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Herman Hollerith
Die Lochmaschine als Vorläufer des Computers

Vor 125 Jahren erhielt Herman Hollerith für seine elektromechanische Lochkartenmaschine das Patent. Ein Motor der Entwicklung waren amerikanische Volkszählungen. Hollerith gilt seitdem als Vater der Datenverarbeitung - und als Großvater von IBM.

Von Mathias Schulenburg | 08.01.2014
    Im Arithmeum der Universität Bonn steht in einer Sammlung exquisiter Rechengeräte auch der funktionstüchtige Nachbau eines Hollerith-Systems. Der Kartenlocher ist da, das Lesegerät, die Kartensortiermaschine.
    Alles erdacht von Herman Hollerith, am 29. Februar 1860 in Buffalo im US-Bundesstaat New York als Sohn deutscher Einwanderer geboren. Herman war nicht nur mit einem Geburtsdatum geschlagen, das ihm – theoretisch – nur alle vier Jahre zu feiern erlaubte. Er hatte einer Leseschwäche wegen auch große Schwierigkeiten in der Schule. Deshalb soll er einmal sogar aus dem Fenster im ersten Stock gesprungen sein. Aber nach einer Ausbildung zum Bergbauingenieur machte Hollerith Karriere: Er gilt heute vielen als Vater der Datenverarbeitung und Großvater der IBM.
    Und das kam so: Als Special Agent für die amerikanische Volkszählung von 1880 hatte Herman Hollerith die Mühsal der Datenerfassung kennengelernt. Die vollständige Auswertung der gesammelten Informationen nahm acht Jahre in Anspruch. Inspiriert unter anderem durch Eisenbahnschaffner, die – Betrug zu wehren – Tickets so lochten, dass sie Eigenheiten der Ticketbesitzer festhielten und diese so erkennbar machten, versuchte sich Hollerith an einem neuen Auswertungssystem und hatte Erfolg. Sein ihm am 8. Januar 1889 erteiltes Patent umfasste ein Gerät, mit dem Löcher in eine Karte gestanzt wurden, deren Positionen eine Information darstellten. Diese Information wurde mit einem Lesegerät rekonstruiert, das die Lochkarten nach bestimmten Kriterien sortierte und zählte. Das System kam für die neuerliche Volkszählung 1890 zum Einsatz und war, verglichen mit der von 1880, sehr viel schneller, informativer und um fünf Millionen Dollar billiger.
    Hollerith als Vater der Datenverarbeitung freilich, schränkt Ina Prinz, Direktorin des Arithmeums, ein:
    "Das ist nicht ganz richtig, es gab sicherlich auch vorher schon die Lochkarte, sie wurde ja ursprünglich entwickelt im Bereich der Webstuhltechnik. Und im Bereich des frühen Rechnens hatte Babbage schon die Idee gehabt."
    Die Arbeit an den Zählautomaten war hart: Die Klingel an der Hollerith-Maschine, die hat keine Funktion. Die war nur dazu da, dass der Saal-Aufseher, der vorne saß und die hundert Auswerter beaufsichtigt hat, feststellen konnte: Wurde gleichmäßig und schnell und zügig gearbeitet oder hat plötzlich jemand ausgesetzt. Dann wurde der sofort durch einen anderen Auswerter ersetzt.
    Als Verkäufer seiner Maschine war Herman Hollerith dennoch nicht immer mit dem Herzen dabei; nach einer harten Verhandlung mit russischen Geschäftsleuten in Genf schrieb er nach Hause:
    "Das ist ein schmutziges Geschäft und manchmal wünsche ich mir, ich hätte einen Kramladen und könnte friedlich zu Hause sein bei meiner Frau und meinen Kindern."
    Tatsächlich ging es mit Holleriths Unternehmen bald bergab. Es überlebte in Teilen durch eine Reihe von Fusionen, in deren Folge IBM, International Bureau Machines, unter der Führung des energischen Kaufmanns Thomas J. Watson entstand. Watson und Hollerith teilten eine herzliche Abneigung gegeneinander. Hollerith musste sich mit der Funktion eines Frühstücksdirektors begnügen. 1921 verließ Hollerith IBM endgültig, nachdem er, schrieb die IBM-Hauszeitschrift im November 1972, "kaum noch an den geschäftlichen Tätigkeiten der Firma teilgenommen hatte, deren Erfolg beständig wuchs. Er ging Watson, so gut er konnte, aus dem Weg und verbrachte die meiste Zeit als Edelfarmer an der Chesapeake Bay. Er war offenbar mehr an Booten, seiner Farm und der Züchtung von Guernsey-Rindern interessiert als an der Geschäftsleitung."
    Herman Hollerith, im Herzen ein Bauer, erfreute sich dieser Annehmlichkeiten bis 1929, dann starb er 69-jährig an einem Herzschlag. Ein Jahrzehnt später wurde Holleriths Technik weiterentwickelt von den deutschen Nationalsozialisten für den Krieg und die Ermordung der europäischen Juden missbraucht.