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Hessische F.D.P. hält an Roland Koch fest

Breker: Die Landes-F.D.P. in Hessen will an CDU-Ministerpräsident Roland Koch festhalten, die Führung der Bundespartei ist dezidiert anderer Ansicht. Sie hält einen Rücktritt von Roland Koch für unausweichlich. Gemeinsam will man nun heute nach einem Weg suchen, wie man aus dieser verzwickten Meinungsverschiedenheit ohne Gesichtsverlust herauskommen kann. Am Telefon begrüße ich nun den ehemaligen Bundesinnenminister der Rechtsstaatspartei F.D.P., Gerd Baum. Guten Morgen Herr Baum.

    Baum: Guten Morgen Herr Breker.

    Breker: Zunächst, Herr Baum, auf welcher Seite stehen Sie? Muss Roland Koch zurücktreten, oder kann er bleiben?

    Baum: Nein, er muss zurücktreten. Er hat einen 'Drahtseilakt' versucht, der nur gut gehen konnte, wenn er selbst völlig unanfechtbar geblieben wäre, und das ist nach seiner eingestandenen Lüge nicht mehr der Fall. In einer Situation, wo jedermann sehr sorgfältig darauf geachtet hat, was Politiker sagen – ob Politiker die Wahrheit sagen oder nicht – ist er abgestürzt. Und er ist also unhaltbar, und die Bundes-F.D.P. hat recht.

    Breker: Nun gibt es also diese Meinungsdifferenz zwischen Bundes- und Landesführung der Freien Demokraten. Wie kann man denn da ohne Gesichtsverlust herauskommen?

    Baum: Nicht mehr. Also, einer wird heute verlieren – entweder die Bundesführung, und dann wird die Meinung der Bundesführung gegen die hessische F.D.P. -Führung immer wieder ins Feld geführt werden. Oder die hessische F.D.P. -Führung verliert, was dann natürlich weitreichende Folgen im Landesverband haben würde. Es ist ein Dilemma, aus dem man nicht mehr herauskommt, nachdem die hessische F.D.P. sich so eindeutig festgelegt hat - die hessische F.D.P. -Führung.

    Breker: Welche Lösung empfehlen Sie? Soll die CDU den Ministerpräsidenten austauschen, oder wären Neuwahlen der bessere Weg?

    Baum: Also aus meiner Sicht wären Neuwahlen der beste Weg. Das ist ein riskantes Unterfangen, denn man darf ja nicht vergessen: Die F.D.P. war ja keine Wahlsiegerin; bei der Landtagswahl hat sie 2,5 Prozent verloren. Und man darf auch nicht vergessen, dass die CDU ihren Wahlsieg erreicht hat mit einer Kampagne gegen das neue Staatsangehörigkeitsrecht, also mit einer latenten Ausländerfeindlichkeit. Ich habe mich überhaupt gewundert, wie die F.D.P. mit einem solchen Partner eine Koalition eingehen konnte.

    Breker: Müssen wir nicht, wenn wir mal auf das Gesamte schauen, Herr Baum, sagen: Unser Parteienstaat ist in der Krise. Es ist gar nicht mehr so, dass die Parteien an der politischen Willensbildung mitwirken, der Staat ist zur Beute der Parteien geworden, sie teilen alles auf. Muss sich da was ändern?

    Baum: Ja, das ist sicher der Fall. Man darf aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Parteien haben eine Funktion, sie müssen sie nur verfassungsgemäß wahrnehmen. Wir erleben zur Zeit ein Erdbeben. Was mit der großen Volkspartei CDU passiert, ist ja dramatisch, und ich finde, dass die CDU jetzt alles unternehmen muss, um die Dinge zu einem Ende zu bringen, Klarheit zu schaffen und personelle Erneuerung zu schaffen. Dazu gehört eben auch der Fall 'Koch'. Denn eines ist langsam unerträglich: Wir haben keine richtige Diskussion mehr über Sachpolitik, den unterschiedlichen Positionen. Dieses Land braucht Reformen, hier müssen grundlegende Diskurse durchgeführt werden Und solange wir nur über diese Skandale reden, verstellen wir uns den Blick für die Zukunft der politischen Entscheidungen.

    Breker: Sie sagen, Herr Baum, die CDU muss zu einem Ende kommen. Nun haben wir den Fall Hessen – so wie er gelaufen ist: Es leidet doch nicht nur die Glaubwürdigkeit der CDU, sondern die F.D.P. ist jetzt auch im Sumpf der Affären drin.

    Baum: Ja, das ist der Fall, und deshalb verstehe ich ja die Bundesführung, die gesagt hat: 'Wir sind von alledem unberührt', und plötzlich – ich habe das mit Erschrecken gesehen – muss also Frau Wagner Positionen der CDU erläutern, sich sozusagen zum Anwalt der CDU machen. Und das ist unerträglich. Es kommt noch etwa hinzu, das reicht über diese Aktualität hinaus: Ich finde, die F.D.P. muss sich auch von der Kohl-Ära lösen. Sie hat sich zu stark auf die CDU hin orientiert. Das schließt nicht aus, dass sie in dem einen oder anderen Fall natürlich Koalitionsaussagen zur CDU machen kann. Aber insgesamt gibt es viele Menschen in der F.D.P., die sich eine Koalition mit der SPD überhaupt nicht mehr vorstellen können. Und das ist falsch. Es gibt auch Gemeinsamkeiten mit der SPD, die ausgelotet werden müssen. Und die F.D.P. hätte auch eine Funktion in einer SPD-Koalition, bei aller Abgrenzung und Unterschiedlichkeit. Also, die F.D.P. muss sich freischwimmen.

    Breker: Das Prinzip des Systems Kohl war ja die Geschlossenheit. Da wurde sehr 'buchgehalten'. Ist Geschlossenheit eigentlich wichtiger als Glaubwürdigkeit?

    Baum: Nein, überhaupt nicht. Ich kämpfe auch in meiner eigenen Partei dafür, dass Kritik anerkannt wird und dass wir über unterschiedliche Positionen in der Partei ringen. Wir haben mal Auseinandersetzungen gehabt in den 60er Jahren über eine neue Ostpolitik in der F.D.P. – bis hin zu Zerreißproben. Also, die Demokratie lebt davon, dass Dinge ausdiskutiert werden, dass die Öffentlichkeit an solchen Diskussionen in den Parteien teilnehmen kann. Natürlich muss am Ende eine klare Position herauskommen, aber Geschlossenheit ist kein Wert an sich. Man sieht ja, wie weit es mit der CDU gekommen ist, nachdem die Geschlossenheit sozusagen zu einem übergeordneten Prinzip geworden ist. Die Parteitage waren ja langweilig, und sie wurden eigentlich nur überdeckt durch den Schatten der Vaterfigur Kohl. Und das rächt sich jetzt.

    Breker: Das Etikett 'Umfallerpartei' hing lange Zeit den Freien Demokraten an. Je nachdem, wie heute entschieden wird: Droht da, dieses Etikett nicht erneut den Freien Demokraten angeklebt zu werden?

    Baum: Nein, das sehe ich eigentlich nicht. Ich meine, die F.D.P. wird das Etikett angeheftet bekommen – je nach dem, wie es ausgeht –, dass sie nicht bereit ist, rechtsstaatlichen Prinzipien zu folgen und an der Macht zu kleben. Das ist der Fall, wenn Frau Wagner sich durchsetzt. Und wenn Berlin sich durchsetzt, also die Bundesführung, wird man sagen: 'Aha, die F.D.P. hat begriffen, was notwendig ist'. Also mit 'umfallen' hat das eigentlich wenig zu tun.

    Breker: Herr Baum, Sie haben eben gesagt, die CDU muss zu einem Ende kommen mit den Affären. Was bedeutet das eigentlich aus Ihrer Sicht für die Bundes-CDU? Ist Wolfgang Schäuble der Mann, der die CDU aus dieser Krise und aus diesen Affären herausholen kann?

    Baum: Nein, das sehe ich nicht mehr. Er wird ein Mann des Übergangs sein, und es muss sich eine neue Führungsgruppe in der CDU herausbilden. Das ist ja schon ein wenig absehbar. Frau Merkel bekommt eine besondere Rolle jetzt, und ich finde, die CDU muss wirklich den Mut haben zu einem Neuanfang. Wir brauchen diese Volkspartei, die über die Affären hinaus in einer Krise ist, denn auch sie muss sich jetzt neu positionieren. Ihre Feindbilder, also die früheren Feindbilder – der Kommunismus – sind weggefallen, sie muss sich auf die Globalisierung einstellen. Also, es weht ein frischer Wind durch die Parteienlandschaft. Übrigens ist auch die SPD davon nicht verschont. Noch gibt es Reformer und Traditionalisten – also, es wird da einiges jetzt durcheinandergebaut in der deutschen Parteienlandschaft, und die Parteien müssen einer neuen Situation Rechnung tragen. Ich kann mir nur wünschen, dass die Parteien nicht auseinander knallen, sondern dass sie handlungsfähige Gruppierungen bleiben, die sich auch gegenseitig kontrollieren.

    Breker: Sie müssen sich verändern – die Parteien. Gilt das auch für die F.D.P.? Kann der Bundesvorsitzende der F.D.P. aus dieser Krise gestärkt hervorgehen?

    Baum: Das kann er wohl, obwohl dahinter natürlich auch eine Krise der F.D.P. steht. Die F.D.P. hat eine Serie von Wahlen seit Jahren verloren, nicht erst seit der Bundestagswahl. Sie hat sich verengt auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik, sie hat liberale Felder freigegeben, die Bürgerrechtspolitik wird nicht mehr so nachhaltig vertreten. Das heißt, sie muss zu einem Liberalismus zurückkehren auf allen Feldern der Politik. Ich vermisse etwa auch die Kritik an den Bundesinnenminister Schily in seiner Ausländerpolitik. Sie muss den Mut haben, wieder eine umfassende liberale Partei zu werden, um aus dem Geruch der Klientelpolitik herauszukommen.

    Breker: Herr Baum, wenn wir es noch einmal zusammenfassen: Ihre Empfehlung an die Kollegen, die heute in Hessen zusammensitzen, ist, sich von Ministerpräsident Roland Koch abzuwenden und für Neuwahlen in Hessen zu plädieren?

    Baum: Ja, das wäre das Beste. Das Zweitbeste wäre eben, wenn ein neuer Ministerpräsident gewählt würde in dieser Koalition. Aber die Fortsetzung der Koalition, so als ob nichts gewesen wäre, wäre das Schlechteste.

    Breker: Vielen Dank. Das war der ehemalige Innenminister dieses Landes und F.D.P. -Politiker, Gerhard Baum, in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Danke, Herr Baum.

    Baum: Guten Morgen.

    Link: DeutschlandRadio Magazin