Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Hermann: Keine vorschnellen Forderungen

Das Phänomen des isländischen Vulkanausbruchs mit Auswirkungen in ganz Europa sei bislang einmalig, so der verkehrspolitische Sprecher der Grünen Winfried Hermann. Dennoch sei die Diskussion um die Aufhebung des Nachtflugverbots derzeit "völlig unangemessen".

Winfried Hermann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.04.2010
    Tobias Armbrüster: Vulkanasche über Deutschland und Europa. Horst Kläuser berichtete. Was muss die Politik also tun? Darüber wollen wir jetzt mit Winfried Hermann sprechen. Er ist verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Schönen guten Morgen, Herr Hermann!

    Winfried Hermann: Schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Hermann, dass ein Vulkanausbruch europaweite Auswirkungen hat, war irgendjemand darauf vorbereitet?

    Hermann: Nein. Also ich mache jetzt schon einige Jahre Verkehrspolitik, und wir hatten überhaupt noch nie mit einem solchen Phänomen zu tun und schon gar nicht mit einer solch flächendeckenden Auswirkung über ganz Europa, dass also der Verkehr vollkommen lahmgelegt ist. Das ist einmalig. Deswegen sind auch, glaube ich, alle überrascht. Man hat vielleicht zu lange zu naiv geglaubt, dass unsere Transportsysteme völlig unabhängig von der Natur und ihrer Naturgewalt einfach funktionieren. Manchmal merkt man es dann im Winter, dass die Natur dazwischenspielt, aber mit Vulkanproblemen hat man wirklich nicht gerechnet.

    Armbrüster: Heißt das, sind wir zu abhängig vom Fliegen?

    Hermann: Wir sind natürlich extrem abhängig. Wir haben sozusagen unsere ganzen Lebens- und Wirtschaftsweisen so organisiert, dass diese Systeme alle immer funktionieren. Das merken wir ja selber, wenn wir uns aufregen, wenn man wegen Winter zum Beispiel nicht reisen kann, und da sind es dann nur vielleicht ein paar Stunden Aufschub. Aber jetzt ist es wirklich ein sehr gravierender Eingriff, und es wird sicherlich noch tagelang große Folgen auf das Verkehrssystem insgesamt haben, weil die Probleme verlagern sich ja in die Bahn rein und auch auf die Autobahnen vermutlich.

    Armbrüster: Wie lange bleibt das Ganze denn eine Verkehrsstörung, die man einfach den betroffenen Verkehrsunternehmen allein überlassen kann?

    Hermann: Na ja, das werden wir wahrscheinlich nicht tun können. Wir werden uns sicherlich schnell damit befassen müssen. Also nächste Woche tagt der Deutsche Bundestag, wir haben auch schon ein umfangreiches Programm im Verkehrsausschuss. Ich werde natürlich mich im Laufe dieses Wochenendes auch mit den Kollegen verständigen, ob wir da nicht zumindest vor der regulär geplanten Sitzung eine Sondersitzung machen müssen oder einfach eine Tagesordnung vorweg machen müssen zur Situation des Flugverkehrs und was politisch zu tun ist. Ich glaube, das steht auf jeden Fall an.

    Armbrüster: Wir haben es gerade schon im Beitrag gehört, einige Politiker fordern eine Aufhebung des Nachtflugverbots, damit man diesen Stau an den Flughäfen, den wir zurzeit erleben, damit man den, wenn das Ganze vorbei ist, so schnell wie möglich wieder aufheben kann. Was halten Sie davon?

    Hermann: Also zunächst mal wissen wir ja noch gar nicht, wann man wieder fliegen kann, von daher ist die Vorstellung, wir müssen das Nachtflugverbot abschaffen, erst mal, glaube ich, noch etwas vorschnell. Aber sicherlich, wenn es drum geht, diese Bugwelle dieser Flüge und die Passagiere, die ja zum Teil in den Flughäfen übernachten müssen, das irgendwie abzubauen, da wird man sicherlich in einigen Tagen dann zu Sonderregelungen kommen müssen, die abweichen von dem, was wir sonst haben. Ich warne aber davor, jetzt diese Katastrophe – und das ist schon eine Katastrophe – zum Anlass zu nehmen, in Deutschland über das Nachtflugverbot und seine Aufhebung zu diskutieren. Das ist, glaube ich, der völlig falsche Platz, und es ist auch völlig unangemessen. Man muss sozusagen in den kommenden Tagen wägen und Wege finden, um die Probleme schnell abzubauen, wenn man denn überhaupt fliegen kann. Aber man wird wahrscheinlich in den allernächsten Tagen erst mal schauen müssen, dass man zumindest dort, wo es möglich ist, am Boden alternative Transportmöglichkeiten anbietet.

    Armbrüster: Das heißt, brauchen wir mehr Züge auf den Schienen?

    Hermann: Also ich glaube noch gar nicht, dass man mehr Züge bräuchte, sondern wir haben ziemlich große Kapazitäten, die nicht genutzt sind. Also ein durchschnittlicher ICE hat eine Auslastung von 40 Prozent, da passen die Flugpassagiere locker rein. Also von den Kapazitäten insgesamt ist das nicht so zwingend. Vielleicht auf manchen Relationen ist es vielleicht notwendig, wo besonders viele Flüge sind und wo es auch Alternativen auf der Schiene gibt, wo vielleicht Züge nicht reichen. Aber im Moment sehe ich das noch nicht, dass man da jetzt so viel mehr anbieten muss. Ich denke da eher auch an Busse, an Sonderbusse, die auf Relationen fahren, wo die Schiene nicht das Angebot ist.

    Armbrüster: Mal angenommen, Herr Hermann, das Ganze dauert noch mehrere Tage an, ab wann wird es richtig ernst?

    Hermann: Na, richtig ernst ist es schon, aber so, dass es ein richtig gravierendes Problem wird, wo man sozusagen einen Notstab einrichten muss und Lösungen finden muss, das wird sicherlich dann schon im Laufe der nächsten Woche sein. Also deswegen glaube ich auch nicht, dass man jetzt noch lange hinhocken kann und abwarten kann und hoffen kann, dass es gleich vorbei ist, sondern dass man sehr rasch – also das ist natürlich auch Regierungshandeln, nicht Parlamentshandeln –, dass die Regierung sehr rasch sich mit der Deutschen Flugsicherung und mit den Verantwortlichen in den deutschen Flughäfen zusammensetzt und überlegt, wie man die Passagiere relativ rasch jetzt schon transportieren kann, und zwar nicht in der Luft, sondern am Boden, dass die anderen Bereiche des Verkehrs – also eben Bahn und Bus, Busunternehmer – auch sozusagen da an den Tisch gerufen werden, damit man zunächst einfach überhaupt dafür sorgt, dass die Menschen aus den Flughäfen rauskommen.

    Armbrüster: Winfried Hermann war das, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen. Vielen Dank, Herr Hermann, für dieses Gespräch!

    Hermann: Ich danke auch!