Sonntag, 28. April 2024

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Hellenbroich: Zuständigkeiten des Verfassungsschutzes sind sehr zersplittert

Die föderalistische Gliederung des Verfassungsschutzes erschwere dessen Arbeit, sagt der Ex-Präsident des Bundesverfassungschutzes, Heribert Hellenbroich. Für eine bessere Koordinierung hält er ein Terrorismus-Abwehrzentrum für sinnvoll.

Heribert Hellenbroich im Gespräch mit Silvia Engels | 18.11.2011
    Silvia Engels: Ermittler und Verfassungsschutzexperten suchen weiter nach Details rund um die rechtsextreme Terrororganisation in Thüringen, auf deren Konten mehrere ausländerfeindlich motivierte Mordanschläge und diverse Banküberfälle gehen. Daneben müssen sich die Behörden auch Fragen nach Ermittlungspannen und gar einer möglichen Tolerierung der Gruppe durch einzelne Verfassungsschutzbeamte stellen lassen. Wo stehen die Ermittlungen, aber was ist generell zu tun? Darüber berät eine hochrangige Runde im Bundeskanzleramt.
    Am Telefon ist nun Heribert Hellenbroich. Er hat lange Erfahrung mit der Alltagspraxis beim Bundesamt für Verfassungsschutz. 1966 begann er, für die Behörde zu arbeiten, er wurde dann 1981 Vizepräsident und schließlich von 1983 bis ’85 Verfassungsschutzpräsident. Er gehört der CDU an und ist nun am Telefon. Guten Tag, Herr Hellenbroich.

    Heribert Hellenbroich: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Hätten Sie sich auch aus Ihrer Praxis heraus vorstellen können, dass Ermittlungspannen oder fehlende Absprache von Sicherheitsbehörden untereinander dazu führt, dass eine Tätergruppe unerkannt eine solche Kette an Mordtaten verübt?

    Hellenbroich: Das ist schwierig zu beantworten. Es hängt eben damit zusammen, dass die Zuständigkeiten doch sehr zersplittert sind bei uns. Da gibt es das Bundesamt für Verfassungsschutz, da gibt es die Landesämter für Verfassungsschutz, sogar jetzt 16, dann gibt es die Polizei, dann gibt es die Kriminalpolizei. Also das ist alles eine etwas schwierige Konstruktion. Allerdings fällt es mir auch schwer – ich kenne den aktuellen Fall natürlich jetzt nicht -, es ist schwierig oder wenig glaubhaft, dass 14 Jahre lang nichts bekannt wurde. Aber ich will da niemandem Vorwürfe machen. Wie gesagt, ich kenne die Hintergründe nicht.

    Engels: Sie kennen aber das Bundesamt für Verfassungsschutz aus der Praxis. Sie können natürlich nicht über Details sprechen, aber haben Sie auch in Ihrer Zeit Fälle erlebt, wo einfach schnelle Ermittlungsergebnisse daran scheiterten, dass die Absprachen zwischen den Sicherheitsbehörden nicht funktionierten?

    Hellenbroich: Kann ich mich jetzt nicht daran erinnern. Es war manchmal schwierig, vor allen Dingen, wenn es um gemeinsame Observationen geht, ob das nun Spionage ist oder rechts oder links. Das hängt damit zusammen, dass die Länder immer sehr eifersüchtig über ihre Zuständigkeiten wachten. Und wir sind – das muss man auch mal sagen – praktisch der einzige Nachrichtendienst, ein Inlandsgeheimdienst - das ist der Verfassungsschutz -, auf der ganzen Welt, der in dieser Form föderalistisch gegliedert ist. Selbst in den USA, wo ein sehr starker Föderalismus herrscht - denken Sie an die ganzen Staaten in den USA -, gibt es einen zentralen Inlandsgeheimdienst, nämlich das FBI, der überall weisungsbefugt ist. Da hat die Frau Leutheusser-Schnarrenberger einen guten Vorschlag gemacht, der überlegenswert ist: Kann man das nicht bündeln? Dann fallen auch viele Punkte weg. Ich erinnere mich nur, dass doch ein ziemlicher Teil meiner Arbeitskraft als Präsident darauf ging zu koordinieren, mit den Ländern übereinzukommen, sie zu überreden und so weiter und so weiter und so weiter.

    Engels: Das heißt, ein Zurückschneiden dieser ganzen Landesämter von jetzt 16 auf drei oder vier, wie Justizminister Leutheusser-Schnarrenberger es vorschlägt, würden Sie für praktikabel halten?

    Hellenbroich: Absolut für praktikabel. Man muss ja auch den Hintergrund wissen, das ist nämlich Historie. Nach dem Weltkrieg hat die britische Besatzungsmacht ja den Verfassungsschutz aus der Taufe gehoben, war aber bestrebt, nun ja nicht wieder eine Behörde wie die schlimme Gestapo zu zaubern, also keine polizeilichen Befugnisse für den Verfassungsschutz - halte ich für richtig -, aber dann auch föderalistisch. Das heißt, jedes Bundesland, damals waren es elf, bekommt einen eigenen Verfassungsschutz, ohne dass das Bundesamt direkt weisungsbefugt wird. Die wollten bewusst zersplittern. Und die Dinge sind doch jetzt weg! Wir sind eine straffe Demokratie und eine feste Demokratie vor allen Dingen. Jetzt ist es wirklich Zeit zu überlegen, diesen teilweise doch Konkurrenzbereich zu ändern.

    Engels: Zugleich ist es ja, Sie haben es angedeutet, schwierig, die Länder dazu, zu einer Zustimmung zu bewegen. Was halten Sie da von den Alternativvorschlägen, zumindest eine Verbunddatei beispielsweise zu gründen, oder Terrorabwehr zentraler zu bündeln, das heißt die Bereiche, die wirklich schnelle und gute Information verlangen, schneller zusammenzubringen? Kann das etwas bringen, oder zeigen die letzten Dateien- und Zentralismusversuche dieser Art, dass das dann nicht genügt?

    Hellenbroich: Wir haben ja teilweise Verbunddateien: Das nachrichtendienstliche Informationssystem, in dem alle Verfassungsschutzbehörden angeschlossen sind. Aber dann die Idee, jetzt so ein Terrorismus-Abwehrzentrum zu bilden, ist nicht schlecht, damit man eine bessere Koordinierung hinkriegt. Dann muss man aber auch Weisungsbefugnisse festlegen. Das ist immer der alte Streit, der gilt auch wahrscheinlich jetzt noch, dass die Länder eifersüchtig darauf bedacht sind, nicht vom Bund sich hineinreden zu lassen. Man arbeitet zusammen, klar, aber man will Eigenständigkeit wahren. Das ist nun mal so.

    Engels: Aber wenn man alles zentral zusammenfassen würde, wie Sie es vorschlagen, sehen Sie dann nicht mehr die Gefahr, dass sich da vielleicht auch eine zentrale Behörde verselbstständigt? Das ist ja auch in der Tat die Gefahr, die man in früheren Jahrzehnten gesehen hat.

    Hellenbroich: Ja, sicher. Da ist eine Gefahr und da müssen eben auch klare Zuständigkeiten insbesondere meinetwegen durch den Bundesinnenminister geschaffen werden, der notfalls dann eingreift. Wenn etwas verbunden wird, wenn Dateien in unserer heutigen technologischen Zeit verbunden werden, besteht immer die Gefahr, dass da, na ja, Daten sich anhäufen. Dann kommt auch der Datenschutzbeauftragte noch da rein, und der hat ja sowieso immer Einwände gegen solche Dinge.

    Engels: Gestritten wird ja in diesem ganzen Komplex auch darüber, inwieweit die jahrelange Praxis, sogenannte V-Leute teilweise auch mit einer persönlichen Nähe zum Rechtsextremismus diejenigen sein zu lassen, die rechtsextreme Organisationen beobachten. Ist das noch haltbar?

    Hellenbroich: Nein. Ein V-Mann hat ja nur dann Sinn, wenn er an Informationen kommt, und das kann er ja nur, wenn er eben halt Kontakte hat und so weiter. Der darf nur nichts steuern, das ist klar. Das hat ja auch das Verfassungsgericht beim Verbot festgestellt. Es ist unmöglich oder nicht zulässig, dass V-Leute in zentrale Funktionen reinkommen, jetzt meinetwegen in den Bundesvorstand der NPD oder was. Das geht nicht! Das ist auch festgelegt. Da gibt es Richtlinien.

    Engels: Und das gab es zu Ihrer Zeit nicht?

    Hellenbroich: Doch, doch, doch, gerade zu meiner Zeit. Da erinnere ich mich noch genau, wie wir das festgelegt haben: V-Leute dürfen nicht in zentrale Funktionen reinrutschen. Das gilt natürlich dann auch für den Terrorismusbereich.

    Engels: Das heißt, da ist unter Ihren Nachfolgern dann einiges schiefgelaufen?

    Hellenbroich: Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht bewerten. Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kenne ja auch sehr gut den jetzigen Präsidenten, Herrn Fromm, der mit Sicherheit da sehr darauf achtet, gerade die Grundsätze, die das Verfassungsgericht aufgestellt hat, zu berücksichtigen. Also ich kann es mir nicht vorstellen, dass das irgendwann aufgeweicht wurde.

    Engels: Heribert Hellenbroich. Er war von ’83 bis ’85 Präsident des Verfassungsschutzes. Vielen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.