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Hickel: Ein völlig neuer "Typ von Krise"

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel hat die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise als völlig neuartig bezeichnet. Einerseits handele es sich um einen massiven konjunkturellen Einbruch und zweitens um die größte Finanzmarktkrise der Nachkriegszeit. Nur wenn die Vertrauenskrise der Banken untereinander überwunden werde, könnten Konjunkturprogramme Wirkung zeigen.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Schon alles einmal da gewesen, wie so oft in der Politik. Diesmal ist es die zweite Runde, das zweite Spitzentreffen im Kanzleramt. Angela Merkel hat eingeladen: die Gewerkschaften und die führenden Vertreter der Industrie, der deutschen Wirtschaft. Was tun gegen die Konjunkturkrise? Was tun gegen die Arbeitslosigkeit? Was können Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam erreichen?

    Am Telefon begrüßen wir nun den Bremer Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel. Guten Tag.

    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!

    Müller: Herr Hickel, sind die meisten in Deutschland einfach zu pessimistisch?

    Hickel: Nein, die Deutschen sind nicht pessimistisch. Was wir erleben ist ein Absturz der Konjunktur, der maßgeblich auf zwei Faktoren zurückgeht: erstens auf den Einbruch der Exporte - das hat nichts damit zu tun, dass die deutsche Wirtschaft ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren hat, sondern es hat damit zu tun, dass einfach die Weltnachfrage eingebrochen ist - und zweitens - das ist, glaube ich, die ganz wichtige Herausforderung - ist es die Krise der Banken, die Vertrauenskrise.

    Müller: Hört sich ein bisschen so an, als hätten wir eine Konjunkturdelle, die diesmal etwas ausgeprägter ausgefallen ist als sonst.

    Hickel: Ja, ganz sicher. Ich bin auch der Meinung, dass wir es mit einem völlig neuen Typ von Krise zu tun haben. Das haben viele noch nicht begriffen. Wir haben ja beides: wir haben einen richtigen massiven konjunkturellen Einbruch, wenn man denkt, dass der Internationale Währungsfonds uns mitteilt, dass erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg die Weltproduktion bis zu 2,5 Prozent schrumpft, und wir haben auf der anderen Seite, überlagernd, verschärfend, nämlich die Finanzmarktkrise. Meine These ist - und das wird auch sicherlich heute ein Thema sein beim Monitoring-Gespräch in Berlin -, nämlich wenn wir die Finanzmarktkrise, sprich vor allem die Vertrauenskrise der Banken untereinander nicht überwinden, dann werden die Konjunkturprogramme auch relativ wenig Wirkung zeigen.

    Müller: Können wir da alleine erfolgreich sein?

    Hickel: Ja, wir können alleine erfolgreich sein. Oder anders ausgedrückt, wenn ich das so sagen darf: Der G20-Gipfel war ja ein Erfolg, was den Aufbau einer Finanzmarktarchitektur betrifft. Aber Deutschland ist kritisiert worden von der US-Administration, von Obama, von Japan, von Großbritannien. Was die öffentliche Nachfrage, die Stärkung der öffentlichen Nachfrage betrifft - das ist die einzige Möglichkeit, jetzt im Grunde genommen auch gegen Deflation, gegen Preisabsturz vorzugehen, die muss insgesamt gestärkt werden. Und wenn jetzt jemand sagt - und das kam ja in den Kommentierungen im Vorspann schon vor -, wir müssen im Grunde genommen Maßnahmen machen, die am Ende den Staat nichts kosten, dann sage ich, dann wäre das ein Erzfehler. Warum? - Weil nämlich, wenn ich öffentliche Maßnahmen jetzt ergreife und auf der anderen Seite private Nachfrage verdränge, dann ist das konjunkturell ein Schuss in den Ofen. Der Staat allein - das ist die Erkenntnis weltweit - kann zurzeit nur noch die Nachfrage schaffen, um, wie Herr Schleyer das gesagt hat, das, was er reklamiert, auch zu Stande zu bekommen, nämlich um den Spielraum zu schaffen für eine Wachstumspolitik.

    Müller: Sie sagen "Nachfrage schaffen"; Sie meinen aber nicht, Herr Hickel, Steuersenkungen?

    Hickel: Nein, überhaupt nicht. Steuersenkung ist zurzeit in jeder Richtung einfach Unfug, weil wir wissen, dass bei Steuersenkungen auch die Wirkungszusammenhänge sehr zweifelhaft sind.

    Müller: Gibt es dabei keine Nachfrage?

    Hickel: Es kann zum Teil Nachfrage geben, aber die Nachfrage kommt viel zu spät zu Stande. Sie hat unterschiedliche Wirkung. Ich glaube, dass es eher darauf ankommt oder überhaupt darauf ankommt, dass der Staat unmittelbar Nachfrage schafft, und das Konjunkturprogramm II weist ja schon mit den 17 Milliarden öffentliche Investitionen durchaus in die richtige Richtung. Die Umsetzung bei den Kommunen muss jetzt ganz schnell vorangetrieben werden, wohl wahr.

    Müller: Also neue Straßen sorgen für neue Arbeit?

    Hickel: So ungefähr. Nicht nur neue Straßen; da sind wir ein Stück weiter gekommen, was den Keynesianismus betrifft. Der ist ja nicht mehr so primitiv, so nach dem Motto, wir machen irgendwie Straßen, wir entwickeln neue öffentliche Projekte, sondern es geht vor allem - auch das geht in die Richtung - um Sanierung von Schulen, es geht um Investitionen in Bildung. Dann tut man zweierlei, nämlich erstens die Konjunktur stärken, den Absturz der Konjunktur abbremsen, und zweitens gleichzeitig etwas zu tun, Investitionen vorzunehmen, die ohnehin in den letzten Jahren vernachlässigt worden sind, für künftige Generationen. Das ist eine verantwortungsvolle Politik.

    Müller: Wir halten das, Herr Hickel, meinen Vorschlag um 12:20 Uhr im Deutschlandfunk zunächst einmal so fest: Rudolf Hickel lobt die Bundesregierung.

    Hickel: Rudolf Hickel lobt die Bundesregierung nur in einem Punkt, dass sie überhaupt begriffen hat, nachdem ja vor drei Monaten das Wort "Konjunkturpolitik und Investitionsprogramme" noch ein Fremdwort war, ja einem richtig Ärger eingehandelt hat, dass die Bundesregierung das begriffen hat. Aber das Lob endet an der Stelle, nämlich dass die Politik viel zu wenig mutig ist. Wenn jetzt der DGB sagt, 100-Milliarden-Programm, dann will ich ökonomisch Folgendes dazu sagen: Wir haben so eine Faustregel, die gilt für USA, die wird von meinen dortigen Kollegen vertreten, in Japan, überall, dass man zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts - das sind ungefähr pro Jahr 50 Milliarden - jetzt zur Verfügung stellt und sie schnell in öffentliche Investitionsprogramme lenkt. Das wäre vernünftig. Die Bundesregierung muss einen Weg weitergehen. Das erste Konjunkturprogramm war leider, auch wenn der Rat der fünf Weisen zurecht gesagt hat, im Grunde genommen ein Bauchladen; jetzt muss der stärker konzentriert werden und Steuersenkungen sind absolut absurd.

    Müller: Ich hoffe, ich stehe nicht auf dem falschen Fuß, Herr Hickel. Helfen Sie mir weiter. Wir hatten einmal 17 Milliarden und haben 50 Milliarden. Das sind doch dann diese zwei Prozent?

    Hickel: Ja, aber entscheidend ist, wie die 50 Milliarden ausgegeben werden. Sie haben völlig Recht: im Mittelpunkt stehen die 17,3 Milliarden. Aber die anderen Ausgaben, die da konzentriert worden sind - darin sind ja auch Steuersenkungsmaßnahmen, darin sind Sozialversicherungsbeitragssenkungen -, ich würde sagen, so wie die anderen Länder das auch machen, das jetzt zu konzentrieren. Wir haben ja die historische Erfahrung mit dem "New Deal" von Roosevelt, das aus der 29er-Krise rausgeführt hat. Wir können es nur jetzt so machen und eines ist ganz wichtig, das hat unlängst Paul Krugman, der große amerikanische Ökonom, zurecht gesagt. Ein Euro, den wir heute ausgeben für ein Konjunkturprogramm, bringt uns ungefähr 1,7 Euro an Wirtschaftskraft, und in die Richtung muss es gehen.

    Müller: Jetzt haben wir beide schon fast vergessen, über das Thema zu reden, worüber wir eigentlich verabredet sind, nämlich das Gipfeltreffen im Kanzleramt. Kann so ein Treffen mehr sein als politische Kosmetik?

    Hickel: Das ist sicherlich vordergründig Kosmetik. Die Kanzlerin braucht jetzt auch mal ein Stück weit Anerkennung, zumindest in der Form einer Diskussion. Ich bin ganz sicher, dass es heute nicht zu Entscheidungen kommen wird. Der Gipfel hat es in der Hand, oder das Monitoring-Gespräch, wie es auf Neudeutsch heißt, hat es in der Hand, Profil zu gewinnen. Ich würde mich freuen, wenn heute klare Ergebnisse rauskämen und vor allem, wenn ein Vorschlag, den, glaube ich, der Bundesverband der Deutschen Industrie gemacht hat, im Papierkorb landet, nämlich zu sagen, kostenneutrale öffentliche Investitionsprogramme nach dem Motto "wir regenerieren, es werden Investitionen in die energetische Ausgestaltung von Häusern gesteckt, dafür wird das Mietrecht gelockert", das heißt das wird abgewickelt über Mieterhöhungen. Das würde dazu führen, dass man auf der einen Seite der Konjunktur etwas gibt und vor allem bei den Mietern der Konjunktur wieder etwas nimmt. Wenn es dazu kommt, dass solche Vorschläge nicht mehr weiter ernsthaft diskutiert werden, dann wäre es ein Erfolg, aber ich glaube, so weit kommt es nicht.

    Müller: Hat sich die Einstellung, die Haltung der Arbeitgeber in Zeiten der Krise verändert?

    Hickel: Ich hatte ursprünglich den Eindruck, vor allem was die Finanzmarktkrise betrifft - da sind ja deftige Worte auch von den Verbänden gekommen, über Versagen, über Abzocken, über die Produktion von toxischen Produkten -, dass die Botschaft angekommen ist. Aber ich habe jetzt den Eindruck, wenn es vor allem über die konjunkturellen staatlichen Maßnahmen geht, dass es dann wieder klein in klein einen Rückschritt gibt sozusagen in die alte Politik, und da kann ich nur sagen: Wer den Rückschritt wagt, wer jetzt sagt, man muss etwa mit Unternehmenssteuersenkungen die Konjunktur retten, der muss sich leider den Vorwurf gefallen lassen, dass er die Schwere und Tiefe und die Komplexität der Krise nicht richtig begriffen hat. Deshalb ist auch wichtig, einen solchen Konjunkturgipfel dazu zu nutzen, sich noch mal zu verständigen, was steckt eigentlich hinter dem Absturz, um dann daraufhin die Maßnahmen, die Instrumente richtig zu adjustieren.

    Müller: Die Arbeitgeber haben sich nicht geändert, verändert, sagen Sie. Was haben die Gewerkschaften getan?

    Hickel: Die Gewerkschaften haben es nun zwangsläufig oder logischerweise etwas einfacher. Sie haben ja immer schon (vor allem ver.di, IG Metall und DGB) massive Investitionsprogramme gefordert. Sie haben sich da in gewisser Weise eigentlich nur ihre bisherigen Programme, wenn Sie so wollen, abschreiben müssen, die irgendwo in der Richtung auch richtig sind. Aber es gibt natürlich andere Maßnahmen. Die Gewerkschaften werden jetzt sehr genau diskutieren müssen, wie ihre Lohnpolitik in dieser Phase der abstürzenden Wirtschaft aussieht. Da sind auch Gewerkschaften gefordert. Dazu müssen auch Antworten diskutiert werden. Ich hoffe, dass das heute auch in dem Gespräch angesprochen wird. Wichtig ist, dass sich alle, Arbeitgeber und Arbeitnehmer und Bundesregierung, zurecht auf das Kurzarbeitergeld konzentriert haben, denn das ist neu, dass Unternehmer nicht einfach wie in früheren Konjunkturabschwüngen schnell entlassen und beim Aufschwung dann vor dem Problem stehen, wer steht zur Verfügung als qualifizierter Beschäftigter. Die Lehre haben, glaube ich, alle begriffen und das zeigt sich in der Regelung des Kurzarbeitergeldes und das noch verbunden mit Qualifizierungsmaßnahmen. Da sehe ich einen gewissen Fortschritt, der vor vier, fünf Jahren nicht möglich war.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel. Vielen Dank für das Gespräch!

    Hickel: Schönen Dank.

    Müller: Auf Wiederhören.

    Hickel: Auf Wiederhören.