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Henriette Herz
"Wo Zwanglosigkeit eine Lebensbedingung war"

Mit der Gründung eines Lesezirkels leistete Henriette Herz schon früh Pionierarbeit. Aus ihrem Zirkel und dem ihres Ehemannes entstand der erste literarische Salon Berlins. Herz inspirierte zahlreiche Nachahmerinnen zu eigenen Salongründungen.

Von Anette Schneider | 05.09.2014
    In einer Spiegelwand an der kleinen Bühne im Grünen Salon in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, sehen sich die Gäse wieder.
    Spiegelwand im Grünen Salon in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin: Nach dem Vorbild von Rahel Varnhagen und Henriette Herz blüht die Salonkultur im neuen Jahrtausend wieder auf. (picture-alliance / ZB / Tom Maelsa)
    "Madame Herz ist eine langbekannte Schönheit, seit Jahren Gegenstand vieler unerhörter Wünsche und schöngeistiger Huldigungen ..."
    Schreibt der Philologe und Schriftsteller Karl August Boettinger in seinem "Reisetagebuch" von 1797 über die 33-jährige Henriette Herz. Doch nicht nur ihre Schönheit betörte die Zeitgenossen. Ebenso faszinierte das Wesen der hochgebildeten Frau, die ab 1785 den ersten literarischen Salon Preußens führte.
    Henriette Herz wurde als Henriette de Lemos am 5. September 1764 in großbürgerlichen Verhältnissen geboren. Ihr Vater war Arzt und Leiter des Jüdischen Krankenhauses in Berlin. Völlig untypisch für seine Zeit, gewährte er der wissbegierigen Tochter eine umfassende Bildung. Henriette Herz:
    "Es gab kaum eine Wissenschaft, in welcher ich mich nicht einigermaßen wenigstens umgesehen hätte, und einige trieb ich ernstlich, so Physik und späterhin mehrere Sprachen."
    Anfang der 1840er-Jahre diktierte die hochbetagte Henriette Herz dem Berliner Schriftsteller Josef Fürst ihre Lebenserinnerungen. In seinem Vorwort berichtet der:
    "Sie zählte erst zwölf und ein halbes Jahr, als Marcus Herz, schon damals vielbeschäftigter praktischer Arzt, ... um sie anhielt."
    Reaktion auf die Politik des feudalabsolutistischen Preußen
    Zwei Jahre später wurde das Mädchen mit Herz verheiratet. Und schon bald lud der Anhänger der Aufklärung und Schüler Immanuel Kants zu öffentlichen philosophischen Vorlesungen in sein Haus, denen auch seine junge Frau beiwohnte.
    "Diesen Vorlesungen danke ich auch unter anderem die Bekanntschaft der Brüder Wilhelm und Alexander Humboldt, welche später zu einer Freundschaft für das Leben werden sollte."
    Sie selbst gründete einen Lesezirkel, in dem junge Männer und Frauen gemeinsam die neueste Literatur des Sturm und Drang lasen.
    "In meiner Jugendzeit wurde viel mehr gemeinschaftlich gelesen als jetzt. ... (Man sprach) unbefangen und rückhaltlos aus, man habe das Bestreben sich zu bilden, ein Wort, welches jetzt beinah lächerlich geworden ist."
    Mit dem emanzipatorischen Bestreben nach gemeinsamer Bildung reagierten die gesellschaftlich noch immer ausgegrenzten Juden auch auf die Politik des feudalabsolutistischen Preußens: Auf starre Klassen- und Glaubensschranken, auf einengende Hofetiketten und allgemeine Geistfeindlichkeit.
    Der erste literarische Salon Berlins
    "Von einem christlichen bürgerlichen Mittelstande, welchem andere geistige Interessen innegewohnt hätten als diejenigen, welche der äußere Beruf etwa anregte, war damals hier noch nicht die Rede. Es gab da viele ehrenwerte Familientugenden, aber noch mehr geistige Beschränktheit und Unbildung."
    1785 entstand aus den Zirkeln des Ehepaares Herz der erste literarische Salon Berlins. Den Mittelpunkt bildete Henriette Herz.
    "In diesen Kreis war nach und nach ... alles hineingezogen, was irgend Bedeutendes von Jünglingen und jungen Männern Berlin bewohnte oder auch nur besuchte."
    Zu den Gästen zählten - unter anderem - Johann Gottfried Schadow, Franz Nicolai, Clemens von Brentano, Jean Paul, Ludwig Börne. Friedrich Schleiermacher wurde ihr engster Vertrauter. Friedrich Schlegel besuchte das Haus, Friedrich Schiller, Therese Heyne, die zukünftige Frau Georg Forsters, sowie die Humboldt-Brüder.
    Sie alle schätzten die aufgeklärte, ungezwungene Geselligkeit, bei der über Klassen- und Glaubensgrenzen hinweg gemeinsam diskutiert, gelesen und getafelt wurde.
    "Höfisches Wesen hätte sich hier, wo Zwanglosigkeit eine Lebensbedingung war, bald der Satire ausgesetzt!"
    Bedeutung ihrer gesellschaftlichen Pionierleistung bewusst
    Als 1803 ihr Mann starb, fehlte Henriette Herz das Geld zur Fortführung des Salons. Sie unternahm einige Reisen, lebte zwei Jahre lang in Rom, und widmete sich ab den 1820er-Jahren vor allem ihrer umfangreichen Korrespondenz, die sie kurz vor ihrem Tod 1847 vernichtete. Der Bedeutung ihrer gesellschaftlichen Pionierleistung, die zahlreiche Nachahmerinnen zu eigenen Salongründungen inspirierte, war sie sich dabei stets bewusst.
    "Ich fürchte nicht zu übertreiben, wenn ich ausspreche, dass der diesen Kreisen entsprossene Geist in die Gesellschaft selbst der höchsten Sphären Berlins eindrang, denn schon die äußere Stellung Vieler, welche ihm angehörten, macht dies erklärlich. Nächstdem aber fand dieser Geist fast überall leere Räume!"