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Hélène de Beauvoir
Kleine Schwester und Feministin

Die Kunsthistorikerin Karin Sagner hat sich bereits viel mit Frauen in der Kunstgeschichte beschäftigt. Ihr aktuelles Buch "Souvenirs" enthält die Erinnerungen der Malerin Hélène de Beauvoir, die wie ihre große Schwester Simone für die Sache des Feminismus eingetreten ist.

Von Dina Netz | 26.07.2014
    Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir, aufgenommen bei einer Pressekonferenz in der dänischen Botschaft in Paris am 21.04.1983 nach der Entgegennahme des dänischen Sonning Kulturpreises.
    Die große Schwester: Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir. (picture alliance / dpa / Foto: UPI)
    "Entdeckungen in Bezug auf den Namen de Beauvoir werden heute wohl nur noch selten vermutet."
    Der Satz ist etwas kompliziert, aber in der Sache hat die Herausgeberin Karin Sagner Recht: Die berühmte feministische Schriftstellerin Simone de Beauvoir starb 1986. Und ihr Werk ist ausgiebig publiziert und kommentiert. Trotzdem haben Karin Sagner und der Elisabeth Sandmann Verlag eine Entdeckung gemacht.
    Erinnerungen von Hélène de Beauvoir
    Der Band "Souvenirs" enthält tatsächlich bisher nicht auf Deutsch veröffentlichte Dokumente, allerdings nicht von Simone, sondern von Hélène de Beauvoir, der zwei Jahre jüngeren Schwester. Hélène war Malerin und stand der Pariser Existentialisten-Szene um Jean-Paul Sartre und ihre Schwester nahe. Simone und Hélène teilten ohnehin vieles, zu allererst die feministischen Ideen:
    "Feministin war ich vor Simone und wegen ihr. Das reichte sehr weit zurück. [...] Dass die Männer die Nummer eins und die Frauen die Nummer zwei sein sollten, ließ mich schon immer aufbegehren. Ich war zehn, zwölf Jahre alt, als ich der Behauptung, Männer seien Frauen weit überlegen, man denke nur an Napoleon oder Ludwig XIV., mit der Aufzählung Blanche de Castilles und Jeanne d'Arcs widersprach." (S. 245)
    So erinnert sich Hélène de Beauvoir in den "Souvenirs". Bei ihr mag sich diese frühe Rebellion dadurch erklären, dass sie schon bei ihrer Geburt im Jahr 1910 als zweites Mädchen nach Simone das andere Geschlecht hatte:
    "Sie das erste Kind, ich das zweite, das sagt alles. Freundlich wurde ich nicht empfangen, selbst meine Schwester reagierte angeblich leicht eifersüchtig, das verging aber schnell. Diese großbürgerliche Familie erwartete als zweites Kind einen Jungen, ja sie verlangte ihn, und ich musste dafür büßen; darin liegt die Tragödie vieler Mädchen, die den Platz des Stammhalters stehlen." (S. 31)
    Kindheit und Jugend
    Diese großbürgerliche Familie: Strenge und auf Konventionen bedachte Eltern, die von ihren Töchtern vor allem erwarteten, dass sie heirateten. Überhaupt beobachtete Hélène de Beauvoir in ihrer Familie ausschließlich Männer, die auf Kosten ihrer Frauen lebten. Unter anderem daher rührte wohl ihr unbändiger Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit. Die Schwestern waren außerdem schon früh vom Künstlermilieu fasziniert: Vom Balkon ihrer Wohnung im Pariser Viertel Montparnasse aus konnten sie die Maler und Literaten beobachten, die im berühmten Café "La Rotonde" verkehrten.
    Ihre Entscheidung, Malerin zu werden, erklärt Hélène de Beauvoir unter anderem wieder mit ihrer Rolle als jüngere Schwester: Sie, der jegliche Persönlichkeit von den Eltern abgesprochen wurde, entschied sich für ein Talent, das ihre Schwester nicht hatte. Die Eltern unterstützten den Zeichenunterricht der Schülerin, aber ein Studium gestanden sie ihr nicht zu. Hélène hatte überhaupt nur gegen den Widerstand ihrer Mutter Abitur gemacht. Sie bildete sich an Mal-Akademien weiter. Ihre Schwester Simone unterstützte sie, übrigens ihr Leben lang.
    "Meine künstlerische Entwicklung war anfangs auch dadurch behindert, dass ich eine Frau war. Allerorten bekam ich vor allem von meinem Vater zu hören: Die Frau ist kein schöpferisches Wesen. Für mich war das kein Standpunkt. In meinen Augen war die Frau weder unterlegen noch unfähig, doch da man ihr jeglichen Schöpfergeist absprach, sah ich mich verpflichtet, das Gegenteil zu beweisen. Ich sagte mir: Ich muss den Männern zeigen, dass ich genauso gut zeichne, male, komponiere wie sie. Das war ein Grund dafür, dass ich lange sehr verschult gearbeitet habe. Ich wollte lernen und verbat mir jede Verwegenheit, obgleich Malen Wagnis und Mut einfordert. Mit der Arbeit etwas beweisen zu wollen war ein Fehler, der mich lange verhängnisvoll beeinflusst hat. Heute habe ich mich davon gelöst. Ich folge meinen Impulsen. Alles andere ist unwichtig." (S. 110)
    Leben und Kunst
    Diese Bilanz zog Hélène de Beauvoir 1987 in den Interviews, die dem Band "Souvenirs" zu Grude liegen. Privat folgte sie vielleicht nicht ganz so stark ihren Impulsen. Sie, die nichts mehr fürchtete, als auf die Rolle der Ehefrau und Mutter reduziert zu werden, heiratete schließlich doch, aus pragmatischen Gründen.
    Ihr Ehemann Lionel de Roulet war Diplomat, und an seiner Seite führte Hélène de Roulet, wie sie nun eigentlich hieß, ein Leben an ständig wechselnden Orten: Portugal, Paris, Wien, Belgrad, Marokko, Mailand hießen die Stationen. Bis das Paar schließlich ein Haus im Elsass bezog. Trotzdem war Hélène de Beauvoir präsent: Sie stellte regelmäßig aus, ihre Kunst wurde unter anderem von Picasso anerkannt. Aber immer war sie weit weg vom Nabel der französischen Kunstszene:
    "Seit ich im Elsass wohnte, wurde ich in Paris vergessen. Ich stelle nur noch im Ausland aus: Frankfurt, Den Haag, Mexiko, Mailand, Tokio, New York, um nur einige zu nennen. Sollte ich zugeben, dass Paris mir fehlte?" (S. 234)
    Künstlerisches Erbe
    Hélène de Beauvoir hat nach ihrem Tod 2001 ein umfangreiches Oeuvre hinterlassen, mehr als 3000 Werke, Ölbilder, Zeichnungen, Kupferstiche, Holzschnitte und vieles mehr – sie war stilistisch vielfältig und ohne Frage begabt. Dennoch ist sie heute, auch in ihrer Heimat Frankreich, weitgehend vergessen. Das liegt nicht nur daran, dass sie die "kleine Schwester" der berühmten Simone war.
    Es hat eher damit zu tun, dass eine Frau es zu ihrer Zeit als Malerin noch deutlich schwerer hatte als eine Schriftstellerin, sich durchzusetzen, zumal wenn sie in der französischen Provinz wohnte - die Malerei war noch stärker eine Männerdomäne als die Literatur. Außerdem fehlte Hélène de Beauvoir ein prominenter männlicher Mentor wie Sartre, der sie unterstützte. Zudem setzte die kinderlose Künstlerin keinen Nachlassverwalter ein. Ein bisschen seltsam ist, dass Hélène de Beauvoir in ihren Erinnerungen dem eigenen Leben gegenüber eigenartig distanziert wirkt. An einer Stelle betont sie, dass sie ihr Gefühlsleben lieber nicht ausbreiten will, weil sie sich vor Exhibitionismus fürchtet.
    Das entspricht offenbar ihrem Charakter, Hélène de Beauvoir war eine zurückhaltende Frau. Es ist dennoch ein wenig schade, denn man erfährt recht viele Fakten aus ihrem Leben, aber wenig über die Dinge, die sie beschäftigten. Trotzdem: Die jüngere Schwester de Beauvoir hat fast das gesamte turbulente 20. Jahrhundert erlebt, war mit Edith Piaf, Albert Camus oder Boris Vian Teil der Pariser Avantgarde. Und so sind ihre Erinnerungen ein hochinteressantes Zeitdokument.
    Hélène de Beauvoir: "Souvenirs. Ich habe immer getan, was ich wollte"
    Herausgegeben von Karin Sagner
    Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke
    Elisabeth Sandmann Verlag, München 2014
    288 Seiten, 24,95 Euro