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Heimkinder im Nachkriegsdeutschland
Die Psychiatrie-Opfer warten noch immer

Zunächst wurden sie für "schwachsinnig" erklärt und dann von ihren Eltern getrennt: Nach dem Zweiten Weltkrieg landeten Tausende Kinder in speziellen Einrichtungen für psychisch Kranke. Aber anders als viele andere Opfer von Heimerziehung, die inzwischen Gelder aus Fonds erhalten, wurden sie bis heute nicht für ihr Leid entschädigt.

Von Otto Langels |
    Das Bild zeigt mehrere lädierte Puppenköpfe.
    Bei den meisten Kindern führte der Heimaufenthalt zu erheblichen Traumatisierungen. (picture alliance/dpa/Oliver Berg)
    "Anstatt Förderung und Erziehung bekam ich schwerste körperliche Misshandlungen, blutig geschlagen, mit Knüppeln geschlagen, Zähne wurden mir rausgeschlagen. Man hatte mich auch mehrfach in eine Zwangsjacke gesteckt oder die Hände und Füße am Bett gefesselt über Tage."
    Klaus M. war insgesamt elf Jahre in den Rotenburger Anstalten der Inneren Mission, einer geschlossenen Einrichtung für geistig behinderte Menschen. Bereits kurz nach der Geburt war der Berliner in Heimpflege gekommen.
    "Wegen familiärer Probleme, meine Eltern waren ja nicht verheiratet, ich war ein uneheliches Kind, hielt man es für nötig, mich in einem Heim unterzubringen."
    Im Alter von vier Jahren wurde er dann in die Anstalt östlich von Bremen eingeliefert, weil Ärzte ihn für schwachsinnig erklärt hatten. Klaus M. leidet bis heute unter den Folgen der Heimerziehung. Der 56-Jährige möchte nicht mit seinem vollen Namen genannt werden, weil er sich stigmatisiert fühlt. Wie Klaus M. erging es in den 1950er- und 60er-Jahren vielen Kindern und Jugendlichen. Obwohl sie keineswegs geistig behindert gewesen seien, habe man ihnen den Stempel "schwachsinnig" aufgedrückt und sie in geschlossene Anstalten gesteckt, berichtet Peter Schruth, Professor für Sozialarbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
    "Man kam in eine Einrichtung der Fürsorge-Erziehung über die Jugendhilfe etwa, und man fiel dort auf. Man war entweder renitent oder man wurde für erziehungsunfähig gehalten oder arbeitsscheu – das waren ja die negativen Etikettierungen der damaligen Zeit -, also verwahrloste Kinder und Jugendliche, wie man gesagt hat. Und wenn das alles so ein bisschen zusammen kam, dann hat man sie weiter geschoben entweder in Behinderteneinrichtungen oder in die Psychiatrien."
    Peter Schruth saß von 2009 bis 2011 als Experte am Runden Tisch Heimerziehung. Seitdem ist er Ombudsmann für die ehemaligen Heimkinder in Deutschland und setzt sich für deren Interessen ein.
    "Sie haben Familien gegründet, sie standen im Beruf, sie sind heute aktive Menschen, sie sind in keiner Weise geistig behindert gewesen in ihrem Leben, mussten aber mit diesem Etikett leben, dass sie dann für nicht bildungsfähig, für nicht schulfähig, für arbeitsscheu gehalten wurden, und das beklagen sie sehr."
    Viele Kinder wurden allein deshalb als "schwachsinnig" eingestuft, weil wirtschaftliche Erwägungen der Heimbetreiber im Hintergrund standen. Die meisten Einrichtungen für körperlich und geistig behinderte Menschen waren infolge des Euthanasie-Mordprogramms der Nazis nach dem Krieg unterbelegt. Die Träger waren daher daran interessiert, die Häuser wieder zu füllen.
    Der Neurowissenschaftler Burkhard Wiebel forscht an der Ruhr-Universität Bochum zu Heimkindern in der Psychiatrie.
    "Deswegen wurden reihenweise, zu Tausenden, gefälschte Intelligenzquotienten produziert. Diese Menschen, die hatten einen IQ des Schwachsinns damals, zum Teil hochintelligente Menschen. Man hat also diesen Schwachsinns-IQ vergeben, damit die, die Schwierigkeiten hatten in ihrer Umwelt, wo zum Beispiel die Mütter alleinerziehend waren, wo die Kinder ihnen weggenommen werden mussten, die wurden nicht in normale Heime gesteckt, sondern eben in solche Heime für Behinderte oder psychisch Kranke."
    Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat vor Kurzem zugesagt, damalige Befunde zu überprüfen, sofern die Krankenakten noch vorhanden sind, und offensichtliche Fehldiagnosen zu korrigieren.
    Zustände in vielen Heimen in den 1950er- und 60er-Jahren
    Erst vor rund einem Jahrzehnt wurde die Öffentlichkeit auf die skandalösen Zustände in vielen Heimen in den 1950er- und 60er-Jahren aufmerksam. 2009 konstituierte sich auf Empfehlung des Deutschen Bundestags der "Runde Tisch Heimerziehung". Vor den Vertretern von Politik, Kirchen und öffentlichen Trägern erzählten die Opfer Details ihrer jeweiligen Leidensgeschichte.
    "Also die ganze Palette an schlimmsten Misshandlungen bis hin zum Missbrauch sind passiert. Und das hat bei den meisten zu erheblichen Traumatisierungen geführt. Die Berichte sind schrecklich, kann ich nur sagen, und sie zeigen, dass da eine Gewalt vorgeherrscht hat, die bislang nicht wahrgenommen wurde, die nicht aufgearbeitet ist und wo man noch mal genauer nachforschen muss."
    Anfang 2011 legte der "Runde Tisch" unter dem Vorsitz der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer einen Abschlussbericht vor. Darin empfahl er einen Fonds "Heimerziehung West" mit Entschädigungszahlungen von maximal 15.000 Euro für Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik aus der Zeit von 1949 bis '75 sowie einen Fonds "Heimerziehung in der DDR" für Betroffene aus Ostdeutschland bis zum Jahr 1989.
    Doch die Fonds waren nicht für alle ehemaligen Heimkinder vorgesehen. Die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer, Sprecherin der Grünen für Behindertenpolitik:
    "Das ist ja auch eine gewisse Form von Diskriminierung, mit der wir es hier zu tun haben. Man hat Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der Psychiatrie, und das waren ja zum Teil gar keine Leute, die entsprechende Indikationen hatten, sondern die da nur hin verweisen worden sind, diese Gruppe hat man außer Acht gelassen, und das ist natürlich noch mal eine besondere Härte."
    Zwar betonte der "Runde Tisch", dass auch für die Gruppe der Behinderten- und Psychiatrie-Geschädigten eine Lösung gefunden werden müsse, er machte aber keine konkreten Vorschläge. Peter Schruth nahm damals an den Beratungen teil.
    "Das war so neu, dass man von der Leitung des "Runden Tisches", also von Frau Vollmer aus gesagt hat, wir begrenzen uns erst mal, weil wir nicht wissen, ob wir das bewältigen, was wir hier uns vorgenommen haben. Man stand vor einem großen Berg und hat sich nicht zugetraut, dieses Thema da mit rein zu nehmen."
    Die Mittel aus den Fonds "Heimerziehung West" und "Heimerziehung DDR" werden seit einiger Zeit verteilt, die Psychiatrie-Opfer aber warten immer noch auf eine Regelung. Man habe erkannt, dass es untragbar sei, diesen Personenkreis von Ausgleichszahlungen auszuschließen, erklärte Staatssekretär Ralf Kleindiek vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor einem Jahr.
    "Ich weiß, dass die Bundesregierung, die Länder, die Einrichtungsträger und die Betroffenen darüber im Gespräch sind, um da eine Lösung zu finden."
    Nur passiert ist noch nichts, was die Opfer empört. Sie fühlen sich ein weiteres Mal ausgegrenzt und haben den Eindruck, dass man sie mit ihrem Leid nicht ernst nimmt. Klaus M.:
    "Das geht einem nicht mehr aus dem Kopf, was dort in den elf Jahren alles abgelaufen ist und was man auch mit uns, mit mir gemacht hat, dass ich zwar untergebracht war in so einer Bastelgruppe, aber weder Lesen und Schreiben noch Rechnen noch eine Ausbildung gelernt habe dort und ich sozusagen mit 16 Analphabet war. Stattdessen musste ich dort in der Anstalt arbeiten, die Böden von Hand schrubben, die Fliesen mit der Zahnbürste."
    Illegale Kinderarbeit
    Heimträger wie die Rotenburger Anstalten sparten Küchen- und Reinigungspersonal, indem sie die Insassen illegale Kinderarbeit verrichten ließen, statt sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Conni Malcherek kam kurz nach ihrer Geburt zunächst in ein Waisenhaus, die folgenden 22 Jahre verbrachte sie in zehn verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen. Als billige Arbeitskraft wurde sie unter anderem bei der Obsternte, in Krankenhäusern und in privaten Haushalten eingesetzt.
    "Wir kriegten Bierdosen um den Hals gehangen mit einer Kordel und mussten Blaubeeren pflücken in den Wäldern. Wir durften keine essen. Wir mussten die Büchse vollmachen und immer zu der Nonne hinrennen, die kontrollierte, ob die voll war, und in den Eimer rein kippen. Die Speiseräume mussten wir putzen, wir mussten in der Küche das Geschirr von den Nonnen spülen, unten im Keller mussten wir arbeiten, draußen in der Wäscherei, also auf dem Klinikgelände, in der Mangelstube."
    Arbeit war eine Form der Disziplinierung in den Heimen, eine andere war die Ruhigstellung mit Medikamenten.
    "Ich habe an 30 Sorten Tabletten, Medikamente alles gekriegt in den Heimen. Die Nonnen haben gesagt, du gehst jetzt runter, der Arzt ist da, du musst das jetzt schlucken, fertig. Ich habe sehr viele Depotspritzen gekriegt, und dann halt viel so KO-Dinger. Ich kriegte morgens Valium 10, mittags Valium 10, abends. Und da war ich immer am Schlafen. Immer nur Pillen, Pillen, Pillen, damit man ruhig wird. Denn gab es also auch noch Medikamente in Form von Tropfen mit 20 bis 25 Tropfen, also das waren so, die mir verabreicht worden sind in den knappen 10 Jahren, so neun verschiedene Neuroleptika. Und die haben natürlich auch einen erheblichen Schaden angerichtet."
    Es gibt Hinweise, dass Pharmakonzerne illegale Medikamententests mit Heimkindern durchführten. Während in der Schweiz entsprechende Versuche nachgewiesen wurden, fehlen für Deutschland bisher eindeutige Belege.
    Ein besonders dunkles Kapitel der psychiatrischen Einrichtungen in den 1950er- und 60er-Jahren ist der sexuelle Missbrauch. Die ehemaligen Heimkinder berichten immer wieder von Übergriffen bis hin zu brutaler Gewalt.
    "Da wurde ich zwischen dem siebten, achten Lebensjahr, wenn die Kinder gebadet worden sind, sexuell missbraucht. Und ich habe auch nächtelang geweint, weil ich das nicht ertragen konnte. Und ich wollte eigentlich nur noch aus der Anstalt weg. Und zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr, da wurde ich von einem Erzieher auch mehrfach ... so zwischen 100, 150 Mal in etwa, von anal bis oral, das war sehr, sehr schmerzhaft, dass ich kaum noch sitzen und gehen konnte. Und andere Male wurde ich von ihm auch am Stuhl gefesselt und hatte eine brennende Zigarette einfach an meinem Körper ausgedrückt."
    Klaus M.s Martyrium in den Rotenburger Anstalten endete nach elf Jahren. Ein Glücksfall kam ihm zu Hilfe.
    "Das muss 1972 gewesen sein, da kam ein Praktikant in diesen Rotenburger Anstalten und hatte mich dann auch gesehen und war doch sehr verwundert, dass ich in so einer Einrichtung war. Und sagte dann noch, Klaus, du gehörst hier nicht her, du bist hier völlig verkehrt untergebracht. Und der hat's auch nicht verstanden, warum die anderen Erzieher das nicht vorher erkannt hatten."
    Nicht alle Heimkinder hatten das Glück, einem engagierten Praktikanten zu begegnen. Wer einmal durch eine falsche Diagnose in die Mühlen der Psychiatrie geriet, habe es zumindest bis zur Volljährigkeit schwer gehabt, wieder herauszukommen, meint der Heimexperte Peter Schruth.
    "Also, die waren einmal drin, immer drin in solchen Einrichtungen. Und ich denke, es könnte passieren, dass diese Kinder und Jugendlichen heute noch in solchen Einrichtungen leben."
    Nach seiner Entlassung kehrte Klaus M. nach West-Berlin zu seiner Mutter zurück. Der Junge, dem man das Etikett "geistig schwer behindert" aufgedrückt hatte, schloss innerhalb von drei Jahren eine Tischlerlehre erfolgreich ab.
    "Ich hab's trotzdem noch geschafft in dieser sehr kurzen Zeit lesen und schreiben zu lernen, eine Ausbildung zu machen, und das zeigt ja auch, dass ich nicht so entwicklungsgeschädigt war, wie mir in den Rotenburger Anstalten unterstellt worden ist."
    Klaus M. arbeitete jahrzehntelang als Bühnenarbeiter, bis er nach einem schweren Arbeitsunfall den Beruf aufgeben musste.
    Petitionsausschuss des Bundestags
    Eine Entschädigung hat er für die Jahre in der Psychiatrie bislang nicht bekommen. Die zuständigen Ministerien und Verwaltungen suchen wie gesagt immer noch nach einer Lösung für diese Opfergruppe. Einige Betroffene wollten jedoch nicht länger warten und sich weiter vertrösten lassen. Sie wandten sich deshalb an den Petitionsausschuss des Bundestags. Corinna Rüffer vertritt die Grünen in dem Gremium.
    "Es ist ein sehr deutliches Signal, wenn fraktionsübergreifend der Petitionsausschuss sich an die Ministerien der Länder und an die Fraktionen der Länder wendet mit der Bitte, jetzt endlich tätig zu werden. Mein persönlicher Geduldsfaden neigt sich dem Ende entgegen. Es gab ein jahrelanges Hin und her. Der Bund hat 20 Millionen Euro in seinen Haushalt eingestellt, allerdings unter dem Vorbehalt, dass auch Kirchen und die Bundesländer sich an der Entschädigung paritätisch in dieser Drittelparität dann auch beteiligen sollten. An den Kirchen ist eine Lösung nicht gescheitert, an dem Bund, muss man sagen, ist eine Lösung nicht gescheitert, aber an den Bundesländern."
    Auf Bundesebene ist das Arbeits- und Sozialministerium für die ehemaligen Heimkinder in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien zuständig. Für ein Interview stand niemand zur Verfügung, das Ministerium nahm schriftlich zu dem Thema Stellung:
    "Ende 2014 war eine Lösung schon greifbar. Überraschenderweise hat jedoch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder im November 2014 eine Fondslösung in Zweifel gezogen. Obwohl die Mehrheit der Länder die Notwendigkeit für Unterstützungsleistungen an die Betroffenen sieht, haben die Länder bisher keine klare Aussage zu einer auch finanziellen Beteiligung getroffen."
    Zur Debatte stehen ein finanzieller Ausgleich durch zusätzliche Rentenzahlungen bzw. das Opferentschädigungsgesetz oder eine Einmalzahlung von bis zu 15.000 Euro aus einem Fonds; analog zu den Fonds Heimerziehung West und DDR. Diese Alternativen prüft die Konferenz der Landesarbeits- und Sozialminister noch. Den Vorsitz hat momentan die thüringische MinisterinHeike Werner von den Linken.
    "Wir sind dabei zu diskutieren, was sind überhaupt die richtigen Instrumente, um den Kindern und Jugendlichen, die jetzt mit ihren Folgeerkrankungen da sind, wirklich helfen zu können. Und da ist eben die Frage, ist es ein Fonds, sind es vielleicht andere Nachteils-Ausgleiche, die vielleicht besser geeignet wären. Man hat eben auch Bedenken, wenn man versucht, noch mal die Erinnerung an die damalige Zeit wachzurütteln, dass es eventuell auch eine große psychische Belastung sein könnte."
    Dennoch werden die Betroffenen wohl - wie zuvor die anderen Heimkinder - Unterlagen und ärztliche Gutachten vorlegen, Befragungen und Behördengänge über sich ergehen lassen müssen.
    Finanzierung der Fonds für Heimkinder
    Für die Fonds "Heimerziehung West" und "Heimerziehung DDR" waren ursprünglich 120 bzw. 40 Millionen Euro vorgesehen. Wegen der unerwartet großen Zahl von Anträgen mussten die Töpfe auf 180 bzw. 360 Millionen aufgestockt werden, wozu Bund, Länder und Kirchen erst nach einigem Zögern bereit waren. Bei den ehemaligen Heimkindern in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien handelt es sich um eine kleine, überschaubare Gruppe von maximal acht- bis zehntausend Personen, für die Hilfsleistungen von rund 150 Millionen Euro nötig wären. Gleichwohl scheint aufseiten der Länderfinanzminister die Bereitschaft gering zu sein, diese Summe aufzubringen. Peter Schruth, Ombudsmann der ehemaligen Heimkinder:
    "Wir haben jetzt schon insgesamt für dieses Thema eine fast Dreiviertelmilliarde an öffentlichen Kosten, einschließlich der Kosten, die die Kirchen tragen, und jetzt soll auch noch ein zweiter Fonds kommen. Und sagt man dann, immerhin von den Finanzen, das ist zu viel, das ist nicht nachvollziehbar, das wollen wir nicht. Also es gibt ein öffentliches restriktives Sparbemühen, zu sagen, wir haben für die Opfergruppen eigentlich schon längst genug getan."
    Thüringens Sozialministerin Heike Werner weist den Vorwurf zurück, die Länder torpedierten eine Lösung aus finanziellen Gründen.
    "Das Hauptproblem ist wirklich kein finanzielles, die Frage ist nur, was ist der richtige Weg, und darüber diskutieren wir derzeit noch. Und wir sind dabei, auch auszuwerten, wie die Erfahrungen aus dem Heimkinder-Fonds beispielsweise gewesen sind. Es wird sicherlich eine andere finanzielle Fonds-Lösung geben müssen. Hängt auch ein bisschen davon ab, wie viele Menschen sind überhaupt betroffen."
    "Die Leute sind ungeduldig und sie sind zu Recht ungeduldig," hält die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer dem entgegen.
    "Es ist eine pragmatische Lösung, die auf dem Tisch liegt, und es liegt jetzt nur an den Ländern, ihren Teil dazu beizutragen. Sie waren Träger dieser Einrichtungen, sie waren zumindest aufsichtspflichtig und sie stehen in der Verantwortung, sich jetzt auch an einem solchen Hilfsfonds zu beteiligen."
    Inzwischen reagieren auch die ersten Landesparlamente ungehalten. Nach Bayern forderten vorige Woche die nordrhein-westfälischen Abgeordneten fraktionsübergreifend die Landesregierung auf, sich für einen Hilfsfonds einzusetzen.
    "Ich denke, man muss eine solidarische Lösung finden zwischen Bund, Land und Kirchen, und darauf werden wir jetzt hinarbeiten. Da wird nicht auf Zeit gespielt und wir wollen natürlich bis Mitte des Jahres auch zu ersten Vorschlägen kommen, wie konkret eine Lösung aussehen kann."
    Forderung nach moralische Anerkennung des erlittenen Unrechts
    Die Botschaft vernehmen die Betroffenen wohl, allein ihnen fehlt nach den vielen Ankündigungen das Vertrauen, dass den Worten auch Taten folgen. Dabei geht es den meisten ehemaligen Heimkindern nicht allein um eine finanzielle Entschädigung, sondern eben so sehr um die moralische Anerkennung des erlittenen Unrechts. Peter Schruth:
    "Eine öffentliche Erklärung, also gar nicht mal Geld, sondern eine Erklärung einer hochrangigen politischen Persönlichkeit, wir haben ihnen gegenüber Unrecht getan, ihnen Leid zugefügt und wir entschuldigen uns dafür."
    Eine öffentliche Entschuldigung und eine bescheidene finanzielle Entschädigung, sofern sie denn tatsächlich in absehbarer Zeit kommen sollten, mögen das Leid lindern. Vergessen kann Klaus M. nicht, was ihm im Heim angetan wurde.
    "Diese ganzen schweren Misshandlungen, was mir widerfahren ist, darunter leide ich heute auch noch sehr stark, wie auch der sexuelle Missbrauch, was auch nie wieder gut zu machen ist. Ich war ja auch nicht in der Lage, eine Beziehung einzugehen aufgrund dessen und lebe bis heute eigentlich isoliert und ich habe auch immer wieder Albträume, werde wach von den Rotenburger Anstalten und habe Schweißausbrüche, Herzrasen, und dann kommt mir alles halt wieder hoch. Das ist mir bis heute in den Knochen stecken geblieben, das werde ich auch mit in mein Grab nehmen."