Archiv


Helmut Kohl legt den Ehrenvorsitz der CDU nieder

Heinemann: Helmut Kohl hat den Fehdehandschuh aufgenommen. Der ehemalige Bundeskanzler legte gestern gegen 18.30 Uhr den Ehrenvorsitz der CDU nieder. In einer am Abend in Berlin verbreiteten Erklärung Kohls heißt es: 'Ich sehe mich außerstande, mein Versprechen, das ich einigen Persönlichkeiten, die meine Arbeit in der CDU finanziell unterstützt haben, zu brechen'. Weiteres Ungemach droht. Die Wirtschaftsprüfer der CDU haben Generalsekretärin Merkel offenbar darüber informiert, dass nach ihrer Einschätzung das Finanzgebaren der vergangenen Jahre als 'Geldwäsche' eingestuft werden könne, und nach Darstellung von Hessens Ministerpräsident Koch hat es noch mehr als die bisher bekannten Zahlungen von dem Schweizer Auslandskonto an die CDU gegeben – nachzulesen heute in der FRANKFURTER RUNDSCHAU. Am Telefon ist Friedrich Merz, der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende. Guten Morgen.

    Merz: Guten Morgen Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Merz, war das gestern der Bruch zwischen Kohl und der CDU?

    Merz: Damit tun wir uns alle unglaublich schwer. Es ist zumindest die klare Feststellung des Bundesvorstandes und des Präsidiums der CDU Deutschlands gewesen, dass wir es nicht billigen, wie er sich verhält, und dass wir nun unser Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen und dafür sorgen müssen, dass die Dinge wieder in Ordnung kommen.

    Heinemann: Wie beurteilen Sie seine Reaktion?

    Merz: Wir alle haben kein Verständnis dafür, wie er sich verhält. Kurt Biedenkopf hat das auch noch einmal sehr deutlich gesagt, dass wir auch die Motive nicht nachvollziehen können, und dass wir uns nicht darüber wundern dürfen, wenn jetzt die Spekulationen noch stärker ins Kraut schießen, was denn die Begründung nun sein könnte. Aber wir müssen nun dafür sorgen, dass wir diese Dinge wieder in Ordnung bringen. Dieses Problem geht weit über den Kern der CDU und über die Mitgliedschaft der CDU hinaus. Dies ist eine Frage der politischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland, auch eine Frage, ob wir denn in Berlin eine handlungsfähige Opposition haben. Dass die Opposition in Deutschland ausfällt – ich sage es mal umgekehrt –, daran kann eigentlich niemand ein Interesse in diesem Lande haben. Deswegen geht die Lösung dieses Problems weit über den inneren Teil der CDU hinaus; wir müssen das im Interesse unseres Landes leisten. Die Entschlossenheit dazu, die ist nun allerdings gestern im Bundesvorstand sehr deutlich zum Ausdruck gekommen. Dass wir Wolfgang Schäuble bei dieser sehr schwierigen Aufgabe unterstützen, das war gestern wichtig, deutlich zu machen. Und das ist in der Partei wie in der Fraktion auch deutlich geworden.

    Heinemann: Wolfgang Schäuble versucht weiterhin, die Partei aus der Krise zu führen. Helmut Kohl schweigt weiterhin. Was ist denn geklärt seit gestern, was hat sich verändert?

    Merz: Geklärt ist nun wirklich deutlich, dass die gesamte Führung der Partei den Kurs von Wolfgang Schäuble unterstützt und dass er das volle Vertrauen des Bundesvorstandes hat, und dass wir auf diesem Weg, den Wolfgang Schäuble eingeschlagen hat, mit ihm zusammen weitergehen wollen und dass wir nun gemeinsam dazu beitragen wollen, dass die Probleme gelöst werden. Aber wir sind uns alle darüber klar, dass das noch lange dauern wird. Das ist nicht eine Frage von Tagen oder Wochen, sondern das wird Monate dauern, möglicherweise uns Jahre beschäftigen. Aber der Kurs von Wolfgang Schäuble ist richtig und es gibt für ihn keine Alternative.

    Heinemann: Kohls Signal ist klar: Er sagt nichts. Was nun?

    Merz: Nun, jetzt wird der Parlamentarische Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen. Wir werden am Wochenende den Bericht der Wirtschaftsprüfer bekommen. Wir werden am Montag im Vorstand wieder darüber beraten. Die finanziellen Konsequenzen werden dann sich langsam abzeichnen. Und wir werden alles tun müssen, um politisch handlungsfähig zu bleiben, auch in den vor uns liegenden Wahlkämpfen - so schwer das ist - in Schleswig Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Aber ich sage das auch für die Arbeit hier in Berlin: Wir müssen als Opposition möglichst schnell wieder handlungsfähig werden. Die Regierung kann ohne einen starken Gegenpart im Parlament ihre Aufgabe erfüllen; auch das muss man sehen. Die Demokratie erfordert eine starke Opposition, und insofern haben wir sehr, sehr viel Arbeit vor uns. Ich persönlich bin verhalten optimistisch, dass es uns gelingt, diese Arbeit jetzt auch zu bewältigen. Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass wir schon aus der Krise heraus sind – im Gegenteil; wir stecken mittendrin. Keiner von uns weiß, wie es ausgeht, aber wir müssen uns nach Kräften bemühen.

    Heinemann: Herr Merz, sollte Kohl nach dem Ehrenvorsitz jetzt auch das Bundestagsmandat niederlegen? Die Zusammenarbeit in der Fraktion kann man sich ja als relativ schwierig vorstellen.

    Merz: Ich habe das schon zum Ausdruck gebracht in dieser Woche, dass ich die Zusammenarbeit als äußerst schwierig ansehe unter diesen Umständen. Aber die Frage seines politischen Parlamentsmandats muss er ganz allein für sich selbst beantworten, denn dieses Mandat hat er nicht von der Partei, sondern von den Wählerinnen und Wählern des Landes Rheinland-Pfalz. Welche Konsequenzen er in dieser Hinsicht persönlich zieht, das muss er in der Tat selbst entscheiden. Ich würde mich auch dagegen wehren, dass wir dies zum Gegenstand einer Beschlussfassung in den Gremien der Partei oder in der Fraktion machen; dazu kann man einen Abgeordneten nicht zwingen, dazu sollte man ihn nach meiner Meinung auch nicht auffordern. Das ist nun in der Tat eine Gewissensfrage, die jeder für sich selbst entscheiden muss.

    Heinemann: Christian Wulff deutete an, es werde weitere Amts- und Mandatsniederlegungen, möglicherweise auch Parteiausschlussverfahren geben – oder Parteiausschlüsse. Wen könnte das treffen?

    Merz: Ich halte es für richtig, dass wir klarstellen, dass alle diejenigen, die sich jetzt weiter schuldig machen und die in der Vergangenheit für Dinge verantwortlich sind, die völlig inakzeptabel sind, Konsequenzen ziehen müssen . . .

    Heinemann: . . . wen meinen Sie? . . .

    Merz: . . . ich sage aber ganz deutlich dazu: Ich halte überhaupt nichts davon, jetzt zu beginnen, mit Namen zu spekulieren. Wir müssen jetzt wirklich in einer sorgfältigen Reihenfolge die Dinge aufarbeiten. Und wenn klar ist, wer wofür welche Verantwortung zu tragen hat, dann muss dies auch bis hin zu Parteiordnungsverfahren gehen. Aber ich halte überhaupt nichts davon, das zu einem Zeitpunkt zu diskutieren, zu dem nicht klar ist, wo die Verantwortlichkeiten insgesamt liegen und wer alles beteiligt war.

    Heinemann: Wolfgang Schäuble bleibt im Amt. Personell lautet die Botschaft der CDU: 'Weiter so'. War es das?

    Merz: Ich teile nicht die Einschätzung, dass die Botschaft des gestrigen Tages lautet: 'Weiter so'. Die Botschaft des gestrigen Tages lautet: 'Der Wille zur Aufklärung bis zur letzten Konsequenz wird von der gesamten Führung der CDU Deutschlands mitgetragen'. Das war in den letzten Wochen nicht immer so. Es hat Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben über Art und Umfang der Aufklärungsarbeit. Dies ist nun gestern eindeutig festgestellt worden, und diejenigen, die jetzt Aufklärung nicht wollen, die Aufklärung behindern, die nur teilweise die Wahrheit sagen wollen, befinden sich nicht mehr in Übereinstimmung mit dem Parteivorstand der CDU. Das ist seit gestern klar und eindeutig. Und der schwierigere Weg, den wir zu bewältigen haben, liegt noch vor uns, aber Wolfgang Schäuble hat dazu die volle Unterstützung des gesamten Vorstand der CDU und der Bundestagsfraktion. Und das – finde ich – ist wichtig, und das ist etwas anderes als 'Weiter so – wie in den letzten Monaten'.

    Heinemann: Wobei Wolfgang Schäuble ja selber nur teilweise die Wahrheit gesagt hat in dem einen Fall der 100.000-Mark. Er gehört außerdem sehr eng zum 'System Kohl', hat Jahrzehnte lang sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Kann er glaubwürdig den Neuanfang verkörpern?

    Merz: Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass er das kann. Er hat eingeräumt, dass er durch die Wahl des Zeitpunktes einen Fehler gemacht hat. Aber es hat eine ganz andere Dimension, was wir insgesamt an Problemen zu bewältigen haben. Und insofern – finde ich – muss man ihm persönlich auch fair gegenüber bleiben. Jeder von uns hat das Recht, Fehler zu machen. Jeder von uns macht Fehler. Aber fortgesetzte Verstöße gegen Gesetze, sogar einen fortgesetzten Verstoß gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat eine völlig andere Dimension. Und insofern hat Wolfgang Schäuble das Vertrauen, das ihm gestern ausgesprochen wurde, wirklich verdient. Und ich sage auch zu allen Personalüberlegungen: Jeder neue Vorsitzende an der Spitze der Partei wäre drei Tage lang eine Neuigkeit für die Medien gewesen. Am vierten Tag hätte er die alten Probleme zu lösen gehabt. Insofern wäre nichts gewonnen mit einem neuen Parteivorsitzenden. Das war auch der Grund mit, warum wir gestern gesagt haben: Es muss so weiter fortgeführt werden, wie Wolfgang Schäuble das begonnen hat.

    Heinemann: Also ist die Entscheidung möglicherweise vertagt worden?

    Merz: Jeder von uns hat politische Ämter nur auf Zeit. Aber gestern ist auch klar zum Ausdruck gekommen, dass der Bundesvorstand erwartet, dass Wolfgang Schäuble bei dem Bundesparteitag der CDU im April wieder als Parteivorsitzender kandidiert. Und damit ist klar, dass es nicht auf wenige Tage oder Wochen beschränkt ist, sondern dass dieses Mandat von Wolfgang Schäuble als Parteivorsitzender auch mit dem Bundesparteitag, den wir im April in Essen haben werden, fortgesetzt wird. Und wir werden dafür werben, dass er das Vertrauen einer breiten Parteibasis bei diesem Parteitag bekommt.

    Heinemann: Herr Merz, Rita Süssmuth meint, man müsse in der CDU über die Trennung von Partei und Regierungsämtern nachdenken. Sollte man beides trennen?

    Merz: Wir werden am Ende dieser schweren Krise über eine Vielzahl von Konsequenzen nachzudenken haben, die es aus diesen Sachverhalten zu ziehen gilt. Die Trennung von Ämtern kann dabei ein Modell sein. Es gibt sicherlich viele andere Konsequenzen – bis hin zur Überprüfung der Parteifinanzen durch den Bundesrechnungshof oder andere Prüfungsmechanismen. Ich finde, wir sollten jetzt eine gewisse Reihenfolge einhalten. Wir müssen jetzt zunächst alles aufdecken. Und wenn uns dann die Dimension des ganzen finanziellen und politischen Schadens klargeworden ist, müssen wir auch mit Sachverstand von außen darüber nachdenken, was die Konsequenzen sein können. Und wir werden Vorschläge machen, das meine ich jedenfalls, sollten wir tun, die weit über die Änderung von parteiinternen Regelungen hinausgehen. Wir werden bis hinein in den Bereich des staatlichen Parteienfinanzierungsrechtes Vorschläge machen müssen. Aber ich finde, es ist zu früh, zum gegenwärtigen Zeitpunkt hier so einzelne Elemente zu diskutieren. Wir müssen das gesamte Problem erkennen und dann den Gesamtzusammenhang von Lösungen diskutieren.

    Heinemann: Bildlich gefragt – aber abstrakt gemeint: Gehören die Geldkoffer, die der ehemalige CDU-Vorsitzende Kohl durch die Republik tragen ließ, in das Bonner Haus der Geschichte – neben die Strickjacke, die der Altkanzler der Einheit während seiner Verhandlung mit Gorbatschow trug?

    Merz: Jedenfalls wird immer deutlicher erkennbar, dass Helmut Kohl mit seinem Verhalten nicht nur die Partei in eine schwere Krise stürzt und ihr dabei auch nicht hilft, herauszukommen. Es wird für mich immer deutlicher erkennbar, dass Helmut Kohl auch sein politisches Lebenswerk schwer beschädigt, und ich glaube nicht, dass dieses Lebenswerk eines Tages stärker wirkt und dasteht, als die Krise, die er jetzt mit ausgelöst hat. Es wird wahrscheinlich so sein, dass er in die Geschichte eingeht als der Bundeskanzler, der einen großartigen politischen Erfolg hatte und gleichzeitig eine Erschütterung ausgelöst hat dieser Republik, die dieses Werk in der Tat relativiert. Aber das ist etwas, wo ich auch sage: Es ist wahrscheinlich zu früh; möglicherweise wird unsere Generation das gar nicht mehr beurteilen können, sondern das wird erst in 20 oder 30 Jahren dann zutreffend eingeordnet und beurteilt werden können.

    Heinemann: Im Deutschlandfunk sprachen wir mit Friedrich Merz, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsbundestagsfraktion. Herr Merz, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Merz: Auf Wiederhören Herr Heinemann.