darunter gibt es diesen Auffangmindestlohn für Branchen, in denen das alles nicht mehr so richtig wirkt mit der Tarifautonomie. Das ist die Idee. In der Sache selbst geht es um das Prinzip, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, von der Arbeit auch leben können.
Spengler: Das haben wir verstanden. Befürchten Sie aber, wenn wir jetzt flächendeckend dann doch Mindestlöhne haben sollten, nicht den massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen, einfach weil sich bestimmte kleine Handwerker die Löhne nicht mehr leisten können?
Heil: Nein. Ich halte das für eine Märchendebatte an diesem Punkt. Es geht ja nicht um riesig große Lohnsprünge, sondern gucken wir uns das mal genauer an. Im Moment haben wir Situationen, dass in einzelnen Branchen 2, 3 Euro Stundenlohn bezahlt werden. Das hat mit Produktivität nichts zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit Armutslöhnen. Ich sage es mal ein bisschen polemisch zugespitzt: Die Vorstellung, wenn einer Friseurin in bestimmten Branchen im Moment 3,18 Euro in Regionen die Stunde gezahlt wird und die ein paar Euro mehr bekommt, dass der Arbeitsplatz dann nach China verlegt wird, ist ein bisschen albern. Zu Deutsch: Es geht in vielen Bereichen auch um Dienstleistungsjobs, die hier gemacht werden müssen, die auf den Menschen bezogen sind.
Spengler: Der wird aber vielleicht nicht nach China verlegt, Herr Heil, sondern der fällt einfach weg. Das kann doch sein, dass es Pleiten gibt, dass einfach kleine Selbständige damit nicht klar kommen.
Heil: Es gab dieselbe Diskussion in anderen Ländern, in denen Mindestlöhne eingeführt wurden, auch in Großbritannien 1997, als Tony Blair Mindestlöhne eingeführt hat, und der Effekt ist nicht so. Es gibt überhaupt keine wissenschaftlichen oder praktischen Belege dafür, dass gut gemachte Lösungen zu Mindestlöhnen Arbeitsplätze gefährden. Das ist eigentlich auch nur ein Märchen.
Spengler: Kann man die SPD-Position auf die Haltung zurückführen, im Zweifel lieber keine Arbeitsplätze als schlecht bezahlte?
Heil: Nein, überhaupt nicht. Wir wollen, dass Menschen arbeiten. Da gibt es immer diesen schönen Satz: Sozial ist, was Arbeit schafft. Wir fügen hinzu: Sozial ist, was Arbeit schafft und wovon Menschen leben können. Das ist überhaupt kein Widerspruch. Noch mal: Gucken Sie sich das in Großbritannien an. Die haben ja nicht weniger Jobs auch in diesem Bereich als wir, sondern sogar noch mehr und die haben Mindestlöhne. Da wurden keine Arbeitsplätze vernichtet. Es gibt in über 20 Ländern in Europa Mindestlöhne und wenn man das vernünftig macht - und wir haben ein vernünftiges Konzept -, dann führt das nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen, aber es hilft, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können.
Spengler: Ist das Thema für Sie so wichtig, dass Sie daran die Große Koalition platzen lassen würden?
Heil: Nein. Ich formuliere es mal so: Wir wollen das in dieser Großen Koalition durchsetzen. Deshalb haben wir Druck gemacht und jetzt ist eine Zeit, das Ganze auch zu entscheiden. Wir sehen jetzt erste Signale, dass die Union sich auf uns zu bewegt. Wir werden gespannt sehen, was sie an konkreten Vorschlägen macht. Wenn es Menschen hilft und wenn es dazu führt, dass Armutslöhne in diesem Land bekämpft werden können und Mindestlöhne eingeführt werden können, dann kommen wir auch zu Fortschritten. Das ist unser Ziel in dieser Großen Koalition.
Spengler: Müsste die SPD, wenn sie sich da durchsetzen würde, solche Erfolge dann als Regierungspartei nicht stärker betonen, um aus dem Umfragetief herauszukommen?
Heil: Wahlkampf ist 2009 und es geht jetzt erst mal nicht um Wahlkampf und die Frage, wer hat jetzt einen taktischen Vorteil bei diesem Thema. Es wird mir sowieso viel zu viel über Taktik spekuliert, auch manchmal sich sehr taktisch verhalten an diesem Punkt. Es geht hier um Substanz, nicht um Show.
Spengler: Aber zufrieden sind Sie mit dem Erscheinungsbild Ihrer Partei doch sicher nicht?
Heil: Ich bin zufrieden, wenn wir gut regieren, wenn wir für die Menschen was bewegen und wenn wir am Ende Wahlen gewinnen. Umfragen sage ich Ihnen, das haben wir alles schon erlebt. Also noch mal in der Reihenfolge: Wir stehen in der Regierungsverantwortung und wir wollen für Menschen in diesem Land konkret was bewegen und wir wollen nicht, dass die Große Koalition auf der Stelle tritt. Das scheint seit ein paar Wochen ein bisschen das Problem zu sein, dass wir tatsächlich uns da verhakt haben, bei diesem Thema auch, weil es ideologische Bremsen gibt. Wenn die Union jetzt beim Mindestlohn die Bremse löst, dann kann diese Große Koalition diese notwendige Arbeitsmarktreform namens Mindestlohn durchsetzen.
Spengler: Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD. Danke für das Gespräch, Herr Heil!
Heil: Ich danke Ihnen!