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"Herr Carstensen fährt diese Koalition mutwillig gegen die Wand"

"Wir werden nicht zulassen, dass das insgesamt demokratischen Parteien in die Schuhe geschoben wird", sagt Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD, zu dem Zickzackkurs vor dem Ende der Koalition in Schleswig-Holstein. Trotz der aus seiner Sicht ernüchternden Umfragezahlen, scheut Heil den Wahlkampf nicht.

Hubertus Heil im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: In Kiel liegt die Große Koalition in ihren letzten Zügen. Niemand zweifelt daran, dass der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Carstensen am Donnerstag die von ihm beantragte Vertrauensabstimmung wie geplant verlieren wird, und mit diesem verfassungsrechtlichen Winkelzug wäre dann der Weg frei für vorgezogene Neuwahlen des Kieler Landtags. Das Ende der Koalition markierte Carstensen gestern auch dadurch, dass er die SPD-Minister seines Kabinetts entließ.
    Am Telefon ist nun der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Guten Morgen, Herr Heil!

    Hubertus Heil: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Hat die SPD ein teures Schmierenstück veranstaltet?

    Heil: Nein, auf keinen Fall, es ist Herr Carstensen, der zwar immer bieder und unverdächtig guckt aber mit unfairen Mitteln trickst, denn Tatsache ist, er hat mehrfach die Unwahrheit gesagt in den letzten Tagen. Ausgangspunkt war, dass er verschleiert hat, dass er das Parlament falsch informiert hat oder nicht informiert hat über das, was bei der HSH-Nordbank war, dass er mutwillig offensichtlich auch in Absprache mit der FDP die Große Koalition in Schleswig-Holstein hat platzen lassen. Das haben die ja in den letzten Monaten als CDU öfter mal versucht aus taktischen Gründen, obwohl diese Koalition handlungsfähig ist. Deshalb sage ich: Dieses Verhalten ist unanständig, es ist durchsichtig, und deshalb wird Herr Carstensen das Vertrauen der Parlamentarier in Schleswig-Holstein nicht bekommen.

    Engels: Herr Heil, Sie werfen Herrn Carstensen vor, die Vorgänge in Sachen HSH-Nordbank mutwillig verschleiert zu haben. Aber fest steht doch, dass der Innenminister, Herr Lothar Hay von der SPD, darüber informiert war, was Sie bemängeln. Das ist doch keine Verschleierung, sondern ein SPD-internes Kommunikationsproblem.

    Heil: Nein, es entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist, dass Herr Carstensen behauptet hat, den Landtag informiert zu haben. Das hat er nicht getan. Er hat im Übrigen diesen Deal bei der HSH-Nordbank - es geht um 2,9 Millionen an Boni für den Vorstand -, diesen Punkt verschleiert, das muss man ganz deutlich sagen, und er hat in diesem Gesamtzusammenhang einen Anlass gesucht, die Koalition platzen zu lassen, auch mit einer wahrheitswidrigen Behauptung, nämlich, dass die Koalition nicht handlungsfähig sei. Das stimmt nicht. Die haben letzten Donnerstag noch gemeinsam als Koalitionspartner, als SPD und CDU, im Landtag schwierige Haushaltskonsolidierungen beschlossen. Es gab gar keinen Grund, jetzt vorgezogene Neuwahlen oder Ähnliches anzustreben. Man hätte regulär wählen können im Frühjahr nächsten Jahres. Es ist also ein taktischer Versuch, den Herr Carstensen da macht und das ist, wie gesagt, etwas, was man unanständig nennen muss. Ich sage noch mal: Das ist ein sehr unwürdiges Spiel, was Herr Carstensen betreibt, die Geschichte vom biederen Herr Carstensen ist damit zu Ende.

    Engels: Herr Heil, und damit sind Sie auch schon mitten im Kieler Wahlkampf, aber blicken wir noch einmal auf die HSH-Nordbank. Abgesehen von dem Fall jetzt ist ja klar, dass für die Schieflage und die Milliardendefizite dieser Landesbank auch die Landes-SPD in Kiel definitiv mit Verantwortung trägt, denn sie ist schließlich seit 1988 an jeder Regierung in Kiel beteiligt. Denken Sie, die Wähler haben das vergessen?

    Heil: Nein, Entschuldigung, aber da muss man die Zusammenhänge und die Krisen der Landesbanken kennen. Diese Krisen sind entstanden seit 2005 - bei der Westdeutschen Landesbank, auch bei der HSH-Nordbank - dadurch, dass tatsächlich die Gewährträgerhaftung weggefallen ist, diese Banken sich verspekuliert haben in Geschäften, in die die nicht reingehören, weil es nicht gelungen ist, ein neues Konsolidierungskonzept zu finden, und das ist die Ursache der ganzen Geschichte. Im Präsidialausschuss, in dem jetzt über diese Dinge abgestimmt wurde mit diesen überhöhten Sonderzahlungen, die auch noch mal diskutiert gehören aus meiner Sicht, ist es so, dass da kein Sozialdemokrat sitzt. Nein, die Verantwortung liegt ganz klar bei dem Ministerpräsidenten, die ganz deutlich nicht in der Lage waren, ein neues Geschäftsmodell für Landesbanken zu finden. Und das sind - ich kann es beklagen, weil wir leider in den letzten Jahren Landtagswahlen verloren haben - aber nun mal Unionsministerpräsidenten, die heißen Carstensen, Rüttgers und auch der CSU-Ministerpräsident, damals der Amtsvorgänger, und jetzt Herr Seehofer.

    Engels: Aber wie gesagt, in Kiel hat die SPD immer mitregiert. Aber schauen wir auf die Umfragen. Nach den neuesten von Samstag würde die schleswig-holsteinische SPD derzeit nur 24 Prozent der Wählerstimmen bekommen nach immerhin 38,7 Prozent bei den letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Das nennt man ungünstiges Timing, oder?

    Heil: Na ja, wir haben uns das Timing ja nicht ausgesucht, aber wir scheuen Neuwahlen nicht. Ich sage noch mal: Es war richtig, dass die SPD in Schleswig-Holstein gestern dieser Schmierekomödie nicht zugestimmt hat, der CDU-Antrag zur Auflösung des Landtages war der plumpe Versuch, der SPD die Schuld für das Platzen der Koalition in die Schuhe zu schieben. Es ist ganz eindeutig so, dass Herr Carstensen mutwillig diese Koalition gegen die Wand fährt, obwohl sie handlungsfähig ist. Das muss er erklären. Er wird jetzt die Vertrauensfrage stellen müssen, er kriegt das Vertrauen nicht, weil er es nicht verdient hat, nach dem, was er da gemacht hat, und dann wird es offensichtlich Neuwahlen geben. Das scheuen Sozialdemokraten nicht, und es ist die Aufgabe, dann in einem engagierten Wahlkampf Umfragen nicht so zu lassen, weil wir wissen: Wahlergebnisse zählen. Und dann wird die SPD in Schleswig-Holstein kämpfen mit dem Ziel zu gewinnen.

    Engels: Schmierentheater hin oder her, am 27. September - das ist ja der Tag der Bundestagswahl - wird nun also wahrscheinlich auch in Kiel gewählt. Muss also Kanzlerkandidat Steinmeier für Schleswig-Holstein mit Wahlkampf machen?

    Heil: Wir machen in ganz Deutschland Wahlkampf. Ich will daran erinnern, dass am 30. August erst mal Wahlen im Saarland, in Thüringen, in Sachsen, auch eine wichtige Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen ist, dass am 27. September Bundestagswahl ist und Landtagswahl in Brandenburg. Und wenn dann eben auch Wahl in Schleswig-Holstein ist, werden wir auch da Wahlkampf machen, und noch mal: Wahlkampf können wir, wir sind der festen Überzeugung, dass Sozialdemokraten mit der Politik, für die sie stehen, auch nach vorne kommen können. Das gilt auch für Schleswig-Holstein, das gilt beispielsweise für die Energiepolitik. Ich will daran erinnern, dass der geordnete Ausstieg aus der Atomkraft auch in Schleswig-Holstein ein wichtiges Thema ist. Das gilt für die Bildungspolitik in Schleswig-Holstein. Ute Erdsiek-Grave, die Bildungsministerin, die heute noch im Amt ist, die auf schnöde Art und Weise gestern rausgeschmissen wurde wie die anderen sozialdemokratischen Minister von Herrn Carstensen, auch ein ungehöriger Vorgang, hat eine sehr gute, eine engagierte Bildungspolitik in Schleswig-Holstein betrieben und ich weiß, dass das im Lande wohl Zustimmung hat. Nein, die Leute wissen, das ist gut, dass da Sozialdemokraten regieren, insofern scheuen wir Wahlkampf nicht.

    Engels: Dann schauen wir noch mal auf die Umfragen, da gibt es Ähnlichkeiten zwischen Kiel und Berlin, nämlich: Bundesweit wie auch landesweit würden wohl bei Neuwahlen jetzt FDP und Grüne große Gewinner sein mit zweistelligen Ergebnissen. Ist das die Strafe der Wähler, wenn SPD und Union gemeinsam regieren im Land wie vielleicht auch im Bund?

    Heil: Ich sage Ihnen mal: Ich lese auch Umfragen, das gehört zu meinem Job. Aber ich weiß auch, was da immer drinsteht, da steht immer drin, was wäre, wenn am nächsten Sonntag Wahl ist, aber nächsten Sonntag ist nicht Wahl, sondern Bundestagswahl ist am 27. September, möglicherweise auch Landtagswahl in Schleswig-Holstein und dann zählen Wahlergebnisse. Wir haben ja schon oft erlebt, dass Demoskopen, auch einige Publizisten, glaubten, Wahlergebnisse verkünden zu können, aber am anderen Tag die Wähler anders entschieden haben, die Bürgerinnen und Bürger, beispielsweise im Jahr 2005. Insofern - ich würde lieber über politische Inhalte streiten, das ist Gegenstand eines Wahlkampfes, und nicht ständig mit irgendwelchen Umfragen aufhalten wollen. Natürlich wünsche ich mir bessere Umfragen, ist doch gar keine Frage, aber am Ende zählen Wahlergebnisse.

    Engels: Die Inhalte sind das eine, das Verfahren ist das andere. Dieses Hin und Her jetzt rund um die Stellung der Vertrauensfrage, die nötig wurde, weil die SPD da nicht mitgestimmt hat, den Landtag aufzulösen, das Ringen um die HSH-Nordbank - denken Sie nicht, unterm Strich sind die Menschen diese Spielchen leid und werden beide abstrafen, CDU und SPD?

    Heil: Nein, ich finde, dass man differenziert das betrachten muss und auch erklären muss. Dass der ganze Vorgang ungewöhnlich ist und auch nicht angetan ist, das Ansehen demokratischer Politik zu stärken, das ist so. Aber dafür gibt es klare Verantwortung und die liegt bei Herrn Carstensen und seinem Schmierentheater. Wir werden nicht zulassen, dass das insgesamt demokratischen Parteien in die Schuhe geschoben wird. Es gibt politische Verantwortung, aber die liegt bei einzeln handelnden Personen, diesmal bei Herrn Carstensen, und das wird auch Gegenstand sein. Ich glaube, dass das, was Herr Carstensen versucht hat, ja vom Spiegel am Wochenende aufgedeckt wurde - nämlich, die Öffentlichkeit hinter die Fichte zu führen -, sich gegen die Union wenden wird, aber dass es in Schleswig-Holstein auch darum gehen wird, was ist gut für das Land in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation, in einer Situation, wo es um die Bildungschancen der Kinder in Schleswig-Holstein geht, um die Energiepolitik, und dass viele Menschen wissen, dass es für das Land gut ist, dass die SPD regiert. Und darauf werden wir setzen in einem engagierten Wahlkampf, den scheuen wir nicht, aber wir haben nicht mitgemacht bei dem Versuch von Herrn Carstensen, die Wahrheit zu verschleiern und ich finde, das steht der SPD in Schleswig-Holstein gut an.

    Engels: Hubertus Heil, SPD-Generalsekretär, vielen Dank für das Gespräch!

    Heil: Ich danke Ihnen!