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Herrmann hält Zschäpe-Anklage für "juristisch fundiert"

Der Mord-Anklage gegen die mutmaßliche NSU-Rechtsterroristin Beate Zschäpe räumt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gute Chancen auf Erfolg ein. Die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt hätten sorgfältig ermittelt. Spannend werde sein, ob Frau Zschäpe aussage.

09.11.2012
    Hinweis der Onlineredaktion: Das vorliegende Interview mit Joachim Herrmann ist die längere Erstfassung aus der DLF-Sendung "Das war der Tag" vom 8. November 2012. Das Interview wurde in den DLF-"Informationen am Morgen" am heutigen 8. November in einer kürzeren Fassung wiederholt.

    Jürgen Zurheide: Die parlamentarische Aufarbeitung dieser Affäre und vor allen Dingen die Frage, wie viele Fehler sind denn da eigentlich passiert und warum sind sie denn passiert, sie läuft weiter - in unterschiedlichen Bundesländern, aber auch in Berlin, wo an diesem Tag heute es vor allen Dingen um die Frage ging, warum hat eigentlich der Militärische Abschirmdienst, also die Organisation, die sich um Extremisten in der Bundeswehr kümmert, warum hat die nicht eher Alarm geschlagen. Da gab es einiges zu berichten.
    Die Politik hat also noch einiges zu tun, und darüber wollen wir reden mit dem Innenminister Bayerns, Joachim Herrmann, der jetzt am Telefon ist. Schönen guten Abend, Herr Herrmann!

    Joachim Herrmann: Guten Abend!

    Zurheide: Zunächst einmal: Die Strafverfolger gehen ja mit dieser Anklage wirklich ein volles Risiko ein, weil viele sagen, na ja, die Beweislage hat auch die eine oder andere Lücke. Ist das ein Risiko, was die da machen, oder ist das alternativlos?

    Herrmann: Nun, es ist sorgfältig ermittelt worden, jetzt in den letzten Monaten durch das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt, und ich denke, der Generalbundesanwalt erhebt so eine Anklage ja nicht aufs Geratewohl hinein, sondern schon sauber juristisch fundiert aufgrund der vorliegenden Aktenlage. Natürlich gibt es dann immer noch ein Restrisiko, wie das im Prozess läuft, aber ich denke, es ist jetzt auch ganz einfach wichtig, dass man dieses ganz große, wichtige Verfahren auch vor das Gericht bringt und jetzt in aller Öffentlichkeit verhandelt wird: Wie sind die Fakten, wie sind die Vorwürfe. Da werden die Zeugen öffentlich vernommen und dann weiß man auch, woran man ist. Spannend wird natürlich vor allen Dingen sein, ob Frau Zschäpe den Mund aufmacht.

    Zurheide: Das ist alles richtig, was Sie sagen. Dennoch: Ich will noch mal nachfragen. Wenn es nicht reichen sollte – die Gefahr ist natürlich da, und im Rechtsstaat gehört es sogar dazu; das ist nicht eine Gefahr, sondern das gehört zum Rechtsstaat -, dann könnte natürlich das Vertrauen der Opfer in den Rechtsstaat weiter sinken. Ist das eine Besorgnis, wo Sie sagen, na ja, da müssen wir dann eben mit leben?

    Herrmann: Ich denke, es ist doch ziemlich müßig, jetzt schon wieder "was wäre, wenn" zu spekulieren. Es ist doch nun wirklich der Befund aller bisherigen Ermittlungen, dass hier ein Trio schreckliche Morde begangen hat und dass alles, was wir im Moment an Ermittlungen kennen und wissen, darauf hindeutet, dass Frau Zschäpe an allem beteiligt war, dass sie jedenfalls von allem wusste, dass sie in engem Zusammenwirken mit Mundlos und Böhnhardt hier unterwegs war, auch wenn sie vielleicht bei den Taten nicht vor Ort mit dabei war, aber über zehn Jahre hinweg konspirativ zusammen hier letztendlich auch diese Taten geplant haben, und das muss genau so jetzt auch vor Gericht gebracht werden. Also ich spekuliere jetzt nicht darüber, ob da am Schluss irgendein Beweis fehlen könnte, sondern ich glaube, es ist wichtig, dass jetzt dieses vor den gesetzlichen Richter gebracht wird, und eben genau das nicht mehr ein Gegenstand von Pressespekulationen und "vielleicht" und "man könnte" und "wer weiß" ist, sondern ganz konkret in einem ordentlichen deutschen Gericht verhandelt wird und dann am Schluss ein Gericht auch ein Urteil spricht. Das ist das, was, glaube ich, auch die große Mehrheit der Menschen genau jetzt so erwartet.

    Zurheide: Die Ermittlungsbehörden haben einige Fehler gemacht, da haben wir auch hier und auch mit Ihnen häufiger genug drüber reden müssen. Ich frage: Sind eigentlich genügend Konsequenzen gezogen worden aus Ihrer Sicht, dass so was so wie in der Vergangenheit nicht mehr passieren würde? Sind Sie da schon sicher?

    Herrmann: Das ist in der Tat das andere Kapitel. Das eine ist, dass diejenigen, die damals Täter waren, zur Rechenschaft gezogen werden, und das andere ist, wie können die Sicherheitsbehörden sich so aufstellen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr zehn Jahre braucht, bis man Täter richtig ermittelt. Da ist ein ganz wesentlicher Aspekt natürlich, dass der Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz in jedem Land und zwischen den einzelnen Ländern und zwischen Ländern und Bund wesentlich intensiviert wird. Das ist ein ganz wichtiges Thema, dazu sind die ersten Konsequenzen gezogen worden: Ein gemeinsames Zentrum, das Bund und Länder eingerichtet haben, in dem dieser Informationsaustausch stattfindet, so wie man das vor zehn Jahren auch schon hinsichtlich des islamistischen Extremismus eingerichtet hat. Was mich im Moment etwas besorgt macht, ist, dass genau hinsichtlich dieses Informationszentrums hinsichtlich islamistischen Extremismus im Moment eine Verfassungsklage in Karlsruhe verhandelt wird, die genau diese gemeinsame Datei angreift unter Datenschutzgesichtspunkten. Es würde auch von unserer gemeinsamen Datei über rechtsextremistische Täter nichts übrig bleiben, wenn diese Klage in Karlsruhe erfolgreich wäre. Also man sieht: Selbst in einem solchen Verfahren gibt es die alten großen Diskrepanzen zwischen Sammlung von Daten einerseits und dem Datenschutz andererseits. Aber trotzdem: Ich halte es für richtig, dort wo Extremisten unterwegs sind, müssen Sicherheitsbehörden ihre Informationen austauschen. Das ist für mich der wesentliche Gesichtspunkt.
    Es sind dann offensichtlich auch andere, einfach Alltagsfehler in der Kriminalarbeit gemacht worden. Es ist letztendlich ganz einfach auch der rechtsextremistische Hintergrund vor Ort, egal ob in München, in Nürnberg, ob Rostock, ob Hamburg, ob Dortmund oder Düsseldorf Tatorte waren, es ist dieses nicht rechtzeitig zugeordnet worden. Das kann man letztlich durch Strukturen kaum verhindern, sondern nur daraus lernen, dass eben doch, wenn gerade ausländische Opfer hier zu beklagen sind, letztendlich immer auch ein rechtsextremistischer Hintergrund immer in den Blick genommen werden muss.

    Zurheide: Das heißt, da muss sich im Kopf was ändern, und das geht nicht auf Knopfdruck?

    Herrmann: Das ist richtig. Hier hat man natürlich auch in verschiedene Richtungen damals ermittelt, aber letztendlich sich das wohl auch kaum vorstellen können. Man muss sehen: Auch ein Bundesinnenminister Schily hat damals vor zehn Jahren gesagt, das kann gar nicht sein, dass das rechtsextremistische Täter sind. Heute sind wir leider eines Besseren belehrt worden, und daraus muss man natürlich ganz klar die Konsequenzen für die Zukunft ziehen. Es ist leider auch eine solche rechtsextremistische Zelle in unserem Land denkbar, vorstellbar, sie hat konkret stattgefunden. Wir müssen alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt. Aber wir müssen grundsätzlich, wenn ein solcher Mord wieder geschehen sollte, natürlich auf jeden Fall künftig immer auch in diese Richtung ermitteln.

    Zurheide: Jetzt gibt es Forderungen, dass man die V-Leute-Dateien insgesamt auch zusammenlegt. Halten Sie das für richtig, notwendig, oder kommen wir da wieder genau in die Problematik, die Sie vorhin schon beschrieben haben?

    Herrmann: Es ist auf jeden Fall richtig, dass die Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes gegenseitig wissen müssen, in welchen Bereichen denn V-Leute unterwegs sind. Das muss nicht bedeuten, dass jeder genau den Namen, die Identität, den Klarnamen von Leuten aus dem anderen Land oder vom Bund kennt. Aber man muss wissen: Da ist zum Beispiel eine Neonazi-Gruppe dort, oder da ist eine Kameradschaft in der Region unterwegs. Und da muss man wissen: Da gibt es bereits eine Organisation, den Verfassungsschutz des Bundes oder den des Landes, die ist an der Organisation bereits mit ein oder zwei V-Leuten dran. Das müssen Andere wissen, erstens, wenn sie zu der Organisation was wissen wollen, zweitens, bevor sie auf die Idee kommen, dass sie aus welchen Gründen auch immer dort auch aktiv werden wollen. Es ist wichtig, dass in diesem ganzen Verfassungsschutzverbund alle Ebenen voneinander wissen, wo sind denn die anderen gerade aktiv. Sonst kann es dazu kommen, dass da in der gleichen Organisation V-Leute verschiedener Herkunft nebeneinander her arbeiten, das ist alles nicht effizient und kann dann auch letztendlich zu größeren Problemen führen. Das ist richtig, da muss man sich gegenseitig informieren, ohne dass deshalb eine Datei mit den Klarnamen angelegt werden muss, die dann wieder alle möglichen anderen rechtlichen Probleme aufwerfen würde.

    Zurheide: Es hat sich herausgestellt - und gerade das ist heute auch in Berlin diskutiert worden -, dass der MAD Erkenntnisse hatte, die aber nicht dahin gekommen sind, wo man sie vielleicht braucht, oder nicht die richtigen Konsequenzen gezogen worden sind. Muss man den MAD deshalb insgesamt infrage stellen, also den Militärischen Abschirmdienst?

    Herrmann: Nein! Das ist eine völlig absurde Diskussion. Man muss ihn einbeziehen in diesen Informationsaustausch. Wenn ich gerade von den Verfassungsschutzämtern des Bundes und der Länder gesprochen habe, dann muss natürlich ein solcher Nachrichtendienst wie der Militärische Abschirmdienst der Bundeswehr auch mit einbezogen werden. Aber ihn infrage zu stellen, ihn abzuschaffen, das wäre völlig unsinnig. Wenn tatsächlich einmal in zehn Jahren beim Löschen eines Hauses die Feuerwehr versagt, dann kommt auch keiner auf die Idee, die Feuerwehr abzuschaffen, sondern dann muss man überlegen, wie man in Zukunft sicherstellt, dass die Feuerwehr nicht mehr versagt. Ich denke, das ist eine ganz praktische menschliche Erfahrung. Also: Wie muss der MAD organisiert werden, dass in Zukunft solche Fehler nicht mehr vorkommen? Aber nicht den MAD abschaffen.

    Zurheide: Das war der bayerische Innenminister Joachim Herrmann von der CSU.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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