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Hellmut G. Haasis: Tod in Prag. Das Attentat auf Reinhard Heydrich

Seit dem gewaltsamen Tode des Heydrich, dem natürlichsten Tode also, den ein Bluthund wie er sterben kann, wütet überall der Terror krankhaft-hemmungsloser als je... Ist nicht ein Tod, wie er ihn fand, das selbstverständlichste Ding von der Welt, ein einfaches Berufsrisiko...? Nun also, er ist ermordet worden. Und wie nehmen die Nazis das auf? Sie fallen in Krämpfe.

Horst Meier | 03.06.2002
    Der exilierte Schriftsteller Thomas Mann fand solch deutliche Worte in seinem "Nachruf auf einen Henker", der Ende Juni 1942 vom deutschsprachigen Dienst der BBC gesendet wurde. "Tod in Prag" hat Hellmut G. Haasis seinen Band überschrieben, in dem er das Attentat auf Reinhard Heydrich rekonstruiert.

    Der Plan, Reinhard Heydrich zu töten, geht auf Edvard Benes zurück, den Chef der tschechoslowakischen Exilregierung in London. Die Alliierten sollten beeindruckt und dem Untergrund neuer Mut eingeflößt werden. Die Fallschirmagenten, die das Attentat am 27. Mai 1942 verübten, lauerten Heydrich, der im offenen Wagen ohne Begleitschutz fuhr, an einer Haarnadelkurve in der Prager Vorstadt auf. Sie hatten es auf den "Stellvertretenden Reichsprotektor von Böhmen und Mähren" und einen der mächtigsten Männer im Terrorapparat der Nazis abgesehen, sie trafen aber auch - wie man heute weiß - eine treibende Kraft für die so genannte "Endlösung" der Judenfrage. Nach dem Anschlag erreichte die "Heydrichiade", die Schreckenszeit, die mit Heydrichs Machtübernahme begann, ihren Höhepunkt: Massenverhaftungen, Auslöschung der Orte Lidice und Lezáky, mehr als 1.300 Todesurteile, Deportation von 3.000 Juden. Benes, 1945 aus dem Exil zurückgekehrt und erneut zum Staatspräsidenten gewählt, stritt daher zeitlebens ab, die Geheimoperation "Anthropoid" in Auftrag gegeben zu haben. Die Kommunisten, die ihn 1948 aus dem Amt drängten, schmähten die Fallschirmspringer als "imperialistische Agenten". Erst 1992 würdigte Václav Havel ihre Tat als einen der "bedeutendsten Widerstandsakte im gesamteuropäischen Ausmaß".

    Weil hierzulande das Attentat weitgehend unbekannt blieb, ist eine Publikation zum 60. Jahrestag zu begrüßen. Wenn Hellmut Haasis aber einleitend den Anspruch erhebt, sein Buch rekonstruiere, "was im Sommer 1942 tatsächlich geschah", fragt man sich erstaunt, ob er den Arbeiten der beiden Autoren, die eben dies bereits getan haben, etwas hinzufügen kann.

    Da ist zum einen der Prager Journalist Miroslav Ivanov. In den sechziger Jahren spürte er zahlreiche, damals noch lebende Zeitzeugen auf und sammelte deren Berichte. Sein Buch, ein fragmentarisches Puzzle, eine Mischung aus Protokoll und Prosa, erschien erstmals 1963, die deutsche Übersetzung 1993. Da ist zum anderen der schottische Historiker Callum MacDonald. Er durchforstete englische Archive, stützte sich auf die Berichte Ivanovs sowie die Erinnerungen tschechoslowakischer Offiziere des Exilgeheimdienstes. Die deutsche Ausgabe seiner brillanten Studie, die das Attentat in den Kontext der internationalen Politik stellt, erschien 1990.

    Was Haasis diesen beiden Büchern zu verdanken hat, sieht man seinem eigenen auf den ersten Blick nicht an: Ivanov taucht als "Prager Spurensammler" im Text hin und wieder auf, MacDonald nur ein einziges Mal. Die Quellennachweise belegen indes, dass die entscheidenden Kapitel vor allem auf diesen Arbeiten beruhen - und nicht etwa auf den spärlichen Fakten, die Haasis in einigen Prager Archiven selbst recherchiert hat.

    Auch mit seinen Interpretationen überzeugt Haasis nicht. So zeichnet er ein "Psychogramm" von Heydrich und bezichtigt andere der "Dämonisierung". Er selbst aber verklärt den SS-Obergruppenführer als "jungen bösen Todesgott", der im übrigen ein verkappter Selbstmörder gewesen sei. Gewiss, der Kampfsportler und Jagdflieger Heydrich war total überzeugt von seiner Strategie aus Terror und Propaganda, er war fahrlässig arrogant. Dass er aber an Todessehnsucht litt, lässt sich nicht mit einem Allerweltszitat von Erich Fromm belegen.

    Haasis schönt die schwierige Lage des von der Gestapo arg bedrängten tschechischen Widerstands, ja, er sitzt der Selbststilisierung Heydrichs auf, wenn er behauptet, eine sich zuspitzende Krise habe Hitler bewogen, Heydrich zum Reichsprotektor zu machen. Es spricht aber vieles dafür, dass sein Vorgänger, Konstantin von Neurath, Diplomat mit gemäßigten Methoden, einer Intrige der SS zum Opfer fiel.

    Haasis' fragwürdige Interpretation betrifft auch den Kern des Geschehens. Er unterschlägt zwar nicht, dass führende Köpfe aus dem Widerstand die Attentäter beschworen, nicht die Rache der Nazis zu provozieren, und per Funk an die Exilregierung appellierten, den Einsatzbefehl zu widerrufen. Der Autor kanzelt aber die Zweifler als "Bedenkenträger" ab. Und verkündet mit Blick auf mehr als 5.000 Opfer, "auch ohne Widerstandsaktionen hätten weder die SS noch die Gestapo einen einzigen Juden oder sonstigen Todgeweihten verschont". In solchen Passagen wirkt die nachvollziehbare Bewunderung, die der Autor für das Attentat hegt, eher peinlich.

    Haasis erzählt ordentlich nach, wie Heydrich sein verdientes Ende fand. Aber er tut es meist ohne Tiefenschärfe. Er tut es, ohne das Zwielicht, in das selbst dieses Attentat getaucht ist, erkennbar werden zu lassen. Indem er die haarsträubenden Widersprüche glättet und das Dilemma kleinredet, wird er nicht einmal seinen Helden gerecht, die, versteckt in der Krypta einer Kirche, in Selbstzweifel und Trübsinn verfielen, ja, angesichts der furchtbaren Repressalien an Selbstmord dachten. Fazit: Wer dieses Attentat und seine geschichtlichen Hintergründe angemessen verstehen will, muss auf die (derzeit nicht lieferbaren) Bücher von Callum MacDonald und Miroslav Ivanov zurückgreifen.

    Hellmut G. Haasis, "Tod in Prag. Das Attentat auf Reinhard Heydrich", Rowohlt Verlag, Reinbek, 217 Seiten, 19,90 Euro. Zur Zeit leider nicht lieferbar sind die erwähnten Bücher von Ivanov und MacDonald. Für Interessierte, die sich an ein Antiquariat oder eine Biliothek wenden wollen, hier die bibliographischen Angaben: Miroslav Ivanovs Spurensuche "Der Henker von Prag. Das Attentat auf Heydrich". ist 1993 in der Berliner Edition q erschienen, und der Münchener List Verlag hat 1989 den Band von Callum MacDonald herausgebracht. Titel: "Heydrich - Anatomie eines Attentats".