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Herman Bang
Porträt der Kopenhagener Gesellschaft um 1900

In seinem Roman "Ludvigshöhe" erzählt der dänische Meister des Impressionismus', Herman Bang (1857-1912), vom Niedergang des alten Dänemark und von der Macht eines Patriarchats, das Männern wie Frauen außerhalb der Gesellschaft ein eigenes Lebensglück verwehrt.

Von Detlef Grumbach | 28.07.2014
    Blick auf eine Häuserfront am Peblinge Soe in der Kopenhagener Innenstadt.
    Im Roman "Ludvigshöhe" liefert die Psychiatriedie Metapher für eine "geschlossene Gesellschaft". (picture alliance / dpa-ZB / Thomas Uhlemann)
    Der Roman "Ludvigshöhe" ist die erste große literarische Arbeit Herman Bangs nach seinem Selbstmordversuch 1890 und seinem anschließenden Aufenthalt in der Psychiatrie. In drei großen Kapitel umgreift er das Leben seiner noch jungen Protagonistin Ida Brandt: Im ersten erzählt er von ihrer glücklichen Kindheit auf Gut Ludvigshöhe, von der Vertreibung von dort nach dem Tod des Vaters und dem bald folgenden Tod der Mutter. Im zweiten Kapitel ist Ida Brandt in Kopenhagen angekommen und arbeitet als Pflegerin in einer psychiatrischen Klinik. Sie verliebt sich in Karl von Eichbaum, den sie aus Ludvigshöhe kennt. Karl erwidert ihre Liebe aber nur scheinbar und nutzt Ida aus. "Und versprich mir eines", so bittet sie ihn am Ende des Kapitels, "dass du es mir sagst, wenn du mich einmal verlassen wirst". Karl lernt im letzten Kapitel die ebenfalls adelige Kate kennen und zieht eine standesgemäße Verbindung vor. Ida Brandt wird - "als eine Art Abschluss" - zu einem Fest im Hause von Eichbaum eingeladen, wird zur Zeugin der neuen Liaison, hilft noch in der Küche aus und muss sich anhören, wie in demütigender Weise über sie gesprochen wird: "Eine prächtige Person", so schildert Mutter von Eichbaum die abgehalfterte Geliebte ihres Sohnes: "Sie gehört zu jenen seltenen Menschen, die Wissen, wo ihr Platz ist." Karl hatte ihr selbstverständlich nichts gesagt. Ludvigshöhe wird unterdessen an einen abfällig als "Butterbaron" titulierten Fabrikanten verkauft. Der will das Gut einfach abreißen lassen.
    Vom Niedergang des alten Dänemark und der Macht des Patrichats
    Auf verschiedenen Ebenen verknüpft der 1857 geborene Meister des Impressionismus die großen Themen seines Werkes: den Niedergang des alten Dänemark, das nach dem verlorenen Deutsch-Dänischen Krieg einfach so weitermachte wie bisher, und die Macht eines Patriarchats, das einem Homosexuellen wie dem Autor und Frauen wie Ida Brandt jeden Anspruch auf ein eigenes Lebensglück verwehrt. Es scheint, als habe er mit dem Roman, der 1896 erschienen ist, noch einmal richtig Anlauf genommen. In relativ kurzen Abständen folgten die autobiographisch gefärbten Romane "Das weiße Haus", "Das graue Haus" und der große Künstlerroman "Michael".
    Bang war mit 18 nach dem Tod der Eltern nach Kopenhagen gekommen, hatte sich bald als - heute würde man sagen -: "Klatschreporter" einen Namen gemacht, seine Kolumnen um sozialkritische Themen erweitert und sich selbst als schwuler Dandy inszeniert. So wurde er, ein Spross aus bestem Hause, zum roten Tuch für eine bröckelnde Gesellschaft. In seinem wüsten Romandebüt "Hoffnungslose Geschlechter" zeigt er den Untergang einer alten, hochangesehenen Familie und verarbeitete das Scheitern seines eigenen Traums vom Theater. Dass der Roman nach einem Jahr verboten wurde, lag nicht an den wenigen vermeintlich anzüglichen Stellen – das zeigt die seit letztem Herbst erstmals auf Deutsch zugängliche Übersetzung der Originalausgabe. Man nutzte einfach die Gelegenheit, mit "Fräulein Hermine Bang", wie er verspottet wurde, abzurechnen. Von so einem wollte man sich die eigene Dekadenz nicht vor Augen führen lassen. Doch Bang beschritt seinen Weg weiter, zeigte in seinem Roman "Stuck", wie die Kopenhagener Gesellschaft auf Pump lebt und Luftschlösser baut, wie ihre ganze Pracht nichts als Gipsfassade ist. In "Tine" geht er zurück in die Zeit des Kriegs, entlarvt die Lächerlichkeit der sich als heldenhaft gerierenden Nation und erzählt von dem kaltschnäuzigen Verrat an der Liebe Tines, die sich bei der Pflege verwundeter Soldaten aufopfert und vom Forstmeister als Liebchen benutzt wird.
    Frauenfiguren quer zu den Rollenerwartungen der Zeit
    Im Roman "Ludvigshöhe" liefert die Psychiatrie in wunderbar ausgepinselten Bildern die Metapher für eine "geschlossene Gesellschaft". "Aber das Leben muss doch gelebt werden", sagt der Arzt am Ende zu einem Patienten. "Ja", antwortet der, "von denen, die nicht eingesperrt werden." In einem Käfig befinden sich aber alle Figuren des Romans. Ida hat ein bisschen geerbt, ist relativ unabhängig, geht auf in ihrer Arbeit und ihrer Liebe zu Karl. Es ist dann auch dieser Karl von Eichbaum, der ihr in trügerischer Weise zuflüstere: "Ida, Sie sind viel zu anspruchslos. Sie könnten viel mehr verlangen ..." - "Ja, vom Leben", setzt er nach, nimmt sie aber zugleich aus wie eine Weihnachtsgans und wendet sich einer anderen zu. Bang erzählt von Ida in einer Art und Weise, dass es beim Lesen wehtut. Es krampft sich alles zusammen, wenn er in leisen Tönen zeigt, wie Menschen untergehen, ohne sich zu wehren, ohne eine Alternative, einen Ausweg aus ihrer Situation zu erkennen.
    Er zeigt die Verlogenheit der Verhältnisse bei aller Traurigkeit mit einer abgründigen Komik, lässt seine Frauenfiguren aber auch stark und oft quer zu den Rollenerwartungen der Zeit erscheinen. In ihrer ausgeprägtesten Form bewegen sie sich außerhalb der Gesellschaft, verkörpern Unabhängigkeit und sexuelle Lust - so wie die Gräfin Hatzfeld in "Hoffnungslose Geschlechter" oder der Fürstin Zamikof in Bangs spätem Künstleroman "Michael". Sie ruinieren die Männer. Oder sie sind einfach nur fröhlich und lebensbejahend, tragen so eine gewisse Unruhe und Nervosität in die Familien wie die Mutter des Protagonisten und Bangs Alter Ego in "Hoffnungslose Geschlechter". In "Ludvigshöhe" begegnen wir neben Ida, die sich still in ihr Schicksal fügt, auch dem Fräulein Whist, die "ihr mächtiges Doppelkinn mit stolzem Trotz" trägt, dem Fräulein Koch, die "Hände wie ein Kerl" hat, dem Mädchen Sofie, die "weinte wie ein Mann" oder Aline Feddersen, der Frau eines Gutsbesitzers, die ihren ehrbaren Mann und zwei Kinder wegen eines Landvermessers sitzen lässt. Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, - das zeigt der Autor auf subversive Weise, beinahe trotzig, auch in seinem eigenen Interesse.
    Seit etwa zehn Jahren erlebt Herman Bang eine Renaissance bei den deutschen Leserinnen und Lesern. Bei Manesse, Insel und Männerschwarm wurden seine bedeutendsten Werke neu aufgelegt. Mit "Ludvigshöhe" liegt nun ein weiterer Roman Bangs vor. Er hält alles, was der Name des 1912 mit nur 55 Jahren gestorbenen Autors verspricht!
    Herman Bang: Ludvigshöhe.
    Roman, aus dem Dänischen von Ingeborg und Also Keel, mit einem Nachwort von Also Keel
    Manesse 2014, 448 Seiten, 22,95 Euro