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Heiligsprechung von Mutter Teresa
"Heilige beziehen politisch Position"

Mutter Teresa sei schon lange vor der Heiligsprechung "der Inbegriff von Heiligkeit" gewesen, sagte der Theologe Ralf Miggelbrink im DLF. Sie sei "in einem starken Zeugnisverbund mit Johannes Paul II." aufgetreten und habe sich seine Ziele zu eigen gemacht. Ihr Ansehen habe sie in den Dienst seiner Ziele gestellt.

Ralf Miggelbrink im Gespräch mit Kathrin Hondl |
    Mutter Teresa ist am 20.5.1997 im Vatikan mit Papst Johannes Paul II. zusammengetroffen. Dabei stellte die 86jährige Ordensschwester die Nonne Nirmala vor. Die 63jährige ist die neue Leiterin des von Mutter Teresa in Kalkutta gegründeten Ordens "Missionarinnen der Nächstenliebe".
    Mutter Teresa am 20.5.1997 bei einem Treffen mit Papst Johannes Paul II. im Vatikan (picture alliance / dpa / epa Amsa)
    Kathrin Hondl: Papst Franziskus vollzieht heute die Heiligsprechung von Mutter Teresa. Die Ankündigung hat manche wahrscheinlich überrascht: Denn man konnte ja meinen, Mutter Teresa sei längst zur Heiligen erklärt worden. Schließlich ist sie ja auch schon vor bald 40 Jahren mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden. Und – auch wenn ihr Wirken immer wieder auch kritisiert wurde - eine Art Ikone christlicher Nächstenliebe ist die Ordensschwester aus Kalkutta schon lange. Doch eine Heiligsprechung – eine "Erhebung zu den Altären" wie es in der Sprache der katholischen Kirche auch heißt – ist ein langwieriger Prozess, der genau festgelegten, strikten Regeln folgt. Welche Kriterien da wichtig sind und welche Rolle die Heiligenverehrung überhaupt heute spielt, darüber habe ich mit Ralf Miggelbrink gesprochen. Er ist Professor für Systematische Theologie an der Uni Duisburg-Essen. Herr Professor Miggelbrink, für Protestanten, Agnostiker oder Atheisten ist das ja alles ein bisschen schwierig und fragwürdig . Was heißt das überhaupt, "heilig" zu sein, heiliggesprochen zu werden?
    Ralf Miggelbrink: Frau Hondl, Sie erlauben, dass ich Ihnen gleich widerspreche. Ich stelle fest, dass es für Protestanten im allgemeinen kirchlichen Leben und nicht in der spezialisierten Theologie immer leichter wird, auch von Heiligen und Heiligenverehrung zu sprechen. Da ist sicher ein Wandel. Auch wenn man denkt, dass Dietrich Bonhoeffer etwa für evangelische Christen sicher in der Nachkriegszeit die Stellung eines Heiligen eingenommen hat und immer noch einnimmt, dann ist schon deutlich, dass die klassische protestantische Zurückweisung des Gedankens, dass Heiligkeit im Leben eines Menschen realisiert sein könnte, im Wanken begriffen ist.
    Hondl: Heiligkeit, heilig sein hat, um es jetzt mal journalistisch schlampig auszudrücken, Konjunktur. Und diese große Bedeutung der Heiligen in der Katholischen Kirche jetzt zeigt sich ja auch daran, dass es in den letzten 40 Jahren deutlich mehr Heiligsprechungen gab als früher. Besonders - das ist schon oft betont worden - während des Pontifikats von Johannes Paul II. ab 1978, da wurden fast 500 Menschen zu Heiligen erklärt. Vor diesem Papst gab es im ganzen 20. Jahrhundert nur 28 Heiligsprechungen. Wie erklären Sie sich diese ja wirklich erstaunliche Renaissance der Heiligen?
    Miggelbrink: Ich würde sie wieder widersprüchlich erklären wollen.
    Hondl: Das ist schön, wenn Sie widersprechen.
    Miggelbrink: Ich vermute, ich ahne, dass die Inflation der Heiligsprechung eher ein Ausdruck möglicherweise sich mindernder Bedeutung der Heiligenverehrung in der Kirche ist.
    "Vieles an ihrem Lebensprogramm ist durchaus auch fragwürdig"
    Hondl: Man wollte an die Heiligen erinnern, indem man neue Heilige ernannt hat?
    Miggelbrink: Ja.
    Hondl: Und wie ist das jetzt bei unserer aktuellen neuen Heiligen, bei Mutter Teresa, die heute in Rom heiliggesprochen wird und die ja schon lange von vielen Menschen sowieso schon als Heilige verehrt wird, aber auch sehr angegriffen und kritisiert, geradezu dämonisiert wird manchmal? Den einen gilt sie als der Engel der Armen für ihre aufopferungsvolle Arbeit in den Slums von Kalkutta. Andere, vor allem der Religionskritiker Christopher Hitchens bezeichnen sie sogar als "Engel der Hölle" oder "Todesengel". Wie nah, Herr Miggelbrink, sind sich eigentlich das Heilige und das Dämonische?
    Miggelbrink: Ich glaube, das Heilige und das Dämonische sind sich überhaupt nicht nah. Und der Versuch, Mutter Teresa zu dämonisieren, das ist eine übersteigerte Gestalt der Dekonstruktion dieses Heiligkeitsmythos, der sich um sie rankt. Mutter Teresa war der Inbegriff von Heiligkeit, und dann dekonstruiert man das und merkt, vieles an dem, was sie gemacht hat, und vieles an ihrem Lebensprogramm ist durchaus auch fragwürdig.
    Hondl: Sie hat oft an ihrem Glauben gezweifelt, oder?
    Miggelbrink: Das ist auf eine wirklich paradigmatische Weise fast von allen uns bekannten katholischen Heiligen bekannt. Der Zweifel am eigenen Glauben, der Irrtum in Alltagsentscheidungen, auch in strategischen und pragmatischen Entscheidungen schließen die Heiligkeit nicht aus, sondern sind in der Heiligkeit umgekehrt inkludiert.
    Hondl: Sind Heilige womöglich auch einfach nur Menschen?
    Miggelbrink: Ja.
    Hondl: Eine Bedingung für eine Heiligsprechung ist ja, dass es ein Wunder gab, etwas Unerklärliches also, das aber dann in dem ja ziemlich aufwendigen Verfahren vor der Heiligsprechung bewiesen werden muss. Und da wird es ja für nicht so ganz glaubensfeste Menschen wirklich heikel. Wie werden Wunder heute eigentlich theologisch definiert?
    "Reliquienkult orgsanisiert kirchlich die Gemeinschaft der Lebenden und Verstorbenen"
    Miggelbrink: Das ist ziemlich schwierig, weil die traditionelle alte Definition, dass eine Durchbrechung eines Naturgesetzes da sein muss, eigentlich nicht mehr besonders tragfest ist. Ich glaube, es ist wichtig, wenn man die katholische Heiligen-Verehrung verstehen will zu begreifen, dass sie auf zwei Säulen ruht. Das eine ist die Pflege der Gemeinschaft mit den Menschen, die sich auf Gott hin orientieren und deren Leben aus dieser Prägung auf Gott hin eine besondere Orientierung und eine besondere Intention bekommen hat.
    Hondl: Also eine Vorbildfunktion der Heiligen?
    Miggelbrink: Nicht nur das. Zunächst, bevor die Vorbildfunktion kommt, ins Spiel kommt, würde ich davon sprechen, das ist eine sehr vitale, sehr lebendige Form der Gemeinschaft der Lebenden und der Verstorbenen, die für jede humane Gesellschaft, glaube ich, absolut konstitutiv ist. Und die Heiligenverehrung hat hier eine ganz wichtige korrektive Funktion gegenüber einer Gesellschaft, die mit ihren Toten immer weniger anfangen kann, weil die Toten unserer Machbarkeit entzogen sind.
    Hondl: Zur Heiligenverehrung gehören ja traditionell seit jeher auch Reliquien, Knochen zum Beispiel der Heiligen. Und auch heute noch, habe ich irgendwo gelesen, finden ja während der Heiligsprechungsprozesse immer noch oft Exhumierungen statt, um solche Reliquien zu sichern. Ist das denn noch zeitgemäß? Oder welche Rolle spielt heute für die Heiligenverehrung dieser Reliquienkult?
    Miggelbrink: Ich glaube, er spielt eine relativ geringe Rolle, dennoch eine wichtige. Ich denke, dass wir alle Erfahrungen mit Reliquien haben, das heißt mit Dingen, die wir hegen als Erinnerung an Verstorbene, die wir in Ehren halten und die uns wertvoll sind. Und das ist eigentlich das, was beim Reliquienkult kirchlich in Bezug auf die Gemeinschaft der Lebenden und Verstorbenen und die Gemeinschaft der Heiligen organisiert wird, also im Grunde eine Erinnerungskammer an einen verehrten Menschen.
    Hondl: Dieser Prozess, der so einer Heiligsprechung vorausgeht, ist ein langjähriges, ein aufwendiges Verfahren. Da sind unheimlich viele Menschen im und außerhalb des Vatikan mit beschäftigt. Und es ist ein Verfahren, das auch viel Geld kostet. Im Schnitt sind das um die 40.000 Euro, habe ich gelesen. Heißt das denn auch, dass es Kandidaten aus ärmeren Regionen der Welt schwerer haben, als Heilige anerkannt zu werden? Welche Rolle spielt das Geld beim Heiligsprechungsprozess?
    "Heilige engagieren sich für gesellschaftliche Zielsetzungen"
    Miggelbrink: Nun sind 40.000 selbst für ärmere Regionen ja nicht so viel, und wahrscheinlich handelt es sich um einen Durchschnittswert, und damit liegt man weit unter den Kosten eines Scheidungsverfahrens. Traditionell hat man immer den Verdacht, dass es bei der Kurie ums Geld ginge, aber das kann, glaube ich, mit den Zahlen schwer plausibel gemacht werden. Es ist auch nicht nachvollziehbar, gerade unter Johannes Paul II. nicht nachvollziehbar, dass Menschen aus ärmeren Weltregionen seltener heiliggesprochen würden. Im Gegenteil! Da hat seit dem Pontifikat Johannes Pauls II. sicher ein Wechsel hin zu einer Würdigung der Dritten Welt oder der ehemals sogenannten Dritten Welt stattgefunden.
    Hondl: Inwiefern ist eine Heiligsprechung eigentlich auch ein politisches Statement der Katholischen Kirche, des Vatikans? Ich denke jetzt zum Beispiel an die umstrittene Seligsprechung von sogenannten Märtyrern des spanischen Bürgerkriegs durch Papst Benedikt XVI. 2007 war das, glaube ich.
    Miggelbrink: Ja, ich weiß. - Es hat unter Johannes Paul II. und unter Benedikt XVI. Heilig- und Seligsprechungen gegeben, die diesen Verdacht haben aufsteigen lassen. Und man kann sich dann fragen, wirklich auch fragen, ob das kluge Heiligsprechungen waren.
    Hondl: Spielt bei unserer neuen Heiligen Mutter Teresa Politik eine Rolle?
    Miggelbrink: Mutter Teresa ist natürlich in einem starken Zeugnisverbund mit Johannes Paul II. aufgetreten und hat sich seine Ziele stark zu eigen gemacht und ihr Ansehen in den Dienst seiner Ziele gestellt. Das beinhaltet eine gewisse Kirchenpolitisierung und auch Politisierung der Gestalt Mutter Teresas, die aber von ihr selbst so vorangetrieben worden ist und in der ich jetzt auch nichts Illegitimes erkennen kann. Heilige beziehen politisch Position, stehen in ihrer Zeit, engagieren sich für gesellschaftliche Zielsetzungen. Die Tatsache, dass die Heiligen heiliggesprochen werden, sind im katholischen Verständnis ein Indiz dafür, dass ihre Urteile und Einschätzungen die richtigen waren, aber mitnichten eine Garantie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.