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"Herr Friedrich selber ist der größte Freund der Vorratsdatenspeicherung"

Die Bundesregierung und speziell Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seien nicht wütend über das US-Spähprogramm, sondern neidisch auf die amerikanische Überwachungstechnik, meint Linken-Politiker Steffen Bockhahn. Das Parlamentarische Kontrollgremium werde unzureichend informiert.

Steffen Bockhahn im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.07.2013
    Jasper Barenberg: Nichts gewusst haben will die Bundesregierung von dem gigantischen Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes NSA, sondern selbst erst gewissermaßen aus der Zeitung davon erfahren haben. Umfang und viele Einzelheiten sind weiter unbekannt, in Berlin wartet man darauf, dass die Partner in Washington Fragebögen beantwortet zurückschicken. Kein Tag aber, an dem nicht neue Aspekte für Wirbel sorgen. Auf der Grundlage geheimer Papiere und der Enthüllungen von Snowden schreibt der "Spiegel" heute, dass die amerikanischen und die deutschen Geheimdienste beim Ausspähen und beim Analysieren sehr viel enger zusammenarbeiten, als das bisher bekannt ist - im Mittelpunkt ein besonderes Computerprogramm.
    Am Telefon begrüße ich den Bundestagsabgeordneten Steffen Bockhahn von der Linkspartei, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Arbeit der Geheimdienste ja kontrollieren soll. Guten Morgen!

    Steffen Bockhahn: Schönen guten Morgen!

    Barenberg: Diese Zusammenarbeit der deutschen mit den amerikanischen Geheimdiensten – wenn es stimmt, dass sie sehr viel enger ist, als bisher öffentlich diskutiert, sind Sie dann überrascht?

    Bockhahn: Inzwischen leider nicht mehr. Allerdings bin ich langsam wirklich stinke-wütend – und das ist nicht mein persönliches Problem, sondern es ist ein rechtliches Problem in Deutschland. Die Salami-Taktik, die von den Geheimdiensten und vom Kanzleramt und vom Innenministerium betrieben wird, die ist einfach nicht mehr erträglich. Und vor allen Dingen verstehe ich auch nicht, warum die das nicht einfach offensiver dem PKG erzählen, das für die Kontrolle zuständig ist, also dem Kontrollgremium. So lassen sie sich permanent und immer weiter treiben. Ich denke, die sollten langsam mal begreifen, dass es auch in ihrem eigenen Interesse besser wäre, reinen Tisch zu machen und sich nicht alles aus der Nase ziehen zu lassen.

    Barenberg: Gerhard Schindler, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, sagt, er habe Ihr Gremium, also das Parlamentarische Kontrollgremium, kürzlich über die Zusammenarbeit mit der NSA informiert. Sie müssten also, könnten gar nicht, dürften gar nicht überrascht sein heute Morgen.

    Bockhahn: Na das wäre schön. Richtig ist, dass wir über die Zusammenarbeit mit der NSA informiert worden sind. Über Details darf ich bekanntlich nicht allzu viel verraten. Richtig ist aber auch, dass das, was gestern im "Spiegel" veröffentlicht worden ist, nicht Bestandteil dieser Unterrichtung war. Deswegen sind sowohl der Kollege Ströbele als auch ich und auch meine Kollegen mindestens aus der SPD-Fraktion offenkundig sehr überrascht gewesen, und ich meine, das müsste dann ja zumindest auch wieder zum Nachdenken anregen. Das ist aber genau das, was ich gerade mit Salami-Taktik meinte: Es kann doch nicht wahr sein, dass man sich jedes Detail einzeln erkämpfen muss und selbst überhaupt nicht das Gefühl haben kann, dass die Bundesregierung und dass die Präsidenten der Geheimdienste ihrer Pflicht nachkommen, die parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen und über das zu informieren, was relevant ist. Und ich finde schon, dass es relevant ist, wenn man in einem solchen Programm mit der NSA direkt zusammenarbeitet.

    Barenberg: Es geht um dieses Programm XKeyscore, von dem wir gerade in dem Beitrag auch gehört haben, ein Programm, das es ja auch ermöglichen soll, tatsächlich nicht nur Verbindungsdaten aufzudecken, sondern bei bestimmten Zielpersonen tatsächlich auch Kommunikationsinhalte zu recherchieren, sogar rückwirkend. Was halten Sie davon?

    Bockhahn: Ja das ist spätestens jetzt die klare Mitteilung an alle, die meinen, man müsste keine Angst vor einer digitalen Überwachung haben, dass diese Angst sehr wohl berechtigt ist. Denn um das noch mal ganz klar darzustellen: Es geht hier nicht darum, dass einfach jemand darüber Buch führt, mit wem wer wann telefoniert hat, oder wer wem wann eine E-Mail geschrieben hat, sondern es geht künftig darum, auch zu wissen, wer wem am Telefon was gesagt hat und wer wem in der E-Mail was geschrieben hat. Man muss das vielleicht damit vergleichen, dass da ständig jemand sitzt und die Briefe aufmacht, die ich meiner Oma schreibe, oder die ich jemandem sonst schreibe. Das geht verdammt noch mal niemanden was an, das sind meine ganz privaten Kommunikationsdaten, das hat niemanden zu interessieren, nicht mal Vater Staat – es sei denn, dass es um eine konkrete Gefahrenabwehr geht. Das kann man aber, glaube ich, bei 180 Millionen Datensätzen pro Monat nicht mehr sagen. Von einer gezielten Suche kann da nicht die Rede sein. Das Problem ist, dass die NSA alles abschöpft, was sie meint, dass es unter Terrorismusverdacht, unter Proliferation von Waffen, also Weitergabe von Waffen fällt, oder was für den Heimatschutz notwendig ist, und das sind drei durchaus notwendige Ziele, die auch für die deutschen Sicherheitsbehörden eine Relevanz haben. Aber 180 Millionen Telekommunikationsdatensätze pro Monat, das kann man nicht mehr als eine gezielte Suche betrachten.

    Barenberg: Sowohl die deutschen Dienste als auch die Regierung beteuern ja ein ums andere Mal, dass sie sich bei jeglicher Zusammenarbeit an die gesetzlichen Befugnisse halten. Wie ernsthaft sind da Ihre Zweifel inzwischen?

    Bockhahn: Daran habe ich nicht mehr Zweifel, sondern da bin ich inzwischen sicher, dass das nicht der Fall ist, und offenkundig arbeitet man inzwischen vor allen Dingen an einer Sache, nämlich daran, wie man verschleiern kann, was man in den letzten Monaten offensichtlich getan hat. Wir haben zwei neue Präsidenten bei den zwei großen deutschen Geheimdiensten, die offensichtlich die Dienste neu ausrichten wollten, und mir scheint, dass da der Ehrgeiz mit ihnen ein bisschen durchgegangen ist.

    Barenberg: Haben Sie denn den Eindruck, dass da auch versucht wird, unter der Hand in dieser Zusammenarbeit die Datenschutzgesetze aufzuweichen, wie das ja der Artikel im
    "Spiegel" auch nahelegt?

    Bockhahn: Dieser Eindruck lässt sich doch überhaupt nicht mehr vermeiden und er passt ja in die Gesamtlage. Und wenn wir uns mal anschauen, wie Innenminister Friedrich, der ja eigentlich als Erster den Auftrag hat, die Verfassung zu schützen, permanent dabei ist, die Verfassung auszuhöhlen, dann kann das auch alles nur noch begrenzt verwundern. Herr Friedrich selber ist der größte Freund der Vorratsdatenspeicherung, die es überhaupt nur gibt. Ich glaube, dass große Teile der Bundesregierung und große Teile der Koalitionsfraktionen nicht in erster Linie stinke wütend sind über das, was da offensichtlich passiert, über dieses massenhafte Ausspähen der Deutschen, sondern dass sie vor allen Dingen neidisch sind. Das ist natürlich eine denkbar schlechte Voraussetzung, um deutlich aufzuklären und um deutlich mit den Partnern in den USA und Großbritannien zu reden und zu sagen, das unterbleibt gefälligst in Deutschland, wir haben hier Gesetze, die gelten, und an die habt ihr euch gefälligst zu halten.

    Barenberg: Sie haben geklagt über die Möglichkeiten, die Sie haben, die Dienste tatsächlich im Parlament zu kontrollieren und ihre Arbeit. Was also jetzt tun?

    Bockhahn: Ja man muss das vielleicht auch noch mal ganz deutlich machen: Es gibt im Parlamentarischen Kontrollgremium elf Mitglieder. Das sind Bundestagsabgeordnete, die haben ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und manchmal noch einen Referenten von der Fraktion dazu. Das heißt, zusammengenommen sind das maximal etwa 30 Leute, vielleicht 35, und die stehen einem Apparat von über 7500 Mitarbeitern der Geheimdienste gegenüber.

    Barenberg: Herr Bockhahn, es tut mir leid: Wir müssen an dieser Stelle unser Gespräch beenden. Vielen Dank, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, heute für dieses Gespräch, Herr Bockhahn.

    Bockhahn: Gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.