Archiv


Hessische Sozialministerin: Missbrauch bei Hartz IV bekämpfen

Die hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger, CDU, hat die Missbrauchsbekämpfung als eine der nötigen Änderungen an der Arbeitsmarktreform genannt. Wenn Arbeitsangebote verweigert werden, müsse es auch tatsächlich zu Kürzungen kommen, so Lautenschläger. Es gebe aber auch in der Verwaltung noch Strukturen, die verbessert werden müssten.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Es gibt keine Wunder und schon gar nicht bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV, auch wenn gestern mit dem ersten ernsthaften Rückgang der Arbeitslosenzahlen endlich ein Lichtstreif am Horizont aufzog. In der Vermittlung gibt es immer noch große Probleme und das Milliarden-Loch beim Arbeitslosengeld II, dem so genannten ALG II, wächst weiter. Deshalb befasst sich der Bundestag heute schon wieder mit Nachbesserungen an Hartz IV. Was die Bürger dabei am meisten interessiert sind die neuen strengen Regeln. Wer dreimal im Jahr ein Arbeitsangebot oder eine Qualifizierung ablehnt, bekommt kein ALG II mehr. Die Leistung wird auch gestrichen, wenn Langzeitarbeitslose mehrmals nicht zu erreichen sind. - Am Telefon ist nun Silke Lautenschläger, die Arbeits- und Sozialministerin des Landes Hessen. Guten Morgen!

    Silke Lautenschläger: Einen schönen guten Morgen Frau Simon!

    Simon: Frau Lautenschläger, sind arbeitsunwillige ALG-II-Empfänger wirklich das größte Problem der Arbeitsmarktreform?

    Lautenschläger: Es ist eines der Probleme das Thema Missbrauchsbekämpfung, aber wir haben natürlich nach wie vor durch die Zusammenlegung auch mit den Strukturen noch überall im Verwaltungsvollzug zu kämpfen. Das spielt sich erst dieses Jahr überhaupt ein. Das war letztes Jahr eines der größten Hemmnisse.

    Simon: Werden denn die heute wahrscheinlich beschlossenen Regeln mehr Menschen zurück in Arbeit bringen?

    Lautenschläger: Nach wie vor ist das größte Problem, wirklich die Langzeitarbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen. Dort ist einmal die Frage Verwaltungsvollzug. Es gehört aus meiner Sicht ganz klar dazu das Thema der Missbrauchsbekämpfung, dass jemand auch tatsächlich ein Angebot annimmt. Wenn ich heute sehe, im Rhein-Main-Gebiet für die Fußballweltmeisterschaft gibt es nach wie vor Stellen, die zur Verfügung stehen, auch für einfach Qualifizierte, die noch nicht besetzt sind, dann ist das sicher ein Thema. Es muss aber auch klar sein, dass wir dort zum Thema Lohnabstandsgebot noch einiges tun müssen.

    Simon: Was ist das "noch einiges"?

    Lautenschläger: Beim Lohnabstandsgebot - das ist ja das Thema, was wir schon die gesamten letzten Jahre diskutieren - ist es heute eben so, dass es sich häufig nicht tatsächlich lohnt, aus dem Leistungsbezug eine Arbeit aufzunehmen. Das ist etwas, was uns weiter begleitet. Das ist sicher noch nicht gelöst, auch mit dieser Reform nicht.

    Simon: Und das ist nach Ihren Erfahrungen in Hessen auch nicht nur eine theoretische Sache, dass sich das nicht lohnt. Sie merken durch die Erfahrungen in den Job-Centern, dass Leute keine Arbeit haben wollen, wenn das zu nah an dem dran ist, was sie durch Hartz IV oder ALG II bekommen?

    Lautenschläger: Die Menschen wollen Arbeit haben. Nur sie müssen natürlich immer gucken, dass es dann noch genauso reicht für die Familie. Das ist sicher nach wie vor ein Thema, dass man sich genau anschauen muss, wie schaffen wir es, dass es sich lohnt, Arbeit aufzunehmen und man sich dadurch dann nicht schlechter stellt. Da ist das Thema, wenn jemand etwas verweigert, dass es dann tatsächlich auch zu Kürzungen kommt, eines der wichtigen aus meiner Sicht, die jetzt mit aufgenommen werden, aber es ist eben nach wie vor nur ein Teilbereich. Es muss natürlich überhaupt erst mal wirklich überprüft werden, in der Umsetzung, muss mit jedem regelmäßig eine Eingliederungsvereinbarung getroffen werden, das ist noch längst nicht überall der Fall. Das ist aus meiner Sicht auch einer der Punkte, die jetzt in der Verwaltungsumsetzung tatsächlich passieren müssen.

    Simon: Gibt es denn über die Umsetzung hinaus noch konkrete Maßnahmen, die Ihnen über das hinaus, was heute im Bundestag vorliegt, fehlen?

    Lautenschläger: Wir haben immer noch eine sehr komplizierte Struktur in der Umsetzung in den Arbeitsgemeinschaften. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass wir weniger Zentralismus brauchen und mehr Entscheidungsfreiheiten vor Ort. Das ist sowohl für die Arbeitsgemeinschaften als auch für die Kommunen ein ganz entscheidendes Thema, dass man sich tatsächlich dann vor Ort um den Menschen, der in Arbeit vermittelt werden muss, kümmern kann. Da halten wir die Strukturen nach wie vor nicht für ideal. Das muss verbessert werden.

    Simon: Das heißt eigentlich möchten Sie, dass entweder die BA oder die Kommunen zuständig sind? Das müsste ganz klar vom Gesetzgeber getrennt werden?

    Lautenschläger: Das müsste aus unserer Sicht klar getrennt werden. Hessen hat sich immer dafür eingesetzt, dass die Kommunen zuständig sind. Aber die Frage, dass zwei auf einmal in einer Arbeitsgemeinschaft zuständig sind und dann zentral nach wie vor Vorgaben gemacht werden, das halten wir nicht für richtig. Das sehen wir heute schon bei der Frage der Kommunen. Die dürfen wiederum nicht auf den Stellenmarkt der Bundesagentur für Arbeit zugreifen. Das wollen wir verändert haben, denn es macht keinen Sinn, wenn Stellen vorhanden sind und man sich gegenseitig dann nicht diese Stellen überhaupt vermitteln lässt.

    Simon: In Ihrem Land, in Hessen, gibt es ja bundesweit die meisten Optionskommunen. Das sind Kommunen, die sich dafür entschieden haben, sich ganz allein um die Vermittlung der Arbeitslosen zu kümmern, ohne die Bundesagentur für Arbeit. Jetzt hat aber auch Ihr Ministerium bis jetzt keine abschließende Bewertung abgeben wollen, ob das denn jetzt wirklich das bessere Modell ist. Wie sind denn Ihre Erfahrungen?

    Lautenschläger: Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es richtig ist, solch eine Struktur zu machen. Nur natürlich muss dann auch die Benachteiligung an vielen Stellen für Optionskommunen weggenommen werden, denn sie haben heute keinen Zugriff auf den Stellenmarkt der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitsgemeinschaften haben diesen Zugriff. Einige haben ihn sich inzwischen gerichtlich erstritten, aber das kann nicht die Lösung sein, dass man sich den gerichtlich erstreiten muss, sondern es geht darum, Menschen in Arbeit zu vermitteln. Da müssen wir alles tun, dass alle Stellen, die da sind, auch allen zur Verfügung stehen. Darum darf es keine Streitereien geben. Das muss klar gesetzlich geregelt werden. Das sind Punkte, die fehlen in der Umsetzung noch, bis wir überhaupt Vergleiche ziehen können. Klar ist auch: es muss eine völlig neue Verwaltungsstruktur aufgebaut werden. Da wird es in diesem Jahr zu ersten Ergebnissen kommen.

    Simon: Bis jetzt können Sie also nicht mit letzter Sicherheit sagen, dass die Optionskommunen wirklich besser arbeiten als die gemeinsamen Arbeitsgemeinschaften zwischen BA und Kommunen?

    Lautenschläger: Es gibt sicher Arbeitsgemeinschaften, die sehr gut arbeiten und optieren, dass sie gut arbeiten. Es gibt auch bei beiden schlechte Beispiele. Aber das ist ja genau Sinn und Zweck der Sache, dass dann geguckt werden kann, wer macht es ordentlich, und dort brauchen wir noch wesentlich mehr Anreize für diejenigen, die es gut machen, damit es sich für sie lohnt, Menschen zu vermitteln, dass tatsächlich dort mehr passiert. Aber dazu brauchen wir aus unserer Sicht weniger zentrale Strukturen, weniger zentrale Vorgaben, sondern Transparenz auf der einen Seite, aber durchaus auch die Möglichkeit, schnell zu entscheiden und das mit wenig Bürokratie.

    Simon: Frau Lautenschläger Sie sagen, Sie brauchen das im Land Hessen. Wie sehen Sie denn realistisch - Sie sind selber Politikerin - die Chancen, dass das was wird? Schließlich regiert in Berlin die große Koalition.

    Lautenschläger: Wir bewegen uns leider immer nur stückchenweise in die richtige Richtung. Einige der Punkte sind in das Gesetz eingeflossen. Für manch andere muss man sicher noch weiter kämpfen. Aber klar ist: wir wollen nicht mehr Zentralismus und das sind auch Punkte, die jetzt in der großen Koalition besprochen werden, dass die zentralistischen Strukturen und auch die Durchgriffmöglichkeiten auf optierende Kommunen dort zurückgeschraubt werden müssen. Damit werden wir auch mit der großen Koalition weiter reden, denn es macht keinen Sinn, wenn man davon redet, dass ich Kommunen Freiheit geben will zu entscheiden, vor Ort zu gucken was ist für die Menschen richtig, wie vermittle ich schnell, dann immer wieder neue Hürden aufzubauen.

    Simon: Also gehen Sie davon aus, dass nun alle paar Monate spätestens an der Arbeitsmarktreform nachgebessert werden muss?

    Lautenschläger: Es wird sicher immer wieder noch Nachbesserungen bedürfen, oftmals in den Verwaltungsstrukturen. Eine Sache ist, was sich direkt auf den Arbeitslosengeld-II-Empfänger auswirkt, wie das dort zum Thema Missbrauchsbekämpfung und so weiter auf den Weg gebracht wird. Aber es muss eben auch geguckt werden, dass Verwaltungsstrukturen effektiv arbeiten können, dass es fairen Wettbewerb gibt. Dort sind wir sicher noch nicht da, wie sich Hessen das vorstellt. Wir haben damals unsere Vorschläge gemacht bei der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe und die werden wir nach wie vor im Auge behalten, denn es muss tatsächlich das Ziel sein, einfachere Strukturen zu haben und zum Schluss Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. Die Belebung am Arbeitsmarkt trifft die Langzeitarbeitslosen heute noch nicht.