Sonntag, 28. April 2024

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Henry der Held

Gutes zu erhoffen und noch weniger zu erwarten. Darum war die Geburt eines so properen, zwölfpfündigen Knaben wie Henry Smart schon ein besonderes Ereignis. Und darum war es auch nur recht und billig, daß sein erster Auftritt, wie es sich bei künftigen Legendenfiguren geziemt, begleitet wurde von Zeichen und Wundern. Anstatt sich in Schmerzen zu winden, wurde seine Mutter bei der Niederkunft von fröhlichem Lachen geschüttelt; hoch über der Stadt zischte eine Sternschnuppe über den schwarzen Himmel; und Henrys Großmutter Granny Nash entdeckte plötzlich, daß sie lesen konnte, was sie künftig denn auch eifrig praktizierte. Die drei Weisen aus dem Morgenland allerdings verpaßten den Termin, wie Henry in seinem Lebensrückblick beklagt. Dafür aber ließ das Interesse in der unmittelbaren Nachbarschaft nichts zu wünschen übrig.

Eberhard Falcke | 20.02.2000
    "Ich war ein Prachtexemplar von Baby, das Wunder von Summerhill und Umgebung. [...] Die alten Frauen des Viertels standen Schlange, im Treppenhaus, die Treppe runter bis auf die Straße, um mich zu besichtigen. [...] Sie mußten das berühmte Baby sehen. Nicht meinen Umfang - dicke Blagen gab's zehn für den Penny und noch billiger -, sondern den Glanz. Ich war das Kind, um das ein Glanz war. [...] Die Frauen, die mich besichtigt hatten, gingen durch diesen Tag in dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein. [...] Das glänzende Kind war in ihr Leben getreten und hatte mit seinen dicken Fingerchen an ihrem Elend gekitzelt. Denn das war schon alles: Ich war ein gesundes, kräftiges Baby, und das hatten die Frauen noch nie gesehen. Sie guckten mich an und sahen einen strammen Jungen, der überleben würde; da gab es keinen Zweifel, nicht den Schatten eines Zweifels. Das war das ganze Geheimnis: Mein Glanz war Lebensgarantie. Kein Fieber würde mich zu Fall bringen, kein Husten mir den letzten Atem stehlen." [33f]

    Dergleichen geschah im Jahr 1901. Ein irischer Held war geboren, und damit zugleich, wie sich leicht erkennen läßt, ein Held aus starken Worten, burlesken Übertreibungen und mit einem phantasievollen Verhältnis zu den schnöden Tatsachen des Daseins. So und in dieser Manier steht es geschrieben in Roddy Doyles jüngstem Roman "Henry der Held". Darin beweist der 42-jährige Dubliner Autor erneut, wie sehr auch ihm die wohl berühmteste Tugend der irischen Literatur vertraut ist: Die sprachliche Einbildungskraft läßt sich von der unseligen Geschichte und den schwierigen Verhältnissen des Landes keineswegs niederdrücken. Im Gegenteil: Sie erhebt sich eher kühn, trunken oder ironisch darüber.

    Bisher hat sich Roddy Doyle vornehmlich mit den schwierigen sozialen Verhältnissen auseinandergesetzt - seine "Barrytown"-Trilogie wurde von manchen kurzerhand als "Arbeitslosenfolklore" klassifiziert. Nun, in seinem neuen Roman, hat er sich dagegen direkt hineinbegeben in die unselige irische Geschichte. Und wie es dem hoch entwickelten Humor in Irland entspricht, präsentiert er uns hier ein Drama des Scheiterns als veritable Heldensaga - mit einem gehörigen Schuß Ironie und Sarkasmus. Denn Henry hat zwar ganz die Statur zum Helden, und er tritt auch mit entsprechenden Taten hervor, wofür ihm beim einfachen Volk verklärende Loblieder gesungen werden. Doch für die Strippenzieher der Macht bleibt er nur ein Werkzeug, dessen man sich entledigt, sobald es opportun ist.

    Aber vor dieses ernüchternde Ende hat der Autor einen leicht zu lesenden und leicht zu genießenden Roman gesetzt, der dennoch beachtliche Qualitäten aufweist. Zunächst liefert uns Roddy Doyle detailreiche, vor Lokalkolorit geradezu berstende Porträts seines Helden als Knabe und junger Mann - oder besser: Selbstporträts, da ja dieser Henry ganz eigenhändig und mit beträchtlichem Erzähltalent an seiner eigenen Legende stricken darf.

    Trotz seiner Herkunft aus den untersten Schichten des Volkes, war er in seiner Familie nicht der erste, der sich einen gewissen Ruhm erwarb. Zwar gibt es über seine in bitterster Armut dahinvegetierende Mutter nicht viel mehr zu berichten, als daß sie einst ihren Mann mit dem Kompliment bezauberte:

    "Sie sehen auch ohne Bein toll aus, Mister."

    Aber dieser Henry Smart der Ältere mit seinem Holzbein war fraglos ein ungemein würdiger Heldenvater.

    "Henry Smart, der Tocktockmann. Der Mann vor Dolly Oblongs Puff. Henry das Holzbein. In der Woche nach meiner Geburt ging er mit neuer Begeisterung, neuem Schwung an die Arbeit. [...] Wenn er nun auf der Vortreppe von Dolly Oblong stand, war er ein neuer Mann. Ein neuer Mann mit einem neuen Bein. Die Schiffe spuckten Schurken und Schläger aus fernen, wilden Winkeln der Welt aus, harte Männer, die es leid waren, sich gegenseitig zu besteigen. Sie zogen durch die Stadt, das Geld brannte ihnen Löcher in die Taschen, und sie sahen meinen Vater vor dem Puff stehen, zwischen ihnen und den Weibern, nach denen sie gierten. Sie zeigten auf sein Bein und lachten und machten ihre Bemerkungen in Sprachen, die meinem Vater noch nie zu Ohren gekommen waren. Sie stiegen die Stufen hoch, diese knüppelharten Hundesöhne, und ehe sie richtig gucken konnten, war das Bein ab, und sie lagen jaulend auf dem Rücken. Sie sahen, wie mein Vater sein Bein wieder anschnallte. [...] Sie machten sich davon und nahmen die Legende vom Holzbein mit in die knarzenden Bretterbuden der Außenposten des Weltreichs, aus denen sie gekommen waren."

    Obwohl Henry Smart seinem Namen nicht unbedingt als heller Kopf Ehre machte, verstand er doch sein Handwerk, zu dem auch gelegentlich rückstandslose Auftragsmorde gehörten. Von ihm lernte sein Sohn einiges über die Fortbewegung im Untergrund des Kanalsystems der Stadt. Doch im übrigen mußte sich Henry Smart Junior die Lektionen der Straße auf eigene Faust aneignen, beim Betteln, Stehlen und Hökern, zusammen mit seinem schwindsüchtigen kleinen Bruder Victor. Als der englische König Eduard VII. Dublin besuchte, verübte Henry seinen ersten Akt des Widerstands, wenn auch eher unbewußt. Nur weil ihn die gaffende Menge ärgerte, schrie er dem Monarchen zu:

    "VERPIß DICH! Verpiß dich mit deinem Hut!"

    woraufhin ihm die Leute, anstatt ihn auf die Schultern zu heben, den Hintern versohlten. Gelegentlich ließ er sich auch anheuern für Sabotageakte gegen englische Viehzüchter, die irische Kleinbauern von ihrem Land vertrieben. Als sein Vater schließlich selbst auf eine Abschußliste geriet, erbte Henry nur das Holzbein. Seine Mutter dämmerte unterdessen einem alkoholisierten Ende entgegen. Umso dringlicher wurde Henry eines Tages bewußt, daß er sich um seine Zukunft kümmern mußte.

    "Ich war acht und schlug mich durch. Seit drei Jahren lebte ich auf der Straße und unter Kisten, in Hauseingängen und auf Ödland, schlief zwischen Unkraut und im Schnee. Ich hatte Victor, Vaters Bein und sonst gar nichts. Ich war aufgeweckt, aber Analphabet, kräftig, aber immer krank. Ich sah gut aus, starrte vor Dreck, und meine Lumpen platzten aus allen Nähten. Und ich schlug mich durch. Aber das reichte nicht. Ich wollte mehr. -Los, Victor, sagte ich. - Wir müssen sehen, daß wir uns bilden." [91]

    Mit seinem Bildungseifer und frühreifen Charme gewann Henry im Nu das Herz der jungen Lehrerin Miss O'Shea. Doch schon nach zwei Tagen wurden die unstandesgemäßen Brüder von einer weniger liebenswürdigen Schulleiterin wieder auf die Straße gejagt. Mit anderen Worten: Die englisch dominierte Obrigkeit war nicht gerade daran interessiert, ihre irischen Untertanen beim Erwerb von Bildung und daraus womöglich resultierendem politischem Selbstbewußtsein zu unterstützen.

    In solchen Szenen des Romans wird die Geschichte von Henry, dem Helden, zum Spiegel für die Geschichte des irischen Volkes. Auch wenn Roddy Doyle diese repräsentative Funktion seines Protagonisten zum Glück nie überstrapaziert, so ist sie doch unverkennbar. Geschickt und mit leichter Hand verbindet er in seiner Hauptfigur zwei Heldentypen: Einerseits besitzt Henry manche Züge des Schelmen aus dem pikaresken Roman, einer Figur also, die ohne Ziel und Sinn von der Willkür des Schicksals gebeutelt wird. Andererseits jedoch weist seine Geschichte durchaus eine bestimmte Entwicklungsrichtung auf, durch die der Volksheld tatsächlich auch als Symbolfigur für die Geschichte seines Volkes erkennbar wird.

    Besonders deutlich zeigt sich das schon an den Eckdaten von Henrys Biographie, die mit der entscheidenden Phase der irischen Unabhängigkeitsbestrebungen korrespondieren. Durch die Hungersnöte der Jahre 1846 und 47 hatte das irische Elend seinen Tiefpunkt erreicht. Sechseinhalb Millionen irische Muttersprachler wurden durch Tod und Auswanderung auf eineinhalb Millionen dezimiert. Die politische und kulturelle Unmündigkeit wurde auf die Spitze getrieben und es trat - so ließe sich bildhaft sagen - eine hoffnungslose Verslummung des Volkes ein. In diesen großen irischen Slum aber wurde nun das "glänzende Kind" Henry genau zu jenem Zeitpunkt hineingeboren, als sich um 1900 das irische Selbstbewußtsein allmählich wieder zu formieren begann. Nicht minder wichtig als der politische Freiheitskampf war dabei die Wiederbelebung der irischen Literaturtraditionen durch die "Irish Revivalists". Wenn also Henrys Großmutter bei seiner Geburt plötzlich wiederentdeckt, daß sie lesen kann, dann gibt sie damit nichts anderes ab als eine burleske Verkörperung dieser literarischen Erweckungsbewegung.

    Den ersten großen politischen Aufbruch jener Zeit stellte dagegen der irische Aufstand von 1916 dar. Und hier begegnen wir nun auch Henry wieder, nach seinem Jahre zuvor gescheiterten Bildungsversuch. Indem er sich zum Rebellen mauserte, trat er endlich als bewußter Akteur in die irische Geschichte ein, genauso wie viele seiner Landsleute, für die der Osteraufstand zu einer politischen Schlüsselerfahrung wurde. Mit seinen Kameraden von der Irish Citizen Army hatte er sich in der Dubliner Hauptpost verschanzt.

    "-Die Scheißfenster verbarrikadieren! Schnell!

    -Keine Kraftausdrücke, Jungs.

    - Und einer von euch geht raus und verteilt die Scherben auf der Straße. Das bremst die Kavallerie.

    -Ich war vierzehn. Keiner von den anderen wußte es, keiner hätte es mir abgenommen. Ich war einsfünfundachtzig und sah aus wie einer, der dafür geschaffen ist, die Last der Welt auf seine breiten Schultern zu nehmen. Hier in der Hauptpost war ich wohl der bestaussehende Junge, dabei aber alles andere als schön. Erstaunliche Augen: Blaue Dolche, die alle Welt auf Distanz hielten. In unserem Haufen war ich einer der wenigen wirklichen Soldaten; ich hatte nichts zu fürchten, mich erwartete kein Zuhause. [...]

    Am linken Aufschlag meines breitkrempigen Huts prangte die rote Hand, das Abzeichen der Irischen Transportarbeiter- und Allgemeien Arbeitergewerkschaft, in der ich Mitglied war, obwohl ich noch nie einen Job gehabt hatte. Ich war wandelnder Sprengstoff in dieser Uniform." [113ff]

    Nein, Henry fehlte es weder an der Ausstattung zum Helden noch mangelt es ihm am rhetorischen Schwung, seine Taten ins rechte erzählerische Licht zu rücken. Und auch darin läßt sich eine historische Anspielung auf die Aufbruchszeit um die Jahrhundertwende entdecken. Denn Roddy Doyles Roman folgt insgesamt ziemlich getreu einem Gattungsmuster, das damals vor allem bei folkloristisch orientierten Autoren beliebt war: nämlich der autobiographischen Lebenserzählung im Stil mündlicher Ausdrucksformen. Genau darin aber brilliert Henry nicht nur, sondern er beherrscht darüberhinaus sogar eine erstaunliche Vielzahl von Tonlagen. Eine gewisse bramarbasierende Übertreibungslust und die Neigung zu spektakelhafter Komik setzen dem Text ihre besonderen Glanzlichter auf. Die Übersetzerin Renate Orth-Guttmann hat dafür im Deutschen gelungene Entsprechungen gefunden. Denn irische Helden sind schließlich von einem besonderen Schlag: Wo immer sie auftreten, verpassen sie sogar bedeutenden oder tragischen Ereignissen leicht einen Zug ins Burleske, Fabelhafte oder Absurde. So bleiben denn auch von Henrys kriegerischem Einsatz als Rebell weniger soldatische als vielmehr erotische Leistungen in Erinnerung. An vorderster Front traf er nämlich wieder auf die ebenfalls patriotisch entflammte Lehrerin Miss O'Shea, die auch im Schatten von Barrikaden mit ihren Lektionen nicht geizte.

    "-Ich bin immer noch deine Lehrerin, Henry Smart, sagte sie.

    -Ja, Miss, sagte ich.

    Ihre Hände waren an meinem Hals; sie stocherten und streichelten und guckten, wie sie mich am besten fertigmachen konnten. [...] Und jetzt drückte sie meine Schulter auf die Briefmarkenbögen, hob und senkte sich, feuchtes Klatschen schlug den Takt und kleisterte meinen Hintern auf die Postwertzeichen ..."

    ... und so weiter, während draußen allseitiger Beschuß gegen die Hauptpost brandete und die Niederlage sich allmählich abzuzeichnen begann. In Schmach und Schande wurden die Rebellen von den Siegern abgeführt, etliche wurden sofort erschossen, andere in englische Gefängnisse deportiert. Und sogar dieser Moment der allgemeinen Niederlage hielt für Henrys Heldenleben noch eine besondere Trübung bereit. Fast wäre er nämlich auf einem Foto mit dem späteren irischen Präsidenten de Valera verewigt worden, hätte der Fotograf nur, ja ....

    "Hätte Hanratty seinen Apparat ein bißchen, nur ein ganz kleines bißchen mehr nach rechts gerückt, wär ich mit drauf gewesen. Ihr würdet mein Gesicht kennen, ihr würdet wissen, wer ich war."

    Dennoch könnte uns auch das beste Foto Henry Smart nicht plastischer vor Augen führen, als es Roddy Doyle mit seinem Roman besorgt. Auch über die dem Aufstand folgenden Ereignisse läßt er seinen Protagonisten und Zeitzeugen eine eminente Fülle von fesselndem Erzählstoff ausbreiten. Trotz der Niederlage war nämlich die Widerstandskraft der irischen Rebellen keineswegs gebrochen. Im Gegenteil: Nachdem die offene Konfrontation gescheitert war, verlegte man sich mit umso größerem Nachdruck darauf, den Untergrundkampf zu organisieren. Damit begann für Henry, nach einem staubigen Intermezzo als Hafenarbeiter, eine regelrechte Karriere in den Diensten professionell operierender irischer Geheimbünde. Er strampelte als Fahrradkurier übers Land, kümmerte sich um die Anwerbung von Freiwilligen, Kontaktleuten und Informanten, er bildete Rekruten aus und unterrichtete Prinzipien und Praxis des Untergrundkampfes.

    "Ich ließ sie rennen und strampeln und durch winterkaltes Moorwasser robben. Ich ging zu ihnen nach Hause, stieg durch Fenster und über Halbtüren und holte sie raus. Ich zerrte sie von Fahrrädern und von Frauen runter. Ich jagte sie in Gewaltmärschen durch Flüsse und Berge. [...] Es war ein mühsames Geschäft. Ich machte sie fix und alle, die armen Teufel. Tagsüber mußten sie sich bei ihrer schweren Arbeit den Arsch aufreißen und nachts für den kommenden Krieg. Ich brachte ihnen Spaß und manchmal fast den Tod. Wir machten lange Radtouren mit Steinen in den Taschen, und in mondlosen Nächten trafen wir oft auf die Bullen in ihren schwarzen Uniformen, fuhren sie über den Haufen, und meine Jungs entkamen zerschrammt, zufrieden und unerkannt."

    Die Mühen waren nicht umsonst, der Widerstand gegen die englische Besatzungsherrschaft zeigte Wirkung. Zwar brachte der angloirische Vertrag von 1921 noch nicht die Unabhängigkeit - die kam erst 1949 -, aber immerhin erhielt Irland den Status eines Freistaates, freilich mit Ausnahme der nördlichen Provinz Ulster.

    Das war gewiß ein Sieg, doch Henry Smart fühlte sich davon ausgeschlossen. In seinen Augen war es ein Sieg der gescheiten, gebildeten Männer in Trenchcoats, kein Sieg des Volkes, sondern ein Sieg jener, die nun im Parlament und an den Hebeln der Macht saßen. Damit lernte Henry Smart eine völlig neue Empfindung kennen, vor der ihn früher seine Schlauheit bewahrt hatte und die nüchterne Einsicht, daß er ohnehin wenig zu hoffen hatte. Zum ersten Mal fühlte er sich nun wirklich betrogen.

    "Jetzt konnte ich mir nichts mehr vormachen: Ich war ein ausgemachter Gimpel, der Welt größter Trottel. Geahnt hatte ich es schon seit Jahren, aber jetzt stand es fest. [...] Ich hatte Männer in die Berge über Dublin gebracht und erschossen. Ich war in ihre Häuser gegangen - weil ich meine Befehle hatte. Ich hatte mehr Menschen getötet, als ich zählen konnte, und andere zum Töten ausgebildet. Ich hatte mir Zettel mit Namen geben lassen, hatte die Leute aufgesucht, die zu den Namen gehörten, und hatte sie umgebracht. [...] Weil Männer, die gescheiter waren als ich, es mir so gesagt hatten." [380f]

    Eines Tages schrieben die gescheiten Männer in den Trenchcoats auch Henry Smarts Namen auf einen Zettel. Er war ihr bester Krawallmacher gewesen, doch so einer wurde nun nicht mehr gebraucht. Zugleich spreizten sich die Emporkömmlinge des Aufstands, denen Henry Smart noch das ABC des Kampfes beigebracht hatte, plötzlich ungeniert und unverschämt in neuen machtvollen Positionen, die sie vor allem für ihre eigenen Interessen ausnutzten. Henry dagegen ging leer aus. Die Freiheit, für die er gekämpft hatte, trug ihm und seinesgleichen nur neue Verfolgungen ein.

    Auch mit dieser Deutung der Ereignisse unterstreicht Roddy Doyle noch einmal, daß er seinen Helden in einer doppelten Perspektive sieht: als abenteurerliche Figur und als Repräsentanten des einfachen Volkes.

    "Ich mußte weg. Ich konnte nicht bleiben. Jeder Hauch von Irlands abgestandener Luft, jeder Quadratzoll seiner Erde verhöhnte mich, grapschte nach meinen Knöcheln. Das Land brauchte Blut zum Überleben, und meins würde es nicht kriegen. Ich hatte ihm schon genug gegeben. [...] Ich wußte nicht, wohin es mich verschlagen, ich wußte nicht, ob ich je ankommen würde. Egal: Ich war noch am Leben. Ich war neunzehn. Ich war Henry Smart."

    Und der Roman "Henry der Held" bietet noch nicht seine ganze Geschichte, die, wie man hört, zu einer Trilogie anwachsen soll. Tatsächlich gibt es dafür gute Gründe, unter denen das jugendliche Alter des Helden nicht einmal der wichtigste ist. Viel mehr zählt, daß Roddy Doyle in dieser geglückten Kreuzung aus historischem Roman und Schelmenroman einen Charakter geschaffen hat, dessen farbigem und gewitztem Erzählen man sehr gerne folgt. Daher wäre auch eine Fortsetzung durchaus willkommen.