Donnerstag, 25. April 2024

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"Helikopter-Streichquartett"
"Das sprengt alles, was wir bisher kennengelernt haben"

Das "Helikopter-Streichquartett" von Karlheinz Stockhausen wird mit vier Helikoptern und dem Minguet Quartett in Ingolstadt aufgeführt. "Wir mischen mit dem Quartett gerne das ganze Repertoire auf", sagte Annette Reisinger (erste Violine) im DLF. Das Quartett habe schon vieles erlebt, aber das anstehende Konzert sprenge wirklich alles.

Annette Reisinger im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 19.07.2015
    Burkhard Müller-Ullrich: Aber jetzt machen wir mit unserem Helikopter nicht nur Krach und Wind, sondern auch Musik - es kommt bloß drauf an, dass man sie hört. Morgen gibt es in Ingolstadt Gelegenheit dazu, denn morgen wird dort das Helikopter-Streichquartett von Karlheinz Stockhausen aufgeführt, und zwar von dem auf Neue Musik spezialisierten Minguet Quartett, dessen Geigerin Annette Reisinger uns jetzt am Telefon Auskunft gibt. Frau Reisinger, beim Helikopter-Quartett sitzen Sie und Ihre drei Mitspieler wirklich in vier Hubschraubern und musizieren in der Luft. Haben Sie da einen Helm auf oder wie geht das mit der Violine?
    Annette Reisinger: Wir sind mit einigem ausgerüstet, nicht mit Helmen, aber es wird hier wirklich an allen Ecken und Enden extrem viel Technisches vorbereitet. Wir haben gestern in München noch in einem Studio alles simuliert, und jetzt sind wir hier in Ingolstadt erst mal in einem Gymnasium, wo das auch noch mal auf höherem Level simuliert wird. Und morgen Vormittag haben wir dann eine echte Generalprobe, also auch den ersten Flug, der dann auch schon so aufgezeichnet wird, dass für den Fall, dass es am Nachmittag Gewitter geben sollte, das auch zur Not gezeigt werden könnte. Aber natürlich hoffen wir, dass wir dann die richtige Aufführung um drei Uhr nachmittags spielen können.
    Müller-Ullrich: Also im Grunde machen Sie das Ganze nur mit einer Probe.
    Reisinger: Ja - also zumindest mit full board ja, genau. Das ist auch sonst, ehrlich gesagt, finanziell gar nicht zu stemmen, glaube ich. Selbst bei Audi ist das nicht drin, da mehrere Flüge zu machen.
    "Wir hören einen Click Track"
    Müller-Ullrich: Also das ganze Stück schaut ja so aus: Man erhebt sich zunächst mal fünf Minuten lang in die Luft, dann wird oben gekreist, sechs Kilometer im Kreis, und derweil spielen Sie und hören sich verbunden durch Technik miteinander, und das wird dann gemischt.
    Reisinger: Jein, wir hören uns gegenseitig nicht. Wir hören einen Click Track, also will sagen, die Takte, und zwar - das ist sehr angenehm -, es ist zum einen ein echter Click zu hören, und zum anderen wird von dem Sohn von Karlheinz Stockhausen, von einem der Söhne, werden die Taktzahlen und auch die Schlagzahlen gesprochen, sodass man immer ganz genau weiß, wo man ist. Und gemischt wird das dann erst unten im Saal, wo das dann auf eine große Leinwand auch visuell übertragen wird. Es ist in jedem Helikopter auch eine Kamera, die sowohl den einzelnen Spieler, die vier Spieler filmt wie auch einen Teil des Hintergrunds, also sprich, man sieht auch Landschaft.
    Müller-Ullrich: Also ich stelle mir vor, es ist aufregend, es macht sicher auch Spaß, aber was ist mit der Musik. Ist das nicht ein bisschen musikalische Antimaterie?
    Reisinger: Der Begriff Musik ist ein sehr, sehr weites Feld, allerspätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, und nachdem wir mit dem Quartett gerne eigentlich das ganze Repertoire aufmischen, also sprich von der Kunst der Fuge bis zu Uraufführungen, haben wir schon vieles erlebt und gesehen, gesprochen, mit Elektronik, gebrüllt, gesungen, alles Mögliche, aber das, muss man sagen, sprengt jetzt wirklich alles, was wir bisher gesehen und kennengelernt haben.
    Müller-Ullrich: Es ist ja nicht nur das Aleatorische, was in der Musik auch oft eine Rolle spielt, dass man also einfach Zufälle aufnimmt und sagt, die Aufführung ist eben so, aber der performative Charakter, der beruht ja nun tatsächlich auch auf dem Geräusch von Rotorblättern, die alles übertönen.
    Reisinger: Ja. Also man muss dazusagen, dass dieses Stück, ausgerechnet dieses jetzt, wo ja so viel eigentlich auch aus technischer Sicht und auch aus spielerischer Sicht schiefgehen könnte, weil so viele Unwägbarkeiten vorkommen, es ist nicht aleatorisch vorgesehen, sondern es ist von Stockhausen wirklich teilweise auf halbe Sekunden genau alles ausgerechnet. Ob das nachher so funktioniert, ist die andere Sache und Frage. Das ist alles sehr genau geplant eigentlich von ihm.
    "Beide Werke sind absolut kompromisslos"
    Müller-Ullrich: Zusammen wird es aufgeführt mit - Achtung! - Beethovens Opus 130, darin ist die Fuge enthalten, die natürlich auch ein paar Ansprüche stellt. Warum das zusammen?
    Reisinger: Also das ganze Konzept stammt von Kent Nagano, der hier ein großes Festival im Festival, also im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte konzipiert hat, und da geht es wirklich um Extreme, denke ich, und um wegweisende Stücke, und beide gehören dazu, sowohl Beethovens Opus 130 mit 133, mit der großen Fuge, wie auch das Helikopter-Quartett. Ich würde es so charakterisieren wollen, dass beide Werke absolut kompromisslos sind. Beethoven weiß man ja, das ist eines seiner ganz späten Werke, insbesondere jetzt die große Fuge, die er ohne Rücksicht auf seine Zeitgenossen und wahrscheinlich auch ohne Rücksicht auf sich selbst irgendwo niedergeschrieben hat.
    Müller-Ullrich: Und auch auf die ausführenden Musiker.
    Reisinger: Auch das, es stellt wirklich alle, alle großen Ansprüche, und bei Stockhausen ist es ähnlich. Er wollte ja eigentlich gar kein Streichquartett schreiben - hatte schon längst einen Auftrag der Salzburger Festspiele -, und irgendwann, so sagt es zumindest die Legende, hat er dieses Stück geträumt und hat es dann eben geschrieben als Teil der Oper "Mittwoch" aus diesem großen Zyklus "Licht".
    Müller-Ullrich: Der Musikkritiker Eduard Hanslick, Beethovens Zeitgenosse, hat ja gesagt, dieses Stück, die große Fuge, sei ein merkwürdiges Dokument seiner gewaltigen, aber bereits seltsam kranken Fantasie.
    Reisinger: Könnte man vielleicht auf Stockhausen übertragen, aber es steht einem natürlich als Interpret sowieso nicht zu, überhaupt zu urteilen. Ich finde, überhaupt noch nicht mal Musikkritiker müssen eigentlich urteilen, sondern die Dinge sind da, und sie müssen von uns als Spielern, also sogenannten Interpreten - wobei ich auch mit dem Begriff sehr vorsichtig bin -, von uns als Spielern dargestellt werden so gut es geht, und ja, dann soll sich jeder sein Urteil bilden. Aber eigentlich ist auch das nicht nötig, sondern es gibt auch noch eine übergeordnete Form der Wahrnehmung, und die würde ich jedem morgen bei dieser Aufführung wünschen.
    Müller-Ullrich: Danke, Frau Reisinger! Annette Reisinger ist Geigerin des Minguet Quartetts, das morgen in Ingolstadt Karlheinz Stockhausens Helikopter-Streichquartett in vier Hubschraubern zur Aufführung bringt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.