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"Herr Sarkozy und Frau Merkel hätten besser Murmeln gespielt"

Dass sich die Talfahrt an der Börse weiter fortsetzen werde, sei zu erwarten gewesen, nachdem sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy für eine Euro-Regierung und eine einheitliche Schuldengrenze ausgesprochen hatten, sagt Robert Halver, Chefanalyst der Baader-Bank. Doch mit Kaputtsparen werde man keinem Land eine Perspektive bieten.

Robert Halver im Gespräch mit Gerd Breker |
    Breker: Herr Halver, was konkret verunsichert die Märkte so, dass die Börsen nach unten gehen?

    Halver: Ja, das Wort liefern ist ein gutes Wort: Die Politik liefert nichts, weder in den USA noch in der Eurozone. Es werden nicht die Antworten auf die Fragen gegeben, die im Augenblick die Märkte beherrschen: Schuldenkrise, wir haben das Problem von Konjunkturproblemen – sicherlich, in Amerika, da findet die Politik im Augenblick keine klaren Antworten! Im Gegenteil, sie macht Gipfelbeschlüsse, die keine sind, um es klar zu sagen. Herr Sarkozy und Frau Merkel hätten besser Murmeln gespielt diese Woche, als irgendeinen Gipfelbeschluss zu machen, denn das hat die Märkte weiter verunsichert!

    Breker: Das heißt, die europäische Wirtschaftsregierung, sie überzeugt keinen Anleger?

    Halver: Das ist ein wunderbares langfristiges Ziel, definitiv. Aber man darf ja nicht vergessen, dass genau diese Vision einer Wirtschaftsregierung schon zu guten Zeiten einer Eurostimmung, also vor 15 Jahren, keine Chance hatte, weil man politisch keine Durchsetzungsmöglichkeiten gesehen hat. Jetzt in einer Zeit, wo der Euro-Skeptizismus in vielen Ländern so groß ist, mit dieser Idee zu kommen, wird man die Finanzmärkte nicht überzeugen! Überlegen Sie, wie viele Parlamentsbeschlüsse, Abfragen und nationale Voten in einzelnen Ländern stattfinden müssten, um dort hin zu bekommen. Wir haben zwei Jahre für eine EU-Verfassung gebraucht; wir brauchen zehn Jahre für die Wirtschaftsregierung. Das Ziel muss bleiben, aber man muss ja bis auf dem Weg dorthin Lösungen finden, wie man die Finanzmärkte besänftigen kann und wie man der Eurozone eine Lösung gibt, die auch dazu führt, dass die Eurozone überlebt – sie soll ja überleben! Und da ist die Frage, ob wir mit den 17 Ländern, die wir jetzt haben, überleben können. Ich glaube nicht. Und das ist das Eine nur – das andere ist auch, dass man sagt, wir müssen auch dann überlegen, welche wirtschaftlichen Perspektiven jedes einzelne Land hat. Denn kaputtsparen – das, was mit Schuldenbremse immer wieder als Placebo behoben wird – wird man kein Land auf den Weg einer Perspektive führen. Überlegen Sie mal, in Spanien, da haben wir 45 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Dort jetzt noch mehr zu sparen sorgt dafür, dass die Straße noch unsicherer wird!

    Breker: Dafür oder stattdessen haben die beiden – Sarkozy und Merkel – dann eine Transaktionssteuer eingeführt, oder wollen sie einführen lassen – nur für die Eurozone. Macht das überhaupt Sinn?

    Halver: Das macht überhaupt keinen Sinn. Heute spricht man ja von vagabundierendem Kapital. Sie können heute in Millisekunden Milliarden um den gesamten Globus schicken. Glaubt da irgendjemand, wenn die Gutmenschen in der Eurozone eine Transaktionssteuer einführen, dass die Engländer sich nicht freuen? Ich sage Ihnen ganz klar, die haben vorgestern ein breites Grinsen im Gesicht gehabt und gesagt: Ja, macht das ruhig, wir freuen uns! Da wird das ganze Geld, das normalerweise dann in Deutschland angelegt worden wäre, in London angelegt! Das heißt, wir machen damit auch sicherlich einen sehr schlechten Job in der Erhaltung des Finanzmarktes in Deutschland. Und das wollen wir ja auch, da wollen wir auch sehr stark sein. Das Geld geht dann nach England, und weltweit muss man eine Finanzmarkttransaktionssteuer machen, sonst haben wir keine Chance. Und zu sagen, wir gehen da mit gutem Beispiel voran, ist keine Lösung, und das Geld ist ruckzuck in London!

    Breker: Gilt das Gleiche, Herr Halver, auch für die Leerverkäufe? Wir dachten ja alle, das sei in Deutschland verboten, aber ist es ja gar nicht.

    Halver: Leerverkäufe kann man machen, auch sicherlich nur in der Eurozone. Aber selbst da haben wir ja letzte Woche gesehen, dass es nur drei bis vier Länder machen. Wieso macht nicht die gesamte Eurozone hier ganz klar: Wir wollen Leerverkäufe hier auch verbieten, damit zumindest Ruhe reinkommt? Das muss dann ein klares Signal sein! Wenn Sie jetzt mal von außen auf die Eurozone schauen, und feststellen, drei bis vier Länder machen das, und die anderen machen es nicht – was soll denn das für ein Bild der Geschlossenheit abgeben? Das ist bestenfalls eine Erbengemeinschaft.

    Breker: Herr Halver, man könnte ja nun meinen, das, was da an den Börsen geschieht, okay, das betrifft diejenigen, die Aktien haben, die Aktien anlegen, und damit Kapital schaffen wollen. Es betrifft nicht die Realwirtschaft, aber irgendwann ändert sich das, irgendwann ist die Realwirtschaft auch von dem Börsengeschehen betroffen.

    Halver: Ja, Unsicherheit kann durchaus kurzfristig mal stattfinden, das gehört auch zur Börse dazu. Das sind ja alles Menschen, die haben Emotionen, es geht rauf und runter. Wenn aber die Unsicherheit gerade auch eine politische Unsicherheit, die ja wichtig ist oder negativ ist für Finanzmärkte, wenn die Grundfesten erschüttert werden, dann wird irgendwann natürlich – und der Prozess könnte jetzt begonnen haben – auch die reale Wirtschaft betroffen sein. Überlegen Sie, die Unternehmen, die überlegen, na ja, wir wollten an sich die Firma gegenüber gekauft haben, jetzt warten wir noch mal ein bisschen, vielleicht bis Frühjahr. Wenn das eben millionenfach rund um den Globus passiert, dass Leute ihre Kaufentscheidung zurückhalten, dass der Konsument sagt, ich warte mal mit dem Möbelkauf, mit dem Sofa oder mit dem Auto, dann bekommt das natürlich über die Summation dieser Ereignisse eine ganz große Wirkung. Das ist immer dasselbe, wie im Hühnerhof! Die Hühner, die keine Ruhe haben, legen keine Eier; so ist es ja auch mit Investitionen: Kein Unternehmer investiert, wenn er nicht die Rahmenbedingungen vorfindet, die er braucht.

    Breker: Wenn wir nun darüber reden wollen, Herr Halver, was denn die Märkte beruhigen könnte, dann ist Eurobond ein wichtiges Stichwort aus Ihrer Sicht?

    Halver: Eurobonds sind natürlich von einem Standpunkt der Stabilität nichts Gutes, definitiv nichts Gutes! Aber die Finanzmärkte werden uns dort hinzwingen! Wie wollen Sie denn ansonsten die Eurozone denn besänftigen? Die Attacken gegen Spanien, Italien werden munter weitergehen, spätestens, wenn die Sommerpause vorbei ist, das werden wir sehen. Und da haben wir wieder dasselbe Problem, dass steigende Renditen am Rentenmarkt dazu führen, dass Länder ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können. Was machen wir dann? Weiterhin größere, schönere, buntere Rettungsschirme? Ist das die Lösung? Natürlich nicht. Da würde ein Eurobond zumindest vorübergehend dann Ruhe reinbringen. Aber auch das muss man sagen, das Zeitfenster für solche Lösungen wird immer kleiner. Denn je länger wir warten, umso größer wird der Druck sein, wirklich ganz knallharte Entscheidungen treffen zu müssen. Wir hätten im Mai 2010 anfangen müssen mit Lösungen, wie zum Beispiel die Griechen dann auch zu entlasten, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht machen können. In ihrem eigenen Interesse übrigens – keine Bestrafungsaktion. Das haben wir alles nicht gemacht, und jetzt haben wir an sich Lösungen zu treffen, die so gewaltig sind, dass der Politiker an sich mal richtig gefordert ist.

    Breker: Herr Halver, Sie sagen das Zeitfenster – geben Sie uns ein paar Daten, wie groß das Fenster tatsächlich ist?

    Halver: Ja, man kann da keine Daten geben. Wichtig ist natürlich, dass die Finanzmärkte oder generell die Einsichten auch der Bevölkerung, auch in Euroländern – die sollen ja pro Euro dann auch den Blick weiterhin walten lassen –, dass natürlich da der Blick immer getrübter ist. Und wenn man die Menschen nicht mitnimmt auf der Straße, nicht nur in London, auch in Madrid, oder auch in Berlin oder – was man ja jeden Tag sieht! –, dann haben wir ein Problem. Die gute europäische Idee – und ich kann es nur wiederholen, es ist eine gute europäische Idee; es ist wichtig, ein Gegengewicht zu Amerika, zu China, zu Russland zu haben – wird jeden Tag ein bisschen weniger in den Köpfen der Menschen verbreitet sein! Von daher ist klar, die Politik muss jetzt wirklich ganz klare Kante geben, sie muss liefern, wie Herr Rösler sagen würde von der FDP, und das muss schnell kommen. Und solche Gipfelbeschlüsse auch nur mit einem positiven Wort zu bewerten, ist vertane Zeit!

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Position von Robert Halver, er ist der Chefanalyst der Baader-Bank. Herr Halver, vielen Dank!

    Halver: Bitte sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.