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Heinrich Albertz
Vom konservativen Politiker zum kritischen Pfarrer

Er hat eine politische Wende vollzogen wie kaum ein anderer: Heinrich Albertz. Als es 1967 aus Anlass des Schah-Besuchs in Berlin zu heftigen Protesten - und der Tötung von Benno Ohnesorg - kommt, ist Albertz Regierender Bürgermeister. Er reagiert mit heftigen Vorwürfen an die Studenten. Doch wenige Monate später tritt Albertz von seinem Amt zurück und entwickelt sich zu einem der angesehensten Sprecher der Studenten-und Friedensbewegung. Er wäre heute 100 Jahre alt geworden.

Von Matthias Bertsch | 22.01.2015
    Heinrich Albertz auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1963.
    Heinrich Albertz auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1963. (picture alliance / dpa)
    "Heinrich Albertz wird für eine manchmal unbequeme, oft anstoßend hilfreiche Haltung ausgezeichnet, die sich in ihm immer wieder durchsetzte."
    Als Heinrich Albertz 1980 den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD erhielt, hieß der Laudator Willy Brandt.
    "Er hat in erregten Zeiten den bei Politikern seltenen Mut bewiesen, einen Irrtum einzugestehen und dafür von seinem Amt abzutreten."
    Willy Brandt hatte Heinrich Albertz, der zuvor Flüchtlings- und Sozialminister in Niedersachsen gewesen war, Mitte der 50er-Jahre nach Berlin geholt. Dort stieg er vom Senatsdirektor zum Innensenator auf und wurde im Dezember 1966, als Nachfolger Willy Brandts, Regierender Bürgermeister. Als Albertz Anfang Juni 1967 den Schah von Persien, Mohammed Reza Pahlavi, in Berlin empfing, sah er sich mit massiven Protesten von Studenten konfrontiert, die gegen das gewalttätige Regime im Iran auf die Straße gingen. Am Abend des 2. Juni wurde dabei der Student Benno Ohnesorg erschossen. Albertz saß zu dieser Zeit mit dem Schah in der Oper. Am nächsten Morgen wandte sich der Regierende Bürgermeister an die Öffentlichkeit:
    "Ich habe schon in der vergangenen Nacht gesagt, dass sich die Demonstranten das traurige Verdienst erworben haben, einen Gast der Bundesrepublik Deutschland beschimpft und beleidigt zu haben. Und ich bleibe dabei: Diese Zwischenfälle gehen auf deren Konto. Sie haben die Auseinandersetzungen verursacht, denen ein Student zum Opfer gefallen ist."
    Tief greifende politische Wende
    In den Wochen danach vollzog Albertz eine tief greifende politische Wende. Am 26. September trat er von seinem Amt zurück, da - so die offizielle Begründung - die SPD gegen seinen Willen den zum rechten Flügel der Partei gehörenden Kurt Neubauer zum Innensenator machen wollte. Doch Albertz Rücktritt hing eng mit dem Tod Ohnesorgs zusammen, so der Politikberater und ehemalige Asta-Vorsitzende, Jürgen Treulieb.
    "Also der parlamentarische Untersuchungsausschuss, den es gegeben hatte, der hatte ja Pflichtverletzung beim Polizeipräsidenten und beim Innensenator festgestellt, die dann auch zurücktreten mussten. Er war von dem Untersuchungsausschuss eigentlich entlastet worden, aber er fühlte sich, was man so nennt, politische Verantwortung zu übernehmen, da fühlte er sich zuständig."
    Ein Gefühl, das auch mit seiner religiösen Prägung zu tun hatte. Der am 22. Januar 1915 in Breslau geborene Heinrich Albertz war in einer frommen Familie aufgewachsen und hatte Theologie studiert. In der NS-Zeit wurde er mehrfach verhaftet, weil er immer wieder für die Bekennende Kirche Partei ergriff. Nach dem Krieg wurde er Flüchtlingspastor in Celle und schloss sich der SPD an. Als er im Streit mit der Partei von seinem Amt in Berlin zurücktrat, wurden ihm die kirchlichen Kontakte wieder wichtiger, vor allem die Gespräche mit dem damaligen Landesbischof der Evangelischen Kirche, Kurt Scharf.
    "Der Bischof Scharf hatte den Albertz überzeugt, wieder Pfarrer zu werden. Und das hat ihn auch sehr verändert. Dann trat er auch auf Kirchentagen auf, in diesem mehr linksliberal geprägten Szene, kritisierte dann auch amerikanische Politik, was er als Regierender nie gemacht hat, weil er immer sagte: Die Schutzmacht verliert Interesse an Berlin, wenn wir sie kritisieren."
    Rede vor 300.000 Menschen in Bonn
    Sein Wandel vom eher konservativen Politiker zum kritischen Pfarrer machte ihn in der außerparlamentarischen Opposition zu einem wichtigen Ansprech- und Verhandlungspartner. 1975 begleitete er freigepresste Terroristen der RAF in den Südjemen, sechs Jahre später verhandelte er im Auftrag des Senats mit hungerstreikenden Häftlingen. Vor allem aber wurde er zu einem der prominentesten Sprecher der westdeutschen Friedensbewegung. Als im Oktober 1981 in Bonn rund 300.000 Menschen gegen die atomare Aufrüstung protestierten, war er der erste Redner.
    "Dass sich die Interessen der Vereinigten Staaten und der Europäer noch decken, jedermann weiß, dass dies nicht so ist, jedermann weiß, dass nach dem heutigen Stand der Rüstung und der strategischen Pläne Deutschland in seinen beiden Teilen der Schießplatz der Supermächte sein wird."
    Fünf Jahre später verließ Albertz Berlin und zog sich mit seiner Frau in ein Altenwohnheim nach Bremen zurück, wo er 1993 starb. Im selben Jahr erschien ein Buch, in dem Gespräche mit ihm versammelt sind. Der Titel klingt wie sein Lebensmotto: "Wir dürfen nicht schweigen."