Sandra Schulz: Der obligatorische Blick auf die Statistik: 17 Länderspiele hat es bisher gegeben zwischen Deutschland und der Türkei mit einer komfortablen Torquote von 40 zu 10 für Deutschland. Aber in den letzten drei Spielen hat die deutsche Nationalelf keinen Sieg mehr gegen die Türkei geschafft. Zweimal hat sie sogar verloren. Heute Abend haben beide Mannschaften die Chance, die Statistik aufzubessern. Um 20:45 Uhr ist Anpfiff der Partei Deutschland-Türkei im Halbfinale der Europameisterschaft. Die sportliche Begegnung - das ist klar - steht heute Abend in Basel im Mittelpunkt. Das Spiel gilt vielen aber auch als Integrationstest. - Am Telefon beziehungsweise im Studio in Berlin begrüße ich nun den Autor Zafer Senocak, geboren in der Türkei und aufgewachsen in München und Fußballfan. Guten Morgen!
Zafer Senocak: Guten Morgen!
Schulz: Herr Senocak, Sie haben die Frage danach, welchem Team Sie die Daumen drücken, blödsinnig genannt. Warum eigentlich?
Senocak: Weil diese Frage im Grunde genommen nur vor dem Hintergrund gestellt wird, wo man sozusagen sein Herz hat. Das hat aus meiner Sicht nicht unbedingt mit dem zu tun, was auf dem Spielfeld passiert. Da ich ein Fußballfan bin und mir ein Fußballspiel gerne auch als ein Fußballspiel anschaue, möchte ich mir solche Fragen eigentlich nicht anhören.
Schulz: Feridun Zaimoglu hat gegenüber der Wochenzeitschrift "Die Zeit" von einem Podolski-Gefühl gesprochen. Er sagt er ist eigentlich für Deutschland, würde aber über ein Tor gegen die Türkei nicht jubeln. Verstehen Sie was er meint?
Senocak: Nein, ich verstehe das alles überhaupt nicht. Das ist ja genau das, was ich meine. Was heißt das denn eigentlich? Ich meine wenn man für eine Mannschaft ist, ist man für eine Mannschaft. Und dann freut man sich nicht, weil diese Mannschaft ein Tor geschossen hat? Das verstehe ich nicht. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Schulz: Und für welche Mannschaft sind Sie, Herr Senocak?
Senocak: Heute Abend bin ich für die Türkei - aus dem ganz einfachen Grund, weil eine B-Mannschaft aufgelaufen ist. Ich bin mal gespannt, ob sie es schafft, eine klasse Mannschaft zu schlagen. Das ist einfach sehr interessant von der Konstellation her. Das heißt aber nicht, dass ich immer für die Türken bin - das muss ich auch ehrlich gestehen -, weil sie oft grauenhaft schlecht spielen, auch wenn sie dann am Ende gewinnen.
Schulz: Also grundsätzlich die spielerische Überlegenheit als Argument für Ihr Herzensblut für die Türkei?
Senocak: Ja. Es geht mir schon darum, ein Spiel auch zu genießen. Ich habe zum Beispiel sehr der niederländischen Mannschaft die Daumen gedrückt, weil sie in den ersten Spielen großen Fußball gezeigt hat - eigentlich fast als einzige Mannschaft. Leider fliegen immer diese Mannschaften raus bei den Turnieren. Das ist in letzter Zeit oft der Fall und das bricht mir sozusagen das Fußballerherz. Das ist mir viel wichtiger als das Nationale. Diese Fragestellung nach der nationalen Solidarität, die kann ich verstehen. Es gibt natürlich im Mannschaftssport und gerade wenn die Nationalmannschaft aufläuft - das ist ja schon vom Titel her so zu verstehen; Nationalmannschaft - Emotionen. Aber ich finde es in letzter Zeit wirklich sehr überladen, wie darüber diskutiert wird, weil es auch der Realität gar nicht entspricht. Ich habe viele Freunde in meinem Umfeld, die sich wirklich Fußballspiele auch noch als Fußballspiele anschauen. Ich bin ja 1970 nach Deutschland gekommen; da war ich acht Jahre alt. Ich war Fan der deutschen Nationalmannschaft! Da habe ich gar nicht so eine Zeit gebraucht, um mich zu integrieren, weil das eine große Mannschaft war - 1972 Europameisterschaft, 1974 Weltmeisterschaft. Das war eine große Mannschaft und diese Spieler haben mich, meine Generation hier geprägt. Da sieht man eigentlich, dass es um den Inhalt geht und nicht jetzt einfach nur um eine Beflaggung oder um eine direkte emotionale wie auch immer formulierte Positionierung für oder gegen eine Mannschaft.
Schulz: Das sagen Sie aber über eine Truppe von 1972, über die Beckenbauer auch gesagt hat, dass wenn man sie mit dem heutigen Spiel vergleicht das damals doch Standfußball gewesen sei.
Senocak: Ich weiß nicht, was Franz Beckenbauer da meint, aber das ist doch totaler Quatsch. Wenn Sie sich die letzten Spiele mal anschauen bei dieser Europameisterschaft, das war ja nicht zum mitansehen - Türkei-Kroatien oder jetzt auch Italien-Spanien. Man kann doch Spiele nicht immer nur an den letzten drei Minuten anschauen. Das ist doch Quatsch!
Schulz: Aber der Fußball als Integrationsmotor ist kein Thema?
Senocak: Das ist insofern ein Thema, da natürlich auf dem Fußballfeld sich Menschen unterschiedlicher Couleur treffen. Das geht ja von den Professionellen bis runter zu den Amateuren. Das ist auf jeden Fall interessant. Spielkulturen begegnen sich dort, also nicht nur Spieler, und das bewegt schon etwas. Aber das, was dann daraus gemacht wird, sozusagen diese Fanmeile, die sehe ich im Grunde genommen weder positiv noch negativ. Das ist ein Spektakel. Das ist sehr schön. Man kann ja auch Feste feiern. Aber letztlich ist das kein Integrationsfaktor. Was heißt das eigentlich?
Schulz: Aber das sieht der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ja anders. Vor einer Stunde hat er hier im Deutschlandfunk gesagt:
Wowereit: Ich sehe dauernd in Berlin Autos, wo beide Flaggen dort zu sehen sind. Und ich bin auch stolz und zufrieden darüber, dass sehr viele türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger hier immer erklärt haben, egal wer gewinnt, wir gewinnen ja sowieso. Wir sind Vertreter beider Mannschaften und das ist ein schönes Zeichen.
Schulz: Und die Qualität ist für Sie kein Novum?
Senocak: Dem kann ich folgen. Dieser Position kann ich folgen. Es hat nur einen Haken: Das teilt wiederum die Deutschtürken von den Deutschen, weil es geht ja um die Deutschtürken. Die haben ja die zwei Flaggen. Die nichttürkischen Deutschen haben ja nicht zwei Flaggen. Sehen Sie! Also was soll das für ein Integrationsfaktor jetzt eigentlich sein?
Schulz: Die haben keine Flaggen, aber was wir auch gesehen haben sind deutsche Flaggen mit einer türkischen Flagge aufgenäht auf der roten Fläche.
Senocak: Die Deutschen sind für Deutschland; das ist ganz normal. - Ja, das ist auch schön, aber ich glaube das führt nicht sehr weit. Ich glaube, dass es schon so ist - das muss man auch sehen -, dass viele auch gerade junge Menschen, die in Deutschland aufwachsen, noch sehr starke Bindungen an die Türkei haben. Das sieht man ja auch nicht nur am Fußball. Die Frage ist, wie wir damit gesellschaftlich umgehen. Wir sollten da nicht den Fußball missbrauchen, um etwas heraufzubeschwören oder anzukündigen, das es nicht gibt.
Schulz: Und wie geht die Partie heute Abend aus?
Senocak: Ich glaube, dass Deutschland gewinnen wird, weil letztlich die türkische Mannschaft wirklich eine B-Mannschaft ist. Sie haben zu viele Verletzte. Sie haben sehr viel Kampfgeist, aber letztlich haben sie auch sehr, sehr viel Glück gehabt in den letzten Spielen. Das kann man nicht übersehen. Aber das kann ja nicht anhalten!
Schulz: Zafer Senocak, Autor mit türkischen Wurzeln, heute Morgen im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank!
Zafer Senocak: Guten Morgen!
Schulz: Herr Senocak, Sie haben die Frage danach, welchem Team Sie die Daumen drücken, blödsinnig genannt. Warum eigentlich?
Senocak: Weil diese Frage im Grunde genommen nur vor dem Hintergrund gestellt wird, wo man sozusagen sein Herz hat. Das hat aus meiner Sicht nicht unbedingt mit dem zu tun, was auf dem Spielfeld passiert. Da ich ein Fußballfan bin und mir ein Fußballspiel gerne auch als ein Fußballspiel anschaue, möchte ich mir solche Fragen eigentlich nicht anhören.
Schulz: Feridun Zaimoglu hat gegenüber der Wochenzeitschrift "Die Zeit" von einem Podolski-Gefühl gesprochen. Er sagt er ist eigentlich für Deutschland, würde aber über ein Tor gegen die Türkei nicht jubeln. Verstehen Sie was er meint?
Senocak: Nein, ich verstehe das alles überhaupt nicht. Das ist ja genau das, was ich meine. Was heißt das denn eigentlich? Ich meine wenn man für eine Mannschaft ist, ist man für eine Mannschaft. Und dann freut man sich nicht, weil diese Mannschaft ein Tor geschossen hat? Das verstehe ich nicht. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Schulz: Und für welche Mannschaft sind Sie, Herr Senocak?
Senocak: Heute Abend bin ich für die Türkei - aus dem ganz einfachen Grund, weil eine B-Mannschaft aufgelaufen ist. Ich bin mal gespannt, ob sie es schafft, eine klasse Mannschaft zu schlagen. Das ist einfach sehr interessant von der Konstellation her. Das heißt aber nicht, dass ich immer für die Türken bin - das muss ich auch ehrlich gestehen -, weil sie oft grauenhaft schlecht spielen, auch wenn sie dann am Ende gewinnen.
Schulz: Also grundsätzlich die spielerische Überlegenheit als Argument für Ihr Herzensblut für die Türkei?
Senocak: Ja. Es geht mir schon darum, ein Spiel auch zu genießen. Ich habe zum Beispiel sehr der niederländischen Mannschaft die Daumen gedrückt, weil sie in den ersten Spielen großen Fußball gezeigt hat - eigentlich fast als einzige Mannschaft. Leider fliegen immer diese Mannschaften raus bei den Turnieren. Das ist in letzter Zeit oft der Fall und das bricht mir sozusagen das Fußballerherz. Das ist mir viel wichtiger als das Nationale. Diese Fragestellung nach der nationalen Solidarität, die kann ich verstehen. Es gibt natürlich im Mannschaftssport und gerade wenn die Nationalmannschaft aufläuft - das ist ja schon vom Titel her so zu verstehen; Nationalmannschaft - Emotionen. Aber ich finde es in letzter Zeit wirklich sehr überladen, wie darüber diskutiert wird, weil es auch der Realität gar nicht entspricht. Ich habe viele Freunde in meinem Umfeld, die sich wirklich Fußballspiele auch noch als Fußballspiele anschauen. Ich bin ja 1970 nach Deutschland gekommen; da war ich acht Jahre alt. Ich war Fan der deutschen Nationalmannschaft! Da habe ich gar nicht so eine Zeit gebraucht, um mich zu integrieren, weil das eine große Mannschaft war - 1972 Europameisterschaft, 1974 Weltmeisterschaft. Das war eine große Mannschaft und diese Spieler haben mich, meine Generation hier geprägt. Da sieht man eigentlich, dass es um den Inhalt geht und nicht jetzt einfach nur um eine Beflaggung oder um eine direkte emotionale wie auch immer formulierte Positionierung für oder gegen eine Mannschaft.
Schulz: Das sagen Sie aber über eine Truppe von 1972, über die Beckenbauer auch gesagt hat, dass wenn man sie mit dem heutigen Spiel vergleicht das damals doch Standfußball gewesen sei.
Senocak: Ich weiß nicht, was Franz Beckenbauer da meint, aber das ist doch totaler Quatsch. Wenn Sie sich die letzten Spiele mal anschauen bei dieser Europameisterschaft, das war ja nicht zum mitansehen - Türkei-Kroatien oder jetzt auch Italien-Spanien. Man kann doch Spiele nicht immer nur an den letzten drei Minuten anschauen. Das ist doch Quatsch!
Schulz: Aber der Fußball als Integrationsmotor ist kein Thema?
Senocak: Das ist insofern ein Thema, da natürlich auf dem Fußballfeld sich Menschen unterschiedlicher Couleur treffen. Das geht ja von den Professionellen bis runter zu den Amateuren. Das ist auf jeden Fall interessant. Spielkulturen begegnen sich dort, also nicht nur Spieler, und das bewegt schon etwas. Aber das, was dann daraus gemacht wird, sozusagen diese Fanmeile, die sehe ich im Grunde genommen weder positiv noch negativ. Das ist ein Spektakel. Das ist sehr schön. Man kann ja auch Feste feiern. Aber letztlich ist das kein Integrationsfaktor. Was heißt das eigentlich?
Schulz: Aber das sieht der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ja anders. Vor einer Stunde hat er hier im Deutschlandfunk gesagt:
Wowereit: Ich sehe dauernd in Berlin Autos, wo beide Flaggen dort zu sehen sind. Und ich bin auch stolz und zufrieden darüber, dass sehr viele türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger hier immer erklärt haben, egal wer gewinnt, wir gewinnen ja sowieso. Wir sind Vertreter beider Mannschaften und das ist ein schönes Zeichen.
Schulz: Und die Qualität ist für Sie kein Novum?
Senocak: Dem kann ich folgen. Dieser Position kann ich folgen. Es hat nur einen Haken: Das teilt wiederum die Deutschtürken von den Deutschen, weil es geht ja um die Deutschtürken. Die haben ja die zwei Flaggen. Die nichttürkischen Deutschen haben ja nicht zwei Flaggen. Sehen Sie! Also was soll das für ein Integrationsfaktor jetzt eigentlich sein?
Schulz: Die haben keine Flaggen, aber was wir auch gesehen haben sind deutsche Flaggen mit einer türkischen Flagge aufgenäht auf der roten Fläche.
Senocak: Die Deutschen sind für Deutschland; das ist ganz normal. - Ja, das ist auch schön, aber ich glaube das führt nicht sehr weit. Ich glaube, dass es schon so ist - das muss man auch sehen -, dass viele auch gerade junge Menschen, die in Deutschland aufwachsen, noch sehr starke Bindungen an die Türkei haben. Das sieht man ja auch nicht nur am Fußball. Die Frage ist, wie wir damit gesellschaftlich umgehen. Wir sollten da nicht den Fußball missbrauchen, um etwas heraufzubeschwören oder anzukündigen, das es nicht gibt.
Schulz: Und wie geht die Partie heute Abend aus?
Senocak: Ich glaube, dass Deutschland gewinnen wird, weil letztlich die türkische Mannschaft wirklich eine B-Mannschaft ist. Sie haben zu viele Verletzte. Sie haben sehr viel Kampfgeist, aber letztlich haben sie auch sehr, sehr viel Glück gehabt in den letzten Spielen. Das kann man nicht übersehen. Aber das kann ja nicht anhalten!
Schulz: Zafer Senocak, Autor mit türkischen Wurzeln, heute Morgen im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank!