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Helfer in der Katastrophenregion benötigen psychologische Unterstützung

Bettina Klein: Zusammen mit dem Malteser Hilfsdienst arbeiten in Deutschland zwei Organisationen, die sich mit der psychologischen Bewältigung von außergewöhnlichen Stresssituationen beschäftigen. Sie bilden eine Bundesarbeitsgemeinschaft, die psychosoziale Unterstützung für Einsatzkräfte anbietet, wie für jene, die jetzt aus den Katarstrophengebieten zurückkommen. Oliver Gengenbach ist einer der Mitarbeiter, von Beruf Pfarrer, Seelsorger, Trainer in der Erwachsenenbildung. Wie viele der Helfer brauchen derzeit, fast zwei Wochen nach der Katastrophe, selbst Hilfe?

Moderation: Bettina Klein |
    Oliver Gengenbach: Im Moment ist es so, dass noch nicht viele Helfer zurückgekehrt sind, manche sind auch jetzt gerade erst aufgebrochen, aber wir haben schon erste Betreuungen und rechnen damit, dass das in den nächsten Tagen noch sehr anwachsen wird.

    Klein: Was für Mitarbeiter sind das vor allem, von welchen Arbeiten kehren die zurück?

    Gengenbach: Wir wissen beispielsweise von den THW-Helfern, vom DRK, DLRG, dann ist auch zu denken an das Bundeskriminalamt, die die Identifizierungskommission bilden und auch noch einige anderen Gruppen, die Wasseraufbereitungsanlagen dort unten betreiben.

    Klein: Man selbst sieht die Fernsehberichte über BKA-Beamte, die wohl dort die schrecklichste Arbeit zu bewältigen haben, nämlich entstellte Leichen zu identifizieren. Man hat das Gefühl, diese Menschen brauchen dann besondere Unterstützung. Stimmt das?

    Gengenbach: Ja, wobei man natürlich auch sagen muss, das sind alles professionelle Helfer und Beamte, die diese Arbeit ja auch sonst tun. Das heißt, die haben natürlich ihre eigenen Bewältigungsmechanismen, sonst könnten sie ja diese Arbeit gar nicht machen. Das bedeutet, dass Einsatzkräfte in der Regel die Belastung, die sie da zu tragen haben, auch selbständig verarbeiten, und das auch reicht, was sie da an eigenen Möglichkeiten haben. Es gibt aber Einsätze - und da würde ich den gegenwärtig laufenden schon dazuzählen - wo eine zusätzliche Unterstützung notwendig und geboten ist, weil sie doch den Normalrahmen der Tätigkeiten weit übersteigt.

    Klein: Welche Art der Unterstützung können Sie denn konkret bieten?

    Gengenbach: Was wir tun ist, dass wir zeitnah nach den Einsätzen die Beamten und Einsatzkräfte unterstützen, weil von Einzelgesprächen oder auch in Gruppengesprächen, auch in sogenannten Debriefings. Diese Gespräche dienen zum einen dazu, dass die Einsatzkräfte die Gelegenheit haben, sich noch mal ihre Eindrücke von der Seele zu reden und auch zu strukturieren und zu ordnen. Zum zweiten bekommen sie Grundinformationen über solche Stressbelastungen und wie man damit auch sinnvoll umgehen kann.

    Klein: Welche Hinweise geben Sie den Helfern, psychologisch damit besser umzugehen?

    Gengenbach: Was nach solchen Ereignissen grundsätzlich sinnvoll und richtig ist, ist einmal eine Balance zu finden zwischen sich ablenken und darüber sprechen, das ist das eine. Das andere ist, dass man einfach wissen muss, dass verschiedene Belastungsreaktionen auftreten können, beispielsweise körperlicher Art: Bluthochdruck, Herzrasen, Einschlafstörungen und so weiter; häufig sind auch die wiederkehrenden Bilder. Das alles ist wichtig für die Einsatzkräfte zu wissen, dass das normale Reaktionen auf ein unnormales Ereignis sind, dass sie nicht krank sind und sich in der Regel auch davon erholen werden. Dieses Wissen ist schon mal sehr wichtig. Dann gibt es natürlich Dinge, die man erwähnen kann, dass es wichtig ist, zur Ruhe zu kommen. Sport und Bewegung sind gut. Es ist wichtig, schnell wieder eine normale Alltagsstruktur aufzunehmen, dass man sich in den Beziehungen, in denen man auch lebt, Freundschaften, Familie, Kollegen, dass man sich dort bewegt und sich nicht zurückzieht. Solche Tips geben wir.

    Klein: Das klingt alles sehr gut gemeint und sicherlich auch richtig, aber dennoch auch recht allgemein. Wir haben ja auch die Fälle nach dem 11. September zum Beispiel gehabt, dass Rettungskräfte teilweise auch Selbstmord begangen haben. Welche konkreteren Hilfsmaßnahmen kann man anbieten?

    Gengenbach: Man darf es nicht dramatisieren. Die Selbstmordphantasien, die manche haben, die sind unberechtigt, und das ist eher selten der Fall, und wir wissen auch nicht womit das genau zusammenhängt, und das ist überhaupt nicht die Regel. Was richtig ist, ist, dass bei manchen das Bild, was sie von der Welt haben, die Normen und das Wertegefüge, auch die Art und Weise, wie sie sich in dieser Welt beheimaten, das wird natürlich sehr stark erschüttert durch diese Erlebnisse, wenn man etwa 20 Kinderleichen sieht, kann das Weltbild natürlich sehr aus den Fugen geraten. Dann kann es sehr wichtig sein, dass man das entweder auch mit professioneller Unterstützung, einem Seelsorger oder im eigenen Freundeskreis, mit der Familie oder für sich selbst durchdenkt und zu einer Möglichkeit kommt, das wieder in sein eigenes Weltbild miteinzufügen. Das ist sehr wichtig.

    Klein: Inwieweit ist das, was Sie dort tun insofern verallgemeinerbar, als wir alle ja damit beschäftigt sind, mit diesem Grauen fertigzuwerden und das Gefühl haben, es eigentlich nicht verarbeiten zu können. Welche psychologischen Methoden helfen uns allen?

    Gengenbach: Es gibt natürlich eine Tiefenschicht, wo die Psychologie alleine nicht reicht. Wir haben in unserer Gesellschaft, ob wir das wollen oder nicht, uns daran gewöhnt, alles sehr sicher zu finden und können uns im Grunde gar nicht mehr vorstellen, dass so etwas wie eine solche Unsicherheit im Leben gibt. Die gibt es aber nach wie vor. In unseren westlichen Ländern ist das im 21. Jahrhundert eher selten geworden, aber das war zu anderen Zeiten anders. Es gibt natürlich keine hundertprozentige Sicherheit, und woran wir alle nicht gerne erinnert werden, ist, dass es so etwas wie Tod gibt, plötzlichen, unzeitigen Tod. In solchen Katastrophen wird das natürlich sehr deutlich, vor allem auch durch diesen Gegensatz: schöner Urlaub, Sonne, Strand und dann dieses grauenhafte Erleben und der Tod. Das sind Dinge, über die wir, wenn es geht, nicht gerne nachdenken, aber da werden wir eben drauf gestoßen durch diese Ereignisse.