Archiv


Heiße Spur beim Kälberbluten

Eine mysteriöse tödliche Kälberkrankheit gibt den Tiermedizinern weiterhin Rätsel aufgibt. Die sogenannte hämorragische Diathese hat allein in Deutschland schon über 400 Kälber getötet. Auf einem internationalen Symposium in Marseille tauschten Veterinäre ihre Erfahrungen aus, um der Krankheitsursache auf die Spur zu kommen.

Von Anne Kleinknecht |
    Wer wissen will, in welchen Ländern die neue Kälberkrankheit bislang aufgetreten ist, muss nur einen Blick auf Professor Wolfgang Klees Teilnehmerliste werfen. Der Leiter der Klinik für Wiederkäuer in Oberschließheim hatte Anfang Dezember Forscher aus ganz Europa nach Marseille eingeladen.

    "Die Krankheit wurde zuerst in Deutschland registriert. Aber inzwischen gibt es Meldungen aus dem Vereinigten Königreich, merkwürdigerweise noch nicht aus der Republik Irland, aber aus Nordirland, aus den Niederlanden, aus Luxemburg, Frankreich, Italien."

    In fast allen europäischen Ländern sterben Kälber an der Bluterkrankheit. Nur Österreich und die Schweiz blieben bislang verschont - eine Tatsache, die für Spekulationen gesorgt hat. In diesen beiden Ländern verzichtet man nämlich auf die Impfung gegen die Infektionskrankheit BVD, also gegen die Bovine Virusdiarrhöe. Länder, die ihre Rinder impfen, stellen dagegen fest, dass immer nur die Kälber von Müttern erkranken, die zuvor den Impfstoff der Firma Pfizer bekommen haben. Wolfgang Klee:

    "Es waren auch Repräsentanten der genannten pharmazeutischen Firma anwesend und haben den gegenwärtigen Standpunkt der Firma zum Ausdruck gebracht. Der lautet sinngemäß etwa so: Angesichts der Vielzahl der verimpften Dosen ist nicht vorstellbar, dass ein direkter Zusammenhang besteht. Was nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, ist, dass ein indirekter Zusammenhang besteht, in dem Sinne, dass eine Vakzination der Muttertiere ein Co-Faktor in einem vermutlich sehr komplexen Prozess darstellt."

    Der Impfstoff allein kann jedenfalls nicht die Ursache für das Kälberbluten sein, denn es erkranken längst nicht alle Tiere, deren Mütter vorher geimpft wurden. Und doch scheinen die Mütter eine Rolle bei der Übertragung der Krankheit zu spielen. Wolfgang Klee vermutet, dass Antikörper im Kolostrum, also der Muttermilch, die Blutzellen und das Knochenmark der Kälber zerstören.

    "Wir haben sechs Kälber aus zwei Betrieben gekauft, in denen die Krankheit bislang noch nie beobachtet worden ist und auch danach nicht beobachtet worden ist. ... Wir haben diesen sechs Kälbern Kolostrum von Kühen verabreicht, die schon mindestens ein betroffenes Kalb hatten. Und drei von diesen sechs Kälbern haben nach einigen Tagen die Krankheit in klassischer Form entwickelt."

    Tierärzte vom bayerischen Tiergesundheitsdienst in Grub und Virologen der Universität Leipzig vermuten, dass die Mütter mit ihrer Milch ein Virus an ihren Nachwuchs weitergeben: das sogenannte Circovirus, das bislang nur bei Hühnerküken und Schweinen aufgetreten ist. Bei den Küken zerstört das Virus das Knochenmark, Ferkel hindert es am Wachstum. Auch einige erkrankte Kälber haben das Virus in sich getragen. Doch Dr. Jens Böttcher vom Tiergesundheitsdienst warnt vor voreiligen Schlüssen:

    "Der Fund von Circovirus heißt nicht, dass Circovirus ursächlich an dem Krankheitsbild beteiligt ist. Wir müssen es als Beobachtung sehen. Und es muss bewiesen werden, dass das Circovirus wirklich die Blutungsneigung bei Kälbern verursachen kann. Auffällig ist, dass die Blutungsneigung bei Kälbern hauptsächlich in jenen Regionen beobachtet wurde, wo hohe Rinder- und hohe Schweinedichten in Bayern aufeinandertreffen. Das sind die Regionen in Niederbayern und in Süd-Mittelfranken. Das ist vielleicht ein zusätzliches Indiz - mehr aber nicht."

    Auch für das Circovirus gilt: Nicht alle Kälber, die das Virus in sich tragen, erkranken tatsächlich. Es könnte sein, dass Faktoren hinzukommen müssen, damit die Krankheit ausbricht. Jens Böttcher:

    "Das läge durchaus im Bereich des Möglichen, dass eine Virusinfektion und ein Wirkverstärker eines Impfstoffs beispielsweise aufeinandertreffen und einen ungünstigen Einfluss haben auf den Körper."

    Noch sind das Spekulationen. In den kommenden Monaten werden die Forscher das Virus und die Muttermilch genauer analysieren. Die Ursachenforschung geht in die nächste Runde.