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"Hier fahren zwei Züge aufeinander"

Erhard Eppler fordert einen "nicht zu kurz bemessenen Baustopp". Nur dann sei eine Rückkehr an den Verhandlungstisch möglich. Der SPD-Politiker spricht sich außerdem für einen Bürgerentscheid über Stuttgart 21 aus.

Erhard Eppler im Gespräch mit Jasper Barenberg | 04.10.2010
    Jasper Barenberg: Wasserwerfer, Pfefferspray und Knüppel gegen die Gegner von "Stuttgart 21", Verletzte im Schlossgarten – seit Bürger und Polizei im Kampf um die ersten 25 Bäume heftig aneinandergeraten sind, scheint der letzte Rest Vertrauen in den Konflikt um den geplanten unterirdischen Bahnhof endgültig verloren. Die Kritik am harten Einsatz der Polizei hält an, skeptisch reagieren die Projektgegner auf ein Gesprächsangebot von CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus. Ist es dennoch ein Schritt in die richtige Richtung? – Wir wollen darüber jetzt mit dem Sozialdemokraten Erhard Eppler sprechen, dem früheren Bundesminister, er war auch Vorsitzender seiner Partei in Baden-Württemberg. Einen schönen guten Morgen!

    Erhard Eppler: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Eppler, wie verfahren ist die Situation jetzt nach dem harten Polizeieinsatz?

    Eppler: Sie ist so verfahren, wie sie verfahren sein kann.

    Barenberg: Und wie könnte ein Weg, ein Ausweg aus dieser Situation sein?

    Eppler: Ich habe ja vor einigen Wochen schon gesagt, hier fahren zwei Züge aufeinander, und zwar mit großer Geschwindigkeit und großer Wucht, und wir können das nicht beliebig fortsetzen. Deshalb bin ich der Meinung, dass das, was der Oberbürgermeister vor ein paar Jahren mit Tricks verhindert hat, jetzt stattfinden muss, auch wenn es juristisch schwierig ist, nämlich dass das Volk selber entscheidet. Anders kriegt man diese Verbitterung und diese Vergiftung der Atmosphäre nicht mehr heraus. Vielleicht darf ich hinzufügen: Ich rede häufig sowohl mit Gegnern, als auch mit Befürwortern und ich stelle fest, dass die Befürworter den Gegnern nur alles Dumme und Schlechte zutrauen, und das gilt auch genau umgekehrt. Das hält eine Demokratie nicht beliebig lange aus.

    Barenberg: Bisher schien die Landesregierung ja mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. "Vertrag ist Vertrag", so lautete die Argumentation. Jetzt seit dem Wochenende sieht das ein bisschen anders aus. Ministerpräsident Stefan Mappus bietet Gespräche an, allerdings nur über Optimierungen, über Veränderungen und über Verbesserungen. Reicht dieses Signal des guten Willens?

    Eppler: Nein, das reicht ganz sicher nicht, zumal ja nun seine Ministerin, eine Frau, die ich eigentlich sehr schätze, die Frau Gönner, erklärt hat, ein Baustopp komme nicht infrage. Ich glaube nicht, dass die Gegner noch bereit sind, an einem Tisch zu sitzen, während gleichzeitig weiter gebaut wird.

    Barenberg: Nun kann man ja wahrscheinlich nicht erwarten, dass die Landesregierung so ohne Weiteres auf Ihren Vorschlag umschwenkt und einschwenkt, einen Volksentscheid anzusetzen. Wäre eine Denkpause, wie sie jetzt manchen vorschwebt, ein erster Schritt?

    Eppler: Natürlich wäre das ein erster Schritt und auch zu einem Volksentscheid kommt man nur, wenn man zuerst einmal eine Denkpause einlegt. Aber eben dies scheint die Landesregierung nicht vorzuhaben.

    Barenberg: Und wenn sie das nicht tut, wenn es keine Denkpause gibt, wohin wird sich dieser Konflikt dann noch entwickeln?

    Eppler: Ich mag mir das gar nicht ausdenken. Aber sehen Sie, man kann natürlich gegen Volksproteste ein Gesetz durchsetzen. Man kann eine Entscheidung durchsetzen, deren Folgen nach vier Wochen schon klar sind. Aber man kann nicht gegen zwei Drittel der Bevölkerung in einer großen Stadt zehn oder gar 15 Jahre lang bauen lassen. Das geht einfach gar nicht und das hat offenbar die Landesregierung noch nicht verstanden.

    Barenberg: Sie stellt sich ja bisher auf den Standpunkt, dass es ausreichend legitimiert ist, die Entscheidung, den neuen Bahnhof zu bauen. Wie könnte eine Brücke aussehen von dort hin zu einer anderen Situation zwischen den Konfliktparteien?

    Eppler: Was die Legitimierung angeht, so sagen natürlich die Gegner, die Geschäftsgrundlage hat sich völlig verändert. Erstens: Die Kosten sind wesentlich höher als das, was die Parlamente beschlossen haben, und seither gibt es alle möglichen Gutachten, die Zweifel an der Machbarkeit und auch am Sinn der ganzen Sache erzeugt haben. Das heißt, die Legitimierung ist eine sehr formale Legitimierung, und das ist das, was die Gegner eben nicht akzeptieren.

    Barenberg: Was riskiert denn die Landesregierung, wenn sie jetzt diesen Kurs fortsetzt?

    Eppler: Ich glaube eben, dass das unvermeidlich in ähnliche Szenen hineinführt, wie wir sie letzte Woche erlebt haben.

    Barenberg: Aber das wird doch der Landesregierung auch klar sein?

    Eppler: Eigentlich müsste es ihr klar sein, ja. Sehen Sie, die Gegnerschaft, die gab es ja schon früher. Die Behauptung, dass die erst später gekommen sei, stimmt gar nicht. Es gab vor vier Jahren ein Volksbegehren gegen dieses Projekt, und das hat 67.000 Unterschriften gehabt. Die brauchten eigentlich nur 22.000. Und dann hat der Oberbürgermeister, der meiner Ansicht nach die schwächste Figur in diesem ganzen Spiel ist, mit juristischen Tricks dies verhindert, indem er schnell noch einen Vertrag unterzeichnet hat und dann gesagt hat, aber über Verträge zwischen dem und jenem kann man keine Volksabstimmungen machen. Das heißt also, der Widerstand ist nicht neu, sondern der ist schon ziemlich alt und er ist durch das Handeln des Oberbürgermeisters so vergiftet worden, dass eben ein vernünftiges Gespräch kaum mehr möglich ist.

    Barenberg: Welchen Anteil an dieser Entwicklung, Herr Eppler, trägt die SPD, die das Projekt lange befürwortet hat und jetzt von dieser Position abweicht?

    Eppler: Nein, das tut sie ja gar nicht. Die Landes-SPD sagt ja, wir sind nach wie vor dafür, wir sind nur nicht dafür, dass man das mit dem Brecheisen durchsetzt, sondern dass man das Volk erst mal fragt, ob es denn bereit ist, das mitzumachen. Das halte ich für eine durchaus vernünftige Position. Dass die SPD in ihrer Mehrheit dafür war und wohl auch noch dafür ist, das steht auf einem anderen Blatt.

    Barenberg: Können Sie sich eine Situation vorstellen, Herr Eppler, wo wir zurückkehren zu einer sachlichen Diskussion über Argumente, tatsächlich Argumente, die für den Bahnhof sprechen, und Argumente, die gegen den Bahnhof sprechen?

    Eppler: Ja, das kann ich mir vorstellen in dem Augenblick, wo es einen nicht zu kurz bemessenen Baustopp gibt und man sagt, nun lasst uns einmal in Ruhe über das reden und solange wir darüber reden passiert nichts. Das könnte ich mir vorstellen.

    Barenberg: ... , sagt der SPD-Politiker Erhard Eppler heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Eppler, danke schön für das Gespräch.

    Eppler: Bitte schön.