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"Hilfe muss länderübergreifend geleistet werden"

Peter Altmaier, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, hält angesichts der veränderten Sicherheits- und Bedrohungslage eine Neuordnung des bisherigen Zivil- und Katastrophenschutzes für notwendig. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass es keine strikte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit mehr geben dürfe, so Altmaier. Das geplante Bevölkerungsschutzgesetz werde die Koordinierungs- und Einsatzfähigkeit verbessern.

Peter Altmaier im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Die zivile Hilfe nach Katastrophen, der Katastrophenschutz, ist Sache der Länder, egal ob nach einem Unglück, einem Naturereignis oder einem Terroranschlag. Die Länder bekommen zwar Unterstützung vom Bund, wollen sich aber bei Einsätzen nicht reinreden lassen. Der Bund ist wiederum zuständig für die Hilfe im Verteidigungsfall, so regelt es das alte Zivilschutzgesetz, das jetzt reformiert werden soll. Am Rande des 4. Europäischen Katastrophenschutzkongresses in Bonn vergangene Woche habe ich mich mit Peter Altmaier unterhalten, dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Und meine erste Frage lautete, warum es in Deutschland überhaupt eine solche scharfe Trennlinie zwischen Zivil- und Katastrophenschutz gibt.

    Peter Altmaier: Das hängt zusammen mit unserer föderalen Verfassungsordnung, dass das eine bei den Ländern aufgehoben ist, und das andere stärker auch beim Bund verortet ist. Trotzdem kann man in der Praxis diese Trennlinie nie ganz scharf ziehen. Wir haben sie auch in der Nachkriegszeit nie ganz scharf gezogen. Allerdings zwingt uns die veränderte Sicherheits- und Bedrohungslage zu einer Neupositionierung. Und deshalb haben wir uns auch entschlossen, mit dem Bevölkerungsschutzgesetz, was wir demnächst im Bundestag einbringen werden, hier eine neue und eine verlässliche Rechtsgrundlage zu schaffen.

    Dobovisek: Wie sieht das aus im Gegensatz zu dem, was wir bisher haben, mit der Trennung von Katastrophenschutzgesetzen der Länder und dem Zivilschutzgesetz des Bundes?

    Altmaier: Wir hatten in der Vergangenheit, um es einfach zu erklären, Vorsorge getroffen für den Fall kriegerischer Verwicklungen und haben dieses Material dann auch den Ländern zur Verfügung gestellt, die es dann im Rahmen ihrer Aufgaben verwenden konnten. Durch die veränderte Bedrohungslage werden solche kriegerischen Verwicklungen zunehmend weniger wahrscheinlich. Und dann stellt sich die Frage, inwieweit sich der Bund daran finanziell überhaupt noch beteiligen darf und kann. Das ist eine Frage, die im Parlament diskutiert wird, die mit dem Bundesrechnungshof diskutiert wird. Wir sind der Auffassung, dass der Bund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz auch in Zukunft gerecht werden muss, und deshalb haben wir dieses Konzept vorgelegt.

    Dobovisek: Alle Entscheidungen bei Katastrophen werden auf Kreisebene, maximal auf Landesebene getroffen. Ist das im Zeitalter der vernetzten Hightech-Gesellschaft und des internationalen Terrors überhaupt noch zeitgemäß?

    Altmaier: Ja, das ist es grundsätzlich, weil wir mit dieser dezentralen Organisation erreichen, dass wir möglichst nah bei den Menschen sind und möglichst schnell auch helfen können. Wir sind sehr froh, dass wir mit den Feuerwehren und auch mit dem THW Einrichtungen haben, die dezentral organisiert sind in fast jeder Gemeinde, in fast jedem Ort. Das unterscheidet uns von vielen europäischen Nachbarn, die zentrale Strukturen haben, die oft schwerfälliger und weniger effektiv sind als unsere. Trotzdem muss man sehen, dass es Katastrophenlagen geben kann, die die Grenzen von einzelnen Bundesländern überschreiten, die es auch notwendig machen, dass zentral Hilfe mitorganisiert und geleistet wird. Das bedeutet aber nicht, dass der Bund sozusagen die Länder aus ihrer eigenen Verantwortung entlassen kann und entlassen wird.

    Dobovisek: Konstruieren wir mal gemeinsam so einen Fall. Ein schweres Unwetter zum Beispiel zieht über Deutschland hinweg, unzählige Strommasten knicken ein, es gibt regionale Stromausfälle. Das könnte zu Kettenreaktionen in Deutschland führen. Können die Länder in so einer Situation überhaupt den Überblick bewahren?

    Altmaier: Nun, wir haben ja solche Situationen schon gehabt, wie Sie es geschildert haben. Denken Sie auch an den Orkan Kyrill vor einiger Zeit. Die Länder haben sicherlich in ihrem eigenen unmittelbaren Zuständigkeitsbereich den besten Überblick, aber sie sind auch jetzt schon darauf angewiesen, dass das THW beispielsweise, das ja eine Bundesanstalt darstellt, dann auch mit zur Verfügung steht. Es ist auch so, dass länderübergreifend Hilfe geleistet werden muss. Und es darf nicht vergessen werden, dass wir in bestimmten Bereichen auch Koordinierungsaufgaben haben. Wenn eine Katastrophenlage über ein einzelnes Bundesland hinausgeht, wenn man Kettenreaktionen verhindern will, dann muss es möglich sein, dass dann auch auf Bundesebene Hilfe geleistet wird.

    Dobovisek: Aber wer koordinieren möchte, muss auch jemanden finden, der sich koordinieren lässt. Wie offen sind da die Länder, sich koordinieren, sich führen zu lassen?

    Altmaier: Nun, die Bundesländer, und das ist nachvollziehbar, bestehen einerseits auf ihren verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten, andererseits legen sie aber großen Wert darauf, dass der Bund sich finanziell an ihren Anstrengungen beteiligt. Und ich glaube, daraus kann sich eine gute Lösung ergeben. Denn der Bund kann sich finanziell auf Dauer nur beteiligen, wenn es dafür auch eine klare rechtliche Grundlage gibt. Die wollen wir mit dem Bevölkerungsschutzgesetz schaffen. Und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind, dies im Einvernehmen mit den Bundesländern zu tun und damit an dieser Stelle auch Klarheit zu schaffen, die unsere Katastrophenschutzorganisationen dringend brauchen.

    Dobovisek: Die Elbflut 2002 hat ganz deutlich gezeigt, dass die Länder in der Tat bei großflächigen Katastrophen überfordert sind. Deshalb hat der Bund reagiert, eine eigene Behörde gegründet, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das ist allerdings zahnlos den Ländern gegenüber, weil es keine Weisungsbefugnis hat. Wäre eine Weisungsbefugnis sinnvoll?

    Altmaier: Wir haben jetzt erst einmal dafür gesorgt, dass das Bundesamt wesentlich mehr Geld zur Verfügung hat als in der Vergangenheit. Das ist auch notwendig, weil wir insbesondere bei der vorausschauenden Bewertung von Risiken, bei dem Schutz unserer kritischen Infrastrukturen, denken Sie an Elektrizitätsversorgung, denken Sie an IT-Infrastrukturen, auch an Naturkatastrophen, in der Vergangenheit sicherlich manches vernachlässigt haben. Diese Lücke wollen wir schließen, indem wir mehr Geld zur Verfügung stellen, um die notwendigen Planungen durchzuführen, indem wir auch mehr Geld zur Verfügung stellen, um die notwendigen Kapazitäten zu schaffen. Denken Sie zum Beispiel an Massenanfall von Verletzten bei Naturkatastrophen oder bei Unglücksfällen. Denken Sie zum Beispiel auch an die Abwehr von ABC-Gefahren, das ist ein Risiko, was im Rahmen des internationalen Terrorismus real geworden ist. Und deshalb glaube ich, dass es im Augenblick nicht um ein Weisungsrecht geht, sondern es geht darum, das BBK so stark und so effizient zu machen, dass die Länder auf diese Ressource zurückgreifen werden und dass das BBK kraft seiner Kompetenz und kraft seiner Expertise diese wichtige Rolle ausfüllt, die in der Koordinierung zwischen den Bundesländern notwendig ist.

    Dobovisek: Warum hat das Bundesinnenministerium dann vor ungefähr einem Jahr einen Entwurf vorgestellt für das Bevölkerungsschutzgesetz mit einer Weisungsbefugnis?

    Altmaier: Nein, wir haben keine generelle Weisungsbefugnis in diesem Entwurf vorgesehen. Wir haben uns bemüht, die Rolle des BBK zu stärken, allerdings in Absprache mit den Bundesländern. Und das, was in diesem Entwurf enthalten ist, ist auch mit den Innenministerien in dieser Form koordiniert und wird im Bundesrat, davon bin ich fest überzeugt, passieren.

    Dobovisek: Das heißt, es kann auch in gewissen großen Katastrophenlagen auch eine Führungsverantwortung seitens des Bundes geben?

    Altmaier: Ich rede ungern von Führungsverantwortung, ich rede von der gesamtstaatlichen Verantwortung, das schließt Bund und Länder mit ein. Wir haben in der Vergangenheit solche Probleme bewältigt, und ich bin überzeugt, dass wir mit dem Bevölkerungsschutzgesetz eine moderne Rechtsgrundlage schaffen, die die Koordinierungsfähigkeit und auch die Einsatzfähigkeit weiter verbessern wird.

    Dobovisek: Im Kampf gegen den Terror kratzt die Bundesregierung an Tabus, jüngst mit dem geplanten Einsatz der Bundeswehr im Innern. Noch in diesem Monat soll das Zivilschutzgesetz überarbeitet werden zu einem Bevölkerungsschutzgesetz, das haben Sie gesagt. Sind da auch ähnliche Überraschungen zu erwarten?

    Altmaier: Nein, es sind keine Überraschungen zu erwarten, wie ja auch der Einsatz der Bundeswehr im Innern keine Überraschung ist, sondern sich aus dem ergibt, was das Bundesverfassungsgericht in seinen einschlägigen Urteilen entschieden hat. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die traditionellen Trennungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit in unserer modernen Zeit zunehmen obsolet werden und dass wir Synergieeffekte dadurch schaffen müssen, dass die einzelnen Einrichtungen - Bundeswehr, Technisches Hilfswerk, Polizeien des Bundes und der Länder - ihre Kräfte kombinieren können. Das bedeutet, dass wir mit weniger Geld mehr Sicherheit schaffen können. Das ist jetzt mit der neuen Initiative der Koalition endlich auch erkannt und akzeptiert. Und deshalb ist es ein wichtiger Schritt hin auf eine bessere Handlungsfähigkeit des Bundes und der Länder in Katastrophenszenarien, etwa eines terroristischen Angriffs, den die Polizei alleine nicht abwehren kann.

    Dobovisek: In der Großen Koalition, Sie sagen es, ist es akzeptiert, allerdings sehen das die Länder noch ein bisschen anders. Da ist die Diskussion groß und möglicherweise könnte der Bundeswehreinsatz im Innern wie auch das Bevölkerungsschutzgesetz vor dem Bundesrat kippen?

    Altmaier: Das glaube ich nicht, weil die Länder ein Interesse daran haben, dass der Bund weiterhin auch finanziell seinen Beitrag leistet. Das fängt bei der Ausstattung der Feuerwehren an und geht über das Technische Hilfswerk bis hin zur Bundeswehr, die ...

    Dobovisek: Heißt das im Umkehrschluss, dass, wenn diese Gesetze gekippt werden sollten, die Finanzmittel eingestellt werden?

    Altmaier: Dies ist keine Frage, die von der Bundesregierung abhängt, aber Sie wissen, dass der Bundesrechnungshof und auch andere Institutionen sehr genau beobachten, ob wir die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grenzen einhalten. Und deshalb brauchen wir eine klare rechtliche Grundlage.