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Hilfe für Ostukraine
Entwicklungsminister Müller fordert mehr Unterstützung

Die deutsche Hilfe für die Menschen in der Ostukraine komme zwar an, alles in allem sei das aber zu wenig, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im DLF. Es müssten sichtbarere Zeichen gesetzt werden zur Unterstützung der Bevölkerung. Sorge bereitet Müller vor allem die Energieversorgung in der Ukraine.

15.10.2014
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verfolgt am 21.03.2014 die Debatte über den EU-Afrika-Gipfel im Bundestag in Berlin.
    Die Menschen bräuchten in den kommenden Wochen Hilfe, um für den Winter gerüstet zu sein. (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Bis gestern war Müller noch selbst in der Krisenregion. Er habe einen Hilfskonvoi begleitet und sei überzeugt, dass die Hilfe bei den Menschen in der Ostukraine ankomme. Das Ministerium geht derzeit von rund 500.000 Flüchtlingen aus. Sie bekommen aus Deutschland Hilfe in Form von Winterquartieren, Generatoren und Decken. Die Lieferungen seien mit den lokalen Behörden abgesprochen und könnten dementsprechend gut verteilt werden.
    Allerdings bemängelte Müller, dass es keine Koordinierung der Hilfen auf europäischer Ebene gebe. Er hoffe, dass sich dies mit Antritt der neuen EU-Kommission bald ändere. Die Menschen bräuchten in den kommenden Wochen Hilfe, um für den Winter gerüstet zu sein. Schlage dies fehl, sei das beschämend für Europa.
    Hoffnung auf weitere Entspannung
    Der Entwicklungsminister begrüßte auch die Unterstützung aus Russland, allerdings sehe es derzeit nicht so als, würde da noch mehr kommen. Er rief Russlands Präsident Wladimir Putin auf, dafür zu sorgen, dass die Waffenruhe in der Ostukraine hält.
    Insgesamt hat sich die Lage in der Krisenregion nach Aussagen des CSU-Politikers etwas entspannt. Müller hofft auf klare politische Verhältnisse und eine weitere Entspannung nach den Parlamentswahlen in der Ukraine in zwei Wochen.
    Ungeklärt sei aber nach wie vor, wie sich die Ukraine künftig mit Energie versorgen solle. Aus Russland kämen derzeit keine Lieferungen, so Müller. Nun laufe die Suche nach Alternativen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Rund 3.600 Tote hat der Konflikt in der Ostukraine schon gefordert. Die Sorge, dass er lange andauern wird und daraus ein sogenannter eingefrorener Konflikt werden könnte, in dem sich über Jahre hinweg nichts bewegt, diese Sorge ist groß. In den letzten Tagen allerdings gab es etwas Bewegung, was manche Beobachter schon als Entspannung deuten. Der russische Präsident Wladimir Putin verkündete, er habe den Abzug von russischen Soldaten aus dem russisch-ukrainischen Grenzgebiet angeordnet, auch wenn bisher unklar ist, ob ein Rückzug tatsächlich stattfindet, und auf internationaler Ebene redet man wieder miteinander. Gestern trafen sich in Paris US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow. Morgen und am Freitag will der ukrainische Präsident Petro Poroschenko mit Putin verhandeln.
    Neben den politischen Entwicklungen leidet die Zivilbevölkerung im Osten der Ukraine unter den immer wieder aufflammenden Kämpfen ganz besonders. Mehrere Hunderttausend sind innerhalb der Ostukraine geflohen. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller von der CSU hat dort bis gestern einen deutschen Hilfskonvoi begleitet und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.
    Gerd Müller: Ja guten Morgen.
    "In Charkow ist es erstaunlich ruhig"
    Kaess: Herr Müller, Ihre Eindrücke von der Situation vor Ort: Wie groß ist die Not in der Ostukraine?
    Müller: Ich war gestern in Charkow. Das liegt 40 Kilometer vor der russischen Grenze. Dorthin und in fünf andere Städte flüchten die Menschen aus dem Kampfgebiet in der Ostukraine. In der Ostukraine selber, das ist ein Gebiet, dort sind circa fünf Millionen betroffen. Flüchtlinge, da gehen wir von circa 500.000 aus. Charkow selber, da ist es erstaunlich ruhig. Die Verantwortlichen dort haben die Lage im Griff und wir konnten gestern sogar eine Konferenz zur Zukunft der Energieversorgung dort abhalten.
    Kaess: Noch mal zur Not der Leute vor Ort. Haben Sie den Eindruck, dass die Hilfsmittel auch tatsächlich dort ankommen, wo sie gebraucht werden?
    Müller: Die Hilfsmittel kommen an. Ich habe selber einen Hilfstransport ein Stück weit begleitet. Wir leisten direkt vor Ort für die Flüchtlinge Hilfe mit dem, was am notwendigsten ist, nämlich Winterquartiere. Sie brauchen alles, was hier eigentlich für den Winter jetzt notwendig ist. Sie leben in ganz dürftigen Flüchtlingsunterkünften. Also es kommt an. Die Infrastruktur bis zu den Flüchtlingen funktioniert. Aber es ist zu wenig. Die internationale Staatengemeinschaft, auch Europa muss hier mehr und sichtbare Zeichen setzen zur Unterstützung der ukrainischen Zivilbevölkerung, die unglaublich dankbar dafür ist.
    Kaess: Herr Müller, Sie haben ähnliche Kritik schon an Brüssel geübt, wenn es um die Hilfe für Flüchtlinge im Nordirak geht. Da haben Sie gesagt, die EU leiste da viel zu wenig. Gilt das auch für die Ostukraine?
    Müller: Das Problem ist, dass die europäischen Staaten sich nicht koordinieren, und damit ist auch der Erfolg nicht der, der er sein könnte. Wir brauchen eine Koordinierung auf europäischer Ebene der 28 Staaten, denn es brennt ja sozusagen überall, nicht nur in der Ostukraine, sondern im Irak, in Kurdistan, in Syrien, überall, aber auch im Südsudan. Wir dürfen die Menschen auch dort nicht vergessen.
    "Dann kommt der Regen, die Kälte, der Tod"
    Kaess: Warum findet denn diese Koordinierung nicht statt?
    Müller: Ja. Brüssel war nun sechs Monate nach den Wahlen und der Kommissionsbildung mit sich selber beschäftigt, und nun hoffe ich, dass der neue Kommissionspräsident direkt bei sich das Flüchtlingsthema ansiedelt. Europa hat das Geld, es sind die Töpfe da. Und jetzt ist es dringend notwendig, sofort zu handeln, denn in diesen Krisengebieten kommt jetzt der Winter. Wir haben vier Wochen Zeit. Und wenn das nicht erfolgt, dann kommt, ich sage immer und so ist es auch, der Regen, die Kälte und der Tod über die Menschen. Das wäre wirklich beschämend. Sie haben sich gerettet aus den Kampfgebieten, leben in elendigen Verhältnissen, dass wir sie dann alleine lassen.
    Kaess: Gehen wir noch mal zurück in die Ostukraine. Sie haben die deutsche Hilfe ja so ein bisschen als Kontrapunkt zu dem russischen Hilfskonvoi dargestellt. Warum soll denn die deutsche Hilfe eigentlich besser sein als die russische?
    Müller: Ja. Sie kommt direkt zu den Menschen, ist dezentral ausgelegt und wir haben das geschafft, was die Menschen brauchen, zum Beispiel mobile Wohnstationen für Kinder mit Familien, die wir direkt auch mit Gesundheitsausrüstung, medizinischer Hilfe versehen. Wir vernetzen das mit den Bürgermeistern vor Ort. Die Kinder können in die Schulen gehen, in die Kindergärten. Das ist ja ganz zentral wichtig.
    Kaess: Aber wir haben in der Reportage von meinem Kollegen Frank Capellan, der Sie ja begleitet hat, auch Leute vor Ort gehört, die sich durchaus über die russische Hilfe gefreut haben. Können wir uns das denn leisten, im Bereich der humanitären Hilfe die eine Hilfe als gut und die andere als weniger gut zu qualifizieren?
    Müller: Wir freuen uns und ich über jegliche Hilfe, auch die Hilfe der Russen, und am meisten freuen sich die Menschen, wenn die Waffenruhe hält. Das ist die größte Hilfe. Sie bauen jetzt auf Mailand, auf die Gespräche, endlich die Waffenruhe einzuhalten in der Ostukraine, denn im Prinzip wollen sie wieder zurück, auch in die zerstörten Städte. Niemand lässt sich gerne aus seiner Heimat vertreiben. Putin kann den Menschen das größte Geschenk machen, indem er Waffenruhe und Frieden einkehren lässt.
    Gas: "Die Reserven reichen nicht für den Winter"
    Kaess: Und noch mal kurz zurück zu den Hilfeleistungen. Wäre es denn hilfreich, Russland als Partner bei der Koordinierung vor Ort zu gewinnen?
    Müller: Da ist alles natürlich möglich, aber so sieht es im Augenblick nicht aus. Aber wie gesagt: Auch russische Hilfe ist willkommen, auch wenn es die letzten Tage nicht danach aussah. Die Menschen differenzieren nicht. Es geht um das Überleben. Da weist man kein Hilfspaket zurück. Ich möchte auch sagen, die zivilen Spenden, Spendenaufrufe in Deutschland, man sollte die Menschen in der Ukraine nicht alleine lassen und vergessen. Die Mittel kommen an. Das Rote Kreuz, Caritas, die Hilfsorganisationen vor Ort sind alle präsent und leisten großartige Arbeit.
    Kaess: Sie haben die Hoffnung auf die Gespräche zwischen den russischen und den ukrainischen Präsidenten Putin und Poroschenko angesprochen. Sie haben auch auf Ihrer Reise Gespräche in Kiew geführt. Hat man dort den Eindruck, dass die Lage sich entspannt?
    Müller: Ja, man hat den Eindruck, dass die Lage sich entspannt. Die Ukrainer sind fest entschlossen, die Themen und Probleme in die Hand zu nehmen. In 14 Tagen sind Parlamentswahlen. Wie es ausschaut nach derzeitigen Umfragen, könnte die Allianz um Poroschenko eine stabile Mehrheit bekommen. Die Parteien sind fest entschlossen, Reformen anzupacken, die Ukraine nach vorne zu bringen. Ganz dringend ist jetzt natürlich die Lösung der Energiefrage. Die Ukraine bekommt kein Gas aus Russland. Die Reserven reichen nicht für den Winter. So hat man jetzt entschieden, die Zimmertemperatur heizungsmäßig auf 16 Grad abzusenken. Keiner weiß, ob das ausreicht. Aber wir müssen auch die Wirtschaftskontakte ausbauen. Wenn man in Kiew ist, dann - also merklich spüren von dem Krieg in der Ostukraine tut man nichts, und ich möchte auch an Investoren appellieren, jetzt nicht aus der Ukraine herauszugehen, sondern jetzt in dieser schwierigen Phase dort zu bleiben, Investitionen aufzunehmen. Klitschko, der Bürgermeister von Kiew, hat mich beispielsweise gebeten, er braucht dringend auch Kommunalpartner zur Lösung der Probleme in Kiew. Da geht es um den Ausbau der Infrastruktur, Verkehr, neue Straßenbahnen, Leitungsnetze, Energieeffizienz. Die wollen wirklich nach vorne kommen, anpacken und bauen auf deutsche und auf europäische Hilfe.
    "Das Thema Korruption anpacken"
    Kaess: Herr Müller, was sagt man Ihnen in Kiew in Bezug auf das Verhältnis zu Russland und einer eventuellen möglichen Entspannung? Das ukrainische Parlament hat ja gestern den bisherigen Chef der Nationalgarde, Poltorak, zum neuen Verteidigungsminister gewählt. Der gilt als Hardliner. Wie hilfreich ist so eine Wahl im derzeitigen Kontext?
    Müller: In der Ukraine spürt man jetzt ein Stück weit Patriotismus. Überall wehen die ukrainischen Fahnen, das Volk steht enger zusammen und hat auch ein Nationalbewusstsein herausgebildet. Es werden auch viele junge Männer zum Militär eingezogen, da wird Verstärkung aufgebaut. Man ist fest entschlossen, die Ukraine zu stabilisieren, wirtschaftlich nach vorne zu bringen, und ich habe große Hoffnungen auf Poroschenko, den Präsidenten, die neue Regierung nach den Parlamentswahlen. Man möchte das Thema Korruption anpacken und Investitionssicherheit bieten. Das ist ganz, ganz wichtig. Also es ist eine neue Mannschaft im Aufbruch und das gibt doch durchaus Hoffnung.
    Kaess: Eine neue Mannschaft, der es eventuell auch gelingen könnte, das Verhältnis zu Russland wieder zu entspannen?
    Müller: Ja. Es ist sicherlich notwendig, ich habe das sehr deutlich gesagt. Die Orientierung nach Europa ist keine Gegnerschaft zu Russland. Wir brauchen auch in der Ukraine wie bei anderen Konflikten in Syrien, im Irak auch die Mitarbeit und die Zusammenarbeit mit Russland.
    Kaess: ..., sagt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller von der CSU, der gerade aus der Ukraine zurück ist. Danke für dieses Gespräch heute Morgen.
    Müller: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.