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Heilversuch mit ungewissem Ausgang

Medizin.- Ist der EHEC-Erreger einmal im menschlichen Körper, kann er dort das "hämolytisch-urämische Syndrom" (HUS) auslösen. Nierenversagen ist die Folge. Gegen HUS half bislang nur ein Plasma-Austausch. Verschiedene Kliniken verwenden nun aber erstmals ein neues Präparat gegen EHEC.

Von Michael Engel | 31.05.2011
    Vergangene Woche Mittwoch startete die Medizinische Hochschule Hannover – MHH mit dem neuartigen Präparat. Ein Heilversuch. Und erfolgreich, sagt Prof. Hermann Haller, Direktor der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen. Von 18 Patienten haben 16 profitiert.

    "Erfolgreicher Einsatz. Das ist ein Therapieprinzip, was bei dieser Erkrankung bei Erwachsenen greift."

    Schon seit knapp drei Jahren wird das Antikörper-Präparat eingesetzt – vorerst aber nur gegen aHUS – gegen das "atypische Hämolytisch-urämische Syndrom". Hier sind es angeborene, genetische Ursachen, die zu einer Veränderung der Gefäßwandzellen führen, so dass diese dann vom eigenen Immunsystem angegriffen werden. EHEC arbeitet ähnlich. Seine Toxine dringen in die Gefäßwandzellen ein, aktivieren Gene, die Zelle gerät aus dem Lot, und das wiederum ruft das Immunsystem auf den Plan: Blutgefäße entzünden sich. Diese Ähnlichkeit beim Entzündungsgeschehen brachte Wissenschaftler aus Kanada, Frankreich und Deutschland auf die Idee, das Präparat auch bei der EHEC-vermittelten HUS einzusetzen. Die Veröffentlichung ist wenige Tage alt. Nun also direkt im Anschluss der Großversuch in Deutschland. Dr. Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover:

    "Dieses Medikament ist kein Antibiotikum. Es hat nichts mit dem EHEC-Bakterien selbst zu tun. Es hat auch nichts mit den Toxinen, den Shiga-Toxinen zu tun. Sondern es setzt später an. Es versucht, die unglückselige Kette von Ereignissen im Bereich der Entzündung, die das Shiga-Toxin angestoßen hat, aufzuhalten."

    Normalerweise werden Antikörper vom Immunsystem hergestellt, um eingedrungene Erreger unschädlich zu machen. "Eculizumab" – der Wirkstoff - ist auch ein Antikörper, arbeitet aber anders. Hier haben die Entwickler "zweimal um die Ecke gedacht", erklärt Jan Kielstein. Das Präparat blockiert nämlich das körpereigene Immunsystem, damit es keine Antikörper mehr bildet und die Gefäßwandzellen in Ruhe lässt. Weil das Immunsystem geschwächt ist, drohen allerdings Infektionen wie Hirnhautentzündung. Deswegen werden die Patienten gegen Meningokokken geimpft, zusätzlich gibt es Antibiotika.

    "Wir sind uns sicher und einig, dass eine einmalige Gabe des Antikörpers nicht ausreicht. Aber die Entscheidung darüber, wie lange therapiert werden soll, ist eine sehr schwierige, die gegenwärtig mit den Fachkollegen diskutiert wird. Das heißt, wir haben angefangen zu therapieren, aber wissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht hundertprozentig, wie lang die Therapie durchgeführt werden soll."

    Das Präparat eliminiert weder die Bakterien noch das Shiga-Toxin. Insofern handelt es sich nicht um eine ursächliche Therapie. Allein der Plasma-Austausch, der während der 6000-Euro kostenden Infusion weiterläuft, spült das Gift aus dem Körper. Professor Lars Pape, leitender Oberarzt der Klinik für Pädiatrische Nierenerkrankungen, hat zwei Kinder mit dem Antikörperpräparat behandelt.

    "Auf jeden Fall hat sich bei dem herzerkrankten Kind die Herzfunktion verbessert, es ist aber immer noch schlecht, und die Patientin, die einen schweren Krampfanfall erlitten hatte und auch beatmet werden musste, ist inzwischen erfreulicher Weise wieder aufgewacht und sogar ansprechbar."

    Auch in Hamburg und Kiel erhalten Patienten eine Antikörper-Therapie. Professor Rolf Stahl vom UKE begann damit am Freitag. Sein Urteil:

    "Erst in einigen Wochen werden wir wissen, wie erfolgreich diese Therapie sein wird."

    Tatsächlich kann gegenwärtig niemand den Nutzen der Antikörper-Therapie abschätzen, weil die Erfahrungen mit dem Präparat erst wenige Tage alt sind. Und weil von kontrollierten Bedingungen – wie in einer Studie normalerweise üblich – überhaupt keine Rede sein kann. Am Ende weiß man nicht einmal, inwieweit eine Besserung mehr dem Antikörper-Präparat oder mehr der Plasmapherese zuzuordnen ist.