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Hein

DLF: Fünf Wochen wird auf dem Balkan Krieg geführt. Die Deutschen - erstmals seit 50 Jahren wieder an einem solchen Unternehmen beteiligt - sind uneins in ihrer Haltung dazu. Die Schriftsteller, die Intellektuellen, denen man gerne die Funktion einer moralischen Instanz zubilligt, sind in ihrer Mehrheit ebenfalls unentschlossen und zaghaft, drücken sich lieber vor einer Stellungnahme. Hat der seit einem halben Jahr amtierende Präsident des deutschen PEN-Zentrums Christoph Hein dafür Verständnis?

Harald Kleinschmid |
    Hein: ich würde Ihnen doch gleich widersprechen wollen. Ich denke, diese moralische Instanz, die Sie den Schriftstellern zuordnen, wird von den Autoren sich nicht selbst zugeordnet und von der Öffentlichkeit – denke ich – auch schon lange nicht mehr. Diese Funktion ist weitgehend abhanden gekommen. Daß sich die Autoren nicht oder zaghaft zu dem Militäreinsatz der NATO äußern, habe ich nicht feststellen können. Sie sind uneins, das ist richtig, uneins wie die Bevölkerung. Es gibt zustimmende und ablehnende Äußerungen, teilweise auch sehr heftig. Es gibt keine Einheit. Aus diesem Grunde hat sich auch der PEN entschlossen, kein Papier vorzulegen. Wir können keine Stellungnahme der Schriftstellerorganisation vorlegen, die dann in diesem Punkt nicht einig ist.

    DLF: Warum kann man das nicht, Herr Hein? Fürchtet der PEN – kaum, daß er mit Mühen vereint ist – vielleicht schon wieder eine Spaltung?

    Hein: Gewiß wäre das das Fatalste, wenn der PEN sich spalten würde. Die Gefahr sehe ich allerdings zur Zeit nicht. Aber ein Papier vorzulegen, daß im Namen des PENs eine Äußerung zu diesem Krieg macht zu einem Zeitpunkt, wo die Autoren da sehr verschiedene Ansichten äußern – eben, wie gesagt, auch sehr vehement vortragen –, wäre unsinnig. Ein Papier, das der PEN vorlegt, muß auch im Namen der PEN-Mitglieder verfaßt sein, vorgelegt werden können. Das ist nicht der Fall. Wir können ein solches einmütiges Papier nicht vorlegen.

    DLF: Ich darf trotzdem noch einmal nachfragen: Sie haben eingangs gesagt, die Schriftsteller haben ihre Funktion als moralische Instanz verloren. Zunächst einmal: Woran liegt das?

    Hein: Ich denke, das hat was mit gesellschaftlichen Veränderungen – von mir aus ‚Verwerfungen‘ – zu tun, daß da andere Berufe für die Gesellschaft wichtiger geworden sind. Ich glaube, irgendein Fernsehmoderator ist da viel gewichtiger für eine solche Instanz in der Gesellschaft. Das sind Veränderungen, die sich durch die Massenmedien ergeben haben.

    DLF: Die aber natürlich auch zu beklagen wären, oder?

    Hein: Ich beklage nie etwas. Die Veränderungen muß ich erst einmal akzeptieren. Darüber zu klagen – finde ich – das ist ein sehr ungeeignetes Mittel, darauf einzugehen.

    DLF: Ihre Kollegen vom Exil-PEN haben sich dem Vorschlag des Schriftstellers Erich Loest angeschlossen, einen Kriegskongress der Schriftsteller nach Berlin einzuberufen, um den Krieg auf dem Balkan zu beenden. Auch hier zögert das deutsche PEN-Zentrum. Aus den eingangs erwähnten Gründen?

    Hein: Nein, wir zögern nicht. Wir haben ja eine ganz klare Stellungnahme, daß wir dieses nicht machen werden. Wir werden auf dem PEN-Kongreß, der in 14 Tagen stattfindet in Bremen, darüber sprechen. Wir haben die Tagesordnung verändert: Es wird gleich nach der Eröffnung über diesen Krieg auf dem Balkan gesprochen werden. Aber einen Kriegskongreß sehe ich nicht für sehr sinnvoll an, und ich glaube auch nicht, daß die Autoren einen Krieg stoppen und beenden können. Wenn solche Möglichkeiten uns in die Hand gegeben werden, würde ich sofort zugreifen. Aber – um mit Kurt Vonnegut zu sprechen – unsere Werke, unsere Arbeiten sind Waffen – sagte er –, aber so etwa vergleichbar einer etwa zwei Meter großen Buttercremetorte, die aus einer Höhe von drei Meter heruntergeschmissen wird. Diese Bedeutung etwa hat Literatur in dieser Gesellschaft. Die Vorstellung, daß die Autoren einen Krieg stoppen können, eine Vertreibung stoppen können, das ist illusorisch. Aber darüber hinaus also einen Kriegskongreß, wo noch dazu über die Waffenart gesprochen werden soll - also Lufteinsätze ‚ja‘ und Bodentruppen ‚nein‘ -, das den Schriftstellern anzutun, halte ich für unangemessen.

    DLF: Ich darf Sie noch ein bißchen allgemeiner fragen? Unmittelbar nach Ihrer Wahl zum PEN-Präsidenten haben Sie es als Ihre vornehmste und erste Pflicht bezeichnet, sich für von totalitären Regimen verfolgte und bedrohte Autoren einzusetzen. Stellt sich die Notwendigkeit dafür zur Zeit auf dem Balkan nicht gerade besonders dringend?

    Hein: Ja, natürlich. Wir werden - durch die Folge der Vertreibungen und des Militäreinsatzes - uns da auch für bedrohte und verfolgte Autoren Jugoslawiens und dieser Balkanregion einsetzen. Wir haben dafür diese Arbeitsgruppe "writers in exil" seit einem Jahr ins Laufen gebracht und sind da mit einigen Städten im Gespräch, um da auch eben diesen verfolgten und bedrohten Autoren auch hier in Deutschland helfen zu können.

    DLF: Verteilen Sie da Ihre Bemühungen gleichermaßen auf Serben und Albaner?

    Hein: Das ist Tradition im PEN, nicht nur im deutschen PEN: Da darf es keine Unterschiede geben.

    DLF: Es gibt aber natürlich in diesem Krieg Unterschiede. Die NATO begründet ihren Einsatz gegen Jugoslawien mit der Pflicht, die Menschenrechte zu verteidigen. Gibt es – um eine in der DDR offiziell einst sehr gebräuchliche Formulierung aufzugreifen – ‚gerechte und ungerechte Kriege‘?

    Hein: Ich denke, es gibt so etwas sie ‚notwendige‘ Kriege, das glaube ich schon. Ich bin allerdings bei dem Militäreinsatz der NATO in Jugoslawien etwas sehr unglücklich und ein Gegner dieses Militäreinsatzes, weil – auch nach den Gründungspapieren der NATO – ein solcher Einsatz nicht ohne Mandat der UNO hätte erfolgen dürfen. Ich fürchte, daß die Bombardierung das, was dort in Jugoslawien vertreibt und mordet, nämlich ein wildgewordener mörderischer Nationalismus, daß dieser Nationalismus durch einen Bombenterror, durch ein Bombardement, nicht gestoppt werden kann, sondern daß im Ergebnis des Bombardements der NATO dort diese Gegend zu einem Bombenkrater gemacht wird, wo nichts mehr blüht, außer eben einem mörderischen Nationalismus. Und die ersten Wochen – schon die ersten Tage – haben das gezeigt. Das erste Opfer in Jugoslawien war eben nicht Milosevic, nicht diese mordenden Banden, sondern es war die Opposition, die zum Schweigen gebracht wurde, die zum Teil sich hinter Milosevic einreihte. Also, es sind geradezu paradoxe Kriegsergebnisse erreicht worden. Und ich halte das für äußerst gefährlich, weil ich glaube, daß dieser Einsatz der NATO ohne Zustimmung der UNO der Anfang vom Ende der UNO ist. Wir hatten eine vergleichbare Organisation schon einmal nach dem Ersten Weltkrieg. Aus sehr vergleichbaren Gründen wurde der Völkerbund gegründet, sehr viel schwächer noch als die UNO, noch zerstrittener. Er starb durch Hitler und den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Ich fürchte, daß die UNO - auch nach einem Weltkrieg gegründet - mit diesem Einsatz zum Verschwinden gebracht wird.

    DLF: Ganz konkret nachgefragt: Fürchten Sie eine Eskalation zu einem Dritten Weltkrieg?

    Hein: Ja, ich fürchte es. Ich wage gar nicht, darüber nachzudenken, aber ich fürchte es. Wir haben erlebt, wie es in den letzten zwölf Jahren zu diesem Krieg gekommen ist. Der ist angewachsen seit 1987, seit dem man hingenommen hat, daß Milosevic dem Kosovo die Rechte nahm, und der Voivodina, dann die Sezessionsbewegungen, die von der europäischen Außenpolitik, auch von der deutschen, unterstützt wurden dadurch, daß sie begrüßt wurden, und die auf einmal - nicht ganz erklärlich im Fall des Kosovo - sich drehte, änderte, was die Kosovo-Albaner natürlicherweise – die erst durch diese Zustimmung angefeuert wurden – etwas mehr als nur irritieren mußte. Dieser Krieg hat eine lange Vorgeschichte, die kann man sehr genau nachvollziehen. Und Sie sprachen einen Weltkrieg an: Auch dafür könnten wir jetzt schon die entsprechenden Pflöcke sehen, die auf diesen Weg uns führen.

    DLF: Sehen Sie einen Weg, aus diesem Teufelskreis rauszukommen?

    Hein: Ja, schnellstens wieder eine Verbindung mit der UNO schaffen, auch um die dort übergangenen Kräfte, also speziell Rußland - die eine Macht von großem Einfluß ist -, da wieder mit ins Boot zu bekommen.

    DLF: Und dafür kann und will sich der deutsche PEN aber nicht einsetzen?

    Hein: Wir werden in Bremen darüber sprechen. Wenn es möglich ist, daß sich der PEN einigen kann, natürlich, das ist gar keine Frage. Wir werden ja nicht darüber sprechen, um nicht zu einem Beschluß zu kommen, sondern es wird schon angestrebt, daß wir zu einer einhelligen, einmütigen Haltung kommen. Aber ich weiß nicht, wie die Mitglieder des PEN entscheiden werden, ich bin da lediglich der Präsident . . .

    DLF: . . . und der Präsident hat keine Richtungskompetenz . . .

    Hein: . . . nein, das wäre fatal.

    DLF: Kommen wir noch einmal zum Balkan zurück und zu etwas übergeordneteren - ich sage mal ‚ideologischen‘ - Fragen: Kann man Milosevic mit Hitler vergleichen, die ethnischen Säuberungen im Kosovo mit Auschwitz?

    Hein: Wir erleben es eigentlich seit 1945, daß bei kriegerischen Auseinandersetzungen dem jeweiligen Gegner der Name ‚Hitler‘ angeheftet wird. Ich halte das für Kriegspropaganda und viel zu ungenau. Und wenn der deutsche Verteidigungsminister inzwischen von dem ‚Jahrhundertverbrechen‘ spricht, habe ich ein etwas ungutes Gefühl, denn bisher gab es einen Konsens, daß damit die Untaten des Dritten Reiches gemeint waren, die Morde des Dritten Reiches im Holocaust. In Jugoslawien findet Schreckliches statt, Vertreibung und Mord, Vertreibung in einem sehr großen und ungeheuren Ausmaß, wie wir es eben seit 1945 in Europa nicht mehr gewöhnt waren. Aber ich halte es für pure Propaganda, nun dem jeweiligen Kriegsgegner diesen Hitlernamen anzuheften. Sie wissen, die jugoslawische Seite macht es ebenfalls.

    DLF: Wie empfinden Sie das Dilemma – wir haben es eingangs schon einmal angesprochen – zwischen der moralischen Pflicht zum Eingreifen und dem Wissen um die Folgen eines Krieges, in dessen Verlauf auch Flüchtlingskonvois getroffen werden, die man eigentlich schützen wollte?

    Hein: Ich weiß nicht, ob die NATO wirklich ein Konzept hat. Erkennbar ist es nicht. Es wurde uns mitgeteilt, daß man gemeint hatte, gehofft hatte, daß nach zwei Tagen Bombardement Milosevic einlenkt. Man spricht dann von einer zweiten, dritten, vierten und fünften Stufe, man bereitet jetzt schon direkt und indirekt den Einsatz von Bodentruppen vor, mit Gesprächen, mit Bereitstellungen. Ich sehe ein Konzept der NATO nicht. Und alles, was man als Kriegsgrund – als Begründung für den Krieg – anführte: Stoppen der Vertreibung – da hat man das Gegenteil erreicht, Beenden des Milosevic-Regimes – das ist stärker als zuvor. Ich fürchte, daß die NATO schlechte Berater hat.

    DLF: Halten Sie die moralischen Argumente, die die NATO, die auch der Verteidigungsminister Scharping anbringt, wirklich nur für einen Vorwand?

    Hein: Nein, für einen Vorwand nicht. Das habe ich nicht gesagt. Ich kann sie nur nicht nachvollziehen, ich teile sie nicht und ich halte es für sehr schrecklich, daß dieses widersprechend den begründenden Dokumenten der NATO – ohne Mandat der UNO – erfolgt. Daß das möglich war, ist mir unerklärlich – bei einem Krieg, der so lange in der Luft lag und im Grunde lange vorbereitet wurde. Der jugoslawische Philosoph Zizek spricht davon, daß Milosevic nicht der Gegner des Westens sei, sondern er sei seine Kreatur, sein fürchterliches Monster – von ihm geboren. Das ist leider nicht ganz falsch.

    DLF: Kann der aus Ostdeutschland stammende Schriftsteller und Dramatiker Christoph Hein erklären, woran es liegt, daß sich die Ostdeutschen sich in viel stärkerem Maße gegen den Krieg aussprechen als die Westdeutschen?

    Hein: Nein, kann ich nicht, weiß ich nicht. Also, ich bemerke das auch, bemerke allerdings, daß die Linien diesmal ganz anders verlaufen als üblich. Also, es sind Freunde dafür oder dagegen, wo ich vermutet hätte aufgrund früherer Äußerungen und Haltungen, daß sie sich ganz anders entscheiden und verhalten würden. Es gibt da ein paar Veränderungen, die ich nicht ergründen kann, wieso.

    DLF: Wollen wir mal ein paar Mutmaßungen anstellen? Also, ich nenne mal eine: Hat die 40-jährige Propaganda der SED gegen die NATO vielleicht Wirkung gezeigt?

    Hein: Das glaube ich nicht. Nach den Erfahrungen, die ich habe, sind es vor allem Leute, die man eigentlich so als ‚Stalinisten‘ bezeichnet, die für den Krieg sind, und eher die Bürgerrechtler – Leute, die früher im Widerstand waren –, die jetzt auch gegen diesen Krieg sind.

    DLF: Anderes Argument, das man auch anführen könnte – möglicherweise – und wo ich Sie frage, ob Sie dem zustimmen: Könnten die Erfahrungen mit dem Einmarsch in der CSSR 1968 - an dem sich auch die DDR beteiligt hat, die Erfahrungen mit Vietnam – wo die DDR ganz stark auf Seiten der Vietnamesen stand, zusammenhängen?

    Hein: Das mag alles sein, würde dann aber nicht erklären, wieso die sogenannten ‚68-er‘ des Westens, die sich im Falle Vietnams sehr heftig engagiert haben, diesmal offenbar – jedenfalls zu einem großen Teil – sich ganz anders verhalten und sich anders engagieren. Aber keine Frage: Prag 68, Einmarsch und der Bruch des Völkerrechts in ein drittes Land – das wird vermutlich auch einen Teil der Bevölkerung – aber ich denke in Ost und West – bewegen, daß man der Aggression eines Verteidigungsbündnisses ohne Zustimmung der UNO die Zustimmung verweigert.

    DLF: Die SED – Stichwort nochmal zurück ‚gerechte und ungerechte Kriege‘ – war ja alles andere als pazifistisch. Und jetzt versucht die Nachfolgepartei, die PDS, aus einer sicherlich nicht unbedeutenden pazifistischen Stimmung in ganz Deutschland politisches Kapital zu schlagen. Wie beurteilen Sie das?

    Hein: Ich bin verwundert, daß die PDS die eigentliche Anti-Kriegspartei ist. Damit hatte ich nicht gerechnet. Vor wenigen Monaten war es noch eine unaufgehbare Haltung der Grünen, daß solche Kriege eigentlich nicht sein müssen und nicht sein dürfen. Da wurde noch als Begründung Auschwitz genannt, Auschwitz als eine unüberwindbare Hürde für einen solchen Einsatz. Inzwischen hörte ich, Auschwitz sei der Grund, weswegen man bomben müsse. Hier findet eine fatale Instrumentalisierung statt, die ich für mehr als unglücklich halte.

    DLF: Eine Instrumentalisierung von Auschwitz?

    Hein: Von Auschwitz, ja.

    DLF: Trotzdem nochmal zur PDS. Man kann ja sagen: Das ist eine Partei, die ist im Bundestag, die hat Fraktionsstärke. Deren Bemühen, sich pazifistisch zu geben, ist zumindestens legitim.

    Hein: Ich weiß nicht, wie weit die PDS pazifistisch ist, das würde mich – aufgrund ihrer Herkunft – auch ein bißchen verwundern. Die Leitung ist es wohl, das hat vielleicht genau mit diesen Erfahrungen zu tun, die diese Leitung auch als Mitglieder der Vorgängerpartei gemacht hat. Vielleicht ist das der Grund. Aber ich weiß nicht, ob die PDS insgesamt tatsächlich pazifistisch ist. Das kann ich Ihnen nicht beantworten.

    DLF: Gehen wir mal von der PDS rüber mehr in den Westen Deutschlands: Sind diejenigen führenden Köpfe in Deutschland, die einst Pazifisten waren und jetzt für den Krieg sind – Sie haben es in der vorigen Antwort gerade schon angedeutet, beispielsweise die Grünen, also von Joschka Fischer bis Hans-Magnus Enzensberger – Verräter, Renegaten –, wie es eine große deutsche Wochenzeitung gerade jetzt nahegelegt hat?

    Hein: Das sind nicht meine Termini. Nein. Ich höre und lese die verschiedenen Äußerungen. Und auch gerade die Haltung, die ich nicht teilen kann, auch nicht verstehen kann, prüfe ich dann umso sorgsamer. Mir erscheint da einiges populistisch und allzu viel auch mit Unterstellungen der jeweils anderen Seite. Das möchte ich nicht teilen, nicht mitmachen. Insofern würde ich auch mit solchen Charakterisierungen sehr zurückhaltend sein.

    DLF: Sie wären aber nicht bereit, da Überzeugungsarbeit zu leisten in die eine oder andere Richtung?

    Hein: Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man so bis zum 16., maximal bis zum 18. Lebensjahr Leute überzeugen kann. Danach hört die Fähigkeit zur Überzeugung, oder die Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen, doch stark auf.

    DLF: Im PEN sind Schriftsteller, Publizisten, Verleger, Journalisten vereinigt. Wie werden Sie – groß und klein geschrieben – mit der täglichen Kriegspropaganda auf beiden Seiten, mit der Sprache des Krieges in den Medien fertig?

    Hein: Wir wissen seit Jahrhunderten, daß das erste Opfer eines Krieges immer die Wahrheit ist. Der Deutsche Presserat hat in diesen Tagen - ganz erstaunlicher weise und für mich etwas überraschend, und ich bin sehr froh darüber - sich zu dieser Kriegspropaganda, auch zu der der deutschen Seite, geäußert. Wenn man um all dieses weiß, hilft es ein bißchen bei der täglichen Lektüre, etwas genauer hinzusehen und ein paar Fragezeichen zu setzen, wo die Medien da ein paar Ausrufezeichen gesetzt haben.

    DLF: Wäre das vielleicht ein Feld, wo der PEN aktiver werden könnte?

    Hein: Das ist angesprochen, daß wir darüber auch sprechen wollen. Das war geplant, das Thema ‚Der Autor und die Medien‘. Da ging es mehr um die Planung der Jahrestagung, um die Veränderungen, die sich innerhalb der Medien ergeben, und die Auswirkungen auf den Autor, die zum großen Teil ruinös für die Schriftsteller sind. Aber das Thema der Medien und der Kriegspropaganda, wo die Deutschen auch nicht ganz frei sind, das wäre durchaus ein Thema auch für die Autoren, auch für den PEN.

    DLF: Und da könnte man auch zu einer gemeinsamen Haltung kommen?

    Hein: Ja, das wäre denkbar. Vielleicht sind auch andere und weitere gemeinsame Haltungen möglich, aber verstehen Sie: Als Präsident habe ich ein bißchen darauf zu achten, daß der PEN nicht zerbricht, über welcher Frage auch immer. Wir werden gebraucht, auch gerade bei solchen Ereignissen, wie in Jugoslawien – der Vertreibung und dem Militäreinsatz der NATO. Es gibt Opfer, es wird noch mehr Opfer geben, und der PEN ist unter anderem eine Hilfsorganisation – eben auch für verfolgte und bedrohte Kollegen, für Opfer aus diesen Ländern.

    DLF: Ich stelle jetzt einmal eine etwas provokative Frage: Wenn Sie so zurückhaltend sind in diesen Äußerungen, stellen Sie da nicht die Integration über die Moral?

    Hein: Nein, in dem Papier, das ich veröffentlicht habe, bin ich ja sehr eindeutig. Als Christoph Hein habe ich eine ganz klare eindeutige Haltung und Meinung . . .

    DLF: . . . die da wäre? . . .

    Hein: . . . das, was ich schon kurz skizziert hatte, daß ich diesen Militäreinsatz aus den genannten Gründen verurteile, für falsch ansehe und - vor allem in Hinsicht auf eine Zerstörung der UNO - mehr als fatal, daß hier eine neue Weltordnung offenbar installiert werden soll, die seit 1993 von einem Weißen-Haus-Papier vorbereitet wurde, wonach die NATO eben nicht mehr von Mandaten der UNO abhängig ist, sondern daß da ein umgekehrtes Verhältnis angestrebt wird. Da scheint wohl der Krieg auch so ein erster Pflock zu sein, der da in den europäischen Boden gerammt wird. Das andere wäre die Haltung – was Sie ansprechen – als Präsident. Da bin ich zu einer - mir schwerfallenden - Zurückhaltung genötigt. Ich muß irgendwo für diese 700 Mitglieder sprechen, und da, wo diese 700 Mitglieder nicht einig sind, kann ich nicht sprechen als PEN-Präsident.

    DLF: Weg vom Kosovo, aber zu einem Thema, das natürlich auch mit Krieg und Vernichtung zu tun hat: Zum Holocaust und dem Streit, der in Deutschland beinahe ein Jahrzehnt um ein Holocaust-Mahnmal geführt wird. Welche Meinung vertritt dazu der PEN-Präsident – zum Streit ebenso wie zum Objekt?

    Hein: Christoph Hein hat dazu eine Meinung. Ich bin über die Diskussion, wie sie bisher in Deutschland stattfand, und die Pläne, die da bislang geäußert wurden, nicht sehr glücklich. Ich sehe darin nur, daß man dem US-Vorbild und dem israelischen Vorbild folgt - zwei Länder, die in einer völlig anderen Situation sind. Dort haben die Opfer sich zu Wort gemeldet und entsprechende Gedenkstätten und Mahnmale errichtet. Deutschland ist nicht das Land der Opfer, es ist das Land der Täter. Hier müßte die Situation eigentlich ganz anders aussehen. Wir haben - im Unterschied zu diesen Ländern - hier nämlich gewissermaßen authentische Mahnmale, die aber leider wegen Geldmangel teilweise verfallen oder anderweitig genutzt werden, mißbräuchlich genutzt werden. Das sind die Vernichtungsstätten, die haben wir auf deutschem Boden.

    DLF: Und Sie meinen, man sollte sich um die gegenwärtigen schon existierenden Gedenkstätten mehr kümmern und das andere vergessen?

    Hein: Ich denke, das wäre das uns Angemessenere, und das ist fatal, wenn wir -nach dem Muster einer amerikanischen Gedenkstätte - etwas in Berlin errichten werden. Um Berlin herum und in anderen Teilen Deutschlands verfallen diese Gedenkstätten, werden zerstört und beschmiert.

    DLF: Bleiben wir mal bei Berlin: Berlin erwacht gerade wieder zum Leben als deutsche Hauptstadt. Haben Sie Hoffnung darauf, daß das, was bisweilen mit ‚Berliner Republik‘ bezeichnet wird, auch zu mehr Verständnis zwischen Ost und West führt, wenn die Regierenden nicht mehr in Bonn, sondern erst einmal hier sind?

    Hein: Also, die Bezeichnung ‚Berliner Republik‘ ist ja etwas albern, gerade weil sie so griffig ist. Vor 89 war der Name ‚Bonner Republik‘ auch nicht so üblich. Ich denke, das verschwindet auch wieder. Das Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands – da denke ich, wird der Regierungssitz Berlin einiges leisten können. Die großen Schwierigkeiten des Ostens, den Standart Westdeutschlands zu erreichen – das wird, glaube ich, in Berlin notwendigerweise anders gesehen als im Rheinland und zwingt dann auch die Politiker, das deutlicher wahr zu haben, als in einem sehr schönen Städtchen am Rhein.

    DLF: Der PEN hat sich aus Ost und West nur mit Mühen und unter erheblichen Verlusten zusammengerauft. Der Zusammenhalt – wir haben das schon mehrfach paraphasiert heute – ist unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges schwierig. Ist de PEN eine Art Deutscher Mikrokosmos? Wie lang wird die Mauer in den Köpfen – auch mit Blick auf den PEN – noch weiterbestehen?

    Hein: Ich denke, jede Gruppe, jede Organisation ist also eine Art Mikrokosmos. Da können wir auch noch den Anglerverein dazu nehmen. Ich denke, da wird das ganz ähnlich sein. Wir werden in jeder Gruppierung, vermutlich an jedem Stammtisch, sofort diese deutsch-deutschen Probleme in einer Art Mikrokosmos vor uns haben. Ich hatte die Hoffnung – ich weiß nicht, ob ich mich da irre oder ob ich mit der Hoffnung recht habe –, daß wir auf Grund der größeren Schwierigkeiten uns zu einen, vielleicht auch ein paar dieser Schwierigkeiten abgearbeitet haben. Vielleicht hat das etwas geholfen, ich weiß es nicht. Das werden die nächsten Jahre zeigen. Aber gar keine Frage: Wenn fünf Deutsche an einem Tisch sitzen, haben wir natürlicherweise auch sieben Meinungen, und wenn es Intellektuelle sind, dann vervielfältigt sich das noch einmal.

    DLF: Der Schriftsteller Christoph Hein versteht sich als Chronist. Funktioniert das eigentlich noch in einer Zeit, in der sich die gesellschaftlichen Zusammenhänge, aber auch die allgemeinen Werte ganz rapide verändern?

    Hein: Selbstverständlich. Dann sind es eben die Veränderungen, die genannt werden müssen, und wenn sie derart in Fluß sind, daß sie schwer zu kennzeichnen sind oder auch nur zu begreifen sind, dann wird eben diese schwere Kennzeichnung und das Nichtbegreifen zu berichten sein.

    DLF: Sie haben mehrfach erklärt, daß Sie als Schriftsteller am liebsten in einem Elfenbeinturm lebten und arbeiteten. Nun sind Sie als PEN-Präsident seit einem halben Jahr mitten in den Stürmen der Zeit. Haben Sie diesen Schritt schon bereut?

    Hein: Nein, bereut habe ich es nicht. Das ist eine Organisation, die national und international mit diesen Aufgaben – etwa der Hilfe für bedrängte und verfolgte Autoren – so wichtig ist, daß ich da die Zeit - es ist nicht wenig Zeit, die ich da opfere - keineswegs bedaure.

    DLF: Und der Elfenbeinturm verwaist derweilen?

    Hein: Ich habe es in den ersten Monaten geschafft, da ein bißchen das zu trennen. Ich kann meine Arbeitszeit und die Zeit, die ich für den PEN aufbringen muß, ganz gut trennen.