Mittwoch, 24. April 2024

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Herbert Reul (CDU) zu Kinderpornografie
„Das ist ein Massenphänomen geworden“

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) fordert auf der Innenministerkonferenz in Lübeck die Verdopplung der Strafen für Kindesmissbrauch. Wichtig sei es, an die Daten der Täter zu kommen, sagte er im Dlf. Die Vorratsdatenspeicherung müsse deswegen auch auf europäischer Ebene koordiniert werden.

Herbert Reul im Gespräch mit Silvia Engels | 05.12.2019
Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) will härter gegen Kindesmissbrauch vorgehen - auch mit mehr Datenspeicherung (dpa/Federico Gambarini)
Silvia Engels: In Lübeck sind gestern die Innenminister der Länder zusammengekommen. Sie bearbeiten bis morgen eine breite Themenagenda. Sie reicht vom Kampf gegen Rechtsextremismus bis hin zur Migrations- und Flüchtlingspolitik.
Am Telefon ist Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, von der CDU. Guten Morgen, Herr Reul.
Herbert Reul: Schönen guten Morgen!
Engels: In Ihrem Bundesland gab es den Fall massenhaften Kindesmissbrauchs von Lügde, und Ihre Behörden sind nun auch dabei, den offenbar noch weitreichenderen Fall anzugehen, der in Bergisch Gladbach seinen Anfang nahm. In dem geht es um tausende Teilnehmer von Chatgruppen, die Bilder und Videos von sexuellem Missbrauch geteilt haben – zum Teil selbst aufgenommen oder selbst gedreht. Mehrere Verdächtige sitzen in Haft; das ganze Ausmaß des Falls ist noch nicht absehbar. Herr Reul, zu welchen neuen Maßnahmen suchen Sie nun nach Zustimmung von Ihren Innenministerkollegen?
Reul: Wir sind hier dabei, erstens Erfahrungen auszutauschen, zweitens auch Verfahren abzustimmen, und drittens auch Richtung Bundesregierung oder Bundestag initiativ zu werden. Mich stört schon sehr, dass wir im Bereich der Strafbarkeit hier Maßnahmen haben, die überhaupt nicht mehr der Dramatik dieser Vorgänge entsprechen, und wir wollen als Nordrhein-Westfalen hier noch mal einen Vorstoß machen, dass wir Richtung Bundesregierung signalisieren, wir erwarten eine Erhöhung der Strafbarkeit für Kinderpornographie und Kindesmissbrauch. Da müssen die Gesetze geändert werden. Es kann nicht sein, dass man das so leicht abtut.
"Das ist kein Kavaliersdelikt"
Engels: Da melden Agenturen, dass Sie gar eine Verdoppelung der Strafen fordern. Können Sie es konkret machen?
Reul: Ja. Das ist eine Frage: Bei Kinderpornographie haben wir drei Jahre. Da sind wir der Auffassung, dass wir auf fünf Jahre gehen, und bei Missbrauch von fünf auf zehn Jahre, insofern Verdoppelung.
Aber was noch viel wichtiger ist: Wir wollen auch, dass es als Verbrechen eingestuft wird und damit eine Mindeststrafe von einem Jahr hat. Ich glaube, das ist kein Kavaliersdelikt, das ist nicht irgendwas; das ist eine ganz dramatische Straftat. Kinder werden damit um ihr ganzes Leben betrogen.
Engels: Da zielen Sie natürlich auf Gesetzesänderungen auf Bundesebene ab. Was können Sie denn auf Landesebene tun? Sie sitzen ja mit den Kollegen zusammen, um härter gegen sexuellen Missbrauch vorzugehen.
Kampf gegen Kindesmissbrauch / "Sexuelle Gewalt ist das Grundrisiko für jede Kindheit in Deutschland"Sexuelle Gewalt sei für tausende Mädchen und Jungen in Deutschland trauriger Alltag, sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, im Dlf. Die aufgedeckten Fälle stellten nur die Spitze des Eisbergs dar.
Reul: Es ist nicht ganz unwichtig, dass man auch eine Strafbarkeit hat, die passt. Das Ermitteln ist das, was in den Ländern passieren muss. Wir müssen extrem gründlich unterwegs sein. Wir brauchen mehr Initiativen auch, um im Netz aktiv sein zu können. Alles das findet ja irgendwo im Netz statt und ist für uns zum Teil schwer zu ermitteln. Wir brauchen dafür die Befugnis, wir brauchen das Personal.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel in allen Polizeibehörden das Personal für diesen Bereich verdoppelt – natürlich nicht, auf gut Deutsch, weil wir es woanders wegnehmen mussten – und haben dafür gesorgt, dass intensiver daran gearbeitet wird. Und je intensiver wir unterwegs sind, je mehr solcher Fälle decken wir auch täglich auf. Es ist ungeheuer, was da los ist.
Engels: Nehmen wir noch einen konkreten Punkt heraus. Aus den Landeskriminalämtern kommen ja schon länger Forderungen, computergenerierte Fake-Bilder von Kindern verwenden zu dürfen, um so in die Chats der Täter aufgenommen zu werden und so ermitteln zu können. Wird das kommen?
Reul: Ich bin kein Prophet, aber ich würde es mir wünschen. Ich glaube, es ist richtig. Das sind Maßnahmen, wo man sicherlich drei- oder viermal nachdenken muss, ob man das macht oder nicht macht. Aber wenn wir ermitteln wollen, müssen wir in die Szene reinkommen, und das wirklich Erschreckende ist, dass man in diese Szene ja nur reinkommt, wenn man auch anerkannt wird als einer, der dazugehört.
Da wird es sehr kompliziert, weil man oft in diese Chatverläufe nur reinkommt, wenn man selber Beweise antritt, dass man auch solche Sachen macht. An der Stelle ist es natürlich für den Verfassungsschutz und für Polizei ungeheuer schwierig, und der einzige Weg, den ich da sehe, ist wirklich die Möglichkeit zu eröffnen, dass Ermittler hier auch tätig werden können, und zwar natürlich nicht mit echten, sondern mit künstlichen Situationen.
"Wir kommen immer relativ schnell an unsere Grenzen"
Engels: Cyber-Kriminalität bei sexuellem Kindesmissbrauch ist nicht auf Bundesländer oder auch gar auf nationale Grenzen begrenzt. Sie sehen das gerade an dem Fall in Bergisch Gladbach. Was muss sich hier europäisch tun, um schneller Täter zu ermitteln?
Reul: Das ist eigentlich das, was wir immer nach Europa fordern. Wir feiern alle begeistert die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und die Chancen, die sich durch Zusammenarbeit geben, und wir sind in der Frage von Datenaustausch ungeheuer rückständig. Wir tun uns da ungeheuer schwer.
Die Mitgliedsstaaten horten da ihre nationale Souveränität, obwohl gerade in dem Bereich von Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere auch bei der Kinderpornographie und bei Kindesmissbrauch – die kennen keine Grenzen. Da braucht man einfach Zusammenarbeit, Datenaustausch. Das muss schneller werden, besser werden. Da müssen wir ein Stück auch die Vorsicht, die da mancher Mitgliedsstaat hat, aufgeben. Ansonsten werden wir diese Frage nicht in den Griff kriegen. Das ist ein Massenphänomen geworden. Dadurch, dass das Internet da ist, ist es viel mehr geworden und viel schwerer auch geworden, das im Einzelnen nachzuvollziehen.
Engels: Machen wir zu diesem Thema hier einen Punkt. Es gibt weitere Themen bei der Innenministerkonferenz: Die Gefährlichkeit von Rechtsextremismus. Das ist ja seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke ins Bewusstsein vieler gedrungen. Auch der Mordanschlag auf die Synagoge in Halle mit einem mutmaßlichen Täter, der sich rechtsextremistisch und antisemitisch geäußert hat, hat die gestiegene Bedrohungslage bei diesem Thema in den Fokus gerückt. Wo sehen Sie in diesem Bereich Defizite und was können die Innenminister heute dazu beschließen?
Der Messenger-Dienst WhatsApp auf einem Smartphone
Strafverfolgung im Netz / "Auch in der digitalen Welt muss die Polizei arbeiten können"
Nach der Tat von Halle hat CDU-Politiker Patrick Sensburg mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden gefordert. Die Online-Kommunikation solle aber nicht für den unbescholtenen Bürger unsicherer werden, sagte Sensburg im Dlf.
Reul: Erst mal: Wichtig ist, dass wir uns verabreden und sagen, das ist eine ganz gefährliche Entwicklung, die wir haben, die sich intensiviert hat auch in den letzten Jahren, in den letzten Monaten noch intensiver. Das ist ein Bereich, der sich entwickelt hat ja nicht nur im analogen Bereich, wenn man im Bilde bleibt, was man in der Wirklichkeit sehen kann, sondern auch das findet sehr, sehr stark im Internet statt, dass da Postings stattfinden, die unterstützt werden, wo ein Einzeltäter sich im Grunde die Legitimation dadurch abholt, dass er mit seinen antisemitischen, rechtsextremistischen Äußerungen auch unterstützt wird und geliked wird. Insofern ist die Frage, wie wir in der Beobachtung im Netz weiterkommen, von höchster Bedeutung.
Ich gehe davon aus, dass wir uns darüber auch intensiv unterhalten werden und auch Lösungen suchen, wie wir da an die Daten herankommen. Das ist eine ganz schwierige Frage, darüber diskutieren wir in Deutschland ja schon lange. Aber ich glaube, der Zeitpunkt ist jetzt reif, wo wir Antworten brauchen und nicht nur darüber diskutieren können, wie können wir Daten so lange vorhalten, dass wir auch diejenigen, die die Informationen ins Netz geben, die Hasspostings ins Netz geben, wie wir die erwischen können.
Engels: Das heißt, hier wollen Sie wieder an die lang umstrittene Frage der Datenspeicherung auf Vorrat heran?
Reul: Ich bin mittlerweile ein bisschen vorsichtig geworden, ob wir mit diesem Begriff nicht immer wieder alle zurückplumsen und in diesen alten ideologischen Gräben sind, die einen dafür, die anderen dagegen. Vielleicht kann man, auch wenn man mal in Ruhe darüber nachdenkt, einfach praktische Lösungen finden, ohne direkt wieder in diesen Grundsatzkrieg zu kommen. Ich meine, es ist doch unbestritten – nehmen Sie das Thema Kinderpornographie, nehmen Sie auch diesen rechtsextremistischen Bereich. Jeder weiß, wir kommen immer relativ schnell an unsere Grenzen, weil die Daten nicht mehr da sind, weil sie gelöscht sind, weil sie weg sind.
Die eine Möglichkeit ist sicherlich dafür zu sorgen, dass die Provider Hasspostings aus dem Netz nehmen. – Einverstanden! – Aber wichtiger ist ja, dass wir auch die Daten kriegen, wer ist denn derjenige, der die Hasspostings macht, und damit fängt ja alles an. Ich würde mir wünschen, dass wir aus diesen Grabenkämpfen herauskommen und einfach versuchen, ganz praktische Lösungen zu finden. Es ist unverantwortlich, was wir da im Moment veranstalten, dass wir da nicht weiterkommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.