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"Heute ist nicht der Zeitpunkt zurückzuschauen"

Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz bedauert die Aberkennung des Welterbetitels für das Elbtal durch die UNESCO, hofft aber auch einen neuen Titel der Weltkulturorganisation für ein anderes Areal. Den Bau der umstrittenen Waldschlösschenbrücke, der zum Verlust des Titels geführt hatte, stellte die CDU-Politikerin nicht infrage.

Helma Orosz im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.06.2009
    Christoph Heinemann: Das Dresdener Elbtal ist offiziell nicht mehr Weltklasse.
    Gestern verfügte die UNESCO die Streichung einer Perle des deutschen Patrimoniums von der Welterbeliste. Das Komitee entschied auf seiner 33. Sitzung im spanischen Sevilla, den vor fünf Jahren verliehenen Titel wegen des Baus der Waldschlösschen-Brücke wieder abzuerkennen. Das ist überhaupt erst zweimal vorgekommen. An Warnungen hatte es nicht gefehlt, seit 2006 stand das Dresdener Elbtal bereits auf der roten Liste gefährdeter Welterbestätten. Aus Sicht der UNESCO schädigt der Brückenbau das Elbtal unwiederbringlich. - Wir haben vor dieser Sendung Helma Orosz in Sevilla erreicht. Ich habe die CDU-Oberbürgermeisterin von Dresden gefragt, welche Schimpfwörter ihr durch den Kopf gingen, als sie von der Entscheidung erfahren hat.

    Helma Orosz: Gar kein Schimpfwort.

    Heinemann: Sondern?

    Orosz: Ich habe das mit Bedauern natürlich verfolgt. Wir haben ja über mehrere Stunden Diskussionen gehabt, in denen die Vertreter des Komitees sich zu unterschiedlichen Dingen positioniert haben, und für mich war das insgesamt bedauerlich, dass die Komiteemitglieder mehrheitlich nicht unserem Vorschlag folgen konnten. Aber es war auch ein Zeichen dafür, wie schwierig es war für viele, für die Mehrheit der Komiteemitglieder, doch wirklich diese Argumentation zu führen beziehungsweise dann im Beschluss dafür zu stimmen, Dresden das Welterbe abzuerkennen.

    Heinemann: Aber an Warnungen hat es ja nicht gefehlt. Also überraschend war das ja nicht.

    Orosz: Das ist richtig, aber es gab natürlich auch immer wieder viele, viele Gespräche, wo man festgestellt hat, dass es unterschiedliche Auffassungen gab, dass es auch teilweise unterschiedliche Unterlagen gegeben hat, was auch immer. Aber ich denke, heute ist nicht der Zeitpunkt zurückzuschauen, sondern nach vorne. Für mich war wichtig, dass in diesen stundenlangen Diskussionen jetzt im zweiten Teil der Runde deutlich geworden ist, dass die Mehrheit der Komiteemitglieder die Stadt Dresden nach wie vor für welterbefähig halten, denn sie haben gemeinsam gerungen, den Beschlusstext noch mal zu verändern und der Stadt Dresden deutlich zu machen, dass sie es für angebracht halten würden, wenn die Stadt Dresden einen neuen Antrag stellt auf Basis neuer Kriterien, möglicherweise auch für ein neues Areal. Das ist eigentlich der Punkt, der mich jetzt umtreibt, der für mich eigentlich schon jetzt Überlegungen stattfinden lässt, wie wir damit umgehen, und ich werde schnellstens den Stadtrat von dieser Möglichkeit informieren, und ich gehe davon aus, dass wir uns relativ schnell entscheiden.

    Heinemann: Und was die Brücke betrifft: Sagen Sie "jetzt erst recht" oder geraten Sie da ins Grübeln?

    Orosz: Nein! Ich habe immer gesagt, dass die Rechtslage klar ist. Der größte Teil der Dresdenerinnen und Dresdener hatte sich für eine Brücke entschieden. Wir bauen die Brücke, wir werden sie auch zu Ende bauen. Die Diskussion auch durch das Welterbezentrum, den Baustopp zu veranlassen, da der Tunnel eine Alternative sei, ist ja inzwischen auch neutralisiert worden durch das Gerichtsurteil. Also von daher gibt es hier keine Gründe, anders zu verfahren als bisher.

    Heinemann: Frau Orosz, kann es sich Ostdeutschland leisten, die Anziehungskraft, die mit einem solchen Titel verbunden ist, aufs Spiel zu setzen oder gar zu verlieren wie jetzt?

    Orosz: Ich gebe Ihnen Recht, dass mit diesem Titel Anziehungskraft verbunden ist, aber Dresden ist seit Jahrzehnten als Kultur- und Kunststadt in der Welt etabliert und hat sich in den letzten Jahren stabilisiert. Wir sind seit längerem ein ausgezeichneter Wirtschafts-, Wissenschafts- und Forschungsstandort, der dazu geführt hat, dass wir anders als andere Großstädte in Deutschland nach wie vor Zuwanderung haben. Und es wird an uns liegen, dass wir diese Situation, die sicherlich den einen oder anderen umtreibt und auch zu bedauern ist, dass wir die auswetzen durch neue Aktivitäten. Und das wird ein Bemühen sein, auch in Zukunft die schützenswerten Stätten in Dresden zu erhalten, wie wir das in den letzten Jahren getan haben, mit weiteren Investitionen zur Pflege zu agieren und auch dafür zu sorgen, dass so wie jetzt Satzungen aus dem Denkmalschutzbereich, aber auch aus dem Landschaftsbereich dafür Sorge tragen, dass diese historischen Stätten auch erhalten bleiben.

    Heinemann: Wo sind denn, Frau Orosz, für Sie die Grenzen? Können Sie sich Hochhäuser neben dem Kölner Dom oder ein Parkhaus auf Schloss Neuschwanstein vorstellen?

    Orosz: Wissen Sie, ich habe auch eines aus der Diskussion gelernt, dass ich mich sehr zurückhalte, andere Anträge oder Vorhaben anderer Städte zu kommentieren. Mich hat auch immer sehr, sehr geärgert, dass Leute, die teilweise noch nicht in Dresden gewesen sind, sich zu diesen Dingen aber sehr deutlich geäußert haben. Ich finde, dass jede Kommune, jeder Landkreis oder jede Region für sich selber entscheiden müssen, was sie tun. Das gehört auch zur Selbstverwaltung und deswegen will ich nicht den gleichen Fehler machen und Ihnen diese Frage beantworten.

    Heinemann: Ist der Ausbau des Individualverkehrs nicht eine Politik aus dem vergangenen Jahrhundert?

    Orosz: Nein. Ich denke, moderne Städte brauchen auch moderne Infrastruktur. Wissen Sie, auf der ganzen Welt gibt es viele wunderschöne Großstädte, die durch Flüsse getrennt werden und über diese Flüsse gehen hervorragende Brücken, mal aus technischer Sicht, aber auch aus kulturvoller Sicht. Die Entscheidung, ob diese Brücke schön oder weniger schön ist, ist sicherlich sehr subjektiv und darüber darf auch gesprochen werden. Aber so zu tun, als ob es in einer modernen Großstadt ohne moderne Verkehrsinfrastruktur weitergeht, ich glaube, das ist die falsche Argumentation.

    Heinemann: Heißt moderne Infrastruktur für Sie, das Auto gehört in die Stadt und es sollen mehr da durchfahren?

    Orosz: Das ist wieder eine Frage der Vielfalt. Natürlich sorgen auch wir in Dresden dafür, dass die Städte nicht voll sind von Autos. Wir haben besondere Zonen und wir werden uns auch in der einen oder anderen noch zu Dingen positionieren. Aber unabhängig davon ist es doch so, dass in einer Stadt, die über eine halbe Million Menschen hat und die mindestens noch mal genauso viele Gäste und Touristen erleben kann, dass wir dafür sorgen müssen, dass man auch mobil weiterkommt. Mobil heißt natürlich auch öffentlicher Personennahverkehr, mobil heißt auch Fahrrad, aber auch Auto.

    Heinemann: Frau Orosz, mit welchen Gefühlen werden Sie die neue Brücke, wenn sie denn steht oder hängt, überqueren?

    Orosz: Das fragen Sie mich bitte noch mal dann, wenn die Brücke zur Einweihung steht. Dazu möchte ich Sie auch heute schon herzlich einladen.