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Salih Jamal: „Blinder Spiegel“
Heiliger Schmerz

Salih Jamal erzählt in seinem Roman „Blinder Spiegel“ von einer obsessiven Liebe zwischen zwei verzweifelten Menschen. Doch die in Paris spielende Geschichte besitzt leider nur leeres Pathos.

Von Christoph Schröder |
Salih Jamal: „Blinder Spiegel“
Die Verzweiflung der Figuren bleibt in Salih Jamals Roman "Blinder Spiegel" nur Behauptung. (Foto: privat, Buchcover: Septime Verlag)
Es beginnt mit einem Unglück: In einer Pariser Metro-Station stürzt ein Kind vor die Gleise und wird überfahren. In der anschließenden Konfusion begegnen sich zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, in der Bar gegenüber dem Eingang zur Station. Sie fragt ihn – wonach sonst? – nach einer Zigarette; er bietet ihr – was auch sonst? – eine seiner Gitanes an. Mit dem ersten Blick ist zwischen Elle und Lui, so heißen die beiden, etwas geschehen. Sie haben sich erkannt in ihrem Begehren, in ihrem Schmerz, in ihrer Bedürftigkeit, und als Lui, der Ich-Erzähler des rund 100 Seiten dünnen Romans, Elle wieder aus den Augen verliert, schlägt er umgehend jene Tonlage an, von der das gesamte Buch beherrscht wird:
„Mein Blick band sich an sie, an ihren Gang. Bis ich sie hinter der weinroten Tür mit den Scheiben aus milchigem Glas wieder verlor, und ich fühlte einen ersten heiligen Schmerz, der Preis jedes Glücks?“

Amour fou in Paris

Eine Amour fou in Paris. Auf rätselhafte Weise, als seien ihre Wege vorbestimmt, werden Elle und Lui sich wiederfinden und eine Affäre eingehen. Salih Jamal erzählt die Geschichte einer Obsession. Dabei weicht er keinem Klischee aus und lässt seinen Erzähler im hohen Ton des Einsamkeitspathos raunen. Dass Lui während der Niederschrift seiner Erinnerungen im Gefängnis sitzt und dass seine Beziehung zu Elle damit zu tun hat, wird schnell klar. Um diese nicht sonderlich originelle Konstellation herum baut Jamal das ganz große Drama. Er inszeniert seinen Protagonisten als abgestumpften einsamen Wolf, der ein einziges Mal aus dem Dämmerzustand seiner Empfindungslosigkeit in einen Wirbel aus Lust und Pein hineingezogen wurde. Allein – um diesen Gefühlshaushalt zu beschreiben, verfügt der Erzähler ausschließlich über einen Sprachvorrat an pseudopoetischen, pseudoreflexiven Floskeln, die zu bedeutungsschwanger klingenden, tatsächlich aber unanschaulichen Abstraktionen gerinnen:
„Aber haben wir eine Wahl, wenn wir uns nicht ergeben wollen? Auch wenn wir nach Seifenblasen greifen, im Zwang Windmühlen nachjagen, uns im Kreis drehen oder auf ewig das Kap der guten Hoffnung umsegeln müssen.“

Literarisches Fertigteillager

So rauscht es durch den gesamten Roman. Um die psychologischen Hintergründe dieser zwischen Verzweiflung und Unterwerfung pendelnden Affäre etwas plausibler zu machen, reißt Salih Jamal die Biografien seiner beiden Figuren an: Lui, ein zwischen den europäischen Großstädten pendelnder, unbehauster Fluglotse, ist der im Heim aufgewachsene Sohn eines arabischen Terroristen; Elle, die mit einem erfolgreichen, aber kalten Politiker verheiratete Tochter einer narzisstischen und nicht minder kalten Mutter.
Sado-Maso-Sex, Pathos, Paris – diese Zusammenstellung aus dem literarischen Fertigteillager ist eine gefährliche Mischung. Will ein Autor diesen Topos noch einmal mit einem Hauch von Originalität beleben, braucht er dafür eine sprachliche Legitimation. Die abgrundtiefe Verzweiflung seiner Figuren bleibt in „Blinder Spiegel“ allerdings bloße Behauptung. Man kann den schmalen Roman an beliebiger Stelle aufschlagen, und stößt auf Passagen wie diese:
„Niemand kann übers Wasser gehen, fester Boden unter den Füßen bietet uns Sicherheit, die wir alle so sehr brauchen.“
Oder auch diese:
„Liebe ist der Speedball unter den Emotionen.“

Der gestelzte Tonfall bringt oftmals auch Bilder hervor, die schlicht und einfach falsche Bezüge herstellen:
„Es fühlte sich an, als wären wir zwei nasse Stücke aus Holz, denen kein Feuer gelang.“
Natürlich muss nicht dem Holz selbst ein Feuer gelingen, sondern demjenigen, der es anzünden will. Das wäre in diesem Fall der Autor. Salih Jamal hat seinem Roman eine Triggerwarnung vorangestellt, in der er vor der Beschreibung psychischer Gewalt warnt. Der Rezensent stellt, so hart das auch klingen mag, dieser Warnung eine weitere zur Seite: „Blinder Spiegel“ ist ein missglückter Roman, der dazu angetan ist, schlechte Laune hervorzurufen.
Salih Jamal: „Blinder Spiegel“
Septime Verlag, Wien, 114 Seiten, 20 Euro