Heinlein: Was können Sie und Ihre Mitarbeiter in einer solchen Situation unmittelbar unternehmen, um den Beteiligten beizustehen und diese traumatische Situation zu bewältigen?
Maaßen: Wir bieten natürlich unsere mitmenschliche Hilfe an. Wir sind ja ein Verein ehrenamtlicher Helfer. Wir haben in Thüringen 134 ehrenamtliche Mitarbeiter, und wir haben eine ganze Menge ehrenamtliche Mitarbeiter in Erfurt, die persönlich bereit stehen, den Angehörigen der Opfer unmittelbar zu helfen. Aber wir sind auch ein gut funktionierender bundesweiter Verein, und wir können auch finanzielle Unterstützung zusagen, und dazu gehört auch, dass wir völlig unbürokratisch und schnell Kostenzusagen machen werden für die psychotherapeutische Behandlung, die für viele nun erforderlich ist, und die eine sehr langwierige Sache ist, wenn dort keine anderen Kostenträger zur Verfügung stehen. Wir wollen auch den Familien möglicherweise durch Erholungsprogramme für die Opfer und ihre Familien helfen. Das sind alles Dinge, die wir dort leisten können.
Heinlein: Ist denn diese Unterstützung von privater Seite Ihrer Organisation und anderer Organisationen notwendig, weil von staatlicher Seite nicht ausreichend dafür gesorgt ist?
Maaßen: Das kann man so nicht sagen. Ich habe ja selber als Mitarbeiter eines Ministeriums erlebt, dass hier alle zusammenhalten, dass wir alle Hilfe bündeln, dass wir auch als staatliche Behörden etwas tun wollen. Aber Sie wissen, den staatlichen Behörden sind manche Grenzen gesetzt, und es ist gar kein Gegensatz, dass sich dann staatliche Hilfen und ehrenamtliche Hilfen ergänzen.
Heinlein: Von politischer Seite und auch von Ihnen ist ja immer die Rede von rascher, schneller und unbürokratischer Hilfe. Wie sieht das denn in der Realität aus? Was sind die Grenzen, die Sie gerade erwähnt haben?
Maaßen: Die Grenzen sind z.B., dass dann eine Unfallversicherung möglicherweise nur für die Opfer selbst zuständig sind, nicht für die Angehörigen, die jetzt ja auch Opfer geworden sind, aber möglicherweise nicht versichert sind. Es ist auch immer die Frage, ob da die Krankenversicherung mit einspringt. Ich will das auch gar nicht in Abrede stellen, aber manchmal brauchen die Opfer eine Hilfe, die nicht nach den rechtlichen oder gesetzlichen Voraussetzungen fragt, und das wollen wir als Weißer Ring in jedem Fall anbieten.
Heinlein: Wie groß sind denn aufgrund Ihrer Erfahrung die bürokratischen Hürden, bis man an staatliche Unterstützung oder Unterstützung der Versicherungen kommt, Entschädigungen oder Ähnliches zu gelangen?
Maaßen: Das kann sehr schnell gehen, und ich glaube, in einem solchen Fall wie hier wird es auch möglicherweise schnell gehen. Aber auch ein solches schlimmes Ereignis gerät nach einiger Zeit außer Erinnerung der Öffentlichkeit, und dann kann es sein, dass die langfristige Arbeit sehr langsam gemacht wird. Wir sind ja eine Hilfsorganisation, die ausschließlich für die Opfer da ist. Wir haben keine weiteren Interessen, sondern wir wollen ausschließlich mit unseren finanziellen und personellen Möglichkeiten helfen, und das ist ausschließlich im Sinne der Opfer, und zu den Opfern gehören die Schüler, die Lehrer, die das erlebt haben, aber auch natürlich die Angehörigen der Todesopfer, und davon haben wir ja auch einige zu beklagen. Da sind auch Ernährer den Familien weggerissen worden, und man muss an die Angehörige der Opfer denken.
Heinlein: Und deshalb nochmals die Frage: Wie schnell, ganz konkret in Tagen und Wochen, können denn die Familien der ermordeten Lehrerinnen und Lehrer oder die Familien des getöteten Polizisten - er ist Vater von zwei Kindern - mit staatlicher Hilfe oder Hilfe der Versicherungen rechnen?
Maaßen: Ich kann das zur staatlichen Hilfe nicht unbedingt sagen, aber auch hier gehe ich davon aus, dass es ganz schnell ist. Der Weiße Ring hilft auch finanziell von einem Tag zum anderen.
Heinlein: Sie sind eine Opferschutzorganisation, dennoch die Frage: Wer hilft eigentlich der Familie des Täters, die sich ja nun auch in einer sehr schwierigen privaten Situation befindet?
Maaßen: Ich gehe davon aus, dass auch diese Familie möglicherweise ein Stück weit Opfer dieser Situation geworden ist. Aber ich sage nochmals: Dort wird sicherlich auch eine Hilfe möglich sein, von den Versicherung und von anderen Seiten her. Wie gesagt, unsere Organisation hilft Kriminalitätsopfern, und das ist die Hauptsache.
Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio