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"Helmut Schmidt hat jetzt einen Sohn, und der heißt Steinbrück-Schnauze"

Hinter dem Gesamtauftritt von Peer Steinbrück verberge sich eine "Stahlfaust im Samtfutteral", urteilt Richard Schütze. Der Medien- und Politikberater ergänzt, dass der SPD-Kanzlerkandidat in seiner Gesamtwirkung "von aggressiv über überheblich bis hin zu großer Lausbub" wirke.

Richard Schütze im Gespräch mit Jürgen Liminski | 06.10.2012
    Jürgen Liminski: In einem der Pressekommentare von heute ist zu lesen, Steinbrück habe sich von den Geldhäusern, die ihn zu Vorträgen einluden, nicht verbiegen lassen, sondern im Gegenteil die Banker und Finanzjongleure, die seinen Ausführungen lauschten, nicht geschont, ja sogar kräftig vermöbelt, was, so der Kommentator, nicht mehr in den Bereich der Politik, sondern eher der Sozialpsychologie gehöre. Wie ist die Sprache dieses Politikers? Wie ist seine Gestik? Warum kommt er trotzdem an? Das wollen wir jetzt erfahren von dem Berliner Politik- und Medienberater Richard Schütze. Guten Tag, Herr Schütze!

    Richard Schütze: Ja, guten Tag, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Schütze, was ist das Markante an Steinbrücks Auftreten? Wodurch beeindruckt er seine Zuhörer?

    Schütze: Er ruft die ganze Galerie ab. Der Punkte, die man erzielen muss, um markant zu erscheinen. Er ist interessant, weil er pointiert auftritt. Unterhaltend, weil er provokativ wirkt und sich nicht versteckt. Da geht er mutig rein, in jedes Themenfeld. Er ist informativ, wenn es darauf ankommt, zumindest in seinen Feldern, in der Finanzpolitik, das heißt, insgesamt anregend auch über die Parteigrenzen hinweg. Deutlich und authentisch, aber ehrlich vor allen Dingen. Man könnte fast sagen, wie ein früherer hessischer Politiker mal formuliert hatte, er ist brutal offen, geht damit natürlich auch hohes Risiko. Das trifft auf partielle Akzeptanz nur. Man hat manchmal den Eindruck, Helmut Schmidt hat jetzt einen Sohn, und der heißt Steinbrück-Schnauze.

    Liminski: Das Publikum sehnt sich nach authentischer Sprache. Der Neusprech der Politik stößt immer mehr auf Ablehnung. Bedient Steinbrück diese Sehnsucht nur formal oder auch inhaltlich?

    Schütze: Formal auf jeden Fall, denn er spricht bildhaft, fast sogar blumig, wenn er zum Beispiel sagt, jeder Kandidat, habe ich schon immer gesagt, wird an der Wand entlang gezogen und man schaut dann nach, dass man jedem noch ein Kaugummi unter die Fußsohlen kleben kann - das hat er auch heute Morgen früh im Deutschlandfunk so formuliert. So etwas kommt an. Das wirkt klar verständlich, das wird von den Leuten aufgenommen. Inhaltlich zuweilen im Nominalstil, wenn er etwa von der Drift zu mehr Reichtum spricht in Deutschland, da würde eine Frau Kraft, Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens, formulieren: Die Armen werden immer ärmer, die Reichen werden immer reicher. Und damit noch näher bei "de Leut" sein, wie der gerade rücktretende Kurt Beck in Rheinland-Pfalz formuliert hätte. Also da hat er noch Nachholbedarf, vor allen Dingen in all den Gebieten, die jetzt nicht unmittelbar das Feld der Finanzpolitik betreffen.

    Liminski: Zur Gestik, Herr Schütze. Er wirkt, Steinbrück wirkt immer etwas mürrisch, manchmal auch überheblich. Würden Sie ihm raten, das zu ändern, also seinen Charakter vielleicht etwas an die Bedürfnisse des Publikums anzupassen?

    Schütze: Äußere Wirkweisen sind abhängig von einer Gesamterscheinung, vom Gesamtauftritt des Menschen. Man schaut auf Kleidung, man schaut auf Haltung. Die ist bei Steinbrück meistens ein bisschen nach vorn. Zum Beispiel bei dem ZDF-Interview, was nun Herr Steinbrück in der vergangenen Woche - da war er leicht vornübergeneigt auf dem Tisch. Also deutlich sehr präsent, fast bis hin zu ein bisschen aggressiv. Er gestikuliert sehr stark, das heißt, er lässt seinen Händen, seinen Armen freien Lauf. Die untermalen jeweils das, was er sagt. Mit der Mimik, da arbeitet er voll. Das ist der entschlossene Blick, wir kennen von ihm auch die runtergezogenen Mundwinkel, wir kennen die Blicke, die Augen, die nicht nur wach, aufmerksam, sondern auch selbstbewusst sind. Bei manchen kommt das arrogant an oder gar überheblich. Das sind alles Dinge, die ihn als unglaublich präsent erscheinen lassen, und die Gesamtwirkung ist so ein bisschen zwischen - von aggressiv über überheblich bis hin zu großer Lausbub, großer Junge.

    Liminski: Würden Sie ihm denn raten, das zu ändern? Es ist ja nicht der Stil, den die Deutschen immer mögen.

    Schütze: Im Augenblick ist es einfach erst mal etwas Neues - und damit ist es interessant. Die Frage ist, trifft es auf Einverständnis und trifft es auf Bewunderung. Wenn man da runter geht, dass man sagt, Akzeptanz, das hat ja etwas zu tun mit der Form des Auftritts, mit dem Inhalt. Da könnte er etwas modulierender erscheinen. Insgesamt verbirgt sich hinter diesem Gesamtauftritt, das spürt man, so eine Stahlfaust im Samtfutteral, das heißt, hier ist jemand aus Wille zur Pflicht, der fühlt sich jetzt aufgerufen, der will es jetzt packen, der will es jetzt machen. Die Deutschen, die sehnen sich auch ein bisschen danach, dass Leute so etwas Genießerisches ausstrahlen. Das erntet dann Bewunderung, das erntet Liebe. Also nicht nur Anerkennung, wie es zum Beispiel Willy Brandt gemacht hat, der dann auch mal das Genießenkönnen, das Entspanntsein ausstrahlte, wie es vielleicht mit der weiblichen Attitüde eine Ministerpräsidentin Kraft, die heimliche, sozusagen zukünftige Kanzlerkandidatin der SPD, Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, ausstrahlen könnte.

    Liminski: Ist diese Art und Weise, zu reden, vielleicht auch das Geheimnis, weswegen er so oft gefragt wird, oder geht es da nur um die Kompetenz?

    Schütze: Beides. Einmal spricht er Klartext, das ist richtig norddeutsches Kraftfutter, was da verabreicht wird. Da teilt er auch kräftig aus, sogar international hat er ja keine Bedenken, auch mal den Schweizern den Einsatz der Kavallerie anzudrohen und dann kurz danach dort bei den Banken aufzutreten. Also der Mann steht schon authentisch für das, was er sagt und was er ist und was er darstellt. Das ist Charakter. Dieser Charakter, der wird geachtet von den Leuten. Er könnte natürlich auch die andere Seite, oder sollte sie bedienen, noch mehr weich werden, noch mehr Herzlichkeit zeigen, noch mehr Offenheit, das ist im familiären Rahmen, den er übrigens sehr weit abdeckt und wegschützt - das ist dort scheinbar vorhanden, wenn man die wenigen Fotos, die es gibt, einmal betrachtet.

    Liminski: Was sind denn die markantesten Unterschiede in Sprache und Gestik zur Amtsinhaberin?

    Schütze: Die Emotionalität bei Peer Steinbrück ist unglaublich hoch, unglaublich offen. Dadurch macht er sich natürlich auch verletzlich. Da geht er volles Risiko, da setzt er volle Segel und fährt auf die Leute zu. Das finden die Leute im Augenblick interessant und anziehend ja bis weit in das Bürgertum hinein. Natürlich mit den Bedenken, wie auch schon bei Helmut Schmidt, dass dort die bürgerlichen Kreise vielleicht eher das Empfinden haben, ist er denn bei den Sozialdemokraten in der richtigen Partei? Bei Frau Merkel ist das übrigens andersherum: Sie wirkt immer verschlossener, abwartender, hinhaltender, auch ein bisschen zuschauender, ein bisschen wie eine Experimentalphysikerin, was sie ja von Hause aus ist. Dass sie also beobachtet, wie laufen Kräfteverhältnisse, wie laufen politische Mehrheitsverhältnisse, was kann ich an Themenbereichen übernehmen und so weiter - das geht bis in die Sprache hinein, die sehr zurückgenommen ist, sehr verhalten ist, zum Teil sogar dechiffriert werden muss, weil sie in ihrer politischen Aussage eine große Spanne umfasst. Also nicht immer so klar und pointiert, wie das sich ein Angreifer, ein Herausforderer leisten kann, der halt im Augenblick auch keine Regierungsverantwortung tragen muss.

    Liminski: Wir bekommen also eine Art Kontrastprogramm für die Wahlen. Die Sprache und die Gestik des Kandidaten Steinbrück - das war der Berliner Politik- und Medienberater Richard Schütze. Besten Dank für das Gespräch, Herr Schütze!

    Schütze: Herzlichen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.